Garibaldi

[335] Garibaldi, Giuseppe, berühmter Nationalheld der Italiener, geb. 4. Juli 1807 in Nizza als Sohn eines Seemanns, gest. 2. Juni 1882, ging früh zur See, beteiligte sich an dem Komplott Mazzinis von 1834 und mußte daher nach Frankreich fliehen. In der Heimat zum Tode verurteilt, führte er eine Reihe von Jahren ein unstetes Leben, stand eine Zeitlang im Dienste des Beis von Tunis, dann in dem der südamerikanischen Republiken Rio Grande do Sul und Montevideo, zuletzt als Oberbefehlshaber der Marine von Montevideo und Chef einer italienischen Legion. In Südamerika verband er sich mit einer Brasilierin, Anita, die er aber, weil sie vermählt war, nicht rechtsgültig heiraten konnte. Im April 1848 schiffte G. sich nach Europa ein und betrat in Nizza sein Vaterland wieder, als die erste glückliche Periode des oberitalienischen Krieges beendet war. König Karl Albert wies seine Dienste ab, aber das Verteidigungskomitee in Mailand beauftragte ihn mit der Bildung eines Freiwilligenkorps; nach Ablauf des am 9. Aug. zwischen Karl Albert und Radetzky abgeschlossenen Waffenstillstandes leistete er den Österreichern tapfern Widerstand, mußte sich aber endlich vor der Übermacht auf schweizerisches Gebiet zurückziehen. Darauf trat G. im Dezember 1848 in den Dienst der provisorischen Regierung Roms und nahm sein Hauptquartier erst zu Macerata, sodann zu Rieti. Im römischen Parlament stellte er 8. Febr. 1849 den Antrag auf Proklamierung der Republik, kehrte aber sodann zu seiner Legion zurück. Er brachte den Franzosen bei ihrem ersten Vorrücken gegen Rom eine Niederlage bei und nötigte durch seine Verteidigung der Stellung am Tor von San Pancrazio (2. Mai) den Marschall Oudinot zu einer förmlichen Belagerung der Stadt. Ebenso zeichnete er sich bei den erfolgreichen Angriffen auf die Neapolitaner bei Palestrina und Velletri (9. und 19. Mai) aus. Als die französische Übermacht sich 3. Juli Roms bemächtigte, trat G. mit dem Rest seiner Truppen ins Toskanische über, ward aber von den Österreichern verfolgt und entkam unter vielen Gefahren nach Piemont, doch ohne seine Anita, die während der abenteuerlichen Flucht gestorben war. Die sardinische Regierung zwang ihn zur Auswanderung; er lebte eine Zeitlang in Tanger und ging im Sommer 1850 nach New York; von hier begab er sich nach Südamerika, wo er eine Anstellung als Schiffskapitän fand.

Im Mai 1854 kehrte er nach Sardinien zurück und bezog nach einjährigem Aufenthalt in Nizza die von ihm zum Teil angekaufte Felseninsel Caprera, unweit der Nordostküste Sardiniens, wo er sich der Landwirtschaft[335] widmete. Da Cavours Politik immer entschiedener auf eine Einigung Italiens hinarbeitete, trat G. im Juli 1856 dem Italienischen Nationalverein bei. Das Bündnis Piemonts mit Frankreich gegen Österreich erkannte auch er als geboten an, und Cavour, der ihn im Februar 1859 nach Turin berief, überwand die Abneigung Napoleons III. gegen G. und seine aus von allen Seiten herbeiströmenden Freiwilligen gebildeten Freischaren. Als sardinischer General überschritt G. mit seinen »Alpenjägern« 23. Mai 1859 den Ticino; zwar trug er einige Erfolge über den österreichischen General Urban davon, richtete aber nichts Bedeutendes aus. Nach dem Frieden von Villafranca folgte er einem im August von Toskana an ihn ergangenen Ruf zur Organisation der toskanischen Division, die damals in der Romagna stand, in der Absicht, den Aufstand in den Kirchenstaat und nach Neapel zu tragen; allein die politischen Verhältnisse gestatteten der piemontesischen Regierung nicht, ein solches Vorgehen zu erlauben. 1860 protestierte G. im Parlament zu Turin gegen die Abtretung Savoyens und Nizzas an Frankreich und legte hierauf 23. April sein Mandat nieder. Bald darauf stellte er sich an die Spitze der Expedition, die von Genua aus, von Cavour im geheimen begünstigt, der Insurrektion in Sizilien zu Hilfe eilte. Am 11. Mai 1860 landete er mit etwas über 1000 Mann bei Marsala, vermehrte sein Korps durch den Zuzug von Freiwilligen und übernahm die Diktatur über Sizilien im Namen Viktor Emanuels. Nachdem er 15. Mai den General Landi bei Calatafimi aus gut verteidigten Stellungen geworfen hatte, wandte er sich gegen Palermo, schritt 27. Mai zum Angriff und zwang 6. Juni die weit überlegenen königlichen Truppen zur Kapitulation. G. ernannte nun ein Ministerium und begann die militärische und administrative Reorganisation der Insel. Am 20. Juli schlug er den General Bosco bei Milazzo, der einige Tage darauf kapitulierte, 28. Juli wurde Messina mit Ausnahme der Zitadelle und einiger Forts von den königlichen Truppen übergeben. Darauf bereitete G. den Übergang auf das Festland von Neapel vor, 9. Aug. schickte er die erste Freischar hinüber, am 19. landete er selbst an der Südspitze von Kalabrien, nahm 20. Aug. Reggio, zog 7. Sept. in Neapel ein und begann am 19. den Angriff auf die von den Königlichen besetzte Volturnolinie, behauptete auch, wenn schon mit Mühe und nach heftigem Kampf, seine Stellung und schritt 8. Okt. zur Belagerung Capuas. Während er aber durch sein eigenmächtiges Vorgehen in immer schärfern Gegensatz zur Regierung Viktor Emanuels getreten war, konnte er doch ihre Mitwirkung zum vollständigen Siege nicht entbehren. So mußte er, als die sardinische Armee ins neapolitanische Gebiet einrückte, dieser die Fortsetzung der Operationen überlassen; nachdem er 26. Okt. Viktor Emanuel in der Nähe von Teano als König von Italien begrüßt hatte und 7. Nov. mit ihm in Neapel eingezogen war, legte er die bisher geübte Gewalt nieder und schiffte sich am 9. nach Caprera ein; jede Auszeichnung, insbes. den Annunciatenorden, hatte er abgelehnt, die von ihm erbetene Ernennung zum Generalstatthalter von Neapel aber wegen des Vorbehalts, demnächst den Angriff gegen Rom zu eröffnen, nicht erhalten. Den Gedanken dieses Angriffs aber hielt G. unverbrüchlich fest. Ende Juni 1862 begab er sich nach Palermo und rief zum Zuge nach Rom auf. Obgleich die Regierung sich bestimmt gegen ihn erklärte, hatte er doch bald 3–4000 Freiwillige gesammelt und landete, nachdem er sich 19. Aug. Catanias bemächtigt hatte, am 24. in Kalabrien. Allein jetzt rückten die Regierungstruppen unter dem Oberst Pallavicini gegen ihn vor, und in dem Gefecht bei Aspromonte 29. Aug. wurde G. verwundet und gefangen genommen. Auf einem Regierungsdampfer nach La Spezia und von da in das Fort Varignano auf der Insel Palmeria gebracht, ward er 5. Okt. mit seinen Genossen amnestiert. Nachdem seine Wunde geheilt war, kehrte er 20. Dez. nach Caprera zurück.

Beim Ausbruch des Krieges 1866 stellte sich G. dem König Viktor Emanuel zur Verfügung und bildete eine Freiwilligenschar, die, ursprünglich auf 15,000 Mann berechnet, auf mehr als die doppelte Zahl anwuchs. Im Juni übernahm er in Como das Kommando, vollbrachte aber keine großen Taten. Seine Glanzperiode war überhaupt vorbei, und seine fernern Handlungen bewiesen, daß es ihm an politischer Einsicht und Besonnenheit wie an Selbständigkeit des Urteils fehlte. Obgleich der Regierung Viktor Emanuels durch die Septemberkonvention die Hände hinsichtlich einer Aktion gegen Rom gebunden waren, beabsichtigte G. doch auf eigne Faust sich dieser Stadt zu bemächtigen. Da sein Plan nicht verborgen blieb, ließ ihn die Regierung 24. Sept. 1867 in Asinalunga verhaften und nach Caprera zurückbringen. Indessen setzten Garibaldis Freunde das Werk fort, und er selbst entkam 14. Okt. in tollkühner Fahrt auf einer kleinen Barke durch die italienischen Kreuzer hindurch von Caprera und gelangte über Florenz in den Kirchenstaat. Hier errang er einige Vorteile; allein jetzt sandte Napoleon dem Papst ein Hilfskorps unter General Failly, und G. wurde bei Mentana 3. Nov. von päpstlichen und französischen Streitkräften vollständig geschlagen; am andern Morgen zogen sich seine Truppen auf italienisches Gebiet zurück und wurden entwaffnet. Auf der Fahrt nach Florenz wurde G. verhaftet und wiederum in das Fort Varignano gebracht, durfte aber Ende November 1867 nach Caprera zurückkehren. In seiner Zurückgezogenheit schrieb G. kirchenfeindliche RomaneClelia, ovvero il governo del monaco«, »Cantoni il volontario«, deutsch, Leipz. 1870). Die Proklamierung der französischen Republik im September 1870 entflammte seinen republikanischen Eifer so heftig, daß er mit seinen Söhnen Menotti und Ricciotti zu Gambetta eilte, von dem er Anfang Oktober das Kommando über die Freischaren auf dem südöstlichen Kriegsschauplatz erhielt. Er begann nun in der Bourgogne einen Guerillakrieg, ohne jedoch, von Alter und Krankheit gebeugt, irgend welche Erfolge zu erringen; es war ein Beweis seiner militärischen Unfähigkeit, daß er sich im Januar 1871 durch eine preußische Brigade in Dijon festhalten ließ und nichts tat, um Bourbaki gegen Manteuffel zu Hilfe zu kommen. Nach der Vernichtung der Bourbakischen Armee räumte G. 1. Febr. Dijon, und er wurde infolge dieses Mißgeschicks von den Franzosen sehr schlecht behandelt. In der Nationalversammlung zu Bordeaux, in die er gewählt worden war, ward er so mit Beleidigungen überschüttet, daß er sein Mandat niederlegte und nach Caprera zurückkehrte, von wo aus er nach Erklärungen zugunsten der Pariser Kommune erließ, wie er auch jede antiklerikale oder radikale Bewegung, ferner die chauvinistischen Bestrebungen der Italia irredenta von seiner Insel aus mit einigen Phrasen zu begrüßen pflegte. Eine vom Parlament 1874 votierte Dotation von 100,000 Lire Rente lehnte er anfangs ab, nahm sie aber 1876 wegen der [336] Verschwendung seiner Söhne an. Im italienischen Parlament, dem er zuletzt als Abgeordneter für Rom angehörte, wirkte er in seinen letzten Lebensjahren namentlich für die Regulierung des Tiber und die Bonifikation des sogen. Agro Romano. Durch körperliche Leiden sehr geschwächt, starb er auf Caprera und wurde unter großen Feierlichkeiten daselbst beigesetzt. – Schwärmerische Begeisterung für die nationale Sache, Tatkraft und Energie, persönliche Tapferkeit, Uneigennützigkeit und Redlichkeit des Strebens waren die Tugenden, die G. auszeichneten und zum Volkshelden machten. Dabei aber mangelten ihm die Fähigkeit ruhiger Erwägung der tatsächlichen Verhältnisse sowie jede tiefere politische Einsicht. – Von Anita hatte G. zwei Söhne, Menotti (geb. 1845; Teilnehmer an des Vaters Kriegszügen, General, seit 1871 Gutsbesitzer zu Velletri, gest. 22. Aug. 1903 in Rom) und Ricciotti (geb. 1847; ebenfalls an den kriegerischen Unternehmungen Giuseppes, besonders bei Dijon im Januar 1871, beteiligt, schrieb: »Souvenirs de la campagne de France 1870/71«, Nizza 1899), die sich als Mitglieder der italienischen Deputiertenkammer der Linken anschlossen, und eine an den General Canzio verheiratete Tochter Teresita. Anfang 1860 vermählte er sich mit einer Mailänderin, Contessa Raimondi, die ihn aber schmählich betrogen hatte; er trennte sich daher am Hochzeitstag von ihr, erkannte ihr Kind nicht an und erreichte 1879 die gerichtliche Ungültigkeitserklärung der Ehe. Er verheiratete sich darauf mit der frühern Amme seiner Enkelin, mit der er bisher in wilder Ehe gelebt, und die ihm zwei Kinder geboren hatte. Der Witwe und jedem der fünf Kinder bewilligte der Staat einen Jahrgehalt von je 10,000 Lire. Ihm selbst hat man in allen größern Städten Italiens Denkmäler errichtet; die berühmtesten sind die Reiterstandbilder auf dem Gianicolo in Rom (von Em. Gallori) und in Mailand (von Ett. Ximenes). Seine »Memorie autobiografiche« gab sein Sohn Menotti heraus (Flor. 1888); zahlreiche Briefe von ihm veröffentlichte XimenesEpistolario di G. G.«, Mail. 1885, 2 Bde.). Vgl. außerdem aus der umfangreichen, zum großen Teil wertlosen Literatur über ihn: Delvau, G., vie et aventures 1807–1859 (Par. 1862); Veechj, G. auf Caprera (deutsch, Leipz. 1862); Elpis Melena, Garibaldis Denkwürdigkeiten (Hamb. 1861, 2 Bde.) und G., Mitteilungen aus seinem Leben (2. Aufl., Hannov. 1885); Balbiani, Scene storiche della vita politica e militare di G. G. (Mail. 1872); Bent, Life of G. (Lond. 1881); Guerzoni, G. (3. Aufl., Flor. 1889–91, 2 Bde.); I. Mario, G. ei suoi tempi (11. Aufl., Mail. 1893); General Bordone, G., 1807–4882 (Par. 1891); A. Bianchi, G. capitano del popolo (Rom 1892); Loevinson, Gius. G. e la sua legione nello Stato romano 1848–1849 (das. 1902); Stiavelli, G. nella letteratura italiana (das. 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 335-337.
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