[1498] 1. Alle die falsch Urtheil finden, soll der Teufel ewig binden. – Graf, 409, 61.
»Und die falsche orteil vinden sol dir tewfil ewig binden.« (Gaupp, Landrecht, 57.) Die alten Rechtsbücher sprachen sehr scharf gegen ungerechte Richter, seien sie es nun aus Rechtsunkenntniss oder Fahrlässigkeit, oder was am schlimmsten, aus Käuflichkeit und mit Vorbedacht. »Sein Urtheil fällt auf ihn zurück und er wird aller Teufel Geselle.« (Mühler, 94.) »Rossdiebe und Kuhdiebe erschlägt man an Hundesstatt, und dasselbe Ende gehört einem schlechten Richter.« (Evers, Das älteste russische Recht, Dorpat 1826, 306, 20.)
2. Alle vrteil kommen von klage vnd antwort. – Klingen, 51a, 1; Graf, 433, 271.
Können erst gefällt werden, wenn beide Theile gehört worden sind.
3. Auf das Urtheil des Narren darf niemand harren.
Ein Narr ist bald mit seinem Urtheil fertig.
Frz.: De fou juge briève sentence.
4. Das erste Urtheil vor Gericht heischt Vorgang der Entscheidung. – Graf, 432, 252.
In Bremen: Dat erste ordel van den richte eschet vorgan der schedinge. (Oelrichs, 204.)
5. Das Urtheil bindet nicht, gibt es der rechte Richter nicht. – Klingen, 48b; Graf, 478, 652.
Sollte das Urtheil bindende Kraft haben, so musste es der zuständige Richter ertheilen.
6. Das Urtheil darf nicht zurückgehen. – Graf, 479, 660; Klingen, 48a, 2.
Ein rechtskräftig gewordenes Erkenntniss lässt sich nicht abändern und umstossen.
7. Das Urtheil hat keinen Zaum. – Graf, 479, 674.
Bezieht sich darauf, dass im alten Rechtsverfahren das Urtheil auf der Stelle, nachdem es ausgesprochen war, rechtskräftig und vollstreckbar wurde. (S. ⇒ Kläger 9.)
Altfries.: Dio kest aeph neen tamen. (Hettema, XXIV, 22, 186.)
8. Das Urtheil ist Gottes. (S. Gericht ⇒ 15 u. ⇒ 17.) – Graf, 403, 3.
Holl.: Dat vonniss is goods. (Holl. Sachsenspiegel, 33, 24.)
9. Des Urtheils grosse Eil' hört nicht den andern Theil.
Holl.: Die een man van één oor is zijn oordeel hangt aan een' dunnen draad. (Harrebomée, 158b.)
10. Ein Urtheil wider geschriebenes Recht taugt nicht. – Graf, 478, 653.
Altfries.: Een ordel, dat to jeens dat scrifoun riucht is, dat enn daegh naet. (Hettema, LXXX, 16, 274.)
11. Ein verkehrt Urtheil gilt nicht für Recht. – Graf, 478, 674.
Nicht blos Formfehler, wie Mangel der Vorladung der zuständigen Gerichtsbarkeit, sondern auch innere Gebrechen hindern die Rechtskraft. Daher sind Urtheile gegen klare Gesetzesvorschriften oder gegen ein früheres rechtskräftiges Erkenntniss sich selbst widersprechend, ebenso alle Bescheide, die etwas Unmögliches befehlen, nichtig, was durch das obige Sprichwort ausgedrückt werden soll.
Holl.: Een verkard ordeel geldt niet voor regt. (Harrebomée, II, 150b.)
12. Jedermann ist ein Urtheil werth. – Graf, 426, 221.
Gegen Rechtsverweigerung. (S. ⇒ Richter 19 und ⇒ Verantwortung.)
13. Jedermann kann Urtheil strafen. – Graf, 477, 635.
Er kann Berufung dagegen einlegen. (S. ⇒ Appelliren und ⇒ Suppliciren 1.) »Orteil mag Ydermann strafen.« (Nering, II, 6.)
14. Kein Urtheil leidet Wiedertritt. (S. ⇒ Richten 34.) – Graf, 479, 661.
Mhd.: Das keim orteyl wedir trit liden sal. (Daniel, Weichbildglosse, 418, 31.)
15. Kein Urtheil schadet jemand, das man über einen Ungeladenen findet. – Graf, 478, 650; Klingen, 45b, 1.
Urtheile über Abwesende hatten keine Rechtskraft, ausgenommen, sie waren geladen worden und ohne rechte ⇒ Noth (s.d. 51) ausgeblieben.
16. Kein vrteil bindet den vngegenwertigen. – Klingen, 112b, 1; Graf, 478, 651.
17. Mit vrtheil fellen nicht eyl, du hast denn gehört beyde theil. – Lehmann, 568, 39; Zinkgref, IV, 332; Chaos, 438; Eiselein, 614; Braun, I, 4711; Graf, 435, 270; Steiger, 464.
Frz.: Qui n'entend qu'une cloche, n'entend qu'un son. (Masson, 351.)
[1499] Holl.: Denk op het oordeel, daar niemand zal hebben voordeel. (Harrebomée, II, 150b.)
Poln.: Słuchawszy za baranem, trzeba téż słuchać za wilkiem. (Masson, 350.)
18. Schnell Urtheil hat Reue feil.
It.: Chi giudica in fretta al pentir s' affretta. (Pazzaglia, 151, 1.)
Kroat.: Tko bérzo sudi bérzo se i kaje.
19. So lange die gefristeten Urtheile nicht kommen, hat weder Gast noch Bürger sein Recht versäumt. – Graf, 478, 642.
Sobald von einer Partei Berufung eingelegt ist, hört die Thätigkeit des Unterrichters auf; jede Frist steht still, bis die höhere Entscheidung eintrifft, die entweder das Urtheil des ersten Richters bestätigt oder ändert, »Dywilc dy gevrîsteten orteil nicht ynkommen, so hat Gast noch Burgir syn recht versumet.« (Nering, V, 12.)
20. Sprich Vrtheil mit bedachtem Muht, sey nicht zu schnell, bedunkt mich gut. – Gruter, III, 83.
21. Uebereilt Urtheil hat Reue zum Gefährten.
It.: Chi è presto a giudicare, presto si pente. (Gaal, 1490.)
Lat.: Ad poenitendum properat, qui cito judicat. (Gaal, 1490.)
Ung.: Semmi itéletben nem jó a' hamarság. (Gaal, 1490.)
22. Unerfolgtes Urtheil ist kein Urtheil. – Graf, 478, 648.
Wenn sich dem Ausspruch eines Schöffen nicht alle andern angeschlossen haben oder die Bank nicht vollständig besetzt gewesen ist. (S. ⇒ Urtheil 27.)
23. Ungerecht Urtheil trifft den Richter.
24. Urtheil bindet und löst. – Graf, 476, 617; Klingen, 41a, 1.
Die Entscheidung des Richters ist eine verurtheilende oder freisprechende.
25. Urtheil soll man stehend schelten. – Graf, 477, 637.
Im ältesten Recht schalt der unzufriedene Theil das gefundene Urtheil stehenden Fusses ungerecht und fand sofort selbsiebenter seiner Genossen ein anderes.
Mhd.: Stehende sol man vrteil shelten. (Gaupp, Magdeburg, 299, 86.)
26. Urtheil sprechen und Eid schwören darf man nicht länger als bis die Sonne untergeht. – Graf, 404, 24.
Gerichtssitzungen konnten nur so lange gehalten werden, als die Sonne am Himmel stand, und fanden in der Regel nur während steigender Sonne, also bis Mittag statt. (S. ⇒ Gericht 9 und ⇒ Sonne 250.)
27. Urtheil wird ohne Folge nimmer fromm. – Graf, 478, 647.
Was ein Schöffe auf die Frage des Richters für Recht erklärt, kann nicht sofort als Urtheil verkündet werden. Erst wenn sämmtliche Beisitzer sich dahin aussprechen, dass sie diesem Spruche folgen, ist das Urtheil fertig (fromm), ausserdem aber nicht rechtskräftig, denn der Richter kann nur mit voller Bank richten.
28. Urtheile sind eiserne Bande. (S. ⇒ Friedbann.) – Graf, 479, 647.
Fries.: De ding hôrin dat sint de iserne bande. (Richthofen, 565, 9.)
29. Vnrecht vrtheil trifft den richter. – Franck, II, 211b; Lehmann, II, 792, 105; Simrock, 10729; Graf, 409, 60.
30. Wen das Urtheil fällt, der soll den Schaden entgelten. – Graf, 427, 241.
Wer verurtheilt wird, hat die Kosten zu tragen. (S. ⇒ Sache 237 und ⇒ Unrecht 104.)
Mhd.: Wen daz urteil vellet, den schall den schaden gelten. (Senckenberg, II, 117.)
31. Wenn das Urtheil gesprochen, kommt der Rath zu spät.
32. Wenn das Urtheil schon fertig, verhört der Richter nicht lange.
33. Wer das Urtheil behält, behält das Gut. – Graf, 479, 668.
D.h. wer im Rechtsstreit obsiegt. »Der die Urtheil behebt hat, erhebt sein Gut.« (Lünig, I, 370.)
34. Wer das Urtheil findet, ist des Richters Rathgeber1. – Graf, 414, 107; Klingen, 41a, 1.
35. Wer das Urtheil fragt, ist Richter. – Graf, 414, 106.
Das altdeutsche Gericht bestand aus Richtern und Schöffen. Der Richter forderte die Schöffen auf, die Sache zu prüfen, den Wahlspruch zu schöpfen und er verkündete, sobald dies gethan, das Urtheil.
Holl.: Die dat vonnisse vraghet, die is rechter. (Holl. Sachsenspiegel, 87, 69.)
[1500] 36. Wer ein verkehrt Vrtheil hat, vnd durch blaw barill siht, dem muss je all ding blaw erscheinen. – Henisch, 509, 55.
37. Wer Urtheil strafen will, der strafe es vor der Folge. – Graf, 478, 649; Rössler, 109, 27.
Wer ein Urtheil anfechten (strafen, schelten) wollte, that es vor geschlossener Abstimmung, weil er in diesem Falle keinen Nachtheil zu befürchten hatte. Wird ein Schöffe bescholten, wenn das Urtheil bereits gefolgt ist, so gewinnen sie alle ihre Busse und der Richter seine. (S. ⇒ Gewette.)
38. Wer zum Urtheil eilt, der eilt zur Reue. – Sailer, 345; Einfälle, 408.
39. Willt du auf einen ein Urtheil fällen, so gib nur Acht auf sein Gesellen. – Seybold, 383.
40. Wo man die vrteil zalen tut vnd nit wigt, würtens selten gut. – Brant, Layenspiegel (Strasburg 1560), Vorr.
*41. Das Urtheil ist gesprochen, der Stab ist gebrochen.
*42. Es bleibt bei Matz Becker's Urtheil. – Liefl. Idiot., 150.
Diese Redensart soll durch einen Bürger in Reval, Namens Matthias Becker, veranlasst worden sein, und wird hauptsächlich angewandt, wenn man sagen will, dass etwas beim alten Herkommen bleibe. Im allgemeinen versteht man unter Matz Becker's Urtheil ein solches, wie es der schlichte oder gesunde Menschenverstand fällt.
*43. Er spricht sich selbst sein Urtheil.
Holl.: Hij sprekt zijn eigen vonnis uit. – Hij velt zijn eigen vonnis. (Harrebomée, II, 493b.)
*44. Ich bin nicht deines Urtheils Knecht; was dir nicht gefällt, ist drum nicht schlecht.
45. Dein Urtheil niemals übereil und hör' allzeit den Gegentheil. – Harssdörffer, 99.
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