Toulouse [1]

[726] Toulouse (spr. Tuluhs), 1) Arrondissement im französischen Departement Ober-Garonne; 177,000 Ew.; 2) Hauptstadt des Arrondissements u. des Departements, am rechten Ufer der Garonne, unweit des Südkanals u. an der Eisenbahn von Bordeaux nach dem Mittelmeer; hat einen schönen Quai längs der Garonne, Brücke von sieben Bogen, 810 F. Länge u. 72 F. Breite, auf welcher ein Triumphbogen (sonst mit Reiterstatue Ludwigs XIV.) steht u. welcher die Verbindung mit der Vorstadt St. Cyprien (jenseit der Garonne) macht, Spaziergänge auf den Wällen u. an beiden Seiten des Flusses, bes. ist der Cours 1/4 Stunde lang mit Ulmen besetzt. T. ist der Sitz der Departementalbehörden, des 6. Militärobercommandos u. der 12. Militärdivision, eines Erzbischofs, kaiserlichen Gerichtshofes, einer Handelskammer, eines Handelsgerichtes, hat 41 Kirchen, darunter die Metropolitankirche, sonst mit einer 500 Centner schweren Glocke, die Doppelkirche St. Saturnain, in deren unterer mehre Heilige begraben liegen, u. mit Mausoleum des St. Saturninus, die Dominicanerkirche mit Grabmal des Thomas von Aquino, erzbischöflichen Palast, Stadthaus (Capitol), mit dem Saal des hommes illustres, welcher die Büsten der um T. verdienten Männer, u.a. auch die Riquets (s.d. 1), enthält, neuen Justizpalast, Schauspielhaus, Karthause mit Orangeriehaus, Zeughaus, mehre Kranken- u. Waisenhäuser, große Mühlen, Münze, Börse, Kanonengießerei, Pulvermühlen u. Pulvermagazine (auf der Insel Angoulème); in T. ist Universitätsakademie, königliches Collegium, Secundärschule für Medicin u. Chirurgie, Artillerieschule, bischöfliches Seminar, Zeichnenschule, Musikschule, königliche Akademie für Malerei, Bildhauerei u. Architektur, der Blumenspiele (s. Jeux Floraux), medicinische, Ackerbau-, Hagelversicherungsgesellschaft, zwei Bibliotheken, Sternwarte, Botanischer Garten, Stückgießerei etc.; man fertigt wollene, baumwollene, seidene u. leinene Waaren, Messing, Glas, Tabak in der königlichen Tabaksfabrik, Sicheln u. Sensen, Leder, Stärke, Pulver, Kupferblech etc., treibt Handel mit diesen Producten, so wie mit Getreide, Bauholz, Gemüsen, Wolle, Eisen, Käse (von Roquefort) u. mit guten Entenleber- u. Trüffelpasteten; 1862: 113,230 Ew.

T. hieß zur Zeit der Römer Tolosa u. lag im Lande der Tectosager im Narbonensischen Gallien. T. war schon im 2. Jahrh. v. Chr. groß u. durch Handel u. Reichthum berühmt u. Mittelpunkt des westeuropäischen Handels; es hatte das Jus Latinum u. den Beinamen Palladia. Berühmt war ein Tempel daselbst, welchen die Ureinwohner hochheilig hielten u. reich beschenkten. Bei demselben sollte in einem Teiche versenkt (welchen die meisten an der Stelle der j. Kirche St. Saturnain suchen) ein Theil der Schätze verborgen liegen, welche Brennus aus Delphi entführt hatte. Der römische Consul Servilius Cäpio eroberte T. 106 v. Chr. u. plünderte die Stadt u. die Tempelschätze (15,000 Talente an Werth), aber dennoch war T. noch im 4 Jahrh. n. Chr. eine reiche u. große Stadt, welche zur Provinz Viennensis gehörte u. wo auch die Wissenschaften blüheten. Unter den Westgothen, welche T. 413 einnahmen, wurde es Residenz der Könige des Westgothischen Reiches in Gallien, welches seitdem auch das Tolosanische Reich hieß, bis 508 T. von dem Frankenkönig Chlodwig eingenommen u. nun durch fränkische Grafen regiert wurde. Dagobert schenkte 630 T. seinem Bruder Aribert (Charibert), welcher den Titel eines Königs von T. annahm, u. als dieser in demselben Jahre starb, so gab Dagobert seinem unmündigen Neffen Childerich 631 das Königreich T. Doch st. dieser bald, u. 637 wurden Boggis u. Bertrand, Söhne Chariberts, Herzöge von T., welche der Krone Frankreich zu Lehn gingen. 688 folgte Eudo, Sohn Boggis, in dem ganzen Herzogthum, mit welchem er einen großen Theil von Südwestfrankreich vereinigte u. das Herzogthum Aquitanien (s.d.) gründete. Unter ihm eroberten 732 die Sarazenen T., mußten die Stadt aber nach der Schlacht von Poitiers wieder räumen. 750 besiegte der Herzog die Sarazenen bei T., u. diese Stadt blieb bei Aquitanien, bis dieses Herzogthum unter Eudos Enkel, Waifar, zu Grunde ging. 767 kam T. unter Pipin dem Kleinen an das Fränkische Reich u. 778 ernannte Karl der Große Chorson (Torson) zum Grafen von T., setzte ihn aber wegen bewiesener Feigheit 790 wieder ab[726] u. übergab T. an Wilhelm I., welcher sich 806 in ein Kloster zurückzog. Auf ihn folgte Graf Raimund Rafinel, welcher 810 auch den Titel Herzog von Aquitanien annahm, unter welchem aber das Herzogthum durch die Ablösung Septimaniens u. der Spanischen Mark bedeutend kleiner wurde. Ihm folgte 818 Berengar, ein Sohn des Grafen Hugo von Tours, er nannte sich schon vorher Herzog von T. u. wurde 832 von Ludwig dem Frommen zum Herzog von Septimanien ernannt; 835 bis 844 folgte ihm als Herzog von Septimanien u. T. Bernhard, Wilhelms I. Sohn, welcher als Ungehorsamer von Karl dem Kahlen hingerichtet wurde, u. diesem sein Sohn Wilhelm II., welcher 845 Barcelona eroberte, dort aber 850 mit Hülfe der Sarazenen ergriffen u. ebenfalls als Majestätsverbrecher hingerichtet wurde, s.u. Spanien S. 376. Unter ihm wurde die Stadt T. von Karl dem Kahlen belagert. In T. befehligte damals Fredelon, u. da dieser die Stadt an Karl übergab, wurde er zum Grafen von T. u. Herzog von Aquitanien ernannt; er st. 852. Ihm folgte sein Bruder Raimund I., welcher den Titel Herzog von T. annahm, Quercy mit T. vereinigte u. die Herrschaft in seiner Familie erblich machte. Nach ihm regierte 864–875 sein Sohn Bernhard; dessen Sohn Odo erweiterte sein Land bes. durch die Vereinigung von Albigeois mit T. u. st. 919. Von seinen Söhnen erhielt Ermengald die Grafschaft Rovergue, der ältere Raimund II. folgte ihm als Herzog von T. u. hielt treu an Karl dem Einfältigen: er focht 923 siegreich gegen die Normannen, st. aber bald darauf u. ließ seinen Sohn Raimund Pons als Herzog von T. zurück. Dieser schlug 924 die Magyaren, welche bis in die Provence vorgedrungen waren, erkannte 932 nach Karls des Einfältigen Tode Rudolf als König von Frankreich an u. erhielt von ihm einen Theil der Grafschaft Auvergne u. Aquitanien. Er st. 950; sein ältester Sohn Wilhelm III. Taillefer, vereinigte durch seine zweite Heirath mit der Erbgräfin Emma von Provence dieses Land mit T. (990): 1037 bis 1060 folgte ihm sein Sohn Pons, u. diesem sein Sohn Wilhelm IV., welcher, da er keine Söhne hatte (seine Tochter Philippa heirathete den Grafen Wilhelm IV. von Poitiers), 1088 T. an seinen Bruder Raimund IV. von St. Gilles verkaufte. Dieser eroberte Languedoc, Albigeois, Quercy, Agenois, Rovergue u. Perigord zu T. Als er 1096 das Kreuz nahm, übergab er die Provence seinem Schwager Gilbert, T. aber seinem Sohn aus erster Ehe, Bertrand, welcher 1098 von dem Herzog Wilhelm von Aquitanien, dem Schwiegersohne Wilhelms IV., vertrieben wurde. 1100 erhielt er T. zurück, folgte 1105 seinem Vater, welcher unweit Tripolis gestorben war, in der Regierung nach u. zog 1109 ebenfalls mit einem Heerenach Palästina, wo er Tripolis eroberte u. 1112 starb. Bertrand hinterließ einen Sohn Pons, welcher die Grafschaft Tripolis im Orient als Erbe erhielt u. seinem Oheim Alfons Jordanus (so genannt, weil er während des Kreuzzuges seines Vaters Raimund IV. im Orient geboren u. im Jordan getauft worden war) T. überließ Dieser war noch minderjährig, u. Herzog Wilhelm von Aquitanien eroberte 1114 T. noch einmal u. blieb in dessen Besitz, bis er nach dem Tode seiner Gemahlin Philippa 1119 von den Toulousern vertrieben u. Alfons Jordanus zurückgerufen wurde. Dieser führte bis 1125 mit dem Grafen von Barcelona Krieg, gründete 1144 Montauban u. unternahm 1146 einen Kreuzzug nach Palästina, wo er 1148 starb. Unter seiner Regierung breiteten sich die Albigenser aus, welche Wilhelm von Aquitanien beschützt hatte. Ihm folgten gemeinschaftlich seine Söhne Raimund V. u. Alfons II.; zwar machte König Heinrich II. von England im Namen seiner Gemahlin, der Enkelin des Grafen Wilhelm IV., Ansprüche auf T. (1159), fiel auch mit einer Armee in das Land, wurde aber von Raimund mit Hülfe des Königs Ludwig VIII. von Frankreich zum Rückzug u. Frieden gezwungen. Ein anderer Versuch Heinrichs hatte 1169 dasselbe Ende. An den kirchlichen Streitigkeiten jener Zeit u. hm Raimund Antheil u. verfolgte die Albigenser, doch ohne sie unterdrücken zu können; sein Sohn Raimund VI. welcher ihm 1194 gefolgt war, nahm sie gegen die grausamen Maßregeln des Papstes Innocenz III. in Schutz. Der Papst that ihn deshalb in den Bann u. predigte sogar 1208 einen Kreuzzug gegen ihn, u. Raimund VI. mußte sich 1209 unterwerfen u. nun selbst das Schwert gegen die Albigenser ergreifen. Dennoch wurde er, da er nicht alle Grausamkeiten billigte, welche der Papst gegen die Ketzer verfügte, 1211 nochmals in den Bann gethan u. 1215 die Grafschaft T. dem Anführer des Kreuzheeres, Simon von Montfort, geschenkt. Raimund VI. vertheidigte sich aber gegen diesen, u. als er 1222 starb, war er im Besitz von fast allen seinen Ländern. Sein Sohn Raimund VII. zwang Amalrich von Montfort, Simons Sohn, zur Aufgabe aller Ansprüche auf T., dieser aber trat dieselben später dem König Ludwig VIII. von Frankreich ab. Darüber entstand ein Streit zwischen diesem u. Raimund VII., welcher aber, da Ludwig VIII. 1226 starb, durch Ludwig IX. 1229 dahin verglichen wurde, daß Raimund alles Land jenseit der Rhône an den Papst u. das Land zwischen dem Tarn u. der Rhône an Frankreich abtrat; doch erhielt er den ersteren Theil seiner Staaten 1234 vom Papst Gregor IX. wieder. 1249 folgte ihm seine Tochter Johanna, vermählt mit Ludwigs IX. Bruder, dem Grafen Alfons von Poitiers. Alfons begleitete seinen Bruder nach Palästina, wurde 1250 dort gefangen, kehrte aber, wieder befreit, 1251 nach T. zurück. 1270 schiffte er sich nochmals mit seiner Gemahlin nach Palästina ein, landete in Tunis, kehrte aber nach Ludwigs IX. Tode zurück u. st. 1271 auf der Reise. Johanna starb einige Tage später, u. da sie keine Kinder hinterließen, so vereinigte König Philipp III. T. mit Frankreich. In T. wurden viele Kirchenversammlungen (Tolosanische Concilien), bes. im 11. u. 12. Jahrh., gehalten, so: 1056 gegen die Simonie u. für den Cölibat der Geistlichen; 1060, 1068 u. 1079 wieder gegen die Simonie; 1090 gegen mehre kirchlichen Mißbräuche: 1118 u. 1119 gegen die Manichäer; 1120, wo zuerst den Laien das Recht, außer den Psalmen, die ganze Bibel zu haben zugesprochen, aber auch die Inquisition als ein bleibendes Institut begründet wurde. Am 16. Mai 1562 wurden in der Nacht gegen 4000 Hugenotten, nachdem sie capitulirt u. das Versprechen freien Abzuges erhalten hatten, gleichwohl von den Katholischen niedergemetzelt. Hier begab sich 1762 der denkwürdige Vorfall mit Jean Calas (s.d.). Am 10. April 1814 bei T. Sieg der britisch-portugiesischen Armee unter Wellington über die Franzosen unter Soult, s. Spanisch-Portugiesischer [727] Befreiungskrieg S. 493. Hier am 18. April Vertrag 1814 zwischen Wellington u. Soult u. Suchet, wodurch die Feindseligkeiten eingestellt wurden u. eine Waffenruhe eintrat, s. ebd. Hier 12. bis 14. Juli 1841 Unruhen wegen der gewaltsamen Durchführung der finanziellen Regierungsmaßregeln Humanns, welche durch Waffengewalt unterdrückt werden mußten. Vgl. N. Bertrand, He Tolosanorum gestis ab urbe condita, Toul. 1515; A. Nognier, Hist. Tolosaine depuis son origine jusqu'en 1557, ebd. 1612; G. Catel, Histoire des Comtes de T., ebd. 1623, Fol.; A. Dadin-Alteserre, De ducibus et comitibus Galliae provincialibus, mit Anmerkungen von I. G. Estor, Frankf. 1731.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 726-728.
Lizenz:
Faksimiles:
726 | 727 | 728
Kategorien:

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die zärtlichen Schwestern. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Die zärtlichen Schwestern. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Die beiden Schwestern Julchen und Lottchen werden umworben, die eine von dem reichen Damis, die andere liebt den armen Siegmund. Eine vorgetäuschte Erbschaft stellt die Beziehungen auf die Probe und zeigt, dass Edelmut und Wahrheit nicht mit Adel und Religion zu tun haben.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon