Sinn [1]

[129] Sinn u. Sinne, 1) die körperlichen Organe für die Empfindungen des Sehens, Hörens, Schmeckens, Riechens u. Fühlens. Wenn man demgemäß gewöhnlich fünf Sinne, Gesicht, Gehör, Geschmack, Geruch u. Gefühl unterscheidet, so begreift der letzte theils den äußeren über die ganze Hautoberfläche wenn auch nicht durchaus mit dem gleichen Grade von Feinheit verbreiteten Gefühlssinn, zu welchen der, wegen der Menge der Empfindungsnerven in den Fingerspitzen bes. seiner Unterscheidungen fähige Taftsinn gehört; theils die mannigfaltigen Vitalempfindungen, durch welche wir von einem Theile der Zustände unseres eigenen Körpers (z.B. durch Schmerz, Hunger, Durst, Beklemmung, Ermüdung etc.) Kunde erhalten. Die Leiter der Vorgänge, durch welche die Empfindungen entstehen, sind die Empfindungsnerven; die Durchschneidung derselben hebt die entsprechende Klasse von Empfindungen auf, ihre Erkrankung, Überreizung od. Abstumpfung verändert od. beeinträchtigt sie. Jeder Empfindungsnerv bietet nur die ihm eigenthümlichen Empfindungen dar (specifische Energie der Sinnesnerven), welche mit denen anderer Nerven unvertauschbar sind (es gibt kein Vicariat der Sinnesnerven); das Auge ist ebenso unempfänglich für Gerüche, als die Nase für Töne; u. die Schwingungen des Äthers od. der Luft, welche dem Auge die Empfindung der Farbe u. dem Gehör die des Tones darbieten, erregen auf der Hautoberfläche das Gefühl der Wärme od. einer zitternden Bewegung Gleichwohl kann den Nerven selbst nur insofern die Empfindung beigelegt werden, als ohne ihre normale Function die letztere entweder[129] gar nicht od. nicht in normaler Weise eintritt; denn das, was in den Nerven in Folge einer äußeren Einwirkung geschieht (höchst wahrscheinlich sind dies elektrische Vorgänge, welche die Nerven u. mit Telegraphendrähten zu vergleichen gestatten), ist nicht selbst Gegenstand der Empfindung, sondern die Empfindung ist der qualitativ bestimmte Zustand des Bewußtseins, welcher durch die Erregung des Nerven hervorgerufen wird, u. schon hierin liegt einer der entscheidenden Gründe, aus denen die Annahme der Seele als des Trägers u. Sitzes der Empfindung nothwendig ist. Die sinnlichen Empfindungen sind diejenigen Zustände der Seele, welche durch ihre Verbindung mit dem Nervensysteme unwillkürlich hervorgerufen werden u. durch die Function des letzteren wesentlich mitbedingt sind. Hierin liegt nun schon, daß die mit der natürlichen Auffassung der Außenwelt sehr eng verwachsene Meinung, als seien die Dinge an sich so beschaffen, wie sie sich den sinnlichen Empfindungen darstellen, ein unhaltbares Vorurtheil ist; die sinnliche Empfindung ist nichts als der Ausdruck des Verhältnisses des wahrnehmenden Subjects zu dem wahrgenommenen Gegenstande, dessen eigene Qualität dabei völlig unbekannt bleibt; daher auch die Rede von sinnlichen Eindrücken u. den Bildern der Dinge, welche wir durch die Empfindung erhalten, nur der populären Verkehrssprache angehört u. keinen wissenschaftlichen Werth hat. Nächstdem ist die gewöhnliche Auffassung zu der Ansicht geneigt, daß Vieles Gegenstand der unmittelbaren sinnlichen Empfindung sei, was es gleichwohl nicht ist. Daß der Geschmacks- u. Geruchssinn auf Geschmäcke u. Gerüche beschränkt ist, gibt jeder zu; aber der unmittelbare Gegenstand auch des Gesichtssinnes sind eigentlich nur die Farben u. die verschiedenen Grade der Beleuchtung (Helligkeit u. Dunkelheit), der des Gehörs die Töne, Schälle, Laute u. die verschiedenen Arten des Geräusches, nicht aber die Gestalt, die Entfernungen, die Richtungen, die Dauer dessen, was wir sehen u. hören; darauf weisen schon die mannigfaltigen Sinnestäuschungen hin, denen wir rücksichtlich dieser formalen Bestimmungen unterworfen sind. Die Bemerkung, daß diese letzteren, namentlich die räumlichen u. zeitlichen, nicht unmittelbar in der einzelnen sinnlichen Empfindung liegen u. doch unwillkürlich unseren sinnlichen Auffassungen, wenn auch nicht allen Klassen derselben auf die gleiche Weise, anhaften, führte in früherer Zeit, namentlich bei Aristoteles, zu der Annahme eines besonderen Gemeinsinnes (Sensus communis, Coenaesthesis), als des Organs für die Bestimmungen des Empfindungsstoffes, welche den verschiedenen Klassen der sinnlichen Empfindung gemeinsam sind; Kant dagegen glaubte daraus, daß die Formen des Empfundenen an ihrem Stoffe nicht unmittelbar nachgewiesen werden können, schließen zu müssen, daß Raum u. Zeit unabhängig von der Erfahrung im Gemüthe bereit liegen. Aber die individuelle Bestimmtheit der Form, welcher jede unserer sinnlichen Auffassungen unterliegt, u. welche sich aus der Annahme Kant's nicht erklären läßt, weist vielmehr darauf bin, daß in der Verknüpfung einer Mannigfaltigkeit von Empfindungen in einem u. demselben Bewußtsein der Grund dessen liegen müsse, was als räumliche u. zeitliche Gestaltung sich aufringt. Einen sehr wesentlichen Einfluß muß dabei die Reproduction der Vorstellungen haben. So wie daher z.B. eine Melodie od. der Sinn eines gesprochenen Satzes nur dadurch aufgefaßt werden kann, daß die im Bewußtsein noch vorhandenen früheren Töne u. Worte sich in ein bestimmtes Verhältniß zu den späteren setzen, so ist die Gesammtheit unserer sinnlichen Weltauffassung das Product unzähliger Reproductionen u. der damit verbundenen Reflexionen, deshalb muß der Mensch sehen, hören, tasten lernen; u. was einer oberflächlichen Betrachtung als eine einfache Wahrnehmung erscheint, ist das Resultat sehr complicirter Vorgänge, deren Gesetzmäßigkeit sich bis jetzt der genaueren wissenschaftlichen Bestimmung noch zum großen Theile entzieht. Insofern nun die sinnlichen Empfindungen die Grundlage u. der Anfangspunkt unseres geistigen Lebens sind, können die Sinne auch als diejenigen Zweckveranstaltungen angesehen werden, durch welche der Mensch zu einem bestimmten Verkehre mit der Außenwelt befähigt wird u. mit deren Hülfe sich die innere Welt seines Denkens u. Wollens aufbaut. Die Möglichkeit, durch die feinere Ausbildung des einen Sinnes den Mangel eines anderen zu ersetzen, wie z.B. bei Blinden das Tasten an die Stelle des Sehens tritt, ist doch immer auf enge Grenzen beschränkt, u. die Hindernisse, welche der gänzliche Mangel eines Sinnes der geistigen Ausbildung entgegenstellt, zeigen z.B. die Taubgebornen. Betrachtet man die einzelnen Sinne von Seiten des Beitrags, welchen sie zu der geistigen Bildung liefern, so sind die des Gesichts u. des Gehörs in dieser Beziehung die wichtigsten, der letztere namentlich deshalb, weil er die Bedingung des geistigen Verkehrs durch die Sprache darbietet. Auch fallen in das Gebiet der Gesichts- u. Gehörsempfindungen solche, deren Auffassung ein ästhetisches Wohlgefallen begleitet, während die übrigen Sinne; welche vorzugsweise den Bedürfnissen des animalischen Lebens dienen, nur Empfindungen des Angenehmen u. Unangenehmen darbieten. Man hat deshalb u. zugleich weil jene erst den höher organisirten Thieren zukommen, jene die höheren, diese die niederen Sinne genannt. Vgl. Keßler; Die Natur unserer Sinne, Jena 1805; Tourtual, Die Sinne des Menschen, Münster 1827; George, Die fünf Sinne, Berl. 1846._– Im Gegensatze zu den äußeren Sinnen spricht die Psychologie häufig 2) von einem inneren S., welcher im Grunde nur eine Bezeichnung der Thatsache ist, daß der Mensch das, was in ihm geschieht, als sein eigenes Empfinden, Vorstellen, Denken etc. innerlich wahrnimmt, also die Thatsache der Apperception u. des empirischen Selbstbewußtseins (s. Selbstbewußtsein). In weiterer Bedeutung bezeichnet S. 3) die Empfänglichkeit, das Interesse u. das Verständniß für irgend welche Objecte u. Verhältnisse des äußeren od. inneren Lebens; so spricht man z.B. von einem S. für die Natur, für die Kunst, für die Freundschaft etc. Endlich bezeichnet S. auch 4) die Bedeutung, den Zusammenhang, die Verständlichkeit dessen, was sich der geistigen Auffassung darbietet; so, wenn man von dem Sinn eines Wortes, eines Satzes, eines Kunstwerks etc. spricht. Der Gegensatz dessen, was einen Sinn hat, ist das Sinnlose u. das Unsinnige.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 129-130.
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