[393] Mongolische Sprache u. Literatur. Die Mongolische Sprache bildet mit der Burätischen u. Kalmückischen eine der vier od. fünf Familien des großen Altaischen u. Turanischen Sprachstammes u. bietet daher nicht nur in Bezug auf die Wurzeln, sondern auch in Hinsicht auf den inneren Organismus u. den grammatischen Bau vielfache Anknüpfungspunkte u. verwandtschaftliche Erscheinungen mit den Sprachen der tungusischen, der turkisch-tatarischen, der samojedischen u. finnischen Familien. Seit das Mongolische eine Literatur besitzt, hat sich auch eine Schriftsprache ausgebildet, welche über den besonderen Volksmundarten steht. Im Lautsystem der Mongolischen Sprache macht sich die Eigenthümlichkeit bemerkbar, daß sich die Vocale in zwei Hauptklassen, harte (a, o, u) u. weiche (e, ö, ü), scheiden, zwischen welchen i mitten inne steht. Alle Vocale desselben Wortes müssen regelmäßig zu derselben Klasse gehören, so daß der erste (Wurzel-) Vocal die anderen (Beugungs-) Vocale bedingt. Auch auf die Gestalt der vorhergehenden Consonanten üben diese Vocalklassen Einfluß. Die Mongolische Sprache wird mit einer, von Sadja Pandida erfundenen u. der uigurischen entlehnten Schrift von oben nach unten geschrieben, die Zeilen folgen sich von der Linken zur Rechten. Die Declination des Nomen wird durch angehängte Partikeln gebildet, welche zum Theil wirkliche Postpositionen sind, nämlich Genitiv yin, u, un, Dativ dur, a, Accus. yi, i, Ablat. etse, Instrumental luga, lüge; für den Dativ u. Accus. gibt es noch besondere Formen, welche zugleich eine Art Possessivbedeutung haben, nämlich Dativ dagan, degen, Accus. ben, yien. Der Plural wird durch Endungen bezeichnet, welche theils nach der Endung des Wortes, theils nach der Bedeutung desselben (insofern es ein vernünftiges Wesen bezeichnet od. nicht) verschieden sind. Das Genus wird nicht bezeichnet. Bei den Adjectiven gibt es keine besonderen Formen zu Bildung der Steigerungsgrade, hier muß theils die Construction, theils der Gebrauch gewisser Partikeln aushelfen. Die Pronomina sind bi ich, tschi du, bida wir, ta ihr, deren Genitive zugleich als Possessiva dienen; ein Relativum fehlt gänzlich. Die Zahlwörter sind: 1 nigen, 2 choyar, 3 gurban, 4 dörben, 5 tabun, 6 dsirgugan, 7 dologan, 8 naiman, 9 yisun, 10 arban. Ordinalia werden daraus durch die Endung tugar, tüger gebildet. Die Wurzel des Verbum ist der Imperativ: yabu geh. Die Conjugation ist reich an Formen zu Bezeichnung der Tempora u. Modi, läßt aber, wenige Fälle ausgenommen, Personen u. Zahlen unbezeichnet. Das Präsens wird aus der Wurzel durch die Endung bai od. luga (yabubai, yabninga), das Futurum durch die Endung ssugai od. ssu (yabussugai, yabussu) gebildet. Außerdem hat das Präteritum in dritter Person noch die Endung dsngni, das Futurum in dritter Person yu u. in einer Person ya. Der Conditionalis endigt auf bassu, der Precativ auf dugai, der Plural des Imperativs auf ktun, das Gerundium auf n, dsu, gad od. tala (auch chola), das Participium im Präs. auf ktschi, im Präterit. auf kssan, das Supinum auf ra, der Infinitiv auf cho, u. wenn er substantivisch steht, auf choi. Die Präpositionen sind hier Postpositionen; die Adverbien sind theils einfache Partikeln (verneinende, bejahende, fragende etc.), theils aus anderen Redetheilen durch Beugungssylben gebildet. Conjunctionen gibt es nur wenig u. von beschränktem Gebrauch, da das Verhältniß der Satztheile u. einzelnen Sätze meist durch Verbalformen (Participium, Gerundium, Supinum, Conditionalis etc.) angedeutet wird. Die Mongolische Sprache ist reich an Bildungsformen; sie bildet nicht nur Substantiva, Adjectiva, Verba, Adverbia, eins aus dem anderen, sondern auch vom einfachen Verbum häufig Intensiv-,[393] Inchoativ-, Passiv-, Factitiv-, Reciproc- u.a. Formen. Rücksichtlich der Construction steht im einfachen Satz die Bezeichnung der Zeit u. des Ortes, sei es ein Adverbium od. ein Substantiv mit einer Postposition, stets voran;dann folgt das Subject, welchem Adjectiv u. Genitiv nach einer allgemeinen Regel vorausgeht, dann das Object mit den anderen vom Verbum abhängigen Casus, endlich das Verbum selbst, dem jedoch noch die etwa dazu gehörigen Adverbia vorausgehen. Bes. eigenthümlich ist der Periodenbau. Die Länge der Perioden übertrifft die aller anderen Sprachen. Alle Sätze, welche als ursächlich, bedingend, beschränkend, voraussetzend, der Zeit nach früher od. auch begleitend, überhaupt auf irgend eine Art modificirend gedacht werden können, stehen voraus, indem ihre Geltung durch den Modus ihres Zeitwortes, welches nie im Indicativ stehen kann, genau bezeichnet wird Erst der Haupt- u. Schlußsatz schließt mit einem Verbum finitum. Der Anfang des Vaterunsers lautet: oktargoi daki manu etsege, tschinn nere chamuk tur kündülel olcho boldugal, d.h. Himmel in unser Vater, dein Name Allen bei Ehre finden sei. Grammatiken von Schmidt, Petersb. 1831, von Kowalewsky, Kasan 1835; Wörterbuch von Schmidt, Petersb. 1835; Chrestomathie von Kowalewsky, Kasan 1836, 2 Bde. Mehre andere grammatische u. lexikalische Hülfsmittel sind in Rußland erschienen.
Die Literatur der Mongolen ist secundär, durchaus nicht original; sie ist rein buddhistisch u. zunächst auf die Tibetanische basirt, denn der bei weitem größte Theil der mongolischen Bücher sind Übersetzungen aus dem Tibetanischen. Einiges wurde jedoch auch aus dem Chinesischen ins Mongolische übertragen, wie z.B. die vier Bücher; im Süden der östlichen Mongolei wurde auch einiges aus dem Mandschu übersetzt, z.B. der Roman: Geschichte der drei Reiche. Vollständig aus dem Tibetanischen übertragen wurden die beiden großen Sammlungen heiliger Schriften, der Kandschur u. der Tandschur, unter Leitung des Lamas Tschoitschi Odser (tibetisch) od. Nomun Gerel. (mongolisch) im Anfange des 14. Jahrh.; beide sind gedruckt erschienen; ferner wurden übertragen sämmtliche Schriften des großen Reformators Tsonkhapa, darunter die wichtigsten der Bodhimur, der Tarniin-mur u. der Altan-erike. Hieran schließen sich die Übersetzungen von Werken zur Geschichte des Buddhismus, z.B. die einer Geschichte des Buddhismus in Tibet, u. mehrer Lebensbeschreibungen berühmter buddhistischer Geistlichen; gleich mongolisch verfaßt ist eine Biographie des genannten Tsonkhapa. Auch die buddhistische Legendenliteratur fand unter den Mongolen Übersetzer; dahin gehören Uligerün dalai (d.i. Meer der Gleichnisse), Uschandarchan, welche die Thaten eines in einem Fürsten verwandelten Gottes gleiches Namens erzählt; die Thaten des Bogda Ghesser Khan, welches von der Petersburger Akademie (ebd. 1836) herausgegeben u. von J. J. Schmidt (ebd. 1839) übersetzt worden ist. Auf dem Grunde der Theologie beruhen auch die Literaturwerke anderer Klassen; so die medicinischen, da die Lamas zugleich Ärzte sind, so die philosophischen u. astronomischen, da ihre Philosophie bloße Religionsphilosophie u. die Astronomie mehr Astrologie ist, nach deren mysteriösen, auf der Theologie ruhenden Berechnungen die Kalender gefertigt werden. Eben so tragen auch ihre Geschichtswerke religiöse Farbe; dieselben enthalten reiche u. treffliche Materialien zu der Geschichte der Völker Asiens u. können als Ergänzung da dienen, wo die Chinesen u. andere asiatische Geschichtsbücher schweigen od. nicht ausreichen. Als eigentliche Geschichtswerke sind bis jetzt nur zwei in Europa bekannt geworden: die Geschichte der Ostmongolen von deren Fürsten Sanang Setzen, 1662 verfaßt (herausgeg. mit deutscher Übersetzung von J. J. Schmidt, Petersb. 1829), u. der Altan toptschi (vgl. Wassiljew, in Ermans Archiv für die Kunde Rußlands 1860). Die poetische Literatur ist theils geistlich, theils weltlich; zu erster gehören die Heldengesänge u. Hymnen auf Buddhatz zu letzter die geselligen, erotischen Lieder, Jägerlieder u. Loblieder auf gute Pferde; die Volkslieder haben meist einen düstern Charakter. In den einzelnen Abtheilungen ihrer Gedichte herrscht ein, dem orientalischen ähnlicher Parallelismus der übrigens an Länge ungleichen Glieder, welcher sich oftdurch Wiederkehr derselben Endung (also Reim), od. derselben Wörter (also Refrain) kund gibt, zu welchen beiden oft noch die Alliteration kommt. Das gewöhnliche System sind vierzeilige Strophen. Vgl. v. d. Gabelentz, in der Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes, 1. Bd., S. 20 ff. Durch Vermittelung der Tibetaner ist auch ein großer Theil des indischen Fabel- u. Märchenschatzes zu den Mongolen gelangt; dahin gehört u.a. auch Ardschi Bordschi (russisch von Galsang Gombojew, Petersb. 1858; deutsch von Benfey im Ausland, 1858). Geschriebene Gesetze haben die Mongolen seit Dschingis-khans Zeit; das älteste Gesetzbuch, Zaatschin Bitschik, ist außer Gebrauch; das neuere, welches noch gültig ist, ist aus dem Anfang des 17. Jahrh., es gilt nicht nur für die Mongolei, sondern auch für die gemeinen Chinesen u. befindet sich in den Denkwürdigkeiten über die Mongolei von dem Mönch Hyakluth, aus dem Russischen übersetzt von Karl Friedr. v. d. Borg, Berl. 1832, 4. Theil, 6. Abtheil., S. 373 f. Eine Art encyklopädisches Wörterbuch ist Khaybi-Dschunay, worin zwar zumeist Wörter u. Ausdrücke der heiligen Bücher erklärt werden, aber auch über andere Dinge gesprochen ist, deren Kenntnisse zum Verstehen derselben nöthig ist. Die alten Wörterbücher Tokbar-loa u. Minghi-Dschamso (Minggi Gjamiso, tibetanischmongolisch) erklären nur religiöse Gegenstände; im 18. Jahrh. verfaßte Djanghia Khutukhiu ein mongolisch-tibetanisches Wörterbuch. Die Bücher, ihrer Form nach lang u. schmal, existiren in Manuscripten, u. in Pagoden, Klöstern u. Privathäusern frommer Buddhisten findet man ziemlich reiche Bibliotheken. Die reichsten Sammlungen von mongolischen Büchern in Europa sind in Rußland, bes. in Kasan, wo auch der erste Lehrstuhl für Mongolische Sprache gegründet wurde, u. in Petersburg.
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