Hessen

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[382] Hessen, das alte Land eines der berühmtesten deutschen Volksstämme, der Katten nämlich, gehörte bis zur Auflösung des deutschen Reichs zum oberrhein. Kreise und zerfiel in Ober- und Niederhessen. Das letztere begriff die Lande an der Weser, Werra, Fulda, Diemel und Schwalm, das erstere, südlichere, jene an der Lahn. Der Name der Katten verliert sich schon in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung und verschwindet in dem größern Völkerbunde der Thüringer und Franken. H. war in Gaue getheilt, ward schon früh von Winfried oder Bonifacius zum Christenthume bekehrt und hatte bereits im I. 902 Grafen, welche unter den sächs. Herzogen standen. Eine Linie dieser hess. Grafen kam in den Besitz der Landgrafschaft Thüringen, und der Stamm dieser thüringer Landgrafen starb um 1249 mit Heinrich Raspe aus. Dieser hatte als Erbin eine Nichte hinterlassen, Sophie, vermählt mit Heinrich, Herzog von Brabant, und diese hatte einen Sohn, Heinrich das Kind, von welchem alle spätern hess. Landgrafen abstammen. Sophie, als Vormünderin, wollte sich in den Besitz der gesammten Hinterlassenschaft Raspe's setzen; allein da des genannten Schwester Jutta an Markgraf Dietrich von Meißen vermählt war, so hatte Kaiser Friedrich II. dem in dieser Ehe erzeugten Sohn Heinrich dem Erlauchten die Anwartschaft auf Thüringen ertheilt und Sophie mußte sich nach einem für ihre Sache nicht durchaus glücklichen Kriege mit H. und der Grafschaft an der Werra begnügen, während Thüringen an Meißen fiel. Heinrich nahm seine Residenz zu Kassel und theilte das Land 1308 unter seine Söhne; Otto bekam Oberhessen mit Marburg, Johann Niederhessen mit Kassel. Aber schon 1328 ward unter Landgraf Heinrich dem Eisernen ganz H. wieder vereinigt. Nachdem in der folgenden Zeit das Land wieder mehrfach getheilt worden war, kam es im J. 1500 wieder unter Einen Fürsten, Wilhelm II., dessen Sohn der als standhafter Vertheidiger der Reformation so berühmte Philipp der Großmüthige ist. Er regierte von 1509–67, stiftete schon 1527 die Universität Marburg, kämpfte gegen Franz von Sickingen und die Bauern, ward 1547 nach der Schlacht bei Mühlberg gefangen und theilte das Land unter seine vier Söhne, von denen jedoch zwei bald starben, sodaß zu Ende des 16. und am Anfange des 17. Jahrh. nur zwei Linien bestanden, die von Hessen-Kassel unter Wilhelm IV. und die von Hessen-Darmstadt unter Georg I.

Der Gründer der Linie Hessen-Kassel, Wilhelm IV., vergrößerte seine Besitzungen; sein Sohn Moritz dagegen, der 1592 zur Regierung gelangte und die reformirte Kirche in seinem Lande zur herrschenden machte, mußte das Marburgische an Darmstadt abgeben, und als sein Sohn Wilhelm V. sich gegen ihn empörte, 1627 abdanken. Im Namen des ihm folgenden Wilhelm VI. regierte anfangs die Mutter, Amalie Elisabeth, denn der Vater war schon 1637 in der Acht gestorben, nachdem er das Erstgeburtsrecht festgesetzt hatte, um für die Zukunft alle Zersplitterung seiner Besitzungen zu verhindern. Sie erwarb im dreißigjährigen Kriege Marburg und einen Theil von der Grafschaft Schauenburg und die Abtei Hersfeld. Die nachfolgenden Landgrafen waren Wilhelm VII und Karl, dessen Sohn Friedrich I. Eleonore Ulrike, Prinzessin von Schweden, 1720 heirathete und 1730 seinen Bruder Wilhelm VIII. zum Statthalter ernannte, welcher nach dem Ableben Friedrich's, der kinderlos starb, diesem in der Regierung folgte und sehr lebhaften Antheil am siebenjährigen Kriege nahm. Er starb 1760. Im J. 1736 war auch Hanau an H. gekommen. Wilhelm VIII., Sohn Friedrich II., der katholisch geworden war, hielt einen dem franz. nachgeahmten, glänzenden Hofstaat und verkaufte, um seine Prunksucht befriedigen zu können, die trefflich eingeübten hess. Truppen, welche sich von jeher durch Tapferkeit ausgezeichnet haben, an die Engländer, mit denen sie gegen die Vereinigten Staaten von Nordamerika kämpften. Übrigens hob sich unter ihm, wenn auch nicht grade der Wohlstand des Landes, doch Kunst und Wissenschaft, und von der mehr als 21 Mill. Thlr. betragenden Summe, welche er für die verborgten Soldaten binnen acht Jahren einnahm, hinterließ er bei seinem Tode 1785 noch einige Millionen im Staatsschatze. Wilhelm IX., sein Nachfolger, führte ein System strenger Sparsamkeit ein, nahm, als Verbündeter Preußens, Theil am Kriege gegen die franz. Republik, erhielt im Anfange des Jahres 1803 die kurfürstl. Würde und nannte sich Wilhelm I. Als zwischen Napoleon und dem Könige von Preußen 1806 Krieg ausbrach, blieb der Kurfürst neutral, ward aber von den Franzosen einer Parteilichkeit gegen seinen alten Bundesgenossen beschuldigt. Der Kaiser ließ daher schon im Nov. 1806 das Land besetzen und es 1807 nach dem tilsiter Frieden größtentheils dem neuerrichteten Königreiche Westfalen einverleiben, dessen Hauptstadt Kassel wurde. Es bildete die Departements der Werra und der Fulda, und ein Theil ward mit dem Dep. des Harzes vereinigt. Der Kurfürst hatte seine Staaten verlassen und kehrte erst nach der leipziger Schlacht in dieselben zurück, trat in den deutschen Bund und erklärte Alles, was die westfäl. Regierung angeordnet hatte, für ungültig. Auf ihn folgte 1821 sein Sohn Wilhelm II. (s.d.). Im Anfange des Septembers 1830 machte sich die Unzufriedenheit in einem Aufstande, der zu Kassel ausbrach, Luft; auch in andern Gegenden des Landes entstanden Unruhen; allgemein verlangte das Volk die Einberufung der Landstände, und am 24. Mai 1831 ward eine neue, den Zeitbedürfnissen angemessene Verfassung gegeben. Der Kurfürst übertrug die Regierung seinem Sohne, dem Kurprinzen Friedrich Wilhelm (s.d.), als Mitregenten. So kehrte denn allmälig Ruhe zurück, indessen hat zwischen den Ständen und dem in der Mitte des Jahres 1837 entlassenen Minister Hassenpflug, welchem Hinneigung zu Willkür vorgeworfen wurde, häufig kein rechtes Einverständniß geherrscht. [382] Das Kurfürstenthum Hessen-Kassel besteht aus drei voneinander getrennt liegenden Theilen: 1) der Grafschaft Schauenburg, an der Weser, zwischen dem preuß. Regierungsbezirke Minden, den lippischen Fürstenthümern und Hanover; 2) der Herrschaft Schmalkalden in Franken zwischen dem Weimarischen, Gothaischen und dem preuß. Antheile von Henneberg, und 3) aus der Hauptmasse, die im N. von Hanover, im W. von der preuß. Provinz Westfalen, Waldeck und Hessen-Darmstadt, im S. von diesem letztern und Frankfurt, im SO. vom bair. Untermainkreise, im O. von Sachsen-Weimar und dem preuß. Regierungsbezirke Erfurt begrenzt wird. Es hat einen Flächeninhalt von beinahe 209 ! M. mit etwa 650,000 Einw., welche bis auf ungefähr 100,000 Katholiken, 150,000 Lutheraner und 9000 Juden sich zur reformirten Kirche bekennen. Der Boden ist zumeist gebirgig oder hügelig; im Südosten sind Zweige und Äste des Rhöngebirges und die fuldaischen Höhenzüge, im S. Ausläufer des Spessart und des Vogelsgebirges, im O. der Thüringerwald (Inselsberg an der Grenze von Schmalkalden), im Innern an der Lahn die Lahnberge, im N. der Rheinhardtswald, der Habichtswald, der Meißner, in Schauenburg der Süntel. Der Hauptstrom ist die Weser mit ihren beiden Quellflüssen, der schiffbaren Fulda, welche von der Rhön kommt und die Goldsand führende Eder aufnimmt, und der ebenfalls schiffbaren Werra; im NW. fließt die Diemel, in Oberhessen die Lahn, welche dem Rheine zufällt, und im Hanauischen die Kinzig und der Main. Das Land liefert Kupfer, Eisen, Alaun, Kobalt, verschiedene nützliche Thonarten, viel Salz, Steinkohlen, und hat Mineralquellen, Holz, Getreide, Obst, viel Flachs und Cichorien. Das Klima ist überall gesund, im Hanauischen, wo Wein gebaut wird, am mildesten; die Hauptgewerbszweige sind Garnspinnerei und Leinwandweberei, Wollenweberei, Verfertigung von Töpferwaaren, Galanterie- und Bijouteriewaarenfabrikation, welche in Hanau sehr bedeutend ist; in Schmalkalden Eisen- und Stahlfabrikation; in mehren Gegenden Lederbereitung. Die Ausfuhr von Erzeugnissen des Bodens und der Fabriken ist nicht unbeträchtlich; am wichtigsten ist aber der Durchfuhrhandel, der seit dem Anschlusse Kurhessens an den deutschen Zollverein lebhafter geworden ist; Kassel hat eine Messe und einen Handels- und Gewerbverein. Für Unterrichtsanstalten ist gut gesorgt; die Landesuniversität ist Marburg; die Regierung ist constitutionnell-monarchisch, erblich im Mannsstamme. Die Verfassungsurkunde, welche eine Menge vortrefflicher Bestimmungen enthält, setzt fest, daß das Volk durch die Landstände vertreten werden soll, die nur eine Kammer bilden, ihre Sitzungen öffentlich halten und wenn sie auseinandergehen, einen Ausschuß wählen, der sie ihrerseits vertritt. Kurhessen, dessen Bewohner einen der tüchtigsten und kräftigsten deutschen Stämme bilden, hat sich in militairischer Hinsicht stets rühmlich ausgezeichnet; es stellt zum deutschen Bundesheere 5679 M., hat außerdem eine bedeutende Reserve und trefflich eingeübte Bürgergarden in Stadt- und Landgemeinden; die Staatseinkünfte belaufen sich auf nahe an drei Millionen Thaler. Das Kurfürstenthum zerfällt in vier Provinzen. Niederhessen, an der Weser, Werra, Fulda, Diemel, Eder und Schwalm, enthält die Hauptstadt des Landes, Kassel (s.d.). Andere Orte sind Karlshafen, ein lebhafter Platz an der Mündung der Diemel in die Weser, mit 2000 Einw.; Hofgeismar mit 3200 Einw. und mit Gesundbrunnen; Allendorf am Fuße des Meißner, an der schiffbaren Werra, mit 3900 Einw. und einem sehr ergiebigen Salzwerke. In der sogenannten rothenburg. Quart. die bis vor einigen Jahren eine besondere Standesherrschaft bildete, jetzt aber dem Staate anheimgefallen ist, liegt Eschwege an der Werra mit 5000 Einw.; in der Umgegend wird stark Taback gebaut, und bei Witzenhausen an der Werra mit 2500 Einw. wächst viel Wein, aus dem ein guter Essig fabricirt wird. Die Stadt Rothenburg an der Fulda hat über 3000 Einw. In der Grafschaft Schauenburg liegt Rinteln an der Weser mit 3200 Einw., das von 1601–1809 eine Universität hatte, und der Badeort Nenndorf. – In der Provinz Oberhessen liegt Marburg an der Lahn, die Hauptstadt von Oberhessen, mit etwa 7600 Einw. Hier ist eine 1527 gestiftete Universität mit wissenschaftlichen Sammlungen und Fabriken in Wolle, Taback und Leder; in der Elisabethkirche befindet sich ein Denkmal der heiligen Elisabeth; in der Frauenkirche liegen mehre hess. Fürsten begraben, und auf dem Schlosse hielten 1529 Luther und Zwingli ein Religionsgespräch. Ziegenhain an der Schwalm mit 1600 Einw. ist etwas befestigt. – In der Provinz Fulda liegt die gleichnamige Stadt an der Fulda mit 10,000 Einw. Sie ist Sitz eines katholischen Bischofs, hat einen herrlichen Dom, in welchem Winfried oder Bonifacius, der Apostel des nördl. Deutschlands, begraben liegt, eine Forstschule, Gymnasium und Bibliothek. Im Fürstenthume Hersfeld liegt die gleichnamige Stadt, vormals Reichsabtei mit 6400 Einw.; Schmalkalden an der Schmalkalde mit 5000 Einw., hat ein Gymnasium, Eisen-, Blech-, Stahl-, Nägel-, Feilenfabriken, liefert auch Barchent-und Wollenwaaren, hat eine Saline und ist bekannt durch den schmalkaldischen Bund, den 1531 die protestantischen Kirchen schlossen, und die schmalkalder Artikel 1537. – Die Provinz Hanau ist fruchtbar an Obst, Wein, Getreide und Flachs, liegt am Main, an der Nidda und Kinzig. Außer der Hauptstadt Hanau (s.d.) ist merkwürdig das Salzwerk Nauheim und die vormalige Reichsstadt Gelnhausen mit den Trümmern einer vom Kaiser Friedrich Rothbart erbauten Pfalz.

Die Linie, welche Hessen-Darmstadt, das jetzige Großherzogthum, regiert, ist von Georg I. dem Frommen, Philipp's des Großmüthigen jüngstem Sohne, gestiftet worden; dieser erhielt 1567 aus dem väterlichen Nachlasse die obere Grafschaft Katzenelnbogen und nahm seine Residenz in Darmstadt. Er erwarb durch Erbschaft noch mehre andere Besitzungen; nach seinem Tode wurden sie unter die drei nachgelassenen Söhne getheilt, welche, um weitern Zersplitterungen vorzubeugen, 1606 das Recht der Erstgeburt einführten. Philipp erhielt Butzbach, starb aber kinderlos; Friedrich stiftete die hessen-homburgische Linie, und die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt erhielt Ludwig V., unter dessen Sohne Georg II. das Land während des dreißigjährigen Kriegs furchtbar verheert ward. Unter den folgenden Landgrafen zeichnete sich besonders Ludwig IX., von 1768–98, durch seine Liebe zu Kunst und Wissenschaften aus. Sein Nachfolger, Ludwig X., der bis 1830 regierte, verlor zwar im luneviller Frieden alle seine Besitzungen auf dem linken und einige auf dem rechten Rheinufer, erhielt aber als Entschädigung das Herzogthum Westfalen, mehre kurmainzische und pfälzische Ämter, die Reichsstadt Friedberg und noch mehres [383] Andere, sodaß er 65 ! M. mit 120,000 Einw. bei dem Tausche gewann. Er trat 1806 dem Rheinbunde bei, nahm noch in demselben Jahre die großherzogl. Würde an, nannte sich von jetzt an Ludwig I., ließ 1813 seine Truppen zu den Alliirten stoßen und erhielt 1815 für das Herzogthum Westfalen, welches er an Preußen und mehre Ämter, die er an Baiern und Kassel abtrat, sowie für den Verlust von Hessen-Homburg, den größten Theil der jetzigen Provinz Rheinhessen und noch andere Besitzungen. Ludwig gab am 21. Dec. 1820 seinem Lande eine ständische Verfassung und genoß bis zu seinem Tode die Verehrung aller seiner Unterthanen. Unter seinem Nachfolger Ludwig II. (s.d.) entstanden Mishelligkeiten mit den Ständen, besonders weil diese sich weigerten, zwei Millionen Gulden Privatschulden des Großherzogs zu bezahlen und die Thatsache geltend machten, daß Darmstadt eins der verhältnißmäßig am meisten verschuldeten Länder in Europa sei.

Das Großherzogthum Hessen-Darmstadt hat einen Flächeninhalt von beinahe 153 ! Meilen und zerfällt in zwei größere voneinander getrennt liegende Hauptmassen und mehre kleine Parcellen, z.B. den Bezirk Wimpfen am Neckar zwischen Baden und Würtemberg, den Bezirk Vöhl zwischen Waldeck und Kurhessen, und andere. Die beiden größern Theile sind durch kurhess. und frankfurter Gebiet voneinander getrennt, grenzen aber, als ein Gesammtes betrachtet, im N. an Nassau und Kurhessen, im O. an Kurhessen und den bair. Untermainkreis, gegen S. an Baden und den bair. Rheinkreis, gegen W. an Preußen und Nassau. Das Ganze besteht aus 44 Besitzungen ehemaliger Reichsstände, von denen manche mediatisirt worden sind, z.B. die Fürsten und Grafen von Isenburg, die Grafen Erbach, der Fürst von Löwenstein-Wertheim, die Fürsten und Grafen von Solms, die Freiherren von Riedesel, der Graf von Alt-Leiningen u.s.w. Das Land ist im Allgemeinen bergig, nur Rheinhessen ist Hügelland. Den ganzen Osten der Provinz Starkenburg bedeckt der Odenwald, an dessen westl. Fuße die berühmte Bergstraße hinläuft. In Oberhessen verzweigt sich das Vogelsgebirge, welches sich bis 2400 F. erhebt und hier die Wasserscheide zwischen Weser und Rhein bildet. Im westl. Oberhessen liegt ein Theil des Taunus, und zwischen diesem und dem Vogelsgebirge die fruchtbare, 18 ! M. große Wetterau. Hauptstrom des Landes ist der Rhein, der die Provinz Rheinhessen und Starkenburg, sowie die erstere von Nassau trennt; er nimmt den Main und die Nahe auf. Einen Theil der Südgrenze von Starkenburg bildet der Neckar; in Oberhessen fließen Wetter, Lahn und Fulda. Mit Ausnahme des östl. Theils von Starkenburg ist das übrige Land sehr fruchtbar und vortrefflich angebaut; es hat in den Thälern und Niederungen ein sehr mildes Klima, liefert viel Holz, Getreide, Wein am Neckar, Rhein und Main, Obst, Kastanien, Hanf und Flachs. Das Mineralreich gibt Kupfer, Braunkohlen und Salz. Hauptnahrungszweig ist die Landwirthschaft, doch sind auch Wolltuch-, Tabacks-, Leinewand-, Wagen- und Lederfabriken von Bedeutung. Der Handel ist sehr wichtig, und die Landstraßen in sehr gutem Stande. Die Bevölkerung beläuft sich auf etwa 740,000 Menschen, von denen mehr als eine halbe Million der protestantischen oder evangelischen Kirche angehören; die übrigen sind außer 24,000 Juden und einigen Mennoniten, Katholiken. Für den Unterricht ist gut gesorgt; die Landesuniversität befindet sich zu Gießen. Die Verfassung ist ständisch, mit zwei Kammern; die oberste Leitung der Staatsverwaltung geht vom Ministerium aus. Die Rheinprovinz hat in Bezug auf die Gerechtigkeitspflege öffentliches, mündliches Verfahren und Geschworenengerichte. Hessen-Darmstadt hat als Mitglied des deutschen Bundes im engern Rathe die neunte Stelle, im Plenum drei Stimmen, stellt 6195 M. Truppen zum Bundesheere, hat jährlich etwa 6,400,000 Gulden Einkünfte und mehr als zwölf Millionen Gulden Staatsschuld. Es zerfällt in drei Provinzen: Starkenburg zwischen Main, Rhein und Neckar reich an Holz und Wein, begreift die obere Grafschaft Katzenelnbogen und Theile vom ehemaligen Kurmainz, Kurpfalz, Worms u.s.w. Hauptstadt ist Darmstadt (s.d.) in Katzenelnbogen. Heppenheim mit 3700 Einw., an der Bergstraße, liegt am Fuße der jetzt in Trümmern liegenden Starkenburg. Unsern vom Städtchen Bensheim an der Bergstraße liegt der 1546 F. hohe Felsberg, auf welchem die 61,000 Pf. schwere Riesensäule und der Riesenaltar. Zu Seligenstadt am Main, mit 2600 Einw., liegen in der Abteikirche Emma und Eginhard (s.d.) begraben. Die ehemalige freie Reichsstadt Wimpfen, wo 1626 die Vierhundert von Pforzheim (s.d.) den Heldentod starben, liegt am linken Ufer des Neckars und hat 2200 Einw. Hierher gehören großentheils die Standesherrschaften der Fürsten und Grafen von Isenburg. Offenbach am Main in Isenburg-Birstein, mit beinahe 8000 Einw., hat seit 1829 zwei Messen, die jedoch, seitdem auch Frankfurt sich dem deutschen Zollvereine angeschlossen hat, an Bedeutung sehr verloren haben. Erbach im Odenwalde mit 2000 Einw., gehört dem Grafen von Erbach. Im Schlosse ist ein berühmter Rittersaal, mit Rüstungen Gustav Adolf's, Wallenstein's, Berlichingen's und anderer berühmter Männer. – Die Provinz Rheinhessen liegt zwischen Rhein, Nahe und den Vorhöhen des Donnersberges, enthält fruchtbares Hügelland und besteht aus Theilen von Worms, der Pfalz, Kurmainz, Leiningen u.s.w. Die größte Stadt der Provinz ist die Bundesfestung Mainz (s.d.). Bingen, an der Mündung der Nahe in den Rhein, dem durch seinen vortrefflichen Wein bekannten nass. Orte Rüdesheim gegenüber, hat 4400 Einw. und lebhaften Handel. Im Rhein steht der in der Sage berühmte Mäusethurm; das sogenannte binger Loch ist der Schiffahrt nicht mehr gefährlich. Worms, eine der ältesten deutschen Städte und im Mittelalter, wo sie 60,000 Einw. hatte, sehr blühend, hat seit der Verwüstung durch die Franzosen 1689 nur 8000 Einw.; der herrliche Dom ist 470 F. lang. In Worms wurden viele Reichstage gehalten; 1521 erschien Luther vor demselben. Worms hat jetzt einige Fabriken, ist aber sonst von keiner großen Bedeutung. In den Weinbergen, welche in der Nähe der Frauenkirche liegen, wächst der unter dem Namen Liebfrauenmilch bekannte Wein. In der Pfalz liegen: Oppenheim am Rhein mit 2400 Einw., Nierstein, Bodenheim, Ober- und Nieder-Ingelheim, bekannt durch die guten Weine, die in der Nähe dieser kleinen Städte wachsen. Alzey mit 4200 Einw., in dessen Umgegend oft röm. Alterthümer gefunden werden, ist eine uralte Stadt. – Die Provinz Oberhessen ist ein zum großen Theile fruchtbares, von Lahn, Eder, Fulda und Wetter bewässertes, meist gebirgiges Land, hat viele Leinwand- und [384] Tuchwebereien und liefert auch Strümpfe in den Handel. Zu demselben gehören: der Bezirk Itter, zwischen Waldeck und Kurhessen, ein rauhes Gebirgsland; der biedenkopfer Kreis oder das sogenannte Hinterland, zwischen Preußen, Kurhessen und Nassau. – Friedberg in der Wetterau mit 3200 Einw., war vormals freie Reichsstadt. Hauptort der Provinz ist Gießen an der Lahn mit 8000 Einw. und einer 1607 gestifteten Universität. Hierher gehört das Gebiet der mediatisirten Fürsten und Grafen von Solms und das Gebiet der Freiherren von Riedesel mit der gewerbsamen Stadt Lauterbach am Fuße des Vogelsgebirges, mit 3400 Einw.

Die Landgrafschaft Hessen-Homburg gehörte in frühern Zeiten zu Darmstadt. Die regierende Linie wurde von Georg I. Sohn, Friedrich, 1626 gestiftet. Landgraf Friedrich Ludwig von 1751–1820 ward in Folge der Stiftung des Rheinbundes 1806 Unterthan des Großherzogs von Darmstadt, 1815 aber wieder selbständig, ist seitdem Mitglied des deutschen Bundes, nimmt in dem engern Rathe an der neunten Stelle Theil und hat im Plenum eine Stimme. Die Landgrafschaft, gegenwärtig vom Landgraf Ludwig Wilhelm Friedrich (s.d.) beherrscht, besteht aus zwei voneinander getrennt liegenden Theilen: der von Nassau und Hessen-Darmstadt umschlossenen Herrschaft Homburg, 27, ! M. mit 8500 Einw. und der Grafschaft Meisenheim auf dem linken Rheinufer, zwischen dem bair. Rheinkreise, der preuß. Rheinprovinz und dem oldenburg. Fürstenthume Birkenfeld, mit 51/2 ! M. und 13,200 Einw., die meist evangelisch sind. Die erstere liefert Getreide, die letztere Holz, Wein, Steinkohlen und Eisen. Hessen-Homburg hat keine ständische Verfassung, 110,000 Gulden Einkünfte und 500,000 Gulden Staatsschuld. Zum Bundesheere stellt es 200 M. Hauptstadt ist der gewerbsame Ort Homburg vor der Höhe, an der Eschbach, drei Stunden von Frankfurt entfernt, mit 3000 Einw. Meisenheim an der Glan hat 2000 Einw., Steinkohlengruben, Glashütten und Eisenhämmer in der Umgegend. In der Kirche liegen die alten Pfalzgrafen von Zweibrücken begraben.

Die ältere Nebenlinie des Hauses Hessen-Kassel, Hessen-Rothenburg, ist vor einigen Jahren ausgestorben. Die jüngere Nebenlinie ist Hessen-Philippsthal, die 1685 entstand und sich in die beiden Zweige Hessen-Philippsthal und Hessen-Philippsthal-Barchfeld theilt. Der jetzige Landgraf von Hessen-Philippsthal ist Ernst Konstantin, geb. am 8. Aug. 1771, welcher zu Philippsthal in Niederhessen, einem Flecken an der Werra, residirt. Der jetzige Landgraf von Hessen-Philippsthal-Barchfeld ist August Ludwig Philipp Karl, geb. am 27. Jun. 1784, der zu Barchfeld an der Werra in der Provinz Fulda residirt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 382-385.
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