Peloponnēsischer Krieg

[552] Peloponnēsischer Krieg, der Entscheidungskampf zwischen Athen und Sparta über die Hegemonie (Herrschaft) in Griechenland 431–404 v. Chr. Lange hinausgeschoben durch die Mäßigung beider Teile, kam er endlich zum Ausbruch durch Korinth, das auf Athens Seemacht eifersüchtig und durch die Unterstützung seiner Kolonie Kerkyra, mit der es wegen Epidamnos in Streit geraten, in der Schlacht bei Sybota 432 sowie durch den gewaltsamen Angriff der Athener auf die ihrem Bündnis abtrünnig gewordene korinthische Kolonie Potidäa gereizt war, und durch Megara, das sich über Beschränkungen seines Handels durch Athen beschwerte; beide rissen die Spartaner und übrigen Peloponnesier 432 auf der Bundesversammlung in Sparta zu dem Beschluß fort, von Athen nicht bloß die Freigebung von Ägina und Potidäa, sondern auch die Wiederherstellung der Freiheit und Unabhängigkeit aller griechischen Staaten, d.h. die Auflösung[552] des Seebundes, zu fordern und, als dies die Athener auf den Rat des Perikles ablehnten, den Krieg zu erklären. Sparta kämpfte dem Scheine nach für die Befreiung Griechenlands von der Herrschaft der Athener und fand daher auch außerhalb des Peloponnes an Megaris, Lokris, Böotien und Phokis Bundesgenossen; mit diesen verfügte es über eine Landmacht von 60,000 Hopliten, war aber an Flotte und Geldmitteln schwach, und überdies wurde seine natürliche Unbeholfenheit und Langsamkeit noch durch die Bundesverfassung gesteigert. Athen gebot über die gesamten Streitmittel der zahlreichen Staaten seines Seebundes, konnte eine Flotte von 300 Schiffen und ein Heer von 30,000 Hopliten aufbringen, hatte 6000 Talente (32 Mill. Mk.) im Schatz und 2000 Talente jährliche Einkünfte, stand unter der weisen und tatkräftigen Leitung eines Perikles und konnte daher wohl auf Sieg rechnen, der die Einigung Griechenlands unter seiner Hegemonie bedeutet hätte. Der Krieg begann mit dem verunglückten nächtlichen Angriff der Thebaner auf Platää und mit dem Einfall des peloponnesischen Heeres unter Archidamos in Attika, der aber, wie die 430,428,427 und 425 wiederholten, keinen wesentlichen Erfolg hatte, da die Athener auf Rat des Perikles das flache Land räumten, sich hinter ihre langen Mauern zurückzogen und sich durch Verwüstung von Megaris und den Küsten des Peloponnes sowie durch Vertreibung der Ägineten rächten. Aber 430 brach in dem übervölkerten Athen die Pest aus, die auch 429 fortdauerte, 5000 Hopliten, dann auch Perikles selbst wegraffte und die Bande der Sitte und Ordnung im Volk löste. Zwar wurde Potidäa 429 erobert, und Phormion kämpfte glücklich in den westlichen Meeren; aber schon war der Staatsschatz der Athener erschöpft, sie sahen sich genötigt, die Bundesgenossen härter zu besteuern, um die neuen Rüstungen zu bestreiten, und entfremdeten sich dadurch ihre Stimmung (428 Abfall von Lesbos). Die entschiedene Überlegenheit des von keinem hervorragenden Staatsmann, sondern von ehrgeizigen, selbstsüchtigen oder leichtsinnigen Parteiführern (wie Kleon) geleiteten athenischen Staates ging verloren, und der Krieg nahm einen unentschiedenen, wechselvollen Charakter an, infolgedessen beide Teile ihre Kräfte aufrieben, Haß und Erbitterung zu furchtbaren Bluttaten gesteigert wurden und die Parteileidenschaften Nationalgefühl und Vaterlandsliebe erstickten. 425 gelang den Athenern die Besetzung von Pylos in Messenien und auf der davor liegenden Insel Sphakteria die Einschließung von 420 Spartiaten, von denen 120 sogar gefangen genommen wurden; doch brachte sie der Übermut Kleons, der alle Friedensanträge Spartas ablehnte, um den Erfolg. Die Spartaner rafften sich auf, ihr Feldherr Brasidas marschierte mit einem Heere nach der mazedonischen Küste, trat dort als Befreier der Bundesgenossen Athens auf und siegte über ein athenisches Heer unter Kleon bei Amphipolis (422). Doch fielen in der Schlacht beide Anführer, und so kam auf Betreiben der gemäßigten Männer in beiden Staaten 421 ein 50jähriger Friede (Friede des Nikias) sowie ein Bündnis zwischen Athen und Sparta zustande, wodurch die Herstellung des Status quo ante bellum festgesetzt und der sogen. Archidamische Krieg (431–421) beendigt wurde. Athen behielt also seine Seeherrschaft, Sparta die Führung zu Lande.

Sparta verfeindete sich jedoch durch diesen Frieden mit seinen bisherigen Bundesgenossen, namentlich Korinth, die den Krieg unternommen hatten, um Athen zu vernichten, und es bildete sich zwischen Korinth, Argos, Elis und Mantineia ein Peloponnesischer Bund, den Alkibiades, der inzwischen in Athen den meisten Einfluß gewonnen, sofort zum Sturze Spartas auszunutzen suchte. Dieser Plan scheiterte indes an der Niederlage der Verbündeten bei Mantineia 418, und nun richtete sich sein unruhiger und ehrgeiziger Sinn auf Sizilien; Boten aus Egesta baten Athen um Hilfe gegen das immer mächtiger werdende dorische Syrakus und versprachen leichte Wiederherstellung der athenischen Macht auf der Insel; Alkibiades schürte die erhitzte Phantasie des Volkes und so wurde die sizilische Expedition (415 bis 413) unter dem Oberbefehl des Nikias, Lamachos und Alkibiades beschlossen und mit ungeheurem Aufwand zur Ausführung gebracht. Die durch Intrigen seiner Gegner bewirkte Abberufung des Alkibiades lähmte jedoch den Unternehmungsgeist des athenischen Heeres, das überdies in Italien und Sizilien wenig Beistand fand. Nach glücklichen Anfängen stockte die Belagerung von Syrakus; die Verteidiger sammelten ihre Kräfte, stellten sich den Athenern auch zur See entgegen und errangen 413 über die athenische Flotte. obwohl sie durch 70 Schiffe unter Demosthenes verstärkt worden war, entscheidende Siege; ihr Heer, dadurch zum Rückzug zu Lande gezwungen, ging am Assinaros 413 gänzlich zugrunde.

Hiermit war Athens Kraft gebrochen, seine Hilfsquellen fast erschöpft und seine Autorität über den Seebund erschüttert. Und nun veranlaßte Alkibiades, der schon durch die von ihm angeratene Unterstützung von Syrakus durch die Spartaner den Athenern großen Schaden zugefügt hatte, Sparta auch zum Wiederbeginn des offenen Krieges durch die plötzliche Besetzung von Dekeleia in Attika und zur Errichtung einer Seemacht mit persischer Hilfe (Dekeleïscher Krieg 413 bis 404). Die Athener nahmen zwar den Kampf mannhaft auf, wurden aber durch die Verwüstung Attikas, den Abfall Euböas und vieler asiatischer Bundesgenossen daran gehindert, ihre Kräfte wieder zu sammeln, und rieben sich überdies durch innern Zwiespalt auf, der 411 sogar zum Umsturz der Solo nischen Verfassung und zur Einsetzung einer Oligarchie des Rates der Vierhundert, allerdings nur auf drei Monate, führte. Eine günstige Wendung für Athen schien einzutreten, als Alkibiades, von der Flotte bei Samos zurückgerufen, die Perser von kräftiger Unterstützung der spartanischen Flotte abhielt, diese bei Abydos und bei Kyzikos 410 besiegte, die Städte an der Propontis wiedereroberte und 408 in Athen selbst zum Oberfeldherrn mit unbeschränkter Vollmacht ernannt wurde. Aber auch die Spartaner gewannen in Lysandros einen geschickten Führer, der, unterstützt von dem Satrapen in Kleinasien, dem jüngern Kyros, den Seekrieg mit überlegenem Ge schick führte und durch rücksichtslose Unterstützung der oligarchischen Parteien in allen Städten der spartanischen Politik dauernden Halt verlieh, während in Athen gewissenlose Parteiführer, namentlich die Oligarchen, den Abschluß eines günstigen Friedens verhinderten, 407 das Mißgeschick des Unterfeldherrn des Alkibiades bei Notion benutzten, um diesen selbst zu stürzen, und 406 die tüchtigen Feldherren, die bei den Arginusen gesiegt hatten, weil sie des Sturmes wegen die Leichen nicht gesammelt hatten, hinrichten oder verbannen ließen. Lysandros vernichtete darauf die letzte athenische Flotte 405 bei Ägospotamoi und erzwang, unterstützt von den verräterischen Oligarchen. im Frühjahr 404 die bedingungslose Übergabe der [553] Stadt Athen, die dem von Korinth und Theben geforderten völligen Untergang entging, aber sich den von den Spartanern diktierten Friedensbedingungen. Niederreißung der langen Mauern, Auslieferung der Flotte, Verzicht auf jede Herrschaft außerhalb Attikas und Unterordnung unter den Peloponnesischen Bund, unterwerfen mußte. Das Ergebnis des 27jährigen Krieges war also die Vernichtung des geistigen Mittelpunktes des griechischen Volkes als politische Macht, aber ohne daß das siegreiche Sparta den Zweck des Krieges, die Unabhängigkeit der griechischen Staaten, ehrlich und entschieden ins Werk gesetzt hätte oder imstande gewesen wäre, unter seiner Herrschaft Griechenland zu einigen. Die Steigerung des Hasses und der Eifersucht zwischen den Staaten von Hellas machte seine politische Einheit unmöglich und gefährdete dadurch sowie durch die Schwächung der Kraft des Volkes und durch die Bündnisse mit fremden Mächten auch seine Freiheit aufs höchste. Die ausgezeichnete Geschichte des Krieges von dem Zeitgenossen Thukydides (s. d.) aus Athen reicht bloß bis 411; der Rest ist in Xenophons-Hellenika« beschrieben. Vgl. G. Gilbert, Beiträge zur innern Geschichte Athens im Zeitalter des Peloponnesischen Kriegs (Leipz. 1877), und die Literatur über die Geschichte (Alt-) Griechenlands, S. 303.

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 552-554.
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