[240] Göthe (Joh. Wolfgang), der größte Dichter der Deutschen, ward den 28. Aug. 1749 zu Frankfurt am Main geboren.
Sein Vater hatte den Titel eines kais. Raths, bekleidete aber kein öffentliches Amt in seiner Vaterstadt und war ein ernster, strenger, etwas pedantischer Mann, der sich die Erziehung seines Sohnes zur wichtigsten Angelegenheit machte. Er ließ den aufgeweckten Knaben in jeder Richtung, welche er einschlug, gewähren, sobald er nur bemerkte, daß jener in Verfolgung derselben zu einer Ausbreitung und Vermehrung seiner Bildung gelangte. Doch hielt er streng darauf, daß das Angefangene nicht eher wieder fallen gelassen wurde, bis es zu einem gewissen Resultate[240] gelangt war. G.'s Mutter stammte aus einem vornehmen bürgerlichen Geschlechte Frankfurts. Ihr Vater, Joh. Wolfg. Textor, war Schultheiß der freien Reichsstadt und sie selbst zeichnete sich durch würdevollen Anstand, Anmuth, Geist und Bildung aus, mit welchen Vorzügen sie alle Tugenden einer tüchtigen, unverzärtelten Gesinnung verband. Von solchen Ältern und einigen Privatlehrern erhielt der junge G. seine Erziehung, bis er das väterliche Haus verließ, und um so mehr konnten jene alle Sorgfalt auf ihn verwenden, als sie im Besitz eines hinreichenden Vermögens waren und außer ihm und einer Tochter, Cornelia, keine Kinder am Leben behielten. Nur kurze Zeit besuchte G. eine öffentliche Schule. Wie vielseitig des Knaben erste Bildung schon begann und wie selbständig er das Angelernte als sein Eigenthum zu behandeln strebte, ersieht man aus der Art, welche er selbst wählte, um sich in den verschiedenen Sprachen zu üben. Er schrieb nämlich eine Art Roman, in welchem sieben an verschiedene Orte vertheilte Geschwister in Briefen, jeder in einer andern Sprache schreibend, sich unterhielten. Seinen Geschmack für Gemälde zu bilden, hatte G. frühzeitig Gelegenheit. Sein Vater war ein Lebhaber von Gemälden, und bei der Besetzung Frankfurts durch die Franzosen, 1759, kam ein franz. Graf im Göthe'schen Hause ins Quartier, welcher die angesehensten Maler der Stadt vielfach beschäftigte. Der zehnjährige Knabe interessirte sich eifrig für dieses künstlerische Treiben im Hause seines Vaters und legte sogar den Malern einen Aufsatz vor, in dem 12 Bilder, die Geschichte Joseph's darstellend, beschrieben waren. Einige fanden auch wirklich solchen Beifall, daß sie ausgeführt wurden. Von dem bedeutendsten Einfluß auf G.'s inneres Leben war seine erste Jugendliebe zu einem Mädchen, Gretchen, aus niederm Stande, aber von den liebenswürdigsten Naturanlagen. Die Liebe bemächtigte sich mit aller Glut und Schwärmerei des 15jährigen Jünglings; doch währte ihre Blütenzeit nur wenige Wochen, denn G.'s Ältern wußten das Liebesverhältniß bald aufzuheben. G. verfiel in eine Krankheit und nachher in eine schwermüthige Stimmung, von der er sich nur langsam erholte. Den Namen und die Liebenswürdigkeit dieser ersten Geliebten hat jedoch G. in seinem »Faust« verewigt. Noch im älterlichen Hause machte G. die ersten Anfänge des juristischen Studiums unter Anleitung seines Vaters und 1765 begab er sich mit Empfehlungen wohl ausgerüstet auf die Universität Leipzig, um sich nach dem Willen seines Vaters zum Rechtsgelehrten auszubilden. Ihn selbst aber trieb es, sich zum Dichter und Schriftsteller zu bilden, um so mehr, da er sich schon seit seiner frühesten Jugend in poetischen Arbeiten versucht hatte, welche mit Wohlwollen und Beifall aufgenommen worden waren. In Leipzig fand er an der trockenen Weise, wie die Rechtswissenschaften und die Philosophie damals behandelt wurden, wenig Geschmack. Mit mehr Eifer besuchte er Gellert's Vorlesungen und gewann namentlich durch die schriftstellerischen Übungen, welche dieser Studirende unter seiner Leitung vornehmen ließ; doch konnte weder das weichmüthige Wesen Gellert's, noch das lächerlich steifpedantische Gottsched's dem jungen Dichter eine entschiedene Richtung geben. In einer Gesellschaft aufgeweckter Freunde und im Cirkel gebildeter Familien bildete sich G. selbständiger aus, wurde jedoch in dieser Selbständigkeit zu manchem Übermuth veranlaßt und gerieth in eine ungeregelte Lebensweise, die von traurigen Folgen für ihn wurde. Seine erste Druckschrift, welche anonym in Leipzig 1767 erschien, war ein Spottgedicht auf ein moralisch-ästhetisch-weichliches Drama »Medon« vom Professor Clodius. G.'s Kunstsinn wurde vortheilhaft ausgebildet durch Privatstunden, die er bei dem rühmlich bekannten Maler Öser nahm und durch das Studium der Schriften Winckelmann's und Lessing's. Eine schnell vorübergehende Liebelei mit einer hübschen Wirthstochter veranlaßte G. zu dem dramatischen Gedicht »Die Laune des Verliebten«, welches nebst den »Mitschuldigen« die einzigen bedeutenden poetischen Werke sind, welche der Vernichtung entgingen, zu der G. nachmals alle seine poetischen Arbeiten aus der leipziger Zeit verdammte. G. nahm in Leipzig auch Gelegenheit, sich in der Kupferstechkunst zu versuchen, und wir besitzen noch zwei radirte Blätter von ihm aus jener Zeit. Bei diesen Arbeiten nahm er sich jedoch nicht hinlänglich vor den schädlichen Dünsten in Acht, welche sich beim Ätzen in Kupfer entwickeln, und diese trugen, sowie seine unregelmäßige Lebensweise dazu bei, daß er sich eine Kränklichkeit zuzog, welche endlich die gefährlichste Wendung nahm. Er erwachte eines Nachts mit einem Blutsturz, und nur durch die sorglichste ärztliche Behandlung entging er dem Tode; aber noch kränklich kehrte er 1768 in das Vaterhaus zurück. Es dauerte lange, ehe die Kraft der Jugend über seinen leidenden Zustand den völligen Sieg davontrug. Mit dem Körper litt auch der Geist, und eine eigne mystisch-schwärmerische Richtung bemächtigte sich desselben. Von dem wohlthätigsten Einfluß wurde G. aber der Aufenthalt in Strasburg und in dessen reizenden Umgebungen, wohin er sich zu Beendigung seiner juristischen Studien begeben hatte, sobald sein Körperzustand es erlaubte. Ein Privatlehrer bereitete ihn hier so tüchtig vor, daß er 1771 die Würde eines Doctors der Rechtswissenschaften erlangen konnte. Übrigens beschäftigte sich G. mehr mit medicinischen, naturwissenschaftlichen und schönwissenschaftlichen Studien, als mit Jurisprudenz. Es [241] bildete sich ein Kreis geistreicher Freunde, welche ein heiteres und geistig regsames Leben führten. In Strasburg lernte G. Herder (s.d.) kennen, der auf ihn von dem gewaltigsten Einfluß war, indem dessen großartige Auffassung der Welt und der Poesie ihm eine bisher nicht gekannte Lebensanschauung eröffnete. G. erfuhr, daß der Dichter nicht nur der begabte Mensch sei, der seine Empfindungen schön auszusprechen wisse, sondern daß die Poesie das heilige Eigenthum des Volks, ja des Menschengeschlechts sei. Der größte Dichter Englands, Shakspeare (s.d.), dessen Werke G. ebenfalls zuerst in Strasburg kennen lernte, wurde ihm mit seiner alle Lebensverhältnisse durchdringenden Poesie ein leuchtendes Vorbild. Aber auch das Herz des jungen Dichters fand Gelegenheit zur Bildung in der Liebe zu einem ebenso anmuthigen als geistvollen Mädchen, der Tochter eines Landpredigers in der Nähe von Strasburg. In der trübsten Stimmung verließ G. den Ort, der ihm so vielfach theuer geworden war.
Nach Frankfurt zurückgekehrt, eröffnete sich für G. bald ein neuer Kreis geistreicher Freunde, der durch die Theilnahme an seinen literarischen Bestrebungen ihm vielfach förderlich war und in dem sich erfahrene, verständige Männer befanden, welche G. in das literarische Leben einzuführen fähig waren. Zu diesen gehörten namentlich Merk in Darmstadt und die Brüder Schlosser, deren einer G.'s Schwester, Cornelia, zur Gattin wählte. G. gab sich in dieser Zeit ganz dem Leben in der Natur hin, er war fast stets auf kleinen Reisen in der Umgegend begriffen, übte sich des Winters fleißig im Schlittschuhlaufen, des Sommers im Reiten. Nach dem Wunsche seines Vaters mußte er sich jedoch nach Wetzlar begeben, um sich beim dortigen Reichskammergericht in der juristischen Praxis zu üben. Hier fand er in dem zahlreichen Gesandtschaftspersonal einen heitern Kreis junger Leute, in welchem er eine angenehme Stellung einnahm, aber wenig Muße zu schriftstellerischer Thätigkeit fand. Durch Merk aufgefodert, nahm G. an den »Frankfurter gelehrten Anzeigen« Theil, für welchen er mit oft leidenschaftlicher Aufregung kritische Beiträge lieferte. Wiederum in Frankfurt machte sich G., besonders durch seine Schwester zur endlichen Ausführung angeregt, an den »Götz von Berlichingen« (1773), mit dessen Entwurf er sich schon seit Jahren beschäftigt hatte. Eine bald darauf unternommene zweite Bearbeitung wurde auf Merk's Betrieb in Druck gegeben und zwar, da sich kein Buchhändler gefunden hatte, auf Kosten der beiden Freunde. Das Stück machte großes Aufsehen; aber noch entschiedener wurde der Ruhm des Dichters nach Erscheinung seines »Werther«. G. hatte in Wetzlar zu der Verlobten eines Freundes eine zärtliche Zuneigung gefaßt, von welcher er sich nur schwer loszumachen vermochte, und welche in ihm sogar den Gedanken an Selbstmord rege gemacht hatte. Bald nach seinem Abgange von Wetzlar erfuhr G., daß ein junger hoffnungsvoller Mann, Jerusalem, weil er der Liebe zur Gattin eines Freundes nicht Herr zu werden vermocht, sich erschossen habe. So fand G. Gelegenheit, indem er diese traurige Begebenheit zum Gegenstande einer Erzählung machte, die Qualen der Liebe, die er selbst so schmerzlich durchempfunden, auszusprechen. Der berühmt gewordene Dichter wurde nun von allen Seiten aufgesucht und wo er hinkam, mit großer Zuvorkommenheit aufgenommen. Er machte die nähere Bekanntschaft Jacobi's, Heinse's, Lavater's, Basedow's, Klopstock's, und namentlich des Erbprinzen von Weimar, Karl August, der, bald nachdem er als Herzog zur Regierung gelangt war, G. 1775 an seinen Hof berief.
Weimar wurde bald der Mittelpunkt des höchsten geistigen Lebens von Deutschland, indem die ausgezeichnetsten Geister und vorzüglichsten Schriftsteller theils für immer nach Weimar gezogen wurden, theils auf kürzere oder längere Zeit in den anziehendsten Umgebungen wohlwollende Aufnahme fanden. Amalia, die Herzogin Mutter, eine geistig hochgebildete, für alles Große und Schöne leidenschaftlich begeisterte Fürstin, war die Seele des Kreises ausgezeichneter Männer, welche sie um sich versammelte. Schon aus früherer Zeit waren Wieland, als Erzieher des nunmehrigen Herzogs, und der bekannte Märchenerzähler Musäus in Weimar; bald nach G. kam Herder und endlich auch Schiller dahin. G. trat in die freundschaftlichsten Verhältnisse mit dem jungen Herzog und erhob sich bald nicht nur durch seine Theilnahme an der Staatsregierung, sondern auch durch sein aufgewecktes Wesen in Scherz und Ernst, stets mit Gewandtheit und Anmuth den rechten Ton angebend, zu dem ersten Platze unter den ausgezeichneten Männern Weimars. Alle liebten und ehrten den jungen genialen Mann; selbst Wieland, den G. früher öffentlich angegriffen hatte, strömte in Liebe und Entzücken über. Der Herzog ernannte G. 1776 zum geheimen Legationsrath, 1779 zum wirklichen geheimen Rath und 1782 zum Kammerpräsidenten, indem er ihn zugleich in den Adelstand erhob. Die Freunde fürchteten, G. möchte, den Staatsgeschäften unterliegend, für die Poesie wenigstens auf Jahre verloren sein; dieser aber fand noch Muße und Heiterkeit des Geistes, alle Feste zu ordnen und mit seinen Poesien zu ver. herrlichen, einem Liebhabertheater vorzustehen, auf diesem selbst die bedeutendsten Rollen zu übernehmen und dabei noch an größern Werken fortzuarbeiten. Im Sommer 1786 reiste G. über Karlsbad nach Italien, wohin ihn schon längst eine fast bis zur Krankhaftigkeit sich steigernde Sehnsucht zog und auf dieser Reise, auf welcher er in den seligsten Kunstgenüssen schwelgte, brachte er ein Paar seiner herrlichsten Dichtwerke: »Iphigenie auf Tauris« und »Egmont« zur Vollendung und arbeitete am »Tasso«, welches Werk, sowie »Faust« bald nach seiner Rückkehr aus Italien erschien.
Neue geistige Interessen zogen G. nach seiner Rückkehr aus Italien an. Er machte sich mit der Kant'schen Philosophie bekannt und beschäftigte sich noch lebhafter als früher mit den Naturwissenschaften, besonders mit der Farbenlehre, die durch ihn eine völlig neue Bearbeitung erfuhr. Am bedeutendsten für seine fernere Ausbildung als Dichter wurde aber die Bekanntschaft mit Schiller, von dem er sich bisher abgestoßen gefühlt hatte. Schiller und G. waren durch Naturanlage, Bildung und äußere Verhältnisse zwei völlig verschiedene und doch beide große Naturen. Nur in den echten, wahren Kunstgebilden begegneten sich Beide und die Kunst war es auch, die aus ihnen die innigsten Freunde machte. Während nämlich G. mit dem Scharfblicke des Genies den wahren tiefen Gedankeninhalt der reinen unverdorbenen Natur in allen ihren Gebilden anschaute, darum ein eifriger Verehrer der Natur war und es für die Aufgabe des Dichters erkannt hatte, das Natürliche so nachzubilden, daß es als Ausdruck seiner innersten Seele erscheine, also [242] gleichsam die Natur in ihrer eignen Verklärung darzustellen; meinte Schiller, der Dichter sei es, welcher dem Gedanken eine Wirklichkeit zu geben habe, die höher als die gemeine sinnlich wahrnehmbare Natur sei. Dieser Unterschied ist so ausgedrückt worden, daß man G. einen objectiven, Schiller einen subjectiven Dichter genannt hat. Man sieht aber leicht ein, wie über das Kunstgebilde selbst im Grunde beide Dichter völlig einig sind: nämlich daß es geistig verklärte Wirklichkeit sei. G. lernte Schiller, der durch seine Vermittelung in Jena als Professor angestellt worden war, zufällig näher kennen und lieben, und Beide blieben bis zu Schiller's Tode, der G. auf das mächtigste ergriff, im vertraulichsten Ideenaustausch die wahrsten Freunde. G. ging 1790 noch einmal nach Italien, übernahm nach seiner Rückkehr die Oberleitung einer für Weimar gewonnenen Schauspielergesellschaft, begleitete 1792 den Herzog auf seinem Feldzug in die Champagne und war im nächsten Jahre Zeuge der Belagerung von Mainz. Hierauf wurde ein schon früher begonnenes Werk: »Wilhelm Meister's Lehrjahre« zu Ende geführt und in edlem Wettstreit mit Schiller entstanden mehre herrliche Balladen. G. unterstützte Schiller vielfach bei der Herausgabe seiner Zeitschrift: »Die Horen« und von 1798 an gab er selbst im Verein mit einigen Kunstfreunden eine Zeitschrift: »Die Propyläen« heraus, Ansichten über die Natur als Gegenstand für den Künstler enthaltend.
G. hatte sich von den großen Weltbegebenheiten, welche seit 1792 über Europa hereingestürzt waren, in seinem Thun und Treiben als Dichter wenig bestimmen lassen; die Parteien waren mit ihren entgegengesetzten Meinungen allzu aufgeregt, als daß sich eine Versöhnung durch das besonnene Wort des genialen Dichters hoffen ließ, und einige schwache Versuche, in diesem Sinne unternommen, waren fehlgeschlagen. Aber im Sommer 1806 wurde G. auf einige Zeit mit Gewalt, wenigstens von außen, durch das Unglück des Krieges berührt, Weimar wurde nach der Schlacht bei Jena von den Franzosen besetzt, und obschon man G. selbst mit Auszeichnung behandelte, so hatte er doch das Unglück seiner hohen Gönner und des Vaterlandes schmerzlich zu empfinden. Die schönen Verhältnisse in Weimar waren auf lange Zeit gestört. Um so mehr gemahnte es ihn, in dem eignen Hause sich eine behagliche und liebevolle Umgebung zu sichern und darum vermählte er sich 1806 mit einer ihm längst innig zugethanen und bewährten Freundin, einer geborenen Vulpius. Seine nächste bedeutende Leistung als Dichter war der Roman »Die Wahlverwandtschaften« (1809). Schon glaubte man, da in mehren Jahren kein neues poetisches Werk G.'s erschien, dieser habe sich, allerdings schon alternd, von der Poesie abgewendet, als 1818 sein »Westöstlicher Divan« erschien und man den großen Sänger auf einem ganz neuen Felde mit einer unverwüstlichen Lebensfrische sich bewegen sah. G. war 1809 auch aus dem Staatsdienste getreten, war aber 1815 wieder zum ersten Staatsminister ernannt worden. Er lebte noch eine Reihe von Jahren, von den besten und größten Menschen seines Vaterlandes und ganz Europas verehrt, in ruhiger, behaglicher Thätigkeit, mit Ordnung und Herausgabe seiner gesammten Schriften und Ausarbeitung neuer Werke beschäftigt. Sein letztes großes Werk war der zweite Theil des »Faust«, den er seiner Nation als herrlichstes Vermächtniß hinterließ. Selbst eine gefährliche Krankheit überstand er noch glücklich, aber der Tod seines einzigen Sohnes traf ihn als einen der härtesten Schicksalsschläge. Er starb, heitern und klaren Geistes bis zum letzten Augenblicke, am Mittage des 22. März 1832.
Das großartigste und in seinem zweiten, noch nicht genug gewürdigten Theile herrlich zu Ende geführte Werk G.'s ist sein »Faust« (s.d.), doch ist es nicht dasjenige gewesen, welches gleich bei seinem ersten Erscheinen die größte Theilnahme erregte, weil es zum Verständniß einen sehr hochgebildeten Sinn verlangt. Größer war die Wirkung des »Götz von Berlichingen« und des »Werther«. In jenem tritt deutsche Manneskraft in der imponirendsten Würde auf, in diesem die sentimentale Liebe eines geistvollen Jünglings, welche ihn in die traurigsten Verirrungen, aller Kraft beraubend, dahinreißt. Beide Werke hatten unzählige Nachahmungen zur Folge, welche, wie schlecht sie auch größtentheils waren, doch durch den im Publicum einmal rege gewordenen Geschmack viele Theilnahme fanden. Es gibt nur wenige Arten der Poesie, in denen sich G. nicht versucht und mehr oder weniger seine Meisterschaft bewährt hätte. Seine heitern, leichten Liebeslieder, seine herrlichen Balladen, in denen er mit Schiller in ehrenvollen Wettstreit trat, sind in ihrer Art ebenso vortrefflich, wie »Tasso« und »Iphigenie«, in denen ohne allen theatralischen Pomp in der einfach erhabensten Rede die tiefsten Gedanken niedergelegt sind. Das idyllische Gedicht »Hermann und Dorothea« ist weit entfernt von der Geschwätzigkeit und Weichlichkeit, welche sonst dieser poetischen Gattung eigen zu sein pflegt, und hat dabei doch eine Zartheit und Innigkeit, welche es zu einem unerreichbaren Muster für alle Zeiten hinstellen werden. Seine Welt- und Lebensansicht hat G. in seinem Roman »Wilhelm Meister's Lehrjahre« entfaltet, in welchem Phantasie und Verstand sich vereinigen, um ebenso wahre als hochpoetische Gestalten in den verschiedensten Verhältnissen darzustellen. Die »Wahlverwandtschaften« stellen die traurigen Folgen dar, welche aus unsittlichen, wenn auch noch so sehr durch schöne Gefühle scheinbar veredelten und von allem Schmuz der Gemeinheit freigehaltenen Verhältnissen entspringen. An diesen, wie an den meisten seiner schönsten Schöpfungen, mußte G. die betrübende Erfahrung machen, daß sie vielfach gänzlich misverstanden wurden und man die Verirrungen, welche er in ihren verderblichen Folgen darstellte, selbst für reizend, entschuldigenswerth, ja wol für Zeichen einer schöngebildeten Seele hielt, und daß demzufolge wohlmeinende oder bornirte Sittenprediger nicht diese verkehrte Auffassung, sondern den misverstandenen Dichter tadelten. Auf diese Weise bildete sich neben dem Kreise von eifrigen Verehrern G.'s, welche freilich zum Theil die geringste Einsicht in den eigentlichen, wahrhaft sittlichen Werth der Werke des großen Dichters hat, eine Partei, die auf das heftigste, ungerechteste und thörichtste G. angriff. Die anmuthigste und redlichste Darlegung seiner geistigen Entwickelung in seinem an Erfahrungen und Beobachtungen reichen Leben gibt der Dichter selbst in »Aus meinem Leben. Wahrheit und Dichtung«. Um sich ein vollständiges Bild der vielseitigen Thätigkeit G.'s zu verschaffen, muß man mit seinen Leistungen als Dichter auch noch seine Bestrebungen auf dem Gebiete der Naturwissenschaft in Betrachtung ziehen. [243] Er schaute die Natur mit dem Auge des genialen Menschen an, welches in der Natur nichts anderes als eine vollständige Offenbarung des Geistes erblickt. Besonders war es die Farbenlehre, welche ihn angelegentlich beschäftigte und die durch ihn eine neue Gestaltung gewann, welche zwar die streng mathematische Auffassung, die. durch Newton eingeleitet worden war, nicht gänzlich zu verdrängen vermochte, aber doch in Erinnerung brachte, daß solche Auffassung immer nur eine einseitige sei. – Man hat häufig das Glück G.'s gepriesen, welches ihn sein ganzes Leben lang in Verhältnissen erhielt, die ihm die freieste Ausbildung seines Geistes gestatteten, aber man muß noch hinzusetzen, daß er dieses Glück auch verdiente. Einen kleinern Geist würden grade diese glücklichen Verhältnisse mehr abgezogen als angespornt haben. G.'s Schriften sind vielfach zum Gegenstand der Erläuterung und zu Anknüpfung ästhetischer und philosophischer Gedanken gewählt worden, seine Gedichte hat man in Musik gesetzt, die schönsten Situationen in seinen Werken und ihn selbst in Bildern vielfach dargestellt. G.'s äußere Erscheinung war so schön, wie die seines Geistes; man verglich seine herrlichen Gesichtszüge und seinen männlich kräftigen Körper mit den Darstellungen des Apollon und in spätern Jahren mit denen des Zeus, wie sie uns das griech. Alterthum überliefert hat. Das herrlichste Denkmal, welches G. gesetzt worden, ist »Briefwechsel mit einem Kinde« von Bettina von Arnim, die sinnigsten Liebesbriefe eines jungen geistvollen Mädchens an den schon greifenden Dichter, mit dem Feuer der Jugend und der Reinheit eines Kindesherzens geschrieben. In seinen letzten Lebensjahren hat G. selbst noch eine Ausgabe seiner sämmtlichen Werke veranstaltet, welche später aus seinem wohlgeordneten Nachlasse noch vervollständigt worden sind. Eine neue Ausgabe ist unter der Presse. Sein Briefwechsel mit Schiller, Zelter u. A., der gleichfalls durch den Druck veröffentlicht worden ist, enthält höchst interessante Bemerkungen und Aufklärungen über seine schriftstellerische Thätigkeit. 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