[501] Gothische Sprache u. Literatur. Die G. S. (welche bisweilen, aber grundlos, die Mösogothische genannt wird), ist die Sprache, welche von den Ost- u. Westgothen gesprochen wurde, zu der deutschen Gruppe der Germanischen Sprache gehört u. mit den Sprachen der Gepiden, Heruler, Vandalen den ostdeutschen Zweig derselben bildet. Daß dialektische Verschiedenheiten zwischen den Ostgothen u. Westgothen bestanden, läßt sich zwar nicht bestimmt nachweisen, ist jedoch wahrscheinlich. Wie die übrigen Germanen, so besaßen auch die Gothen vor Ulfilas ein Runenalphabet; aus demselben u. dem Griechischen schuf Ulfilas im 4. Jahrh. n. Chr. für sein Volk ein ganz neues gothisches Alphabet. Dasselbe besteht aus 24 Schriftzeichen:
Für den Gebrauch als Zahlzeichen treten noch zwei Episemata = 90 u. = 900 hinzu. Von den Vocalen sind e u. o stets lang, a, i, u kurz; dazu kommen die Diphthongen ai, au, ei, iu; von beiden ersteren unterscheiden Einige die Brechung ai u. au aus i u. u vor h u. r, u. während sie die Diphthongen voll aussprechen, lautet ihnen die Brechung ai wie ä, au wie o. Über die Charakterisirung des materiellen Theiles der Sprache s.u. Germanische Sprachen. Der Anfang des Vater Unser lautet:
lies: atta unsar thu in himinam, veichnä (veihnä) namo thein, d.i. Vater unser, du in Himmeln, geheiligtwerde Name dein. Vgl. Kirchhoff, Das gothische Runenalphabet (Berl. 1851, 2. Aufl. 1854); Zacher, Das gothische Alphabet Vulfilas u. das Runenalphabet, Lpz. 1855; Weingärtner, Die Aussprache des Gothischen zur Zeit des Ulfilas, Lpz. 1858. Grammatiken der G-n S. außer von Zahn in seiner Ausgabe des Ulfilas, von der Gabelentz u. Löbe (Lpz. 1844) u. I. Grimm in seiner Deutschen Grammatik. Unter den Glossarien sind mit Übergehung der älteren in den Ausgaben des Ulfilas von Junius, Stjernhelm u. Zahn hervorzuheben die von v. d. Gabelentz u. Löbe (Lpz. 1843) u. E. Schulze (Magdeb. 1844); ein Vergleichendes Wörterbuch der G-n S. (Frkf. 1850 f., Bd. 1 u. 2) hat L. Diefenbach begonnen. Von der Gothischen Literatur ist wenig auf uns gekommen. Die G. S. ging bei den Ostgothen in Italien, wie bei den Westgothen in Spanien u. Frankreich noch zur Zeit ihrer Blüthe unter, indem sie die Römische als liturgische u. Gerichtssprache annahmen; bei den Tetraxitischen Gothen (s. Gothen III.) in der Krim wollte man noch im 16. Jahrh. Anklänge ihrer alten Sprache finden. Nach Jornandes hatten die Gothen schon vor der Bibelübersetzung Schriftwerke, bes. geschriebene Gesetze (Bilagineis). doch ist von diesen nichts auf uns gekommen. Dasselbe gilt von den epischen Gesängen, in welchen die Gothen ihre Thaten u. Könige feierten, namentlich Theoderich u. Ermanrich. Das bedeutendste von den Überresten der Gothischen Literatur u. zugleich das wichtigste Denkmal für die Germanischen Sprachen sind die Fragmente der Bibelübersetzung, welche Ulfilas (s.d.) nach der Mitte des 4. Jahrh. begann u. welche wahrscheinlich später von Anderen fortgesetzt wurde. Lange kannte man von dieser, aus griechischen Quellen übersetzten, aber hin u. wieder nach römischen Exemplaren überarbeiteten Bibelübersetzung, blos Fragmente der vier Evangelien, welche in dem Codex argenteus (s.d.), jetzt in Upsala, enthalten sind. Zu diesen entdeckte 1756 Knittel ein Fragment des Briefes an die Römer in Wolfenbüttel (Codex Carolinus). 1819 gaben Castiglione u.a. Mai in einem Specimen Ulphilae partium ineditarum, aus mailändischen Handschriften Proben von Theilen des Alten Testamentes (Esra u. Nehemia) u. einigen Paulinischen Briefen, ferner das Fragmen, eines gothischen Kalenders u., wie sie es nannten, einer Homilie heraus. 18291830 gab Castiglione allein die Fragmente aller Paulinischen Briefe heraus, so daß nur der Brief an die Hebräer, die Katholischen Briefe, die Apokalypse u. die Apostelgeschichte in der gothischen Übersetzung fehlen, von denen aber keine Kunde ist, daß sie übersetzt worden sind. Die Fragmente der Evangelien enthalten die Ausgaben von Junius, Dortr. 1665, Amsterd. 1684, 3 Bde.; von Stjernhelm, Stockh. 1671; von Benzel u. Lye, Oxf. 1750; Uppström, Upsala 1854, Supplemente 1857; das Fragment des Römerbriefes von Knittel, Wolfenb. 1762; mit diesem gab die Evangelien heraus: Zahn, Weißenf. 1805; vollständig von der Gabelentz u. Löbe, Lpz. 1836; Handausgaben von Gaugengigl, Maßmann (Stuttg. 185556, 2 Thle.) u. Stamm (Paderb. 1858). Zur Erläuterung u. Erklärung gehörige Schriften von Eßberg, Ihre, Heupel u.a., sammelte Büsching als Ulphilas illustratus, Berl. 1773. Jene Homilie, theils in Rom, theils in Mailand im Manuscript liegend, gab Maßmann, der sie ohne gewichtigen Grund eine Erklärung (Skeireins) des Evangeliums Johannis nennt, heraus, Münch. 1834; dazu Löbe, Beiträge zur Erklärung der Skeireins,[501] Altenb. 1839. Das bei Constantinus Porphyrogenetes vorkommende sogenannte Gotthikon (ein unter dem Klange der Panduren von einigen als Gothen gekleideten Circusgesellen, bei einer Feierlichkeit am constantinopolitanischen Hofe gesungenes Lied) ist eben so wenig gothisch, als die Schrift auf der Veronischen Elle. Wichtiger sind die gothischen Unterschriften in zwei alten Urkunden, einer neapolitanischen u. aretinischen, früher in Donis Inschriften, dann von Sierakowsky als Facsimile herausgegeben, zuletzt herausgegeben von Maßmann, Wien 1838, Fol.
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