[214] Mandschurei, eins der Nebenländer des chines. Reiches (s. Karte »China«), das Stammland der seit dem 17. Jahrh. in China herrschenden Dynastie, zwischen 391/2 und 531/2° nördl. Br., 116 und 135° östl. L., grenzt im N. durch die Linie des Amurflusses an die russische Amurprovinz, im O. durch die Linie des Ussuri an die russische Küstenprovinz, im S. an Korea und den Golf von Tschili, im W. an die chinesische Provinz Tschili und die Mongolei und umfaßt 939,280 qkm mit schätzungsweise 5,530,000 Einw. Das Gebiet ist vorzugsweise ein Gebirgsland, das im südlichen Teil von einer großen Zahl dem Chingangebirge paralleler, von N. nach O. gerichteter Ketten bis an den untern Amur heran erfüllt wird, im nördlichen Teil von den Ausläufern des Großen Chingan (s. d.) und den von ihm abzweigenden, etwa von W. nach O. gerichteten Ilchuri-alin und Kleinen Chingan. Die höchste, genauer bestimmte Erhebung liegt am Paishan oder Paiktosan an der koreanischen Grenze mit 2600 m. Der Südwesten wird teilweise durch die östliche Gobi (s. d.) beherrscht. Der Hauptstrom der M. ist der Sungari (s. d.), der von der koreanischen Grenze an nördlich und dann, nach Zusammenfluß mit den vom Großen Chingan aus von W. und N. kommenden Gewässern (Nonni oder Da-tsian), von 451/2° nördl. Br. an östlich, später nordöstlich strömt. Sein wichtigster Nebenfluß von S. her ist der Fluß von Ninguta (Mutankiang). Der demnächst wichtigste Strom ist der durch sein weites und fruchtbares Tal bedeutende Liauho (s. d.), der in den Golf von Liautung mündet. Der Yalukiang (s. d.) fließt längs der Grenze gegen Korea in die Koreabai; Zuflüsse des Ussuri nehmen an der Bewässerung des nordöstlichen Gebiets teil. Im Klima schließt sich ebenso wie in Bodenbau und Bevölkerung die nördliche M. mehr an das angrenzende Sibirien, die südliche M. mehr an das nördliche China an. Im südlichen Teil schwankt die Jahrestemperatur zwischen 32 und -24°, nach N. hin werden die Extreme noch größer. Die Mineralschätze sind sehr bedeutend, aber erst in letzter Zeit, hauptsächlich durch russischen Einfluß, mehr in Angriff genommen worden. Gold, Silber, Kupfer, Blei und Steinkohle finden sich in fast allen Teilen der M., auch Eisen und Edelsteine. Namentlich scheinen alle Gebirge goldhaltig zu sein, wie die bedeutenden Goldwäschereien (bisher etwa 15) an den Flüssen beweisen. Das Gold kommt namentlich in Tsitsikar zusammen. Die Steinkohle, die früher nur örtlich benutzt wurde, hatte in den letzten Jahren durch die Mandschurische Eisenbahn eine erhöhte Bedeutung gewonnen. Im Sungari und seinen Nebenflüssen wird mit beträchtlichem Erfolg auf Perlen gefischt, die größtenteils an den Hof von Peking gehen. In Tier- und Pflanzenwelt bildet die M. den Übergang zwischen China und Sibirien. Von wilden Tieren sind zu nennen: besonders große Tiger, schwarze Bären, Wölfe, Schweine, Füchse, Hirsche, Antilopen und Zobel, deren Felle einen wichtigen Ausfuhrartikel bilden. Unter den Vögeln ist die mandschurische Lerche (Melanocorypha mongolica) eigentümlich, die wegen ihrer Geschicklichkeit, Stimmen nachzuahmen, in großen Mengen nach Nordchina ausgeführt wird. Die Flüsse sind erstaunlich reich an Fischen, namentlich an Lachsen. Der Waldreichtum der M. ist außerordentlich groß; Mittelpunkte der lebhaften Holzflößerei im Sungarigebiet sind die Städte Tsitsikar, Bodune, Sansin und Sussu. Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Mandschu (s. d.), die jetzt nicht mehr als den zehnten Teil der Bevölkerung bilden, Chinesen und Tschuntschusen, außerdem aus Koreanern, Golde (s. Tafel »Asiatische Völker I«, Fig. 12), Biraren, Manegiren, Dauren, Solonen und andern kleinern Stämmen, die sich namentlich im nördlichen Teil bemerkbar machen. Die Chinesen haben sich als Vertreter des Handels und auch als Ackerbauer über die ganze M. verbreitet.
Unter den Produkten stehen die Erzeugnisse des Ackerbaues an erster Stelle, der freilich erst südlich vom Sungari ertragreich zu werden beginnt. Gebaut werden vorzugsweise Weizen, Gerste, Roggen, Hafer, Reis, Hirse, Mais, Bohnen, Erbsen, Kartoffeln, Mohn (zur Opiumgewinnung), Indigo, Tabak, die Ginsengwurzel (s. Panax), Hanf und Baumwolle. Neben oder an Stelle des Ackerbaues werden Jagd und Viehzucht betrieben. Man zieht kleine Pferde, Maulesel, Rinder; besonders reich an Vieh, namentlich an Schweinen, ist die Gegend am untern Sungari und die Mongolische Steppe. Außer den Tieren selbst sind Häute und Wolle wichtige Handelsartikel. Mittelpunkt für den Fischhandel sind Tsitsikar und Chansi; die Fische werden getrocknet oder gesalzen verkauft, das nötige Salz wird über See ein geführt. Im S. (Liautung) wird auch Seidenraupenzucht betrieben. Die Industrie beschränkt sich zumeist auf die einfachste Verarbeitung der Produkte. Kharbin (s. d.) hat[214] sich zum Mittelpunkt einer großen Mühlenindustrie entwickelt; es bestanden dort 1903: 8 große Mühlen mit moderner Einrichtung; außerdem besaß Kharbin in der nächsten Umgebung 200 Ziegelbrennereien, 3 Bierbrauereien, 8 große Branntweinmanufakturen, mehrere Fleischpackanstalten, alles meist russische Gründungen, aber mit chinesischen Arbeitern. Im Liautal werden vorzüglich Bohnen zu Ölkuchen verarbeitet. Was den Handel betrifft, so werden nach russischem Gebiet hauptsächlich fremde Waren abgesetzt. In den letzten Jahren wurde der Wert dieser Ausfuhr auf etwa 31/2 Mill. Mk. geschätzt. Jedoch geht nur ein vergleichsweise geringer Teil der Waren den Sungari abwärts, der größere vielmehr über Niutschwang (s. d.), das auch Haupteinfuhrhafen für europäische und amerikanische Zeuge ist, chinesisches Baumwollenzeug, Salz, Streichhölzer, namentlich auch für den zunehmenden Andrang japanischer Waren. Selbstverständlich werden die Handels- und Verkehrsverhältnisse infolge des russisch-japanischen Krieges eine erhebliche Verschiebung erfahren, zumal wenn die nächst Niutschwang für den Handel mit China wichtigen Häfen Port Arthur und Dalni dem russischen Einfluß dauernd entzogen werden. Der Verkehr hat sich in den letzten Jahren wesentlich gehoben. Er wird einmal durch eine Reihe vorzüglicher Wasserstraßen vermittelt. Für größere Fahrzeuge schiffbar sind der Sungari (von 300 km oberhalb Kharbin an, im ganzen auf 1500 km) und der Nonni im N., der Liau und Yalu im S.; der Sungari wird von Dampfern befahren. Die wichtigsten Landstraßen verbinden die Hauptstädte Mukden, Kirin und Tsitsikar mit Nordchina, bez. mit Korea und Sibirien (Blagoweschtschensk), sind jedoch in sehr mangelhaftem Zustande. Das Transportmittel ist hier der von Maultieren gezogene zweiräderige chinesische Karren, im Winter der Schlitten. Großen Einfluß auf die weitere Entwickelung wird die Mandschurische Eisenbahn (s. Chinesische Ostbahn) gewinnen, die von der Grenzstadt Mandschurija aus über Chailar, Tsitsikar und Kharbin führt und sich von hier östlich über Ninguta in der Richtung auf Wladiwostok und südwärts über Tschangtschun (Zweigbahn nach Kirin) und Tschangtu nach Mukden fortsetzt, wo einerseits Anschluß an die Chinesische Nordbahn (nach Schanhaikwan), anderseits nach Port Arthur erfolgt. Die Entwickelung der genannten, durch die Bahn berührten Orte dürfte eine bedeutende Zukunft haben. Die Telegraphenlinien lehnen sich an den Verlauf der Bahnen an.
Politisch zerfällt die M. in drei Provinzen (daher auch chines. Tungsantschönn, »die drei östlichen Provinzen«): Holungkiang, der nördliche Teil (etwa 400,000 Einw.), mit der gleichnamigen Hauptstadt (auch Aigun, s. d.) am Amur; Kirin (s. d.), der mittlere Teil (626,000 Einw.), mit der gleichnamigen Hauptstadt am obern Sungari; Schöngking, der südliche Teil (gegen 5 Mill. Einw.), mit der Hauptstadt Mukden (s. d.). Die südliche Provinz, Schöngking, steht unter einem Generalgouverneur, die andern Provinzen unter Gouverneuren. Die Organisation ist rein militärisch. Sitz des Befehlshabers der Mandschutruppen ist Tsitsikar. Die 65 Mandschustämme zerfallen in acht Banner mit besondern Gerichtshöfen, Schulen und Priestern und stellen etwa 37,000 Soldaten für die Garnisonen der M. Steuern werden in Getreide und Geld entrichtet. Vor 1858 reichte die M. nach N. fast bis zu 55° nördl. Br., in welchem Jahr durch den Vertrag von Aigun das Gebiet jenseit des Amur an Rußland abgetreten wurde, 1860 auch das Gebiet östlich des Ussuri, im ganzen rund 560,000 qkm. Durch den Bau der Chinesischen Ostbahn seit 1900 stieg der russische Einfluß in der M. unbeschränkt und ist erst durch den Krieg mit Japan wieder in Frage gestellt worden.
[Geschichte.] Einfälle berittener Horden aus der nördlichen Mongolei längs des Argunslusses und aus Ostsibirien längs des Amur machen die ältere Geschichte des weiten Steppengebietes der M. so verworren, daß sich kein Zusammenhang herstellen läßt. Von Bedeutung für die Kulturwelt werden diese Ansammlungen von eingewanderten Reiterstämmen durch wiederholte erfolgreiche Vorstöße unter einheitlicher Leitung nach SW. in die Ebene des Peiho und auf dem schwierigern Wege nach SO. in das fruchtbare Küstengebiet von Korea. In Zeiten der Schwäche sind China und Korea wiederholt der Eroberung von diesem Zwischenland aus erlegen. Im 10. Jahrh., als in China fünf Dynastien miteinander haderten, vollzog sich in der M. die erste folgenreiche Konsolidation der Reiterstämme unter dem Fürsten Apaokhi. Es war das Reich der Khitan (s. d.), das Nordchina überwältigte und die Sungdynastie zwang, ihre Residenz nach dem Süden zu verlegen. Von ihm ist die früher in Europa gebräuchliche Bezeichnung Kathai für Nordchina hergenommen. Ein Usurpator dieses Reiches eroberte in der ersten Hälfte des 12. Jahrh. auch Nordkorea und gab seinem Reiche den Namen Kin (s. d.). Dieses Reich erlag 1211 einem Ansturm der Mongolen und wurde von dem Enkel Dschengis-Chans, Kublai-Chan, dem Riesenstaat einverleibt, der von Korea bis nach Tibet, Tongking und Ava reichte. Als die nationalen Erhebungen der Koreaner und Chinesen der Mongolenherrschaft 1368 ein Ende gemacht hatten, zersplitterte sich die Bevölkerung der M. wieder in mehrere Teilreiche. Aber seit 1573 erhob sich das durch seinen Zopf, die kurze Reitjacke und seine Geschicklichkeit in der Führung des Bogens und der Lanze ausgezeichnete Reitervolk der Mandschu-Tataren. Durch Verbindung mit dem gegen die Mingdynastie aufständischen General Wu Sangwai gelangte die Mandschudynastie auf den chinesischen Kaiserthron, den sie noch jetzt innehat (s. China, S. 50 ff.). Durch Verteilung der Bannerleute als Söldner und Beamte in den Provinzen Chinas entvölkerte sich die M., die seitdem als ein Außengebiet des himmlischen Reiches durch die Regierungskollegien in den drei Bezirken Tsitsikar, Kirin und Mukden verwaltet wurde. Die Erwerbung und Einrichtung der Amurprovinz und Transbaikaliens durch die Russen seit 1860 und die unaufhörlichen Wirren im eigentlichen China haben zu einer heillosen Vernachlässigung der M. durch die kaiserliche Regierung in Peking geführt. Nur die strategische Bedeutung der südlichen Liautunghalbinsel als Operationsbasis im See- und Landkampf um die Beherrschung Koreas, die Japan den Chinesen streitig machte, wurde mehr und mehr beachtet. Die Anlage des Kriegshafens und Arsenals von Port Arthur sollte die chinesische Nordflotte zu einem Machtfaktor im Gelben Meere machen. Als die Japaner 1894 den Kampf aufnahmen und der Nordflotte ein Ende machten, wurde im Frieden von Schimonoseki (im April 1895) diese Halbinsel an Japan abgetreten, auf Einspruch der drei Großmächte Rußland, Frankreich und Deutschland aber an China zurückgegeben. Die Südspitze der Halbinsel pachtete 1898 Rußland auf 25 Jahre. Um so bemerkenswerter ist die Vernachlässigung der eigentlichen M. durch die chinesische Regierung, als seit der Mitte des[215] 18. Jahrh. eine starke Einwanderung aus dem eigentlichen China, besonders aus Schantung, in den fruchtbaren Teilen des Landes eine beispiellose wirtschaftliche Blüte erzeugte. Aber unter der Leitung des Vizekönigs Li Hung Tschang überließ China der von der Russisch-Chinesischen Bank gegründeten Ostchinesischen Eisenbahngesellschaft, die in Wahrheit ein russisches Regierungsunternehmen war, den Bau der Bahn von Onon nach Nikolskoje durch die M., nebst einer Zweiglinie von Kharbin südwärts nach Port Arthur und Niutschwang, und gestattete, daß russische Truppen diese Strecken militärisch bewachten. Die Boxerwirren, die auch nach der M. übergriffen, wurden russischerseits zu dem Fengtinabkommen benutzt, das die örtlichen Behörden unter russische Oberaufsicht stellte. Der Protest Japans im Februar 1901 wurde in Petersburg mit einer Erweiterung des Mandschureiabkommens beantwortet, wonach der völlige Übergang der M. in Rußlands Hand nur noch eine Frage der Zeit war. Zwar verstand sich Rußland 4. April 1901 dazu, die M. in drei Etappen bis zum 8. Okt. 1903 zu räumen. Als aber Japan nach Ablauf dieser Frist die Nichterfüllung dieses Versprechens konstatierte und neue Verhandlungen über die Mandschureifrage anregte, lehnte Rußland diese Verhandlungen, als nur China und Rußland angehend, entschieden ab. Der Krieg, den Japan 8. Febr. 1904 begann, spielte sich sofort vor Port Arthur und seit Ende April 1904 auch zu Land im südöstlichen Teile der M. ab (Weiteres s. Russisch-japanischer Krieg). Nach dem Friedensschluß begann Mitte Oktober 1905 die Räumung der M. Vgl. Posdnjejew u. a., Beschreibung der M. (russisch, St. Petersb. 1897, 2 Bde.); Krahmer, Rußland in Ostasien (Leipz. 1899); Zabel, Durch die M. und Sibirien (das. 1902); Wigham, Manchuria and Korea (Lond. 1904); (Major) v. C.-M., Die Kämpfe der russischen Truppen in der M. 1900 (Leipz. 1901); Al. Hosie, Manchuria, its people, resources, and recent history (Lond. 1901, 2. Aufl. 1904); Graf Orlow, Die Eroberung der M. im Jahre 1900 (übersetzt von Ullrich, Straßb. 1904); »Die M. Nach dem vom russischen Großen Generalstabe herausgegebenen Material zur Geographie Asiens« (übersetzt von Ullrich, Berl. 1904); Kriegstagebücher und andre Berichte von Weale (»Manchu and Muscovite«, Lond. 1904), Behrmann (Berl. 1905), Recouly (deutsch, Bremerhaven 1905), Gädke (Leipz. 1905); dela Salle, En Mandschourie (Par. 1905); Lord Brooke, An eye-witness in Manchuria (Lond. 1905); Muszyúski v. Arenhort, Militär-topographische Beschreibung der M. (Wien 1905). Karte von Borodowskij, 1: 3,360,000 (Petersb. 1901).
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