Hagel [1]

[842] Hagel (lat. Grando, Phys.), Eiskörper, welche von Gewittern begleitet vom Frühjahr bis Juli statt des Regens u. Schnees ungleich an Größe u. Menge vom Himmel herabfallen. Eine kenntlich verschiedene kleinere Species des H-s bilden die Graupeln, welche bes. im März u. April u. im späteren Frühjahr bis zum Juni fallen, aber auch im Winter dem Schnee, bes. zu Anfang u. Ende des Winters, aber auch in höheren Gegenden, beigemischt sind; der Regel nach vollkommen runde, nur selten durch einzelne Hervorragungen von der runden Gestalt abweichende Körner von der Größe eines Hirsekorns bis zu der einer Erbse (0,3–2,5 Linien). Die Graupeln sind allezeit undurchsichtig, mehr od. minder der Weiße des Schnees sich nähernd u. in den kleinsten Körpern sie erreichend; die größten dagegen nähern sich der Beschaffenheit des H-s, indem sie einen dünnen Überzug von Eis annehmen. Sie scheinen im Ganzen aus einer Menge kleiner Eisnadeln od. aus seinen Schneetheilchen zusammengefügt zu sein. Noch größere, indessen noch immer rundliche Graupeln heißen Schloßen (Hagelkörner); sie sind von 2,5–4 Linien im Durchmesser, Der eigentliche H. hat gewöhnlich eine birnförmige Gestalt mit einer Spitze nach oben u. einem Kugelsegment nach unten, besitzt die Größe einer kleinen Erbse bis zu der einer welschen Nuß u. hat das Charakteristische, daß sich in der Mitte ein den Graupeln ähnlicher Kern von 1–2 Linien Durchmesser, nach Außen aber durchsichtiges, in der Regel wenig blasiges, fast milchigscheinendes Eis als zusammenhängende Masse findet. Vollkommen rund werden die Hagelkörner selten gefunden; sie haben meistens hier u. da Hervorragungen, Eindrücke, zuweilen Blasen etc. Der eigentliche H. hat 1,5 bis höchstens 1,75 Pariser Zoll Durchmesser u. nur ausnahmsweise kommt größerer H. vor. Die älteren Physiker glaubten, die Hagelwolken beständen aus massivem Eise, welches zerbräche u. daher in so großer Menge herabstürzte. Beispiele besonderer Größe sind folgende: Musschenbroek sammelte in Utrecht 1736 Hagelkörner von der Größe eines Hühnereies; Croskschank erlebte in Nordamerika ein Gewitter, bei welchem Körner von 13–15 Zoll Umfang herabfielen, die aber aus kleineren zusammengebacken waren; Nöggerath fand 1822 bei Bonn [842] Körner von 12 Loth Gewicht; am 8. Mai 1602 soll in Ungarn bei Putzemischel ein Eisklumpen von 3 Fuß Länge, 3 Fuß Breite u. 2 Fuß Höhe, 11 Centner schwer, aus der Luft herabgestürzt sein, doch ist dies gewiß eine ebenso abenteuerliche Erzählung, wie die, daß in Mysore in Indien eine Hagelmasse von der Größe eines Elephanten gefallen sein soll. Zuweilen sind die Hagelkörner mit kleinen in Eisenoxydhydrat veränderten Eisenkieskrystallen als Kernen versetzt, z.B. fiel im August 1824 bei Sterlitamansk im russischen Gouvernement Orenburg, auch in der irländischen Grafschaft Majo im Juni 1821 ein H. mit Kernen von Eisenkieskrystallen. Die jährliche Zahl der Hagelwetter u. ihre Vertheilung im Jahr anlangend, so finden sich in Frankreich u. den Niederlanden jährlich 10–20, davon 33 Proc. im Winter, 40 im Frühling, 7 im Sommer, 20 im Herbst; in Deutschland jährlich 5, davon 10 Proc. im Winter, 47 im Frühling, 29 im Sommer, 13 im Herbst; in Ungarn u. Rußland jährlich 3, davon 10 Proc. im Winter, 35 im Frühling, 51 im Sommer, 13 im Herbst. Die Gewitter, welche H. mit sich führen, gehören zu den dicksten, schwärzesten u. am tiefsten herabgehenden; sie entstehen meistens nach vorausgegangenem heitern, bes. windstillen Wetter u. nach einer anhaltenden, drückenden, einen hohen Feuchtigkeitsgrad der Atmosphäre anzeigenden Wärme. Das Barometer fällt in der Regel vor dem Hagelwetter stark, zuweilen noch während desselben, fängt aber entweder bei od. gleich nach Beendigung des Hagelwetters an zu steigen, die Temperatur nimmt schon bei Beginn desselben ab u. sinkt zuweilen vom vorausgegangenen höchsten bis zum nachfolgenden tiefsten Thermometerstande um 25°. Beträchtlich nahe u. schwere Hagelwolken kündigen sich durch starke Verdunklung u. durch ein Brausen an, welches anfänglich einem entfernten Sturme in höheren Gegenden ähnlich ist, in größerer Nähe aber in ein ganz eigentliches Geprassel ausartet u. zuletzt eine unverkennbare Folge des Aneinanderschlagens der Hagelkörner ist. Die Hagelwolken bilden auch wohl einen, den Wasserhosen ähnelnden, traubenartigen Schlauch, welcher sich im Fortgange tiefer senkt u. zuletzt fast die Erdoberfläche berührt, ehe er sich seiner Bürde entledigt. Die vom H. getroffenen Strecken sind gewöhnlich schmal u. haben eine Breite von 100–300 Ellen, in seltenern Fällen eine von 1000–3000 Fuß; dagegen ist ihre Länge weit beträchlicher. 13. Juli 1788 wurden im südlichen Frankreich zwei parallele Zonen von 175 u. 200 Lieues Länge u. 4 u. 2 Lieues Breite getroffen, in dem mittlen Raume von 5 Lieues fiel nur starker Regen; durch Vergleichung der Zeit fand sich eine Geschwindigkeit von 161 Lieues in der Stunde. In manchen Jahren walten, wie die Gewitter, deren Begleiter die Hagelwetter fast immer sind (doch kommen, obwohl höchst selten, Hagelwetter auch im Winter vor), auch die Hagelwetter mehr vor u. sie kommen dann, wie diese, von derselben Himmelsgegend, jedoch mit dem Unterschiede, daß die nämlichen Orte wohl nie mehrmals in einem Jahre vom H. verheert werden; im Allgemeinen sind dann die wärmsten u. fruchtbarsten Jahre auch die gefährlichsten durch Hagelschäden. In Ebenen, welche in großer Nähe sehr hoher Berge liegen, sind die Hagelschauer weit häufiger als in andern Gegenden, u. in diesen häufig betroffenen Gegenden bleiben wieder manche Striche fast ganz von ihnen verschont; am wenigsten finden sie in den Ebenen der heißen Zone Statt, u. Humboldt erwähnt daß ein H. am Orinoco in der Mitte des vorigen Jahrhunderts das einzige ihm bekannte Beispiel davon sei; häufiger hagelt es in den höheren Theilen der heißen Zone, z.B. in Caracas (2800 Fuß über dem Meeresspiegel) etwa alle vier Jahre einmal. Die dem H. häufiger unterworfenen Erdzonen fangen nördlich etwa mit dem 30 Breitengrade an u. erstrecken sich bis zum 60. Die Hagelschauer sind an keine bestimmte Tageszeit gebunden, jedoch kommen sie häufiger Nachmittags als Vormittags, selten bei Nacht vor. Die mittlere Geschwindigkeit dieser Wetter rechnet man zu ungefähr 10 geogr. Meilen in einer Stunde. Die Menge des H-s, welcher über eine ganze Strecke herabfällt, ist sehr groß, wenn gleich nicht füglich genau meßbar. 6 Zoll können wohl als Maximum der Höhe angenommen werden, welche H. bedeckt. 1792 rissen die von einer flachen Anhöhe herabstürzenden, aus H. u. Wasser bestehenden Fluthen einen vierspännigen Wagen mit Flachs beladen mit sich fort.

Über die Hagelbildung sind verschiedene Hypothesen, namentlich von Volta, L. von Buch, Muncke u. Kämtz, aufgestellt worden; am wahrscheinlichsten ist die der beiden Letztgenannten, nach welcher die mit Wasserdampf gesättigten Luftschichten in die Höhe steigen, wegen der schlechten Leitungsfähigkeit der Luft aber nicht eher bedeutend abgekühlt werden, als bis durch einen Windstoß benachbarte kältere Luft plötzlich eindringt u. einen Niederschlag bewirkt; durch ähnliche partielle Luftströme werden die Schneeflöckchen hin u. her getrieben u. zusammengeballt; halten sie sich nun nicht mehr in ihrem stabilen Gleichgewicht, so stürzen sie in die tieferen feuchten Regionen herab u. an ihre Oberfläche schlägt sich in jedem Moment neuer Dampf nieder u. vergrößert ihr Volumen. Hagelwasser bildet, chemisch untersucht, mit salpetersaurem Silber einen purpurnen Niederschlag, enthält aber durchaus keine organischen Bestandtheile; die Sonnenstrahlen bilden in ihm grüne Wasserfäden, im Dunkeln legt es sich in den Wasserflaschen an u. trübt sie; es ist rein destillirtes Wasser u. daher unverdorben, zum Waschen etc. sehr gut. Um ganze Strecken od. einzelne Felder vor Hagelschaden zu sichern, hat man sogenannte Hagelableiter angewendet, welche darauf berechnet waren, durch Entziehung der Elektricität ihre Kraft zu äußern, indem man annahm, daß die Elektricität eine Ursache der Hagelbildung sei. Die neueren Untersuchungen haben aber gelehrt, daß diese Berechnung trog, denn die Vorrichtungen zu Hagelableitern entsprechen den davon gehegten Erwartungen keineswegs, u. die von 420 Hagelstangen geschützte Flur bei Mailand wurde 1824 dennoch verhagelt. Die Hagelableiter, welche zuerst von Guenaut de Montbeillard 1770 vorgeschlagen wurden, bestanden aus einer großen Menge von Blitzableitern, die an den Grenzen u. in der Mitte der zu schützenden Strecken angebracht wurden; od. aus an jedem Ende eines Ackers aufzurichtenden zwei eisernen Stagen an Pfählen mit Pech überzogen, wovon die eine 3, die andere 20 Fuß hoch gemacht werden sollte, damit jene den von der Erde aufsteigenden Dünsten, diese den Wolken die Elektricität entziehen möchten; od. endlich in Blitzableitern von Strohseilen mit hölzerner Spitze u. aus Strohseilen[843] mit eingeflochtener leinener Schnur u. messingener Spitze. Anfänglich glaubten Viele fest an die vortheilhafte Wirkung solcher Schutzmittel, obschon von fast allen Physikern dagegen gekämpft wurde. Das Läuten von Glocken, Abfeuern von Kanonen etc. hat man ebenfalls als Schutzmittel gegen Hagelwetter in Anwendung bringen wollen, allein ebenfalls nutzlos.

Gegen den Hagelschaden, der oft für Einzelne sehr beträchtlich ist, hat man Hagelassecuranzen d. b. Vereine, wo die Mitglieder sich gegenseitige Gewährleistung des durch Hagelschlag an Feldfrüchten erlittenen Verlustes zusichern (gegenseitige Hagelassecuranzen) eingerichtet. Die jährlichen Beiträge richten sich nach den größeren od. geringeren Schäden der Interessenten; od. einige Capitalisten übernehmen gegen festgesetzte Prämien die Gefahr der Versicherung (Actiengesellschaften). Die erste Hagelassecuranz wurde 1797 in Neustrelitz errichtet; 1811 trat ein Verein in Anhalt. Köthen ins Leben, der sich jedoch 1823 wieder auflöste; in demselben Jahre ging auch das in Halberstadt 1820 begründete Unternehmen ein. 1822 wurde die Berliner Hagelassecuranzgesellschaft gestiftet; sie war das erste derartige Unternehmen, welches auf Actien gegründet wurde u. feste Prämien bestimmte, u. hatte guten Fortgang; da jedoch dem Directorium von der höchsten Behörde nicht erlaubt wurde, die zeitherigen Prämiensätze nach den gemachten Erfahrungen abzuändern, so löste sich die Gesellschaft 1829 auf. 1831 constituirte sich ein neuer Verein. Die Leipziger Gesellschaft zu gegenseitiger Hagelschädenvergütung besteht seit 1823; 1829 wurde die Hagelschädenversicherungsgesellschaft für Deutschland zu Döllstedt u. Gotha errichtet. Die gegenwärtig bestehenden Hagelassecuranzen sind folgende: a) Actiengesellschaften: Neisse-Berliner Hagelassecuranzgesellschaft, Actiencapital 1 Mill. Thlr.; Kölnsche Hagelversicherungsgesellschaft in Köln, Actiencapital 2 Mill. Thlr.; Hagelversicherungsgesellschaft in Magdeburg, Actiencapital 3 Mill. Thlr.; Neue Baierische Hagelversicherungsgesellschaft in München, Actiencapital 1 Mill. Gulden; Union, Allgemeine deutsche Hagelversicherungsgesellschaft in Weimar, Actiencapital 21/2 Mill. Thlr.; Erste österreichische Versicherungsgesellschaft in Wien, Actiencapital 3 Mill. Gulden. b) Prämiengesellschaften: Gegenseitige Hagelversicherungsgesellschaft in Altenburg; Saxonia in Bautzen; Hagelversicherungsverein für Siebenbürgen in Klausenburg; Köln-Münster Hagelversicherungsverein Germania in Berlin; Hagelassecuranzgesellschast in Detmold; Hagelversicherungsgesellschaft in Erfurt; Gesellschaft zu gegenseitiger Hagelschädenvergütung in Leipzig; Ungarische Hagelversicherungsgesellschaft in Pesth; Hagelversicherungsgesellschaft in Schwedt; Württembergische Hagelversicherungsgesellschaft in Stuttgart; Azienda assicuratrice in Triest. c) Gesellschaften, welche den Bedarf in Nachzahlung erheben: Hagelversicherungsgesellschaft in Brandenburg; Hagelschädenassecuranzsocietät in Greifswald; Hagelversicherungsverein zu Grevensmühlen in Mecklenburg; Hagelversicherungsgesellschaft in Hannover; Hagelassecuranzgesellschaft in Kiel; Hagelversicherungsverein in München; Mecklenburger Hagelversicherungsverein in Neubrandenburg; Bauernhagelversicherungsgesellschaft in Pyritz.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 842-844.
Lizenz:
Faksimiles:
842 | 843 | 844
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Phantasus / Dafnis

Phantasus / Dafnis

Der lyrische Zyklus um den Sohn des Schlafes und seine Verwandlungskünste, die dem Menschen die Träume geben, ist eine Allegorie auf das Schaffen des Dichters.

178 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon