Impfung [1]

[778] Impfung, die künstliche Übertragung eines Krankheits- oder Ansteckungsstoffes auf eine von der Oberhaut befreite Stelle, durch einen Stich, einen seinen Schnitt, eine Exkoriation auf ein bisher gesundes Individuum. Durch I. können verschiedene Ansteckungsstoffe und demnach auch verschiedene Krankheiten, zufällig oder absichtlich, übertragen werden, z. B. die Syphilis. Man bedient sich der I. in der Medizin, um durch Übertragung von Krankheiten auf Tiere die Diagnose zu sichern (z. B. bei Tuberkulose, Pest, Hundswut). Im engern Sinne bedeutet I. die absichtliche Übertragung eines schwach wirkenden Krankheitsstoffes, um dadurch für ein stärkeres Krankheitsgift verwandter Art Schutz zu erzielen. Diese I. heißt auch prophylaktische oder Schutzimpfung (s. d. und Immunität). In der Regel denkt man bei dem Wort I. an die künstliche Übertragung des Kuhpockengifts auf den Menschen (Vakzination) in der Absicht, ihn dadurch gegen den Ansteckungsstoff der Menschenpocken unempfänglich zu machen. Die Kuhpocken (vaccina, variola vaccina) sind ein pustulöser Ausschlag am Euter der Kühe, der in Form der wahren und der falschen Kuhpocken (s. Mauke) auftritt, jedoch nur in der erstern Form eine Schutzkraft gewährt. – Es war eine längst bekannte Tatsache, daß die künstlich hervorgebrachten Menschenpocken (Variolisation) gewöhnlich milder verliefen als die auf dem gewöhnlichen Wege der Ansteckung unabsichtlich entstandenen Pocken. Die Inder kannten diese Tatsache schon früh, und auch in China, Arabien, Georgien, Persien und andern Ländern ward die Einimpfung der Menschenblattern auf verschiedene Art ausgeübt. Zu Anfang des 18. Jahrh. wendete sich in Europa die Aufmerksamkeit der Laien und Ärzte bestimmter der I. der Menschenpocken zu. Lady Montague, deren Gemahl Gesandter in Konstantinopel war, ward in Griechenland darauf aufmerksam, ließ 1717 ihren Sohn impfen und wußte nach ihrer Rückkehr nach England dieser Schutzmaßregel allgemeinen Eingang zu verschaffen. Indessen traten viele Gegner dieser prophylaktischen Methode auf, und sie kam im Laufe des Jahrhunderts so ziemlich in Vergessenheit. Der Amtmann Jobst Böse wies in den »Allgemeinen Unterhaltungen vom Jahre 1769« (Göttingen, 39. Stück vom 24. Mai 1769, S. 305) bereits die Schutzkraft der Kuhpocken nach; ferner impfte 1791 der Schullehrer Plett zu Hasselburg in Holstein drei Kinder mit günstigem Erfolg (»Schleswig-Holsteinische Provinzialberichte«, 1815, S. 77), ohne seine Entdeckung weiter zu verfolgen. Ihm war bekannt, daß die Milchmädchen, die von kranken Kühen her an den Händen die Kuhpocken gehabt hatten, stets von den Pocken verschont blieben. Dagegen benutzte Edw. Jenner (s. d.), Arzt zu Berkeley in Gloucestershire, die bisherigen Erfahrungen zu zahlreichen und fortgesetzten Versuchen, die zur Feststellung der Tatsache von der Schutzkraft der Kuhpocken gegen die Menschenpocken führten. 1799 ward in London eine öffentliche Impfanstalt errichtet, in der noch in demselben[778] Jahre 6000 Menschen geimpft wurden. 1799 impften de Carro in Wien, Junker in Halle, Ballhorn und Stromeyer in Hannover, bald danach Heim, Hufeland u. a. In Frankreich verbreitete Aubert, in Italien Sacco die I.; 1800 schickte de Carro Lymphe nach Konstantinopel, von wo sie nach dem Orient gelangte. Nach Amerika sandte Jenner selbst die erste Kuhpockenlymphe.

Seitdem hat sich die Schutzpockenimpfung immer mehr als eine der segensreichsten Wohltaten für das ganze Menschengeschlecht erwiesen. Die Schrecken immer wiederholter Pockenseuchen, die früher die Völker dezimierten, sind seit der Ausbreitung der I. aus den Kulturstaaten Europas verschwunden. In Preußen starben 1796 über 24,000 Menschen, in Frankreich ca. 30,000 Menschen jährlich an Pocken; in England verursachten die Pocken ein Zehntel der Gesamtsterblichkeit. Weit zahlreicher war natürlich die Zahl der durch Pocken dauernd Verstümmelten, Erblindeten, Ertaubten. Während im Kriege 1870/71 die französische Armee und durch sie die französische Bevölkerung von den Pocken mehr als dezimiert wurden (kamen doch in den wenigen Monaten der Einschließung von Paris daselbst über 23,000 Pockenerkrankungen vor), erkrankten von den 800,000 Deutschen, die in Frankreich waren, nur 269, und darunter waren zum größten Teil Bayern, bei denen bis dahin die I. nicht so streng durchgeführt worden war. Allerdings bewies auch die durch die französischen Gefangenen 1870/71 in Deutschland erzeugte Epidemie, daß die Schutzpockenimpfung nur nützen kann, wenn sie eine allgemeine ist, und wenn sie an jedermann in entsprechenden Zeitabschnitten wiederholt wird.

Die nach der I. eintretende Unempfänglichkeit gegen die Pocken dauert nämlich durchschnittlich nur zehn Jahre, oft kürzere, oft auch viel längere Zeit. Es wird daher nach Abl auf von zehn Jahren eine Wiederholung der I. (Revakzination) notwendig. Wenn bei früher Geimpften nach Ablauf langer Zeit der Impfschutz stark abgeschwächt ist, erkranken sie zwar manchmal an Pocken, aber die Schutzwirkung der frühern I. macht sich doch noch durch einen sehr milden Verlauf in Form der Varioloiden (s. Pocken) geltend. Ein absoluter und dauernder Schutz gegen Pockenerkrankung wird also durch die I. nicht erzielt. Einzelne, seltene und mild verlaufende Pockenfälle bei Geimpften sprechen nicht gegen die Wirksamkeit der I.

Die zahlreichen Impfgegner, die sich nicht in den Reihen wissenschaftlich gebildeter Ärzte, sondern in Laienkreisen, vorwiegend unter den sogen. Naturheilkundigen, Homöopathen, in den Reihen des politischen und religiösen Radikalismus etc. finden, gründen ihre Gegnerschaft nicht nur auf diese angeblichen Mißerfolge der I., sondern, abgesehen von ganz unsinnigen Einwendungen mancher Fanatiker, auf die Möglichkeit, daß mit der Lymphe verschiedenartige Krankheiten übertragen werden können. Die Möglichkeit einer derartigen Übertragung (Syphilis, Tuberkulose) muß zugegeben werden bei der I. mit sogen. humanisierter, d. h. auf menschlicher Haut entstandener Lymphe. Eine solche wandte man früher allgemein an, doch läßt sich auch hierbei jede Gefahr ausschließen, wenn nur völlig gesunde Kinder zum Abimpfen ausgesucht werden. Gegenwärtig wird jede Gefahr dadurch umgangen, daß fast ausschließlich animale Lymphe verwendet wird, d. h. solche, die durch Generationen von Kalb zu Kalb fortgezüchtet wurde. Infolge der Unempfänglichkeit des Kalbes für Syphilis fällt die Gefahr syphilitischer Ansteckung weg.

Übertragung der Tuberkulose wird dadurch verhütet, daß die Kälber vor der Lymphgewinnung in den Lymphgewinnungsanstalten genau beobachtet und nach der Abnahme der Lymphe geschlachtet und tierärztlich begutachtet werden. Zur Gewinnung der animalen Lymphe dient teilweise die Retrovakzination, bei der die Lymphe von gesunden Kindern auf Kälber übertragen wird, teilweise die Fortzüchtung von zufällig auf der Kuh gefundenen Kuhpocken. Animale Lymphe wurde zuerst nachdrücklich empfohlen von Negri und seinen Vorgängern in Neapel (1840). Seine Methode wurde 1864 in Holland aufgenommen und vervollkommt; in Belgien wurde 1868 das erste Institut zur Gewinnung animaler Lymphe eröffnet. Warlomont in Belgien, Lanoix und Layes in Frankreich, Pissin, Voigt, Fischer, L. Pfeiffer, Fürst in Deutschland machten sich um ihre weitere Einführung sehr verdient. In deutschen Lymphgewinnungsanstalten werden die zur Verwendung kommenden Tiere an der Bauchhaut und Schenkelinnenfläche sorgfältig rasiert und gereinigt, dann wird die Lymphe auf zahlreiche, dicht gestellte Hautschnitte oder Stiche aufgetragen. Die Pocken reisen in 3–4 mal 24 Stunden. Die mit Pocken bestandenen Hautflächen werden im ganzen mit der unterliegenden infizierten Hautschicht abgekratzt, der gewonnene Brei mit einer Glyzerinwassermischung verrieben und die Flüssigkeit in Glasröhrchen abgefüllt. Man gewinnt so bis 15,000 Impfportionen von einem Kalb. Worin die Wirksamkeit der Lymphe beruht, kann nicht ganz bestimmt gesagt werden, da die Erreger der Menschenpocken so wenig wie die der Kuhpocken sicher festgestellt sind. Jedenfalls ist es die Übertragung eines belebten Ansteckungsstoffes, der die Immunität sowohl gegen die Kuhpocken als gegen die naheverwandten Menschenpocken zur Folge hat. Ob dieser Erreger das von Pfeiffer (Weimar) gefundene und als Cytoryctes variolae bezeichnete Protozoon ist, bleibe dahingestellt (s. Pocken).

Von den Impfgegnern wird auch behauptet, daß durch die I. der kindliche Organismus geschwächt und der Erkrankung an Masern, Scharlach, Diphtherie, Tuberkulose mehr ausgesetzt sei. Tatsächlich bleiben jetzt mehr Kinder, weil von den Pocken verschont, am Leben und der Erkrankungsgefahr ausgesetzt. Auch die aufsehenerregende Behauptung (Carnot, 1849), daß durch eine naturwidrige Verschiebung der Absterbeordnung gerade das produktive Lebensalter mehr als früher bedroht und dadurch schwere volkswirtschaftliche Nachteile herbeigeführt würden. beruht auf oberflächlicher Verwertung der Statistik. Jene Verschiebung ist nämlich für alle Altersklassen nachweisbar, d. h. das Tempo der natürlichen Absterbeordnung ist allmählich ein langsameres geworden.

Die häufigste und nicht vollkommen vermeidbare Komplikation der I. ist der Impfrotlauf (Impferysipel) infolge zufälliger Verunreinigung der Lymphe oder der Wunde mit Kokken (s. Rose). Früher etwas häufiger, ist er jetzt immerhin recht selten geworden, um so seltener, je reinlicher bei der Lymphgewinnung verfahren wird, auch der Glyzerinzusatz zur Lymphe gibt eine gewisse Sicherheit dagegen. Völlige Bakterienfreiheit der Lymphe ist bei der Art der Gewinnung leider ausgeschlossen, so wünschenswert sie wäre. Versuche, dies durch Filtration und andre Maßnahmen zu erzielen, verbieten sich, da hierdurch die Lymphe unwirksam wird. Übrigens werden die fast stets harmlosen Bakterien der Lymphe durch den Glyzeringehalt in 4–6 Wochen sehr stark vermindert,[779] ohne Beeinträchtigung der Wirksamkeit. Die Versuche, sogen. keimfreie Lymphe herzustellen, haben daher wenig Bedeutung und sind im großen schwer durchführbar. Ganz keimfreie Lymphe kann man oft am sechsten Tag aus den Impfpusteln der Kinder gewinnen; bei festgestellter Gesundheit des Kindes kann solche für Privatimpfungen als die beste gelten.

Bei der I. sollen die Kinder reinlich und mit reiner Wäsche erscheinen. Reinigung und Desinfektion der Impfstelle ist entbehrlich. Die Instrumente (Impflanzetten) sollen aseptisch, d. h. ausgekocht oder ausgeglüht (bei den sehr praktischen Platiniridiumlanzetten) sein. Am Oberarm des Impflings oder bei Mädchen, bei denen man die Impfnarben am Oberarm vermeiden will, am Oberschenkel wird die Haut mit einer Lanzette geritzt oder schräg eingestochen, so daß höchstens ein Tröpfchen Blut hervorquillt, und in diese kleine Wunde die Lymphe mittels derselben Lanzette hineingewischt und verstrichen. Es werden mindestens vier je 1 cm lange, 2 cm voneinander entfernte Schnittchen gemacht. Am 3. Tag erscheint an der Impfstelle ein roter Fleck, der am 4. zunimmt, an dem man auch ein kleines Knötchen fühlt; am 5. erhebt sich dies, wird pustelförmig und mit einem schmalen, roten Hof umgeben. Gleichzeitig tritt manchmal eine geringe Temperatursteigerung ein. Am 6. Tage bekommt die Pustel eine Delle, füllt sich mit klarer Flüssigkeit, der Hof tritt mehr hervor; am 7. nehmen die Erscheinungen zu, am 8. ist die Pustel völlig ausgebildet, 4–8 mm im Durchmesser stark, mit heller Lymphe gefüllt, der Entzündungsrand ziemlich ausgebreitet; am 9. dehnt er sich noch weiter aus, wird röter, die Lymphe wird dicklich eiterig. Am 10. ist die Delle verschwunden, die Pustel in völliger Eiterung, die Röte weiter um die Pustel verbreitet, dabei Fieber vorhanden. Vom 12. Tag an fängt die Pustet an abzutrocknen, und der Entzündungsrand verschwindet. Hat die entstandene Pustel nicht alle Zeichen der echten Kuhpocke, so trage der Arzt Sorge für die später anzustellende Wiederimpfung (Revakzination). Eine unentwickelte, rudimentäre Kuhpocke, eine sogen. Vakzinelle, wird entstehen oder auch die I. ganz erfolglos bleiben, wenn man sich eines unwirksamen Impfstoffes bediente, bei der I. selbst Fehler beging, oder wenn das geimpfte Individuum gegen das Kuhpockenkontagium unempfänglich ist. Der Impfstoff trägt die Schuld des Mißlingens der I., wenn man ihn einer Vakzinelle entnahm, oder wenn man eine echte Pocke zu früh oder zu spät öffnete.

Der Gebrauch von Impfschutzkapseln, die Wundinfektion und Kratzen an den Pusteln verhüten sollen und aus uhrglasförmigen Kapseln aus Zelluloid mit Heftpflasterrand bestehen, wird von den meisten Ärzten verworfen, da sie den natürlichen Heilungsverlauf eher beeinträchtigen als befördern. Nützlich ist es dagegen, die Impfstelle mittels reiner Watte vor Druck und Reibung zu schützen, bei starker Rötung und heftigem Juckreiz sind kühle Bleiwasserumschläge angebracht.

Bei der großen Bedeutung der I. für das Volkswohl mußte das Impfwesen gesetzlich geregelt werden. Es ist Recht und Pflicht des Staates, auf geeignete Maßregeln zur Bekämpfung von Volksseuchen bedacht zu sein. Die meisten Kulturstaaten haben daher die gesetzliche Zwangsimpfung eingeführt, da auf andre Weise eine wirksame Immunisierung der Gesamtbevölkerung nicht ermöglicht werden kann. Bayern schuf schon 1807 ein mustergültiges Gesetz, ihm folgten bald andre deutsche Staaten, Preußen und Österreich regelten 1816, bez. 1801 ihr Impfwesen durch weniger zweckmäßige Gesetze. Für das Deutsche Reich wurde 8. April 1874 ein Impfgesetz erlassen. Dieses unter heftiger Gegenwehr der Impfgegner zustande gekommene Gesetz beruht auf dem Prinzip der allgemeinen unentgeltlichen zwangsweisen I und ebensolcher Wiederimpfung, die nur durch praktische, approbierte Ärzte oder (für die unentgeltliche 1) durch die landesgesetzlich aus den praktischen Ärzten ausgewählten besonders bestellten Impfärzte vorgenommen werden darf. Um das Vorhandensein tüchtiger Impfärzte zu gewährleisten, muß nach dem Erlaß des Reichskanzlers vom 24. April 1887 jeder Student der Medizin, der sich zur Ablegung der Staatsprüfung meldet, durch ein nach der Ablegung der Vorprüfung erworbenes Zeugnis nachweisen, daß er am praktischen Unterricht in der Impftechnik teilgenommen und die zur Ausübung der I. erforderlichen technischen Fertigkeiten erworben hat. Nimmt eine nicht approbierte Person eine I. vor, so wird sie mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Hast bis zu 14 Tagen bestraft (§ 16 des Reichsimpfgesetzes). – Für genügende Lymphe haben die Landesregierungen durch Errichtung der nötigen Zahl von Impfinstituten (staatliche Anstalten in Berlin, München, Hamburg, Leipzig, Weimar etc.) zu sorgen, welche die Lymphe unentgeltlich an die Impfärzte abgeben, die ihrerseits wieder verpflichtet sind, soweit ihr Vorrat reicht, den praktischen Ärzten Lymphe zu verabfolgen. Über die I. und Wiederimpfung werden kostenlos stempelfreie Bescheinigungen ausgestellt. – Die landesgesetzlichen Bestimmungen über Zwangsimpfung bei Ausbruch von Pockenepidemien bleiben neben dem Reichsimpfgesetz in Kraft (§ 18 des letztern). Im allgemeinen ist die erste I. jedes Kindes vor Ablauf des auf sein Geburtsjahr folgenden Kalenderjahres, sobald es nicht nach ärztlichem Zeugnis die natürlichen Blattern überstanden hat, die Revakzination innerhalb des Jahres, in dem das 12. Lebensjahr zurückgelegt wird, vorzunehmen (weil man in diesem Alter durch Vermittelung des Schulbesuchs einen Überblick über sämtliche Impfpflichtige hat, weshalb auch die Schulvorsteher bei der Aufnahme von Schülern sich über die schon oder noch nicht vorgenommene Revakzination zu überzeugen haben). Ist eine I. nach dem Urteil des Arztes erfolglos geblieben, so muß sie spätestens im nächsten Jahr und, falls sie auch dann erfolglos bleibt, im dritten Jahre wiederholt werden. Weiterhin wird in der deutschen Armee jeder neu eingestellte Soldat der Revakzination unterworfen. In England wurde durch politische Verhältnisse die Einführung der Zwangsimpfung bis 1857 verzögert, und durch das Gesetz vom 12. Aug. 1898 wurde sie so gut wie aufgehoben, da nun die von Eltern oder Vormündern vor der Behörde abgegebene Erklärung, daß die I. gegen ihr Gewissen verstoße, von der I. befreit. Das Auftreten von mehreren Pockenepidemien in London folgte dieser Maßregel. Ein gutes Impfgesetz hat Ungarn, weit weniger vollkommen ist die I. in Österreich, Frankreich, Belgien, Spanien, Rußland geregelt. Schweden erfreut sich schon seit 1810 einer sehr guten Impfgesetzgebung, deren sehr günstige Wirkung in weitreichenden genauen Statistiken zutage treten. Die Wiederimpfung beim Eintritt in die Armee wurde in zahlreichen deutschen Staaten schon früh (Württemberg 1833, Preußen 1834, Sachsen 1868, Hessen 1869) zwangsweise eingeführt. Dank dem Impfzwang nahm die Pockensterblichkeit in den betreffenden [780] Ländern sehr stark ab. Es starben in Preußen vor Einführung des Reichsimpfgesetzes jährlich von 100,000 Einwohnern 7,32–62 an Pocken, nach dessen Einführung 1875–86 von 100,000 Einwohnern nur 0,21–3,62, im Deutschen Reich von 100,000 Einwohnern 1886–95 nur 0,23,1898 nur 15 Personen ( = 0,03 auf 100,000 Einwohner). Letzterer Zahl stehen folgende Ziffern aus dem Auslande gegenüber: für Österreich 3,64, für die Schweiz 0,76, für Belgien 2,57, für Frankreich 0,66, für England 0,12, für die Niederlande 0,14. Über I. der Tiere s. Schutzimpfung. Vgl. Kußmaul, Zwanzig Briefe über Menschenpocken- und Kuhpockenimpfung (Freiburg 1870); Bohn, Handbuch der Vaccination (Leipz. 1875); Bollinger, Über animale Vaccination (das. 1879); Lotz, Pocken und Vaccination (2. Aufl., Basel 1880); Warlomont, Traité de la vaccine et de la vaccination humaine et animale (Par. 1883); Wernher, Zur Impffrage, Resultate der Vaccination und Revaccination (Mainz 1883); L. Pfeiffer, Die Vaccination, ihre Grundlagen und ihre Technik (Tübing. 1884) und Die Schutzpockenimpfung (das. 1888); M. Schulz, I., Impfgeschäft und Impftechnik (3. Aufl., Berl. 1892); Peiper, Die Schutzpockenimpfung und ihre Ausführung (3. Aufl., Wien 1901); Blaß, Die I. und ihre Technik (2. Aufl., Leipz. 1901); Kübler, Geschichte der Pocken und der I. (Berl. 1901); Bornträger, Das Buch vom Impfen (Leipz. 1901); »Blattern und Schutzpackenimpfung«, bearbeitet im kaiserlichen Gesundheitsamt (Berl. 1896); Migula, Der Keimgehalt und die Widerstandsfähigkeit der Bakterien der animalen Lymphe (Karlsr. 1897); Ausgaben des Reichsimpfgesetzes von Jacobi (Berl. 1875) und Rapmund (das. 1889 u. Leipz. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 778-781.
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