[148] Advocat (v. lat., Sachwalter, Anwalt, Rechtsfreund, in der Schweiz Fürsprech), Rechtsgelehrter, welcher bei gerichtlichen Verhandlungen die Gerechtsame eines Anderen (seines Clienten) im Auftrage desselben wahrnimmt. Das gemeine Recht berechtigt zur Übernahme solcher Geschäfte Jeden, welcher die erforderlichen Kenntnisse, ein Alter von wenigstens 17 Jahren u. einen ehrlichen Namen hat. Landesgesetze beschränken aber dieses Recht vielfältig, weshalb sich der A. nicht nur durch eine Vollmacht seiner Partei zur Sache, sondern auch durch seine Matrikel zur Praxis legitimiren muß. Durch seinen Amtseid ist er verpflichtet: wissentlich keine ungerechte (d. h. eine nach den bestehenden Landesgesetzen nicht zu vertheidigende) Sache anzunehmen, die übernommene möglichst schnell, ohne unnöthige Kränkung des Gegners zu beenden, Geheimnisse der Partei zu verschweigen u. vollständige Manualacten zu halten. Wegen etwaiger Nachlässigkeiten u. der daraus entstandenen Nachtheile ist er seiner Partei zum Schadenersatz, zur Aushändigung der Acten u. der ihm anvertrauten Documente an seine Clienten erst dann verbunden, wenn er seine völlige Zahlung (Honorar, Deservit) erhalten hat. Denn wenngleich bei den Römern nach der Lex Cincia die Vertretung eines Anderen im Gerichte unentgeltlich geschehen mußte, so gestattet doch das neuere Recht dem A., gleichviel ob er den Proceß gewinnt od. nicht, eine Berechnung von Deserviten, u. selbst in seiner eigenen Sache werden diese, im Fall er siegt, vom Richter gebilligt, doch muß er Armensachen ohne Entschädigung für seine Mühe übernehmen. Die Größe seiner Belohnung wird entweder durch Landesgesetze, welche bei ihren Bestimmungen häufig die Seitenzahl einer Schrift berücksichtigen, festgesetzt, od. es ist dem Erachten des Richters überlassen. Trifft aber der A. mit seinem Clienten hierüber[148] eine Übereinkunft, so ist ihm ein Pactum de quota litis (Ausbedingung einer Rate des Streitgegenstandes) verboten, u., ein während des Rechtsstreites versprochenes Palmarium (eine außergewöhnliche Belohnung im Obsiegungsfalle) ungültig. In Rom waren die Advocati nicht diejenigen, welche Einen in einem Rechtshandel vertheidigten, sondern welche durch Rath, bes. durch ihre Gegenwart bei der Verhandlung auf der Seite ihres Freundes, dessen Sache zu der ihrigen machten (s. Rom, Ant.), u. natürlich bei den öffentlichen u. Volksgerichten um so mehr Einfluß übten, je hervorragender ihre Stellung u. je größer ihre Popularität war. Die, welche die Sache der Parteien führten, hießen Oratores forenses (Redner), u. waren die angesehensten u. nicht allein im Recht erfahrensten, sondern auch im Reden geübtesten Männer. In England gewährt die erste Klasse der öffentlichen Sachwalter, Barristers (s.d.), den Rang eines Esquire, der der bloßen Attorneys (s.d.) dagegen den Rang eines Gentleman, u. die Glieder der vornehmsten Familien gehören den Barristers an, da aus deren Zahl die höchsten Staatsbeamten gewählt werden, u. der Weg zum Präsidium im Oberhause u. zum Justizministerium nur durch die Bar (für die Sachwalter in den Gerichtslocalen reservirte Plätze) führt. Zur Bar aber kommt man durch die Inns of court, eine Art von Vereinigungen der Rechtsgelehrten. Gleich angesehen ist die Stellung der Sachwalter in Frankreich, die sich auch hier in 2 Klassen theilen: Avocats, welche die Parteien in den Sitzungen vertreten u. plaidiren, u. Avoués, welche mehr mit den processualischen Formen, der Einleitung u. Betreibung des Processes, so wie mit Fertigung der Schriften beschäftigt sind. Sehr gehoben wird dabei die Stellung der A-en durch die hier bei jedem größeren Gericht bestehenden Anwaltskammern (Chambres des avoués). Die A-en jedes Gerichtshofes sind in Colonnen abgetheilt, an deren Spitze ein Vorsteher (Bâtonnier) u. ein Secretär, beide aus den ältesten Mitgliedern des Standes gewählt, stehen. Diese Vorsteher, mit mehreren ebenfalls aus den älteren Mitgliedern gewählten Beisitzern, bilden dann die Kammer, u. nur, wo bei einem Gerichtshof die Zahl der A-en weniger als 20 beträgt, wird ihre Stelle von dem Gericht selbst vertreten, das dann aber doch vor dem Ausspruch einer Strafe gegen ein Mitglied des Standes angewiesen ist, wenigstens das schriftliche Gutachten des Bâtonnier einzuholen. Die Kammer übt nicht blos die Disciplinaraufsicht über die A-en ihres Bezirks aus, sondern hat auch Entscheidungen über Honoraransprüche zu fällen u. bei Immatriculation neuer Mitglieder etwaige Bedenken auszusprechen; doch steht bei dem Ausspruch einer Suspension od. Remotion wider den Ausspruch der Kammer dem Betheiligten, ebenso aber auch dem Staatsprocurator, wenn er die Freisprechung etwa nicht gerechtfertigt od. die Strafe nicht hart genug finden sollte, die Berufung an den Appellhof offen. Ähnliche Institute bestehen auch in Belgien u. in Genf. u. in Deutschland, wo sich zunächst in den Rheinprovinzen Anwaltskammern nach französischem Muster bildeten, sind später Advocatenvereine auch in mehreren andern Ländern gebildet worden, um auf dem Wege gesetzlicher Reform die innere u. äußere Hebung des A-standes zu erwirken. Im Großherzogthume Hessen wurden im Jahre 1821 Statuten zu einem Vereine der Obergerichts-A. der Provinz Oberhessen entworfen; die Regierung versagte denselben aber die Bestätigung. Ein im J. 1832 von Neuem in Gießen gebildeter A-verein erfuhr dasselbe Schicksal. Auch in Kurhessen entstanden A-vereine, die ebenfalls Vorschläge zu Hebung des A-standes, nach dem Muster der französischen Gesetzgebung, an die Regierung brachten, aber auch hier blieb es bei diesem ersten Versuche. In Baden ging die Anregung wegen Erlasses einer A-ordnung u. Einrichtung von Disciplinarkammern zuerst von der Regierung aus. In einer Denkschrift wurden auch 1832 die Grundzüge für eine solche Reform der Regierung vorgelegt, u. mehrere Jahre später ähnliche Vorschläge wiederholt, wobei zuerst u. vereinzelt die Idee auftauchte, den A-en die Stellung eigentlicher Staatsdiener einzuräumen. Zu einem gesetzgeberischen Acte kam es indessen auch hier nicht. Am erfolgreichsten war noch die Thätigkeit des 1831 in Hannover zusammengetretenen A-vereins. Zwar wurden auch ihm von der Regiegierung Corporationsrechte versagt, indeß hatte die Thätigkeit der dortigen A-en Einfluß auf die in Hannover 1831 u. 1833 emanirten Gesetze über die Prüfung u. Anstellung der A-en u. über die zu berufenden Deputationen der A-en, durch welche für die Hebung des A-standes wesentlich gesorgt ward. In Preußen, wo früher die A-en (hier eine Zeit lang Assistenzräthe, dann Justizcommissarien, jetzt Rechtsanwälte genannt) vermöge der besondern Proceßformen minder günstig angesehen wurden, ist neuerdings seit 1847 durch eine im Ganzen der französischen nachgebildete Einrichtung denselben eine beschränkte Mitwirkung in Disciplinarsachen zugestanden worden. Auch in Baiern ward zu verschiedenen Malen 1827, 1834 u. 1837 theils auf Anregung der Regierung, theils auf Anträge einer zusammengetretenen Commission von A-en, theils auf Antrag der ständischen Kammern der Anlauf zu Errichtung einer A-ordnung genommen, der aber ohne Resultat blieb. Im Königr. Sachsen, wo schon früher Vereine unter A-en von wissenschaftlicher Tendenz bestanden hatten, bildete sich 1845 ein Landes-A-verein, der eine A-ordnung u. bes. auch ein Statut eines Vereins zur Unterstützung der Wittwen u. Waisen von A-en berieth. Dieser Pensionsverein ist bereits ins Leben getreten, u. an die Regierung u. die Kammern sind wegen Erlasses einer A-ordnung Anträge ergangen. Ähnliche Vereine mit gleich geringem Erfolge traten seit 1830 in Württemberg 1842, Weimar, Schleswig-Holstein 1842, Braunschweig, Altenburg etc. zusammen. Eine allgemeine deutsche A-versammlung war 1844 nach Mainz u. 1846 nach Hamburg ausgeschrieben, indeß wegen der Mißgunst der Regierungen dagegen unterblieb sie, u. als sie endlich 1847 wirklich in Hamburg tagte, blieb sie doch ohne Resultat. Einen neuen Aufschwung nahm die Thätigkeit der A-vereine in Folge der Ereignisse des Jahres 1848. Die überall geforderte Reorganisation des Proceßverfahrens nach den Grundlagen der Öffentlichkeit u. Mündlichkeit mit Anklageproceß, Staatsanwaltschaft u. Schwurgerichten war nicht durchzuführen, ohne daß sich die allgemeine Reform auch der Anwaltsverhältnisse bemächtigte[149] u. diese in Einklang mit den übrigen Einrichtungen brachte. Zuerst machten jetzt die A-vereine den Regierungen Vorschläge zu Umgestaltung des A-standes, bei denen im Allgemeinen die französischen Einrichtungen zum Muster genommen wurden, z.B. Vorschläge zur Verbesserung der Stellung des Anwaltstandes, Kassel 1848, u. Entwurf einer A-ordnung für das Herzogthum Braunschweig. Die von den verschiedensten Seiten, namentlich von den A-vereinen, zu Verbesserung der Stellung des A-standes gemachten Vorschläge lassen sich im Wesentlichen, unter folgende 2 Hauptgesichtspunkte fassen: Gewährung innerer u. äußerer Unabhängigkeit. In die Kategorie der inneren Unabhängigkeit der A-en sind folgende Forderungen zu rechnen: Unabhängigkeit der A-en gegenüber den Gerichten, die Einrichtung von Disciplinar- u. Anwaltkammern (durch welche man ein Judicium parium herstellen will, durch welches der A-stand aus sich selbst heraus seine Veredelung u. Vervollkommnung erstreben soll), die Betheiligung der A-en durch ihre Kammern bei Aufnahme neuer Mitglieder in den A-stand, sowie die Forderung einer unter Mitbetheiligung des A-standes vorzunehmenden Prüfung der Adspiranten für die Advocatur. In die Kategorie der äußeren Unabhängigkeit der A-en gehören: Feststellung od. Beschränkung der Zahl der A-en (die Gesetzgebung hat sich in den meisten Staaten, namentlich in Österreich, Preußen, Württemberg, Hannover, Braunschweig, Sachsen u. den Sächsischen Herzogthümern für die letztere Ansicht erklärt), Concurrenz der Anwälte bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Aufhebung der Taxen für A-en, mindestens Entziehung des den Gerichten zeither zugestandenen Moderationsrechtes u. Überweisung etwaiger Beschwerden an die Anwaltkammern, strengere Maßregeln gegen das Treiben der sogenannten deutschen A-en u. Winkelconsulenten, Bildung von Pensions-, Wittwen- u. Waisenkassen für Ä-en u. deren Hinterlassene. Vgl. Ramdohr, Über die Organisation des A-standes, Hannov. 1801; Kettenacker, Betrachtungen über die Mängel des A-standes, Freiburg 1811; Deutschlands Rechtspflege, wie sie ist u. sein sollte, Altenb. 1831; Gans, Von dem Amte der Fürsprecher vor Gericht, Hannov. 1820, Celle 1627; Schenck, Entwurf einer A-ordnung für das Großherzogthum Sachsen-Weimar-Eisenach, Weim. 1832; Beschorner, Die Reform des A-standes in Deutschland, Dresd. 1840; Blechschmidt, Ideen zur Verbesserung der Stellung des A-standes, Lpz. 1840; Alsberg, Vorschläge zur Verbesserung der Stellung des Anwaltstandes, Kassel 1848; Entwurf einer A-ordnung für das Herzogthum Braunschweig, Braunschw. 1849.
Buchempfehlung
Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.
56 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro