Glocken

[41] Glocken werden in der Regel aus Bronze (Glockenmetall, Glockengut, Glockenspeise) von verschiedener Zusammensetzung, am besten aus einer Legierung von 80 Kupfer und 20 Zinn gegossen. Normales Glockenmetall ist leicht schmelzbar, sehr dünnflüssig, auf dem Bruch feinkörnig, dicht grauweiß mit einem Stich ins Rötliche, spröde, schwer zu drehen und zu feilen. Beimischung andrer Metalle ist für den Klang schädlich, doch gibt man ordinären G. einen Zusatz von Blei und Zink. Daß durch Silber der Ton der G. verbessert werde, ist ein Vorurteil, und tatsächlich findet man in ältern G. niemals Silber, wenn auch fromme Gläubige bereitwillig Silber zur Herstellung von Kirchenglocken gespendet haben. G., aus Spiegeleisen gegossen, sind wohlfeil, von starkem, gutem Klang und haltbar; Gußstahlglocken haben einen starken, sehr vollen Ton, während die ⊿-förmig gebogenen, an der Spitze aufgehängten Stahlstabgeläute ziemlich grellen Ton besitzen. Den größten Durchmesser besitzen G. an ihrer Mündung, die größte Metalldicke am Schlagring (Schlag oder Kranz), d.h. jenem Umkreis, gegen den der Klöppel schlägt. Die Dicke der Glocke vermindert sich vom Schlagring bis zu ihrer halben Höhe allmählich, von da an und in der ganzen obern Hälfte (Obersatz) beträgt sie nur den dritten Teil der Dicke des Schlagringes; der dünnere untere Rand heißt Bord. Der Durchmesser des obersten Teiles der Glocke (Haube, Platte) steht zu dem ihrer Mündung im Verhältnis wie 1:2. Die Schwere des Klöppels oder Schwengels beträgt in der Regel etwa den 40. Teil vom Gewicht der Glocke. Zur Befestigung der Glocke am Helm dient die auf der Haube befindliche Krone, die aus sechs mit dem Glockenkörper zugleich gegossenen Henkeln besteht. Der Helm (Wolf, Joch) besteht aus einem dicken Stück Eichenholz, das an seinen beiden Enden mit eisernen Zapfen versehen ist, die in messingenen Pfannen liegen, so daß, indem der Helm mittels eines Hebels und eines Seiles geschwungen wird, die zum Läuten nötigen Schwingungen der Glocke entstehen (vgl. Glockenstuhl). An einem eisernen Ohr in der Haube (Hängeeisen) hängt der Klöppel. Der Aufhängungspunkt[41] desselben liegt tiefer als jener der Glocke, Klöppel und Glocke bilden also zwei Pendel von verschiedener Länge, die mit ungleicher Geschwindigkeit schwingen, und deshalb kommt der Klöppel zum Anschlagen, was bei gleichen Schwingungen niemals der Fall sein würde. Die Höhe oder Tiefe des Glockentons ist von der Weite der Glocke (an der Mündung) bedingt; Höhe der Glocke und Metallstärke sind von wesentlichem Einfluß auf die Erzeugung eines reinen, angenehmen und lange nachtönenden Klanges. Erfahrungsgemäß gibt eine Glocke von 0,837 m Weite und 300 kg Gewicht ungefähr den Ton des zweigestrichenen c. Gestützt auf diese Voraussetzung und abgesehen von andern Einflüssen läßt sich auch für jeden andern Ton die Größe der Glocke herechnen, sofern man das Verhältnis der Schwingungszahlen der Töne einer Oktave berücksichtigt. Ist der Durchmesser einer Glocke, die den Grundton angibt, bekannt, so erhält man den Durchmesser für die Glocke des verlangten höhern Tones, indem man den erstern durch die entsprechende Schwingungszahl dividiert. Werden die der einen Oktave angehörenden Durchmesser verdoppelt, so erhält man die Durchmesser für die gleichnamigen Töne der Unteroktave. Ein gut zusammengestelltes Geläute muß aus G. bestehen, deren Töne einen möglichst vollkommenen musikalischen Akkord bilden. Der vollkommenste Wohlklang entsteht aus Grundton, Terz und Quinte, denen man noch, wenn vier G. erfordert werden, die Oktave hinzufügt. Nach Schafhäutl soll die Tiefe des Tones bei übrigens gleichen Verhältnissen zunehmen mit dem Quadrat des Durchmessers, und wenn G. von gleicher Materie in ihren Dimensionen in gleichem Verhältnis zu- und abnehmen, so sollen sich die Töne derselben umgekehrt wie die Kubikwurzeln aus dem Gewicht derselben verhalten. Eine zersprungene Glocke verliert den Ton; vorteilhaft sagt man ein Stück heraus, so daß sich beim Schwingen die Sprungflächen nicht mehr berühren, oder gießt den erweiterten Riß mit einer geeigneten Legierung aus.

Zum Schmelzen des Glockengutes benutzt man einen Flammofen. Die flüssige Legierung wird aus dem Stichloch des Ofens durch die Gußrinne in die Lehmform geleitet. Diese wird in der vor dem Ofen befindlichen Dammgrube aufrecht stehend mit Schablonen (s. Gießerei) hergestellt. Man mauert zuerst den hohlen Kern, gibt ihm durch Auflegen von Ton und Abdrehen die richtige Form, bestreicht ihn dick mit einem wässerigen Brei aus Holzasche, um das Anhaften des Modells zu verhindern, und trocknet ihn durch ein in seinem Innern angemachtes mäßiges Feuer. Alsdann wird das Modell (Hemd), das mit der Metallstärke der Glocke und im Umriß mit der äußern Glockenform (ohne Henkel) übereinstimmen muß, auf den Kern aufgetragen. Der letzte dünne Überzug des Modells, der die Gesimse, Kränze, Inschriften etc. enthält, besteht aus einer Mischung von Talg und Wachs. Über ihn wird schließlich der Mantel geformt, der sich mit der ersten Schicht den Verzierungen genau anschmiegen muß und, nachdem diese Schicht getrocknet ist, mit Lehm verstärkt wird. Bei dem nun folgenden Trocknen durch Feuer schmilzt das Wachs und zieht sich in den Lehm, wodurch sich der Mantel vom Modell löst. Die Form zur Krone mit Gießloch und Windpfeifen wird besonders angefertigt, in die obere Öffnung des Mantels eingesetzt und mit Lehm befestigt. Nach dem Trocknen wird der Mantel abgehoben, das auf dem Kern sitzende Modell stückweise weggebrochen, der Kern mit Steinen und Erde gefüllt und dann seine obere Öffnung mit Lehm geschlossen und gehörig abgeglichen. Gleichzeitig wird das Hängeeisen in den Lehm eingesenkt, so daß die mit Widerhaken versehenen Schenkel beim Guß von dem Metall eingeschlossen werden. Zuletzt wird der Mantel über den Kern herabgelassen und, nachdem die Fuge rund um seinen untern Rand mit Lehm verstrichen worden ist, die Dammgrube zur Sicherung der Form völlig mit Erde, Sand und Asche eingestampft und die Gußrinne vom Ofen nach dem Gießloch angelegt. Nach dem Gießen läßt man 24–48 Stunden abkühlen, entleert dann die Dammgrube, entfernt den Mantel und windet die Glocke heraus. Die Angüsse werden nun abgesägt, die Glocke befeilt etc.

Geschichtliches. Kleinere G. benutzten die Ägypter bei ihrem Kultus; auch die Assyrer hatten kleine Glöckchen, und Aaron und die Hohenpriester der Juden trugen goldene Glöckchen an ihrer Amtstracht. Bei den Griechen bedienten sich die Priester der Persephone und Kybele der G. Die Römer benutzten G. im Hause und zu Ankündigungen öffentlicher Versammlungen, während große G. erst in christlicher Zeit Anwendung fanden. Die ältesten großen G. wurden geschmiedet, den Guß derselben soll nach einer seit dem frühesten Mittelalter verbreiteten, aber nicht haltbaren Sage Paulinus, Bischof von Nola in Kampanien (gest. 430), zu Anfang des 5. Jahrh. erfunden haben, und die Kirche desselben in Cimitile bei Nola rühmt sich, den »ältesten Glockenturm in der Christenheit« zu besitzen. Jedenfalls blühte in Nola, begünstigt durch die reichen und reinen Kupfererze Kampaniens, schon früh der Glockenguß, und meist wird das lateinische Wort campana (große Glocke) und nola (kleine Glocke) von Kampanien und Nola hergeleitet. Das deutsche Wort Glocke stammt wahrscheinlich vom althochdeutschen klochôn oder kloppen, schlagen, woraus auch das französische cloche gebildet zu sein scheint, und kommt schon im 8. Jahrh. vor. Den kirchlichen Gebrauch der G. soll nach einigen der heil. Paulinus, nach andern der Papst Sabinian (604) eingeführt haben. Hierüber ist nichts Sicheres bekannt, man weiß nur, daß die G. im 7. Jahrh. in Frankreich, unter Karl d. Gr. in Deutschland bekannt waren und im 8. Jahrh. die Sitte aufkam, sie feierlich zu weihen oder zu »taufen«. In der orientalischen Kirche fanden die G. 865 Eingang, als der griechische Kaiser Michael von dem venezianischen Dogen Orso I. zwölf große Bronzeglocken zum Geschenk erhielt und diese auf einem eigens hierzu auf der Sophienkirche errichteten Turm aufhängen ließ. Ihren Höhepunkt erreichte die Glockengießerei zu Ende des 15. und zu Anfang des 16. Jahrh. Die größten und wohlklingendsten Geläute gehören dieser Zeit an, in der auch 1467 die Glockenspiele vom Glockengießer Bartholomäus Kneck zu Aloft in Flandern erfunden wurden. Vanoccio verbesserte zu Anfang des 16. und Mersenne zu Anfang des 17. Jahrh. die Konstruktionen, und Peter Emony in Amsterdam gab zu Ende des 17. Jahrh. bestimmte Gesetze und brachte es dahin, daß der volle Grundakkord mit der Terz, Quinte, Oktave und obern Oktave gehört wurde. Der Lothringer Hemony stellte 1645 zu Zütphen an der Yssel ein Glockenspiel pou 26 G. auf, deren größte 2000 kg wog (vgl. Glockenspiel).

Die größte Glocke Deutschlands ist die (von Hamm in Frankenthal) dreimal umgegossene und 1875 in den Dom zu Köln abgelieferte »Kaiserglocke«; dieselbe ist 3,25 m hoch, hat am Schallrand 3,42 m Durchmesser[42] und wiegt 26,250 kg. Die Dicke der Wandung am Schlagrand beträgt 29 cm, an der Krone 8 cm. Der Klöppel ist 3 m lang und wiegt 765 kg. Der Ton der Glocke ist D (nicht Cis). 1891 wurde in Annecy eine Glocke von 25,000 kg gegossen. Die in dem mittlern Domturm zu Olmütz befindliche Glocke wiegt 358 Ztr., die große Glocke auf der St. Stephanskirche zu Wien 354 Ztr. und mit Klöppel, Helm und Eisenwerk 514 Ztr., eine Glocke im Dom zu Erfurt wiegt 275 Ztr., mit dem 11 Ztr. schweren Klöppel und sonstigem Eisenwerk 300 Ztr.; sie wurde 1497 gegossen, nachdem ihre Vorgängerin, die bedeutend schwerere »Susanne«, bei einem Brand 1472 geschmolzen war. Die größte Glocke der Welt besitzt der Kreml zu Moskau mit 12,327 Pud (201,916 kg), 18 m Umfang und einer Hohe von 5,8 m. Die Glocke ist 1533 gegossen, fiel beim Brand von Moskau herab und steht seit 1836 auf einer Granitunterlage neben dem »Iwan Welikii« (»Johann der Große«) genannten Glockenturm im Kreml zu Moskau. Auch in China gibt es G. von ansehnlicher Größe und von hohem Alter, so zu Peking eine eiserne, 1250 Ztr. schwer und 4,5 m hoch, die der Kaiser Yong-lo 1403 gießen ließ. Alle chinesischen G. haben eine eigentümliche Form, indem sie sich gegen den Schlagring hin nicht erweitern, mit nur hölzernen Klöppeln versehen und oben durchbohrt sind, was den Schall verstärken soll. – Mit der Taufe der G. (s. Glockenrecht) scheint auch zugleich der Aberglaube mit aufgekommen zu sein, durch ihr Läuten die Gewitter vertreiben zu können. Dieser Glaube spricht sich in vielen Inschriften derselben aus, die überhaupt die Zeit, in der die G. gegossen wurden, meist treffend charakterisieren. Vgl. Thiers, Traité des cloches (Par. 1721, grundlegendes Werk); Otte, Glockenkunde (2. Aufl., Leipz. 1884; Nachtrag, Halle 1891); Harzer, Die Glockengießerei (Weim. 1854); Zehe, Historische Notizen über die Glockengießerkunst des Mittelalters (Münst. 1857); Lukis, Account of church-bells (Oxf. 1857); Böckeler, Beiträge zur Glockenkunde (Aachen 1881); Schoenermark, Die Altersbestimmung der G. (Berl. 1889); Rein, Anschauungstafel für den Glockenguß (Gotha 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 41-43.
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