[671] Gesandte, diejenigen Personen, die zur Unterhaltung des völkerrechtlichen Verkehrs von einem Staat an einen andern gesendet werden. Sie werden notwendig, sobald Staaten in friedlichen Verkehr treten. Das frühere Altertum hatte keine ständigen diplomatischen Verbindungen, allgemein aber galt der G. als heilig und unverletzlich. Je mehr sich jedoch das europäische Staatsleben entwickelte, um so wichtiger wurde das Gesandtschaftswesen, zuerst in Italien, vornehmlich in Venedig. Alle Gesandten wurden nur zu bestimmten Zwecken gesendet, nach deren Erledigung sie zurückkehrten. Nur der Papst hielt frühzeitig am Hofe des oströmischen Kaisers bis zum Schisma und in den fränkischen Reichen ständige Apokrisiarier oder Responsales. Unleugbar hat auch das päpstliche Legatenwesen auf die Entwickelung des weltlichen Gesandtschaftswesens einen bedeutenden Einfluß geübt. Einen Abschluß erhielt die formale Seite des Gesandtschaftswesens im Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts. Die Unterzeichner des ersten Pariser Friedens einigten sich auf dem Wiener Kongreß über ein in dem Protokoll vom 19. März 1815 niedergelegtes, nachmals durch ein Übereinkommen der fünf Großmächte auf dem Kongreß zu Aachen vom 21. Nov. 1818 in einem Punkt modifiziertes Reglement über die Klassen und den Rang der eigentlichen Gesandten, das seitdem allgemein angenommen worden ist. Den in Europa befolgten Grundsätzen über das Gesandtenwesen (die man, soweit sie rechtlicher Natur sind, Gesandtschaftsrecht nennen kann) haben sich die amerikanischen Staaten angeschlossen. In der neuesten Zeit hat ein regelmäßiger Verkehr mit den großen ostasiatischen Staaten, namentlich mit China und Japan, begonnen.
Die Veranlassungen zur Absendung von Staatsvertretern können sehr verschiedener Art sein. Abgesehen von bloßen Zeremonialgesandtschaften (zur Anzeige von Thronbesteigungen, zur Anteilnahme an großen Hoffesten), kommen Bevollmächtigte verschiedener Art, teils ständig, teils nur zu einem vorübergehenden Zweck (ordentliche, außerordentliche), vor: 1) G. mit einem öffentlich beglaubigten Charakter zur unmittelbaren Verhandlung mit fremden höchsten Staatsgewalten (legati publice missi, ministres publics); 2) Agenten, die zwar zu gleichem Zweck, jedoch ohne öffentlichen amtlichen Charakter abgeordnet werden, z. B. weil die Umstände noch keine dauernde Verbindung (wie bei provisorischen, völkerrechtlich nicht anerkannten Regierungen) gestatten, oder weil die Förmlichkeiten, die mit der Akkreditierung eines Gesandten der ersten Klasse verbunden sind, umgangen werden sollen; 3) Kommissare, die mit öffentlichem Charakter zur Verhandlung bestimmter Gegenstände, wie Handels- und Zollverträge, mit ausländischen Behörden bestimmt sind; 4) Konsuln (s.d.) zur Wahrung der Handelsinteressen, wenn sie zugleich den Titel als agents politiques (wie in Serbien, bevor es selbständig wurde, und in manchen amerikanischen Republiken) führen; Konsuln ohne Akkreditierung haben nicht die Rechte der Gesandten; 5) Agenten zur Besorgung von Geschäften mit Privaten, wie Abschluß von Staatsanlehen, oder um geheime Erkundigungen einzuziehen, oder zur Verwaltung von Gütern im Ausland. Diese letztern haben keinen öffentlichen oder völkerrechtlichen Charakter und werden lediglich als Privatpersonen behandelt.
Das Recht, eigentliche G. in Staatsangelegenheiten zu senden, hat jeder Souverän, d. h. jede höchste Staatsgewalt, aber auch nur der Souverän. Dem Recht, G. zu entsenden (aktivem Gesandtschaftsrecht), entspricht das Recht, G. zu empfangen. Es sind auch nur Souveräne befugt, G. anzunehmen (passives Gesandtschaftsrecht). Die Verfassung des Deutschen Reiches beließ jedoch den einzelnen deutschen Bundesstaaten das aktive und passive Gesandtschaftsrecht; die deutschen Mittelstaaten entsenden (und empfangen) daher G. neben den Reichsgesandtschaften.
In der Annahme eines fremden Gesandten liegt zugleich das Versprechen, ihm diejenige Sicherheit und Freiheit einzuräumen, ohne welche die gültige, ehrenhafte und ungestörte Vollziehung der Staatsgeschäfte nicht möglich ist. Dazu gehört vor allem die Unverletzbarkeit des Gesandten und seiner Umgebung. Außerdem ist alles, was zur Gesandtschaft gehört, gewissen Einwirkungen der Staatsgesetze und der Staatsgewalt entzogen und erfreut sich der Exterritoria- [671] lität (s.d.) sowie einer Reihe von sonstigen Vorrechten (Immunitäten). Der G. besitzt ferner eine gewisse Gerichtsbarkeit über das Gesandtschaftspersonal und über seine Staatsangehörigen (besonders auf dem Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit). Selbst wenn sonst die Übung seines Bekenntnisses im Empfangsstaat verboten ist, hat der G. das Recht, im Gesandtschaftshotel eine eigne Kapelle und für dieselbe einen eignen Geistlichen zu halten, sogen. Kapellenrecht. Endlich ist der G. befreit von den direkten Steuern sowie, hinsichtlich der für ihn bestimmten Gegenstände, auch von den Zöllen.
Was die Zeremonialrechte der Gesandten betrifft, so sind diese je nach dem Rang verschieden. Nach dem bereits erwähnten Reglement von 1815 und 1818 bestehen dermalen vier Rangklassen: 1) Botschafter, Großbotschafter (ambassadeurs), päpstliche Legaten (legati de oder a latere) und Nunzien mit dem Titel Exzellenz und besondern Vorrechten; 2) mit dem Titel eines Internunzius, Gesandten oder Ministers bei dem fremden Souverän beglaubigte Diplomaten (envoyés extraordinaires et ministres plenipotentiaires); 3) Ministerresidenten (ministres résidents); 4) Geschäftsträger, die, wenn auch mit dem Titel eines Ministers, doch lediglich bei dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten beglaubigt sind (chargés d'affaires); letztere sind wohl zu unterscheiden von den während einer vorübergehenden Verhinderung oder Abwesenheit des Gesandten mit dessen Vertretung betrauten Geschäftsträgern ad interim (chargés des affaires), die hinter jenen rangieren. An sich hängt es von dem Willen des Souveräns ab, welchen Rang er seinen Gesandten beilegen will. Souveräne von königlichem Rang senden aber herkömmlich an Souveräne geringern Ranges weder G. ersten Ranges, noch empfangen sie solche von ihnen; auch schickt man in der Regel jedem Staat G. von demselben Rang zu, wie man von ihm empfängt.
Bei seiner Ankunft hat der G. das Beglaubigungsschreiben, die Kreditive (lettre de créance) zu überreichen, worin die formelle Mitteilung der Ernennung seitens des Absendestaats an den Empfangsstaat und das Gesuch um Annahme und Gehör enthalten ist. Die Annahme dieses Kreditivs ist der formelle Ausdruck der Zulassung des Gesandten zur amtlichen Tätigkeit im Empfangsstaate. Die Stellung des Gesandten endigt mit dem Ablauf der etwa zum voraus dafür bestimmten Zeit, dem Widerruf oder der Vollziehung des Auftrags, mit der eintretenden Unmöglichkeit, seine Geschäfte oder seinen Auftrag durchzuführen, durch Zurückberufung und durch seinen Tod. In jedem Falle muß der beschickte Staat die Unverletzbarkeit des Gesandten, seines Personals und seines Vermögens so lange achten, bis der Abzug erfolgt ist, wofür allerdings eine angemessene Frist gesetzt werden kann; wird der G. aber bei Fortdauer der freundschaftlichen Verhältnisse abberufen, so verabschiedet er sich unter Überreichung des Abberufungsschreibens (lettre de rappel) in ähnlicher Weise, wie er sich vorstellte, und erhält zur Bestätigung seines Verhaltens ein sogen. Rekredentialschreiben, auch wohl Geschenke, in der neuern Zeit in der Regel einen Orden. Gaben ausbrechende Feindseligkeiten die Veranlassung zur Abberufung, so fordert oder erhält der G. seine Pässe. Beim Ableben eines Gesandten wird die Versiegelung seines Nachlasses durch seinen etwaigen Vertreter oder durch den Gesandten einer dritten befreundeten Macht vollzogen, und nur im Notfall würde sich der beschickte Staat derselben unterziehen.
Die von dem Gesandten vorzunehmenden Geschäfte richten sich nach dem ihm mittels mündlicher oder schriftlicher Instruktion oder mittels ausdrücklicher Vollmacht erteilten Auftrag, für dessen Vollziehung er selbstverständlich, wie jeder Staatsdiener, seinem Auftraggeber verantwortlich ist. Die Verbindlichkeit seiner Handlungen für diesen aber ist lediglich nach der der auswärtigen Macht mitgeteilten Vollmacht zu beurteilen, der gegenüber auf geheime Instruktion sich zu beziehen ebenso unredlich wie vergeblich wäre. In der Regel wird bei Vertragsschlüssen die Ratifikation vorbehalten, und es ist ein solcher Vorbehalt der Vollmacht häufig eingefügt. G. mit Vollmacht ohne diesen Vorbehalt heißen Plénipotentiaires. Die bei den Gesandtschaften vorkommenden Geschäfte zerfallen zunächst in Kabinettsarbeiten, Verhandlungen mit dem beschickten Staat und dem Verkehr mit der eignen Regierung. Die Verhandlungen mit dem beschickten Staat betreffen entweder Staats- oder Privatangelegenheiten und werden bald unmittelbar (jedoch jetzt selten) mit dem Staatsoberhaupt selbst, bald mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten oder mit besonders dazu erwählten Kommissaren, zuweilen auch durch einen Dritten als Vermittler und, hinsichtlich der Form, entweder schriftlich (Noten, Memoiren) oder mündlich (Audienzen, Konferenzen) gepflogen. Über mündlich Verhandeltes wird in der Regel eine Verbalnote oder ein Protokoll oder ein aperçu de conversation zu gelegentlicher weiterer Mitteilung oder Auswechselung ausgesetzt. In seinen Geschäften wird der G. durch verschiedene von seiner Regierung angestellte Hilfsarbeiter unterstützt. Dazu gehören die Botschafts- oder Legationsräte (conseillers d'ambassade, de légation), die Übersetzer (secrétaires interprètes, déchiffreurs), der Dolmetsch (Dragoman, trucheman), Subalterne (employés), die teils zur Unterstützung, teils zur eignen Belehrung arbeitenden Attachés (commis attachés), die erforderlichen Kanzlisten, Rechnungsbeamten, Kanzleidiener etc. Zur Vermittelung des Verkehrs mit der Heimat dienen Kuriere und Feldjäger. In neuerer Zeit werden häufig Militärbevollmächtigte und zu besondern Geschäften auch andre Fachmänner (Handelsattachés [i. b.], landwirtschaftliche Attachés) beigegeben.
Die völkerrechtliche Eigenschaft der außer den eigentlichen Gesandten vorkommenden Agenten und Kommissare (s. oben) ist durchaus unbestimmt; es läßt sich nur so viel sagen, daß denselben, insofern sie überhaupt in Staatsangelegenheiten mit den Organen des fremden Staates verkehren, von diesem persönliche Unverletzbarkeit und ein sicherer Geschäftsverkehr mit der Heimat zugestanden werden. Vgl. außer den Lehrbüchern des Völkerrechts: Mirus, Das europäische Gesandtschaftsrecht (Leipz. 1847, 2 Bde.); Ch. de Martens, Manuel diplomatique, ou précis des droits et des fonctions des agents diplomatiques (Par. 1822); Odier, Des privilèges et immunités des agents diplomatiquesen pays de chrétienté (das. 1890); Lovisoni, Gesandtenrechte (Wien 1887); V. Menzel, Deutsches Gesandtschaftswesen im Mittelalter (Hannov. 1892); Hübler, Die Magistraturen des völkerrechtlichen Verkehrs (Gesandtschafts- und Konsularrecht) und die Exterritorialität (Berl. 1900).
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