Schwyz

[694] Schwyz, 1) der fünfte Canton der Schweiz, nach welchem sich die ganze Eidgenossenschaft genennt hat, liegt zwischen Luzern, Zug, Zürich, St. Gallen, Glarus, Uri u. dem Vierwaldstättersee; 16,83 QM. mit 45,191 Ew. (1860). Es ist vorherrschend ein Gebirgsland, die Gebirge erheben sich aber nur an der Ostgrenze im Reiselstock (8632 Fuß ü. M.), dann im Pfannenstock (7918 F.) u. Rederlenstock (7065 F.) zur Region des ewigen Schnees; außer diesen sind bemerkenswerthe Berge: Rigi (5541 F.), Roßberg (4878 F. mit dem Goldauer Bergsturze), Kaiserstock (7749 F.), der Stoß mit der Frohnalp (5188 F.), Roßstock (7582 F.), Achslenstock (6622 F.), Wasserberg (7335 F.), Scheinberg (6298 F.), Miesern (6883 F.), Kleine u. Große Mythen (5858 F.), Fluhberig od. Diethelm (6470 F.), Roggenstock (5470 F.) etc.; fast alle Berge dienen als Weide. Thäler: Sihl-, Alp-, Wäggi-. Muotta-, Riemenstaldenthal u. das Thal von S. Pässe sind die aus dem Bisithal nach dem Urnerboden u. nach dem Stachelbergerbad, der aus dem Muottathal über den Pragel in das Klönthal, der über den Kinzigkulm nach dem Schächenthal, der über Illgau nach dem Sihlthal, der von S. über den Hacken in das Alpthal u. nach Einsiedeln, u.a. Flüsse: die schiffbare Linth, die Aa, Siehl mit Alp u. Bieber, Muotta. Seen: Züricher-, Vierwaldstätter-, Zuger-, Lowerzer- u. Glattalpthalsee. Das Klima ist sehr schwankend u. veränderlich, am mildesten am Zürichersee u. bei Küßnacht; der Föhnwind weht häufig u. tritt mit Heftigkeit auf. Der Boden ist größtentheils sehr fruchtbar, auf den Höhen gibt es viele herrliche Alpen. Producte: Rindvieh (berühmte Race), Pferde, Schafe, Ziegen, Schweine; Kartoffeln, Spelt, Gerste, Weizen, Mais, Rüben, Raps, Flachs, Hanf, Bohnen, Erbsen, Kraut, aber für den Bedarf nicht zureichend; Wald (gegen 37,000 Jucharte), Wein; Marmor, Eisenerz, Torf; 3 Mineralquellen (in Nuolen, Seewen u. Iberg). Die Einwohner, von deutscher Abkunft u. Sprache, sind katholisch, ein großes u. kräftiges, die Freiheit stürmisch liebendes u. am Hergebrachten, namentlich am Katholicismus, starr festhaltendes Hirtenvolk, im Süden stolz, hochmüthig u. händelsüchtig, im Norden ruhiger, verschlagener u. leichtfertiger. Die eigenthümliche Volkstracht hat bis auf wenige Überreste aufgehört; die Frauen tragen noch eine hahnenkammähnliche Spitzenhaube, nördlich in der Ebene March die pfauenschweifartigen, großen Schwabenhauben auf dem Hinterkopf. Der Canton hat keine einzige Stadt. Die Hauptbeschäftigung der Einw. bildet die Viehzucht (20,000 Stück Rindvieh, 850 Pferde, 5500 Schafe, 8000 Ziegen); der Ackerbau ist ziemlich vernachlässigt; ebenso steht die Industrie auf einer niederen Stufe, es gibt einige Baumwollenspinnereien u. Webereien, 1 Seidenspinnerei, Seiden- u. Strohwebereien, 1 Glasfabrik, 1 Papierfabrik, i) Zündhölzchenfabrik, außerdem Töpfereien, Buchdruckerei, Bilderdruckerei. Der Handel vertreibt Rindvieh (bes. nach Oberitalien), Pferde, Schweine, Käse, Holz, Obst, Kirschwasser. Die Südostbahn (Linthlinie) u. die Glatlthalbahn berühren bei Rapperswyl den Canton. Die Aufsicht über das Erziehungswesen hat ein Erziehungsrath u. Cantonalschulausseher, sowie Bezirks- u. Gemeindeschulräthe; es bestehen Secundärschulen in Schwyz u. Lachen, außerdem ein von dem Stifte Einsiedeln unterhaltenes Gymnasium, Landwirthschaftlicher Verein (seit 1851), 4 Sparkassen. Der Canton wird eingetheilt in 6 Bezirke (Schwyz, Gersau, March, Einsiedeln, Küßnacht, Höfe) u. in 13 Kreise. Die Verfassung ist seit 1848 repräsentativ-demokratisch. Die Grundzüge der nach dem Falle des Sonderbundes durch einen Verwaltungsrath zu Stande gekommnen Verfassung[694] Und folgende: Der aus 81 Mitgliedern bestehende Cantonsrath wird von den Kreisgemeinden, welche auch über Annahme od. Verwerfung von Gesetzen stimmen, gewählt. Derselbe wählt aus seiner Mitte die Regierung, welche sieben Mitglieder stark u. nicht ständig ist, u. die Ständeräthe. Der Regierung liegen die Geschäfte nach Verwaltungszweigen, welche sie unter sich vertheilt, ob u. sie ist in den Bezirken durch Bezirksmänner vertreten, welchen Bezirksräthe mit 7–15 Mitgliedern beigegeben sind. Das aus 13, von den Bezirksgemeinden gewählten Mitgliedern bestehende Cantonsgericht ist die oberste richterliche Behörde u. hat die Oberaufsicht über die unteren Gerichtsstellen. Das Criminalgericht, aus 5 vom Cantonsrathe ernannten Gliedern bestehend, beurtheilt in erster Instanz die Verbrechen; für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten u. Polizeistraffälle bilden die sieben- bis neungliederigen Bezirksgerichte die erste Instanz; sie, sowie der Bezirksamman, Statthalter, Säckelmeister u. die übrigen Bezirksräthe, werden von den Bezirksgemeinden gewählt. Jeder Kreis besitzt einen Vermittler u. für geringere Rechtsfragen ein aus dem Vermittler u. zwei Beisitzern bestehendes Kreisgericht. Die Gemeindebehörden sind die Kirchgemeinde u. der sechs- bis zwölfgliederige Gemeinderath. Das Mannschaftscontingent beträgt 1580 Mann Infanterie, 300 M. Scharfschützen, 51 M. Guiden, 38 M. Parktrain, 4 Sechspfünder. Münzen, Maße u. Gewichte: Man rechnet jetzt (seit 1850) im Canton S. wie in der ganzen Schweiz (s.d.) nach Franken des französischen Münzfußes (8 Sgr.), früher nach Gulden zu 15 Batzen od. zu 60 Kreuzern à 8 Heller od. zu 40 Schillingen à 4 Rappen, 6 Angster à 2 Heller, den Rappen also zu 3 Heller, im Werth von 221/4 Fl. = 1 Vereinsmark, 1 Fl. = 18 Sgr. 110,526 Pf. preuß. Maße u. Gewichte sind gesetzlich die neuen Schweizermaße etc. (s.u. Schweiz S. 629), früher dieselben wie in Zürich, s.d. (Geogr.). Als Fruchtmaß ist das alte Kornviertel von Rapperswyl = 41, ta Liter gewöhnlich, ebenso weicht als Flüssigkeitsmaß die Maß in S. (= 1,806 Liter) von der in Zürich ab, welche größer ist. Wappen: rother Schild mit silbernem Kreuz in der oberen linken Ecke. Vgl. Kothing, Sammlung der Verfassungen, Gesetze, Verordnungen u. Beschlüsse des Cantons S. von 1803–32, Einsiedeln 1860. 2) Bezirk im Canton mit 14 Gemeinden u. 18,050 Ew., welche Alpenwirthschaft, Vieh- u. Pferdezucht u. Seidenspinnerei treiben; 3) Hauptort des Bezirks u. Cantons, am Fuße der beiden Mythen; schöne Pfarrkirche, Rathhaus mit den Bildnissen von 43 Landammännern (von 1534 an), Archivgebäude, Gymnasium, Hospital, Kapuziner- u. Dominicanerinnenklöster, Zeughaus, Post- u. Telegraphenbureau; 5450 Ew. Dabei das Stammhaus der Familie Reding. Der Ort hatte in den Kriegsjahren 1798 u. 99 viel zu leiden.

Über den Ursprung der Schwyzer geht die Sage, daß zur Zeit einer Hungersnoth 6000 Skandinavier unter Agio u. zwei andern Führern ihr Vaterland verlassen hätten, nach Deutschland übergegangen wären, am Rhein den Grafen Peter von Franken geschlagen u. sich in der Gegend Brochenburg niedergelassen hätten, wo sie S. bauten; nach Andern sollen sie Abkömmlinge der Cimbern, od. der Ostgothen od. der Sachsen u. Friesen sein. Mit der Zeit verbreiteten sie sich über Frutigen, Obersibenthal, Sanen, Afflentsch u. Jaun. Des Deutschen Kaisers Schutz u. Schirm hatten sie freiwillig gesucht, im Besondern aber die Schirmvogtei ihres Landes den Grafen von Lenzburg zeitweilig übertragen, dessen Ansehen sie wegen der Parteiungen u. Streitigkeiten im Lande u. der öftern Abwesenheit des Kaisers aus Deutschland brauchten. 1114 wurden sie von dem Abt von Einsiedeln in Basel verklagt, daß sie in seinem Gebiet weideten; die Schwyzer behaupteten aber, daß jenes Weideland Erbe ihrer Väter wäre. Dennoch sollten sie nach des Kaisers Spruch davon weichen, u. als sie es nicht thaten, wurden sie auf erneute Klage des Abts 1144 vom Kaiser Konrad III. mit der Acht bedroht u., als sie sich deshalb vom Reich u. Kaiser, weil dieser sie nicht schütze, lossagten, wirklich in die Acht erklärt u. von dem Bischof zu Constanz in den Bann gethan. Die Schwyzer ließen sich durch keins von beiden irre machen, aber durch Ulrich von Lenzburg beredet, hielten sie wieder zu dem neuen Kaiser Friedrich I., welcher ihnen holder war, s.u. Schweiz (Gesch.) S. 632. 1210 wurde S. mit den andern Waldstätten unter den Grafen Rudolf von Habsburg als Reichsvogt gestellt, s. Schweiz (Gesch.) S. 632; derselbe verlor aber 1231 die Reichsvogtei. Der Kaiser Rudolf von Habsburg liebte die Schwyzer u. bestätigte ihre Reichsfreiheit. 1251 machten die Schwyzer mit Zürich u. Uri auf drei Jahre einen Bund zum gegenseitigen Schutz gegen willkürliche Erhöhung der Lehnspflicht, welcher wahrscheinlich 1254 erneuert wurde. 1269 kaufte sich S. von dem Grafen Eberhard von Habsburg los. Als von Albrechts von Österreich Gesinnung gegen die Schweiz üble Gerüchte gingen, machte S. 1292 einen Bund mit Uri u. Unterwalden (der älteste Bundesbrief der Schweizer) zur Erhaltung ihrer Freiheit; dennoch setzte Albrecht ihnen Landvögte, deren Willkür endlich die Waldstätten nöthigte den Bund im Rütli 1307 zu beschwören, s. Schweiz (Gesch.) S. 633, u. S. bildete nun mit Uri u. Unterwalden die Urcantone der Eidgenossenschaft. 1315 griff Herzog Leopold der Glorreiche von Österreich die Eidgenossen u. namentlich S. an, die Schwyzer wiesen ihn aber bei Morgarten blutig ab (s. Schweiz S. 634), schlossen dann mit den anderen Urcantonen den Ewigen Bund zu Brunnen u. nahmen an allen folgenden Kämpfen der Schweiz, bei Sempach etc., tapfer Theil, unterstützten 1403 die Appenzeller gegen den Abt von St. Gallen, eroberten 1440 Sargans von den Zürichern u. kämpften 1475–77 gegen die Burgunder bei Granson, Murten u. Nancy mit. Bei der Umgestaltung durch die Französische Revolution 1798 wurde S. mit Uri, Unterwalden u. Zug zum neuen Canton Waldstätte vereinigt u. die uralte Verfassung aufgehoben, doch erhielt es 1814 die Unabhängigkeit wieder. Zugleich wurde die durch Umbildung der Eidgenossenschaft 1799 anerkannte Gleichstellung der äußeren Ortschaften mit dem alten Cantonlande 1815 wieder aufgehoben u. der Unterschied zwischen den alten Landleuten u. Beisassen wieder hergestellt, wodurch Letztere ihrer staatsbürgerlichen Rechte beraubt wurden, u. das spätere mehrfache Verlangen nach der Verfassung von 1799 war ohne Erfolge. Im Dec. 1830 traten aber die vier äußeren Bezirke March, Einsiedeln, Küßnacht u. Pfeffikon zusammen u. forderten eine freie Verfassung für alle Bewohner des Cantons u. eine Gleichstellung der äußeren Gemeinden mit den inneren; die inneren bevorzugten [695] Gemeinden leisteten aber hiergegen den beharrlichsten Widerstand, so daß am 9. August 1831 Innerschwyz alle Vermittelungsvorschläge der Tagsatzung verwarf, u. die conservativen Cantone Waadt, Uri, Innerschwyz, Stadt-Basel, Neuschatel u. ein Theil von St. Gallen traten am 28. Novbr. in Sarnen zur Vertheidigung ihrer Verfassung zusammen (Sarner Conferenz). Allein sie vermochten nichts auszurichten, u. nachdem die Stadt-Baseler an mehren Orten, bes. bei Prattelen, 1833 geschlagen worden waren, folgten die inneren Bezirke am 29. Septbr. 1833 den äußeren u. gaben sich eine liberale Verfassung. Bei dem späteren Zusammenstoß zwischen Katholiken u. Reformirten war S., als katholischer Canton, für Erstere u. protestirte 1841 gegen die Aufhebung der Klöster im Aargau u. nahm mit bewaffneter Hand 1845 für Luzern gegen den Zug der Freischaaren Theil; ebenso stand es im Sonderbundskriege von 1847 auf Seiten des Sonderbundes, s.u. Schweiz S. 655 ff.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 694-696.
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