Byzantinische Kunst

[524] Byzantinische Kunst. Nachdem die römische Kunst mit der Ausbreitung des Christenthums mehr u. mehr in Verfall gerathen war, verlor Rom vollends seine Bedeutung als Mittelpunkt künstlerischen Strebens u. Schaffens durch die Übersiedelung des Kaiserhofes unter Konstantin d. Gr. nach Byzanz, wohin dem Herrscher eine große Anzahl von Künstlern folgte. Während die Barbarei u. der Vandalismus der gegen den Westen u. Südwesten Europas vordringenden u. dort ihre Wohnsitze aufschlagenden Völkerschaften vernichtend über die römische Cultur hereinbrach, fand die Kunst in Constantinopel eine Zufluchtsstätte u. entwickelte seit dem 6. Jahrh. unter Justinian einen eigenthümlichen aus der Nachahmung der Antiken unter dem Einfluß christlicher u. orientalischer Elemente hervorgegangenen Styl (Byzantinischer Styl), der noch bis jetzt in der Bauart der Griechischkatholischen Gotteshäuser u. in der Ausschmückung derselben in seinen wesentlichen Grundzügen beibehalten wird. Vgl. Baukunst II. L). Nach Italien verpflanzt, erfuhr der B. Styl mancherlei Modificationen u. bildete als Romanischer Baustyl eine neue Periode der Kirchenbaukunst, welche um das 10. Jahrh. ihren Anfang nahm. Vgl. Baukunst II. M). Die Byzantinische Bildhauerkunst hat sich fast nur in den Diptychen (s.d.), Reliquienkästen u. Crucifixen von Holz u. Elfenbein erhalten, die man von Alters her am Hofe von Byzanz u. in der Griechischen Kirche zu Weihgeschenken anfertigte. Keineswegs, wie man gewöhnlich annimmt, sind diese Kunstwerke plump u. roh, sondern sie zeichnen sich im Gegentheil durch große Zierlichkeit u. technische Vollendung bis tief ins Mittelalter herein aus, allein es fehlt ihnen Leben u. Bewegung; lange, magere, ausdruckslose Gestalten, durchaus conventionelle, durch kein Naturstudium modificirte Formen, die nur von fern noch an die Antike erinnern, eng anliegende, die Gestalt umhüllende Gewänder, deren Falten gewöhnlich nur durch parallele Vertiefungen u. Erhöhungen angegeben sind, bilden die Hauptmerkmale dieses Styls. In Deutschland u. Italien scheint die erste Anregung zu neuem Kunstleben im 10.–13. Jahrh. von derartigen Kunstwerken ausgegangen zu sein, die man jedoch, namentlich in ersterem Lande, mit großer Freiheit nachbildete; s. Deutsche Kunst. Zu den Werken der Plastik sind noch die überaus kostbaren Kirchen- u. Palastgeräthschaften zu zählen, zu deren massenhafter Fertigung der prunkliebende Kaiserhof die Veranlassung gab. Obgleich es auch den Bildnern dieser Vasen, Gefäße etc. nicht an technischer Fertigkeit mangelte, so offenbart sich doch in den Formen ein unentwickelter meist reproducirender Geschmack, u. die Kostbarkeit des Materials gab jenen Gegenständen einen die künstlerische Thätigkeit weit überwiegenden Werth. Das Streben nach reicher u. augenfälliger Verzierung der inneren Architektur, in Folge dessen Gold- u. Silberblech zur Bekleidung der Altäre, Portale, ja selbst des Bodens u. Draperien von schweren Seidenstoffen u. dergl. angewandt wurden, führte zur Erfindung einer eigenen Art musivischer Arbeit, Byzantinischer Mosaik, zu welcher statt kleiner Steinchen Glasstifte, die an der Spitze gefärbt od. vergoldet waren, verwandt wurden. In dieser Mosaikmalerei bildete das Gold einen glänzenden Grund, aus welchem die übrigen farbigen Partien contrastirend hervortraten. In der Kirche von San Vitale zu Ravenna sind dergleichen Glasstiftgemälde noch erhalten. Karl der Große ließ damit sein Schloß zu Ingelheim ausschmücken, die Kuppel des Aachener Domes war ganz damit verziert u. überall, wo Pracht u. Luxus gezeigt werden sollte, kam zu jener Zeit die B. Mosaik zur Anwendung. Die Eigenthümlichkeit dieser Art bildlicher Darstellung ging auch in die eigentliche Malerei über, in welcher der Goldgrund od. die Verbrämung der Figuren mit goldenen Verzierungen neben einem schweren dunkeln Farbentone charakteristisch ist. Von Tafelbildern sind sehr wenige erhalten u. diese zeigen größtentheils eine völlige Abirrung von der Naturwahrheit u. von antiker Formvollendung. Größer ist die Anzahl byzantinischer Miniaturen, die erhalten blieben; die ältesten derselben erinnern noch in der Formgebung an die antiken Vorbilder; mit dem 11. Jahrh. aber bricht eine Periode trostlosen Ungeschmacks ein, in welcher Marterscenen der widerlichsten Art am häufigsten Gegenstand der Malerei wurden. Von dort an erhalten die hervorragenden Helden der Christlichen Kirche einen ganz bestimmten typischen Darstellungsmodus, der auch in die Malerei der Italiener überging, wo er von Cimabue u. seinen Schülern freier behandelt, die Grundlage der christlichen Malerei wurde, auf welcher diese sich zu ihrer Blüthe im 15. u. 16. Jahrh. entwickelte. In der Griechischen Kirche erhielt die traditionell gewordene Darstellungsweise der Apostel u. Heiligen eine religiöse Sanction, von der man erst in allerneuester Zeit sich in Rußland Abweichungen bei neu erbauten Kirchen erlaubt hat.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 524.
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