Väterliche Gewalt

[374] Väterliche Gewalt (Patria potestas), der Inbegriff der Rechte, welche einem selbständigen männlichen Ascendenten über seine agnatischen Descendenten u. diejenigen, die denselben vermöge besondern Rechtsgeschäfts gleichgestellt worden sind, zustehen. Die V. G. war im älteren Römischen Recht, auf welchem die heutige Lehre von der V. G. wesentlich fußt, der Herrschaft des Herrn über seinen Sklaven fast gleich. A) Die V. G. umfaßte in dieser Zeit a) in Betreff der Person sogar das Recht über Leben u. Tod, auch war ein Verkauf des Haussohnes u. eine Aussetzung der Kinder erlaubt. Nur Kinder unter drei Jahren durften nicht getödtet werden, wenn sie nicht unter Zuziehung von fünf Zeugen als eine Mißgeburt erkannt wären. Bei[374] dem Verkauf (Mancipatio) galt außerdem noch der Satz, daß Söhne zweimal in die V. G. zurückfielen, so daß sich erst bei einem dritten Verkauf die Gewalt des Vaters gänzlich löste. Diese Strenge milderte sich jedoch später. Schon zur Kaiserzeit kam das Jus vitae ac necis nicht mehr ohne obrigkeitliche Anordnung zur Anwendung. Die Gewalt beschränkte sich mehr u. mehr auf ein bloßes Züchtigungsrecht, als welches die V. G. auch nur im heutigen Rechte u. zwar in der Weise erscheint, daß härtere Züchtigungsmittel den Gerichten zu überlassen sind. Tödtung des Kindes fällt nunmehr unter den Begriff des Verwandtenmords u. zieht als solcher sogar härtere Strafen, als der gewöhnliche Mord (s.d.) nach sich. Die übrigen Rechte des Hausvaters, soweit sie sich noch auf eine Herrschaft über die Person des Hauskindes zurückführen lassen, bestehen in dem Rechte auf Erziehung desselben, demnach auch in dem Rechte die Religion des Kindes zu bestimmen bis zu den Jahren, wo die Kinder frei wählen können; ferner in dem Rechte der Zustimmung zu einer Verehelichung, dem Rechte dem Kinde testamentarisch einen Vormund u. selbst (s.u. Substitution) unter gewissen Voraussetzungen einen Erben zu ernennen für die Zeit, wo das Kind noch selbst der Testirfähigkeit entbehrt. Doch wird von diesen Berechtigungen das Recht der Einwilligung in die Verehelichung auch der Mutter u. ebenso dem Vater selbst nach Aufhebung der V-n G. gegeben, so daß dasselbe mehr als ein allgemein elterliches Recht erscheint. Größer ist der Einfluß der V-n G. b) in Betreff der Vermögensrechte geblieben. Nach altem Recht war das Kind in V-r G. schlechthin unfähig eigenes Vermögen zu erwerben, was es erwarb, erwarb es Alles dem Hausvater. Es standen daher die Hauskinder auch in vermögensrechtlicher Beziehung ganz den Sklaven gleich, nur daß die Hauskinder klagbare Verbindlichkeiten eingehen konnten, was bei Sklaven nicht der Fall war. Zwar war es sehr gewöhnlich, daß der Vater dem Sohne, wie auch der Herr dem Sklaven, ein gewisses Vermögen als gesondertes Gut (Peculium, s.d.) zur beschränkten Administration zuwies; allein immerhin blieb ein solches Peculium, obwohl factisch gesondert, rechtlich doch nur ein Bestandtheil des väterlichen Vermögens. Mit der Zeit wurden indessen auch von diesem strengen Grundsatz Ausnahmen gemacht, indem gewisse Erwerbungen den Kindern auch zur rechtlich selbständigen Verfügung überlassen wurden. Dies geschah durch kaiserliche Constitutionen zunächst bezüglich desjenigen, was der Sohn aus Anlaß eines Kriegsdienstes erwarb (Peculium castrense). Der Sohn wurde in Beziehung darauf als Pater familias angesehen, u. wenn er ohne gültige Verfügung vor dem Vater verstarb, fiel es diesem jure peculii heim; nach dem neuesten Erbrecht tritt aber auch dieser Anfall nicht mehr ein. Dem Peculium castrense wurden dann später gewisse andere Erwerbungen, insbesondere solche, welche der Haussohn aus Anlaß eines Staatsamtes gemacht hatte, unter dem Namen Peculium quasi castrense, ganz gleichgestellt. Eine weitere Beschränkung führten Constantin bezüglich des Muttergutes (Bona materna) u. spätere Kaiser bezüglich noch einiger anderen Erwerbungen (Bona materni generis u. Lucra nuptialia) in der Weise ein, daß dem Vater nur die Nutznießung u. Verwaltung belassen, den Kindern dagegen das Eigenthum vorbehalten wurde, u. Kaiser Justinian dehnte diese Regel auf allen Erwerb der Kinder aus. welcher nicht vom Vater selbst herrührte. Dadurch ist die Regel des früheren Rechtes, daß die Kinder dem Vater erwerben, geradezu umgekehrt worden. Nur was die Kinder aus, väterlichem Vermögen erhalten, ist u. bleibt Vermögen des Vaters; was sie anderweitig her erwerben, wird ihnen selbst zu eigen u. daher auch nach ihrem Tode als ihr eigenes Vermögen vererbt, während der Vater nur die Nutznießung u. Verwaltung erhält. Auch die letztere Regel erleidet aber noch eine Ausnahme, bezüglich der Bona castrensia u. quasi castrensis bezüglich deren der Haussohn ganz als Hausvater gilt, u. bezüglich der sogenannten Bona adventitia irregularia, insofern bei manchen von außen her gemachten Erwerbungen, z.B. was das Kind wider den Willen des Vaters erworben hat od. was ihm mit dieser ausdrücklichen Bestimmung gegeben worden ist, das väterliche Recht der Nutznießung u. Verwaltung hinwegfällt. In Betreff von Rechtsgeschäften zwischen Vater u. Kind ergab sich schon aus der Natur der V-n G. für das ältere Recht von selbst die Unmöglichkeit klagbarer Ansprüche, u. diese Unmöglichkeit ist auch im Justinianischen Recht noch als Regel anerkannt. Früher führte man diese Regel auf eine sogenannte Unitas personae, welche zwischen Vater u. Kind angenommen wurde, zurück; die neuere Jurisprudenz hat diesen Gesichtspunkt mehr u. mehr aufgegeben. Ist jedoch dem Sohn ein Peculium vom Vater gegeben, so können in Beziehung darauf wohl Schuldverhältniße zwischen Vater u. Sohn entstehen; diesfallsige Forderungen u. Schulden haben aber dann nur die Natur von Obligationes naturales. Ebenso macht das regelmäßige Verhältniß der Bona adventitia, in dieser Beziehung keine Änderung; auch bezüglich dieser ist das Kind, obwohl ihm das Eigenthum vorbehalten ist, noch ganz vom Vater abhängig u. entbehrt jeder Dispositionsbefugniß. Dagegen fällt rücksichtlich Peculium castrense u. quasi castrense, sowie hinsichtlich der Bona advent. irregularia die fragliche Rechtsregel hinweg. Gleiche Grundsätze gelten auch in Betreff der unter Personen, welche in derselben V-n G. stehen, entstandenen Obligationen. B) Die Entstehung der V-n G. erfolgt unmittelbar a) durch Geburt in rechtlich gültiger Ehe. Wenn aber der Erzeuger selbst noch in V-r G. steht, od. bis zu seinem früher erfolgten Tode gestanden hat, so hat dessen Vater die V. G. auch über die Enkel, so daß dieselbe erst nach dessen Tod auf den noch lebenden Erzeuger selbst übergeht. Mittelbar wird die V. G. erworben b) durch Legitimation eines unehelich erzeugten Kindes (s.u. Legitimation) u. c) durch Adoption od. Arrogation (s.d.). C) Die Endigung der V-n G. tritt ein a) mit dem Tode des Vaters, wie des Kindes; gleiche Wirkung hatte nach Römischem Rechte auch b) eine Capitis deminutio (s.d.); c) durch Verwirkung des Vaters zur Strafe. Eine solche Verwirkung wird namentlich durch Aussetzung des Kindes, durch Verkuppelung der Tochter u. wegen Eingehung blutschänderischer Verbindungen begründet; durch gewisse hohe Würden des Sohnes, namentlich durch die bischöfliche Würde, da das Römische Recht die V.G. an sich durchaus nicht als ein Hinderniß betrachtete, daß der Sohn dennoch eine öffentliche Stellung bekleiden könne; durch Arrogation des Vaters od. Hingabe des Kindes[375] zur Adoption, u. durch absichtliche Entlassung des Kindes aus der V-n G. zu dem Zwecke, daß dasselbe sui juris werde (s.u. Emancipation), wobei aber das Kind schuldig ist den Nießbrauch von der Hälfte seines Vermögens, soweit es bis dahin unter väterlicher Verwaltung stand, dem Vater auf Lebenszeit als Belohnung für die freiwillige Entlassung zu überlassen (sogen. Praemium emancipationis).

Im Ganzen sind diese Grundsätze des Römischen Rechts auch in dem neueren Rechte maßgebend geblieben; insbesondere bilden dieselben noch die gemeinrechtliche Grundlage für die Vermögensverhältnisse zwischen Vater u. Kindern auch da, wo unter den Ehegatten besondere, dem Römischen Recht unbekannte Institute, wie z.B. die Gütergemeinschaft, veränderte Verhältnisse haben eintreten lassen. Nur in Betreff der Erlöschung der V-n G. ist eine wesentliche Ergänzung in der sogenannten Emancipatio germanica s. saxonica zu bemerken, wonach die V. G. ohne Weiteres auch Seitens der Tochter durch Verheirathung u. Seitens des Sohnes durch Gründung eines selbständigen Haushaltes eintritt. Der Hinzutritt dieser Aufhebungsart erklärt sich durch die deutschrechtlichen Ansichten über das Mundium. Zur abgesonderten Haushaltung gehört, daß der Sohn mit der Absicht selbständiger Ernährung ein eigenes, von der häuslichen Wirtschaft der Eltern getrenntes Gewerbe beginnt od., bei Übernahme eines öffentlichen Amtes, vom eigenen Erwerbe lebt; der bloße Staatsdienst genügt auch heutzutage ebensowenig, als der Umstand, daß der Sohn, ohne sich durch eigene Haushaltung vom Vater zu trennen, sich durch Andern geleistete Dienste im Wesentlichen ernährt. Dagegen ist andererseits der Genuß fortdauernder Unterstützung aus dem väterlichen Hause kein Grund die Absonderung dennoch als einen genügenden Aufhebungsgrund gelten zu lassen. Bezüglich der Töchter tritt die Aufhebung der V-n G. durch Verheirathung auch ein, selbst wenn die Tochter noch minderjährig ist u. selbst wenn sie noch im väterlichen Hause bleibt. Mit der Absonderung ist für den Vater die Pflicht zur Herausgabe des eigenen Vermögens verbunden, ohne daß der Vater auf das Praemium emancipationis hierbei Anspruch machen kann. Particularrechte legen dem Vater im Gegentheil noch die Pflicht zur Leistung einer väterlichen Beihülfe (Subsidium paternum) auf Die eigentliche römischrechtliche Emancipation ist dadurch als Aufhebungsart der V-n G. fast unpraktisch geworden. Die aus dem natürlichen Verhältnisse der Eltern begründeten Rechte u. Pflichten, ingleichen die auf der Verwandtschaft beruhenden Rechte, bes. die Erbrechte, bestehen auch nach Aufhebung der V-n G. noch fort; das ältere Römische Recht ließ die letztern dagegen, da das civile Erbrecht nur auf die Agnation gestützt wurde, ebenfalls erlöschen. Zur Geltendmachung seiner Rechte kann Paterfamilias gegen Dritte nach Umständen bald die Vindication, bald das besondere Rechtsmittel des Interdictum de liberis exhibendis s. ducendis benutzen. Gegen das Kind selbst findet, wenn dasselbe sui juris zu sein behauptet, eine Präjudicialklage, die sogen. Actio de patria potestate, Statt, während umgekehrt auch dem Kinde, wenn es seinen Stand als Paterfamilias klagend behaupten will, eine sogen. Actio de patria potestate negativa beigelegt wird.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 374-376.
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