Ernährung der Pflanzen

[59] Ernährung der Pflanzen. Unter den Elementarstoffen, die durch chemische Analyse in der Pflanzensubstanz nachgewiesen werden können, treten in allen Fällen Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Kalium, Calcium, Magnesium, Eisen, Phosphor und Schwefel auf. Sie werden deshalb als die wesentlichen Elemente des Pflanzenkörpers bezeichnet und müssen notwendigerweise bei dem Ernährungsvorgang in irgend einer Form von dem Pflanzenkörper aufgenommen werden, wenn er normale Entwickelung finden soll; fehlt eins der Elemente in der Umgebung der wachsenden Pflanze, so treten in dem Entwickelungsgange tiefgreifende Störungen ein, die zuletzt den Tod herbeiführen. Andre Elemente, wie Chlor, Natrium, Silicium, Lithium, Zink, Aluminium, Brom, Jod, Fluor, Mangan, Kupfer, die mehr gelegentlich in Pflanzenaschen gefunden werden, sind im allgemeinen für die Ernährung unwesentlich, und ihr Fehlen bei der Ernährung der wachsenden Pflanzen ruft keine tödlichen Störungen hervor.

Durch zahlreiche Versuche wurde bewiesen, daß der Kohlenstoff aus der Atmosphäre, Sauerstoff und Wasserstoff als Wasser und die übrigen wesentlichen Elemente als Phosphorsäure-, Schwefelsäure- und Salpetersäuresalze des Kaliums, Calciums, Magnesiums und Eisens aus dem Nährboden aufgenommen werden. Eine Ausnahme von diesem allgemeinen Satze findet nur bei gewissen Pflanzen bezüglich des Stickstoffes statt (s. unten). Ihren Gesamtbedarf an Kohlenstoff entnimmt die grüne Pflanze der atmosphärischen Luft, die nur ca. 1/20 Volumprozent Kohlensäure enthält; letztere wird dabei unter Abspaltung eines gleichen Volumens Sauerstoff zersetzt, während der Kohlenstoff in Form einer noch unbekannten Verbindung von der Pflanze aufgenommen, d. h. assimiliert wird. Die Assimilation (s.d.) ist immer an das Vorhandensein von Chlorophyll und an die Gegenwart genügend intensiven Lichtes geknüpft; chlorophyllfreie oder im Dunkeln wachsende Pflanzen vermögen die Kohlensäure nicht zu zersetzen. Die Zersetzung der Kohlensäure innerhalb der Chlorophyllkörner erfolgt im gelben Licht in stärkerm Maß als im roten und grünen, noch schwächer durch die blauen, violetten und ultravioletten Strahlen des Spektrums. Als erstes sichtbares Produkt der Assimilation tritt das Stärkemehl (Amylum) innerhalb der Chlorophyllkörner auf; enthält die einer Pflanze dargebotene Atmosphäre keine Kohlensäure, so unterbleibt die Bildung des Amylums ebenso wie unter Lichtabschluß, bei einem Kohlensäuregehalt von 5–10 Proz. findet dagegen unter intensiver Beleuchtung ein Maximum von Kohlensäurezersetzung und Stärkebildung statt. Die quantitative Ausgiebigkeit dieses Prozesses erhellt daraus, daß 1 qm Blattfläche in 10 Tagesstunden 4–8 g Stärkemehl zu produzieren vermag.

Da das Stärkemehl das einzige sichtbare Assimilationsprodukt ist, so müssen auch sämtliche organischen Baustoffe der Pflanze, nämlich alle Kohlehydrate, Fette und Eiweißstoffe, zu der zuerst gebildeten Stärke in genetischer Beziehung stehen. Für die Kohlehydrate (Zellulose, die Zuckerarten, Inulin etc.) hat diese Annahme bei der nahen chemischen Verwandtschaft derselben untereinander keine Schwierigkeit. Daß auch die Fette in Kohlehydrate übergehen können, geht aus dem Verhalten fettreicher Samen bei der Keimung hervor, bei der auf Kosten des aufgespeicherten Fettes direkt Zucker und Stärkemehl gebildet werden. Die Eiweißstoffe, die den Hauptbestandteil des pflanzlichen Protoplasmas bilden, enthalten außer den Elementen eines Kohlehydrats noch Stickstoff (ca. 15 Proz.) und Schwefel (ca. 1 Proz.); bei ihrer Bildung müssen notwendigerweise in der Pflanze noch unbekannte stickstoff- und schwefelhaltige Radikale mit Kohlehydratmolekülen zusammentreten. Da nun das Asparagin, eine im Pflanzenreich sehr verbreitete Amidosäure, direkt aus den Eiweißstoffen keimender Samen entsteht und sich in letztere bei Beginn der Assimilation unter Verbrauch von Kohlehydraten wieder umzusetzen vermag, so vermutet man in dem Asparagin diejenige Substanz, aus der unter Aufnahme von Schwefel Eiweißsubstanz erzeugt wird. Jedenfalls entstehen in der Keimpflanze die zu ihrem Aufbau notwendigen Eiweißstoffe aus Amiden. Der Stoffwechsel der Pflanzen besteht demnach darin, daß sie aus den Elementen der Kohlensäure und des Wassers zunächst Kohlehydrate und Fette einerseits, unter Aufnahme von Stickstoff und Schwefel in noch unbekannter Verbindungsform Eiweißsubstanz anderseits produzieren und den Stätten, wo Wachstum und Neubildung von Teilen stattfindet (den Sproß- und Wurzelspitzen und den Kambien), zuleiten. Nicht direkt bei dem Aufbau der Pflanzenorgane beteiligte Verbindungen, wie Gerbsäure, die Gummiarten, die Pflanzenalkaloide, Oxalsäure und andre Pflanzensäuren, ätherische Öle, Harze etc., werden in irgend welcher Form, oft in besondern Gewebebehältern dauernd ausgeschieden. Der Überschuß von produzierten Baustoffen wird bei ausdauernden Pflanzen in besondern Reservestoffbehältern, d. h. in Rhizomen, Knollen, Zwiebeln, im Endosperm und in den Keimblättern der Samen, bei Holzpflanzen auch im Parenchym der Rinde und des Holzes, niedergelegt, um erst nach einer bestimmten Zeit der Vegetationsruhe Verwendung zu finden. Als Reservestoffe treten vor allen Protoplasma und überhaupt Eiweißsubstanzen,[59] letztere auch in Form von Kristalloiden und Aleuronkörnern, auf, ferner Stärkemehl meist in großkörniger Form (Reservestärke), Zuckerarten, darunter besonders Glykose, z. B. in den Zwiebeln der Allium-Arten, Rohrzucker z. B. in der Runkelrübe, Inulin in den Knollen von Dahlia, Helianthus tuberosus u. a., bisweilen Zellulose, wie im Endosperm des Dattelkerns und von Phytelephas, endlich Fette in den Samen der Kruziferen, Palmen, Kukurbitazeen, Euphorbiazeen u. a. Während diese Stoffe in den Reservemagazinen sich in ruhendem, passivem Zustand befinden, treten Verbindungen eigentümlicher Art, die sogen. Fermente, auf, sobald mit beginnendem Neuwachstum die plastischen Baustoffe aktiv und zur Ernährung wachsender Pflanzenzellen geeignet gemacht werden sollen. Das Eigentümliche der Fermentwirkung besteht z. T. darin, daß durch ein nur in sehr kleiner Quantität auftretendes Agens große Mengen eines andern Stoffes zur Umsetzung gebracht werden. So tritt bei der Keimung der Gerste und andrer Gräser die Diastase auf, die große Mengen von Stärkemehl in wasserlösliche Zuckerarten verwandelt. Ähnliche (diastatische) Fermente verwandeln den Rohrzucker in Dextrose und Levulose, das Inulin in Dextrose etc. Die peptonisierenden Fermente führen dagegen unlösliche Eiweißsubstanz in lösliche Form (Peptone) über und wurden im Pflanzenreich als Sekret der Insektenfressenden Pflanzen (s.d.), bei der Keimung der Samen von Vicia, Hanf, Lein und Gerste, im Plasma von Myxomyzeten sowie im Milchsaft von Carica Papaya und Ficus Carica nachgewiesen. Bei der Reaktivierung von Reserveeiweiß in keimenden Samen und austreibenden Sprossen tritt häufig als Spaltungsprodukt wiederum Asparagin auf, aus dem die Pflanze an den Verbrauchsstellen unter Zutritt von Kohlehydraten Eiweiß regeneriert. Bei der Umwandlung der Eiweißstoffe in Amide bei Keimpflanzen wird der Schwefel in Schwefelsäure übergeführt.

Alle plastischen Stoffe haben auf ihrem Weg von den Entstehungsorten nach den Reservebehältern sowie von diesen nach den Verbrauchsstätten die zwischenliegenden Gewebe zu durchwandern und müssen zu diesem Zweck oft weite Strecken, z. B. in einem Baum. von den Blättern bis zu den Wurzelspitzen viele Meter zurücklegen. Daz. B. das feste Stärkemehl unmöglich die Zellwände durchdringen kann, so muß dasselbe bei dem Übertritt von einer Zelle zur andern in ein lösliches Kohlehydrat verwandelt und dann mit Hilfe der Stärkebildner, besonderer, meist in Körnchenform auftretender Bestandteile des Zellplasmas, in jeder Zelle von neuem in feinkörniger Form (transitorische Stärke) ausgeschieden werden. Die Wege, in denen die Stärke wandert, sind in den Blättern die Parenchymscheiden (Stärkescheiden) der Gefäßbündel, im Holz die Holzparenchymzellen und das Markstrahlengewebe. Die schleimigen Eiweißstoffe wandern in den Siebteilen der Gefäßbündel entlang, während die Leitung von Wasser von den Holzzellen und Gefäßen besorgt wird, die von der Wurzel durch den Stamm bis zu den äußersten Spitzen der Zweige und Blätter ein ununterbrochenes System bilden. Die Fortleitung findet im Holzstamm nur in dem jungen Splintholz statt, während in dem Kernholz die Leitungsbahnen durch anatomische Veränderungen unwegsam werden. Die ganz allgemeine Ursache der Stoffbewegung im Innern der Pflanze bildet die Diosmose, die in Wechselströmungen von Flüssigkeiten ungleicher Konzentration durch eine Scheidewand (im Pflanzenkörper durch die mit einem Plasmaschlauch ausgekleidete Zellwand) besteht; infolge diosmotischer Vorgänge tritt auch das Wasser z. B. aus den Gefäßen in das umgebende Parenchym, von diesem in darüberliegende andre Parenchymzellen und aus diesen unter Umständen auch wieder in Gefäßröhren ein. Zur Erleichterung dieses Verkehrs sind letztere mit besonders konstruierten verdünnten Stellen, den sogen. Tüpfeln (s. Leitungsgewebe), versehen. Die Strömung des Wassers und der in ihm gelösten Nährsalze von der Wurzel bis zu den obersten Sproßgipfeln wird stets durch die Verdunstung (Transpiration) in den assimilierenden Blattflächen hervorgerufen. Durch die Transpiration in den Blättern wird zunächst eine Saugung hervorgerufen, infolge deren die unmittelbar benachbarten Wassersäulchen in die Höhe gehoben werden und die Luft innerhalb der Gefäßröhren eine geringere Spannkraft annimmt als die der Atmosphäre. Von diesem negativen Druck der Binnenluft überzeugt man sich leicht, wenn man einen unverletzten, im Boden wachsenden Pflanzenstengel unter Quecksilber abschneidet, wobei das letztere sogleich bis zu 50–60 cm in die Gefäße eindringt. Rückwärts von den Blättern setzt sich die Saugkraft bis zu den Wurzeln fort, deren in das Bodenwasser eintauchender Zellapparat letzteres aufnimmt und mit einer bestimmten Kraft (Wurzeldruck) in die Gefäßröhren einpreßt. Das Aufsteigen des Wassers innerhalb der Pflanze läßt sich somit nicht mit einer kontinuierlichen Strömung, son dern mit einer Art von Kletterbewegung von Zelle zu Zelle vergleichen.

Die Aufnahme des Wassers und der in ihm enthaltenen Nährstoffe aus dem Boden findet durch die Wurzelhaare statt, die zwischen die mit einer dünnen Wasserhülle umzogenen Bodenpartikelchen eindringen und z. T. mit denselben verwachsen. Da die Bodenteilchen durch Molekularattraktion Nährsalze, wie Kaliumverbindungen, Phosphate, Ammoniaksalze, mit großer Kraft festhalten, so wird durch die erwähnte Verwachsung den Wurzelhaaren die Aufnahme der Nährstoffe wesentlich erleichtert, zumal sie ein saures Sekret absondern, das unter anderm kohlensauren und phosphorsauren Kalk in merklicher Weise auflöst. Die Größe des von der Wurzel ausgeübten Wurzeldruckes kann dadurch gemessen werden, daß man auf einen dicht über der Wurzel gemachten Stammquerschnitt eine weite, mit Wasser gefüllte, oben geschlossene, aber seitlich mit einem dünnen Steigrohr versehene Glasröhre wasserdicht aussetzt. Das Wasser wird dann bei Sommerpflanzen mit einer Kraft hervorgetrieben, die einer Quecksilbersäule des Steigrohrs von 20–30 cm, bei der Weinrebe sogar von 100 cm das Gleichgewicht hält. Durch den Wurzeldruck wird das bekannte, schon von Hales studierte Bluten der Pflanzen hervorgebracht, eine Erscheinung, die eine gewisse Periodizität einhält, in der Regel vormittags zwischen 8–11 Uhr ein Maximum zeigt und wochenlang andauern kann. Sie erklärt sich am einfachsten durch die Annahme einer starken Turgeszenz innerhalb der als endosmotischer Apparat wirkenden Wurzelhaarzelle, deren Protoplasma schlauch dem von außen eindringenden Wasser einen viel stärkern Filtrationswiderstand entgegensetzt, als solcher bei dem di osmotischen Austausch von Zelle zu Zelle oder vom Parenchym zu einem benachbarten Gefäßrohr stattfindet; da der Zellturgor einen Druck von mehr als 1 Atmosphäre zu erreichen vermag, so kann Wasser auf diese Weise über 10 m hoch getrieben werden. Über die Aufnahme des Stickstoffe[60] haben sich die Anschauungen der Pflanzenphysiologen in neuerer Zeit wesentlich geändert, indem die frühere Ansicht, daß der Stickstoff durch chlorophyllhaltige Pflanzen nur in Form von Nitrat oder Ammoniaksalz aufgenommen werden könne, sich als unhaltbar herausgestellt hat (s. Stickstoffaufnahme der Pflanzen). Es kann vielmehr unter Umständen sowohl der ungebundene Stickstoff der Luft, z. B. von gewissen Leguminosen (s. Wurzelknöllchen), als auch Stickstoff neben Kohlenstoff in Form organischer Verbindungen, den sogen. Humusstoffen, direkt oder unter Mithilfe von Organismen (s. Mykorrhiza) aufgenommen werden.

Als letzte allgemeine Bedingung für die Ernährung der Pflanze tritt das Vorhandensein von freiem Sauerstoff in ihrer Umgebung hervor, da alle ihre Lebensvorgänge, wie Wachstum, Protoplasmaströmnug, Reizbarkeit u. a., sistiert werden, sobald die Sauerstoffzufuhr längere Zeit hindurch abgeschnitten wird. Die beständig und sowohl bei Beleuchtung als im Dunkeln stattfindende Wechselwirkung zwischen den organischen Verbindungen des Pflanzenkörpers und dem Sauerstoff der Luft wird als Atmung (s. Atmung der Pflanzen) bezeichnet; die Pflanze oxydiert dabei einen Teil ihrer eignen Körpersubstanz zu Kohlensäure und Wasser und verzehrt deshalb in einem abgeschlossenen Raum den Sauerstoff, um dafür Kohlensäure auszuscheiden. Da dieser Prozeß der im Licht erfolgenden Kohlensäurezersetzung (Assimilation) entgegengesetzt ist, so wird er bei intensiver Beleuchtung durch letztern verdeckt; er ist daher am leichtesten an nicht assimilierenden Keimpflanzen, an chlorophyllfreien Gewächsen oder auch an grünen Pflanzen im Dunkeln nachzuweisen. Über die durchaus abweichende Ernährung der Pilze, Flechten, Schmarotzergewächse, Humuspflanzen und der insektenfressenden Pflanzens. die besondern Artikel. Vgl. Sachs, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie (2. Aufl., Leipz. 1887); Detmer, Lehrbuch der Pflanzenphysiologie (Bresl. 1883); Derselbe, Das pflanzenphysiologische Praktikum (2. Aufl., Jena 1895); Hansen, Die E. (Leipz. 1885, populär); Frank, Grundzüge der Pflanzenphysiologie (Berl. 1890); Pfeffer, Pflanzenphysiologie, Bd. 1 (2. Aufl., Leipz. 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 59-61.
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