1. Der Schatten der Alten macht mehr als der jungen Leute Gewehr.
2. Der Schatten des Lahmen ist krumm. – Gryphius, 39.
3. Der Schatten des Sommers ist angenehmer als des Winters Sonne.
Lat.: Solibus hybernis aestiva est gratior umbra. (Chaos, 991.)
4. Der Schatten eines Thurms ist bisweilen grösser als der Thurm. – Lehmann, 940, 30.
5. Der Schatten ist ein gering Ding vnnd weicht doch der Sonne nicht. – Lehmann, 717, 13.
6. Der Schatten längt sich nach dem Leibe; und der Schmeichler redet, wie es sein Herr gern hört. – Törning, 138.
7. Der Schatten vom eigenen Baume ist besser als von einem fremden Walde. – Altmann VI, 395.
8. Die nach Schatten haschen, haben nichts in den Taschen.
9. Es macht auch der Schatten von eim Closter fruchtbar. – Gruter, III, 35; Lehmann, II, 157, 170; Fischart, Gesch., in Kloster, VIII, 490.
An der grossen Fruchtbarkeit und Befruchtungskraft der Klöster zweifelt wol niemand, der die geheime Geschichte derselben etwas kennt. Der blosse Mönchsschatten konnte für einen Mann schon bedenklich werden, wenn er sich dem Hause näherte. Dass das Sprichwort von Mönchen erfunden worden ist, um die leichtgläubige Menge von dem grossen Segen der Klöster zu überzeugen, leuchtet sogleich ein, wenn auch gar nicht bestritten wird, dass viele der ersten Anstalten dieser Art einen wohlthätigen Einfluss auf den Anbau des Landes ausübten.
10. Man muss dem eigenen Schatten nicht trauen, wenn er sich auch noch so gross macht.
Dän.: Tro ikke din egen skygge om den end viiser dig stor. (Prov. dan., 510.)
11. Man muss seinen eigenen Schatten messen.
Holl.: Men moet zijne eigene schaduw meten. (Harrebomée, II, 242a.)
12. Niemand kan vber seinen eigenen Schatten springen. – Lehmann, 835, 2; Schrader, 56.
Dän.: Ingen kand springe over sin egen skygge. (Prov. dan., 527.)
13. Ohne Schatten, ohne Seele. – Germania, V, 70.
Der Mythus vom Körperschatten und Schattengeist. In Bezug hierauf gibt der Aelpler und Senne dem Schatten gern die Ehre, wenn die Rede auf scheinbar geringe, in ihren Folgen jedoch wesentliche Umstände kommt, und sagt sprichwörtlich: Die ⇒ Sache (s.d.) freilich ist klein, aber ihr Schatten ist lang. Erinnert auch an A. von Chamisso's Mann, der seinen Schatten verloren hat, wie damit an den Schattengeist. (Vgl. Rochholz, I, 92.) Der Skandinavier nannte diesen Schatten und Geleitsgeist die Fylgja und unterschied diese als eine Forynja, die dem Menschen vorausschritt, seine personificirte Vorsicht, und als eine Hamingja, die seinem Körper schattengleich nachschwebte. Wer am Sylvesterabend seinen Schatten ohne Kopf sieht, stirbt im nächsten Jahre. (Kuhn, Nordd. Sagen, 408, 148.) Während des Essens am Weihnachtsabend erblickt mancher beim Umschauen seinen Schatten doppelt, ein solcher stirbt dann im nächsten Jahre. (Schönwerth, Oberpfälz. Sagen, 1, 265.) Wer sich in der Sanct-Markusnacht (25. April) an die Kirchthür stellt, kann die Schatten derjenigen erblicken, welche dieses Jahr über am Orte sterben werden. (Bechstein, Mythen, Sagen und Märchen, 1854, I, 161.) Im Orient soll es jetzt noch die Redeweise des Feldarbeiters sein: Mein Schatten ist sehr langsam, ich erwarte meinen Schatten; gleichwie es schon im Buche Hiob 7, 2 heisst, dass [106] der Dienstknecht sich sehnt nach seinem Schatten. »Möge dein Schatten sich nie verkleinern, sich nie von dir entfernen«, ist noch die übliche Begrüssungsformel der Türken. Die Lanze, welche bei Homer die weithinschattende heisst, ist bei den arabischen Wüstenstämmen wirklich noch das Werkzeug, aus dessen Schatten man sich die Tageszeit bestimmt. (Vgl. Rochholz, I, 84.)
14. Schatten, leg dich nieder, Sunn, Sunn, komm' bald wieder.
So sagen die Kinder in Gerlachsheim, im fränkischen Taubergrunde, indem sie gegen regenschwere Abendwolken mit dem offenen Taschenmesser »ducksen« (zucken.) (Rochholz, I, 82.)
15. Schatten macht nicht grösser, Lob nicht besser.
16. So weit der Schatten eines Mönchs fällt, wird selbst das Paradies versengt. – Klosterspiegel, 7, 19.
17. Vom Schatten und vom Lobe wird man weder grösser noch kleiner. – Simrock, 8896; Körte, 5265.
18. Von dem, was Schatten essen, wird kein Lebender satt.
19. Wenn der schatten am grösten ist, so geht die Sonn bald vnter. – Lehmann, 155, 51; Chaos, 362.
20. Wer den Schatten berechnen will, muss auch die Sonne bemessen.
21. Wer den Schatten des Birkenwaldes geniessen will, muss die Reiser früh pflanzen.
22. Wer den Schatten ehrt, dem wird nur Schattenglück beschert.
23. Wer den Schatten fürcht, der kriegt den Baum nicht. – Lehmann, 227, 29; Schrader, 74.
24. Wer des schattens geniessen will, der muss sich vnter den baum ducken vnd jhn in ehren halten. – Henisch, 762, 8; Petri, II, 694.
25. Wer im Schatten schwimbt, der hat gern, das andere mit jhm baden. – Petri, II, 722.
26. Wer im Schatten steht, den blendet die Sonne nicht. – Altmann VI, 508.
27. Wer in Schatten sitten will, muss Böhm planten. (Rendsburg.)
28. Wer nach dem Schatten greift, hat nichts in der Hand. – Laus. Magazin, XXX, 251.
Böhm.: Kdo stín lapá práednou hrst' mívá. (Čelakovsky, 200.)
Wend.: Chtož za scenju psima, ten njama nic garsci. – Štóž za wotsien pšima, ničo w horsči nima.
29. Wer Schatten sucht, muss nicht in die Sonne treten.
Die Russen: Wer Schatten liebt, muss nicht zu hoch auf den Balkon steigen. (Altmann.)
30. Wo viel Schatten, da ist auch viel Licht.
Lat.: Lumina inter umbras clariora sunt. (Quinctilian.) (Binder II, 1710.)
*31. Dä mag der Schatten van im net sen. (Bedburg.)
*32. Dem Schatten gleichen an der Wand.
»Dem schatten gleich ich an der wand.« (Hätzlerin, II, 29, 15.)
*33. Den Schatten fangen.
Statt einer werthvollen Sache eine nutzlose gewinnen. Nach Barclay in seinem Werke über Sklaverei in Ostindien gibt es dort unter den Negern eine Art Zauberei, Schattenfanger, welche, wenn sie jemand bezaubern, einen Sarg aufstellen, ihm den Schatten wegfangen, worauf er dann stirbt. Barclay versichert, dass alle, deren Schatten ein solcher Zauberer gefangen hatte, gestorben waren, aber er wusste nicht, wie.
*34. Den Schatten fliehen.
*35. Den Schatten für den Körper nehmen.
Den Schein für das Wesen, die Idee für die Wirklichkeit.
Frz.: Prendre l'ombre pour le corps. (Lendroy, 502.)
*36. Den Schatten unter sich haben. – Körte, 5265b.
*37. Der Schatten will mit der Sonne kriegen. – Winckler, XVI, 81.
*38. Einem folgen wie sein eigener Schatten. – Braun, I, 8803.
Holl.: Hij volgt hem als zijne schaduw. (Harrebomée, II, 242a.)
Lat.: Quasi umbra persequi. (Plautus.) (Binder II, 2743.)
*39. Einen unter die Schatten seiner Flügel nehmen. – Ps. 17, 8 u. 57, 2.
Holl.: Iemand onder de schaduw zijner vleugelen nemen. (Harrebomée, II, 242b.)
*40. Er greift nach dem Schatten und lässt das Fleisch fallen.
Holl.: Hij grijpt naar de schaduw, en laat zich het vleesch ontvallen. (Harrebomée, II, 241b.)
[107] *41. Er ist wie ein Schatten an der Wand. – Eiselein, 545; Braun, I, 3807.
*42. Er springt über de Schatte. – Sutermeister, 65.
Von einem Trunkenen. Zur Bezeichnung eines solchen finden sich a.a.O. noch folgende schweizer Redensarten, die hier zur Ergänzung von Mass 94 u.a. folgen: Er lauft gege de Wind. Er gaht wie wenn er d' Strass wett mässe. Er misst de Stross überwindlige. Er brûcht die ganz Stross. Er halbet wie en Heuwage. Er treit si Huet schärbis. Er rüeft de Chrehe. Er rucht dem Ueli. Er jagt dem Weih keis Huen meh ab. Er luegt e Paar Stiefel für e Mässerbesteck und e Fueder Heu für e Pelzchappe-n a. Er weiss nimme gäb er e Bueb oder es Meitschi isch. Er cha nimme Babi säge.
*43. Es ist kein Schatten dagegen. – Eiselein, 545.
*44. Etwas in Schatten stellen.
*45. Geh in den Schatten, dass dich die Sonne nicht anzünde.
Von einem sehr hagern Menschen.
*46. He hefft em in'n Schatten sett.
Man hat ihn ins Gefängniss gebracht.
*47. He sitt in'n Schatten.
*48. Man muss ihn an Schatten legen (einsperren). – Eiselein, 545.
*49. Mit einem Schatten fechten. – Braun, I, 3804.
Einen eingebildeten Feind bekämpfen, sich vergeblich bemühen.
Holl.: Hij vecht met (tegen) zijne eigene schaduw. (Harrebomée, II, 242a.)
*50. Mit seinem eigenen Schatten fechten.
Engl.: To fight with one's own shadow. (Bohn II, 159.)
Frz.: Combattre son ombre. (Kritzinger, 157d.)
*51. Nach dem Schatten greifen. – Henisch, 1736, 38.
Holl.: Eene schaduw omhelzen. (Harrebomée, II, 241b.)
*52. Nach seinem eigenen Schatten springen.
»Mit solchen Frechen vnd Frölichen Geberden dasselbe verrichtet, als wenn er von keinen Trawren wüste, vnd nach seinem eignen Schatten springen wollte.« (Friedeberg, II, 25.)
*53. Schatten suchen unter einem Baume.
*54. Seinem eigenen Schatten nachlauffen (ihn fahen wollen). – Lehmann, 776, 2.
Frz.: Battre lumbre. – Pour suyure lhumbre.
It.: Pazzo è ben, chi pretende abbracciar l'ombra. (Pazzaglia, 252, 3.)
Lat.: Caedere vmbram persequi vmbram. (Bovill, II, 11.)
*55. Seinen eigenen Schatten fliehen.
Holl.: Hij vlugt voor zijne schaduw. (Harrebomée, II, 242a.)
*56. Seinn Schatten förchten. – Franck, I, 51a; Eyering, III, 299; Eiselein, 545; Braun, I, 3802; Körte, 5265.
Lat.: Umbram suam metuere. (Eiselein, 545.)
*57. Sich hinter jemandes Schatten verbergen.
Holl.: Hij vreest zijne eigene schim. (Harrebomée, II, 249a.) – Zich achter iemands schaduws verbergen. (Harrebomée, II, 242a.)
*58. Sich mit seinem eigenen Schatten zanken. – Altmann VI, 513.
*59. Sich vor dem Schatten an der Wand fürchten.
Lat.: Umbram suam metuit. (Philippi, II, 232.)
*60. Sich vor seinem eigenen Schatten fürchten. – Altmann VI, 514.
Auch sagen die Russen: Den Schatten eines Riesen fürchten. (Altmann VI, 516.)
Böhm.: Najdeš časem i takého, jenž se bojí stinu svého. (Čelakovsky, 371.)
Holl.: Hij is bang voor zijne schaduw. (Harrebomée, II, 242a.)
Lat.: Metum inanem metuisti. (Philippi, I, 249.)
Poln.: Najdziesz czasem i ta kiego, co się boji cienia swego. (Čelakovsky, 371.)
*61. Ueber seinen eigenen Schatten springen wollen. – Sailer, 89.
*62. Um den Schatten eines Esels streiten.
Frz.: Faire une procès, une querelle sur un pied de mouche. (Lendroy, 1036.)
*63. Wie ein Schatten hinschwinden (vergehen). – Braun, I, 3805.
64. Wenn's keinen Schatten in der Welt gäbe, gäb's auch kein Licht.
65. Wie unser Schatten ist so mancher Freund, er bleibt, so lang die Sonne scheint. – E.M. Kuh, Hinterlassene Stücke.
Buchempfehlung
Die Geschwister Amrei und Dami, Kinder eines armen Holzfällers, wachsen nach dem Tode der Eltern in getrennten Häusern eines Schwarzwalddorfes auf. Amrei wächst zu einem lebensfrohen und tüchtigen Mädchen heran, während Dami in Selbstmitleid vergeht und schließlich nach Amerika auswandert. Auf einer Hochzeit lernt Amrei einen reichen Bauernsohn kennen, dessen Frau sie schließlich wird und so ihren Bruder aus Amerika zurück auf den Hof holen kann. Die idyllische Dorfgeschichte ist sofort mit Erscheinen 1857 ein großer Erfolg. Der Roman erlebt über 40 Auflagen und wird in zahlreiche Sprachen übersetzt.
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro