Kind [1]

[485] Kind (Infants), der Mensch in der Lebensperiode seiner allmäligen Entwicklung bis zur Geschlechtsreife (Kindheit). Erste Periode der Kindheit: Zeichen einer vollkommenen Kindesreife, d.i. eines zu Ende des neunten od. zu Anfang des zehnten Schwangerschaftsmonates geborenen. Kindes, sind: ein Körpergewicht von 6–7 Pfund; eine Körperlänge von 18–20 Zoll: Querdurchmesser des Kopfes 31/4-31/2 Zoll, langer Durchmesser 41/4-41/2 Zoll; Diagonaldurchmesser 5 Zoll,. Die Körperstärke ist verschieden; die Brust ist gewölbt, die Glieder voll, stark u. ebenmäßig; die Kopfhaare ziemlich lang, Augenbrauen u. Wimpern haben sich gebildet, die Wollhaare meist verloren, u. wo sie sich noch finden, sind sie kurz u. glanzlos; die Nägel an Fingern u. Zehen sind fest u. ragen etwas hervor; die Haut ist nur mäßig roch; die Ränder der Kopfknochen liegen nah an einander, die Ecken der Knochen, welche die kleinen Fontanelle bilden, haben sich ganz an einander gelegt, die größte Fontanelle ist nur noch etwas über 1 Zoll breit u. durch vier Winkel ausgezeichnet; die Kopfknochen lassen sich nur noch etwas über einander schieben; das Gesicht bat nicht mehr das runzliche Ansehen, wie beim unreifen Kinde; die Stimme ist laut; bei Knaben ist der Hodensack gerunzelt, die Hoden sind (gewöhnlich) in ihn herabgetreten. Als erster Beistand, welcher dem neugeborenen Kinde zu leisten ist, wird dasselbe von der Nachgeburt, mit der es noch durch den Nabelstrang zusammenhängt, mittelst der Durchschneidung befreit (die Reste des Nabelstranges am Kindeskörper lösen sich dann von selbst am Nabel etwa den dritten od. vierten Tag nach der Geburt ab). Dann wird das K. in milchwarmem Wasser gebadet (um es von dem Kindesschleim od. dem käseartigen Hautüberzug zu befreien), in Windeln geschlagen od. sonst leicht bekleidet od. umhüllt, ohne jedoch dabei einen Körpertheil durch zu festes Anliegen (beim sogenannten Deckeln) zu beengen od. zu drücken, u. es dann, in mäßiger Temperatur, auf welcher Unterläge u. mäßig überdeckt, der Ruhe u. dem Schlaf überlassen. Das Nahrungsbedürfniß regt sich nach 6–12 Stunden. Dagegen leert das Kind, dessen After früher verschlossen war, od. erst während der Geburt sich öffnet, das Kindespech (Meconium), zähen, schwarzgrünen Unrath aus, welcher sich scholl vor der Geburt in den Därmen absondert u. daselbst ansammelt, obgleich die erste mütterliche Milch (Colostrum), wegen noch mottenartiger Beschaffenheit in den ersten beiden Tagen des Kindbettes, dem Abgang desselben förderlich ist; auch Harn in den ersten Lebensstunden. Nur nach u. nach, von Ablauf der Sechswochen des Kindbettes an (während welcher Zeit das K. als Wochenkind bezeichnet wird), u. bes. gegen das Ende der angemessenen Säugungsperiode, welche mit dem Durchbruch der ersten Zähne (Milchzähne) zusammenfallt, wird das K. auch an andere u. etwas festere Stoffe als Milch gewöhnt, um das Entwöhnen vorzubereiten. In der Säuglingsperiode müssen zu starke Körpererschütterung (z.B. durch zu heftiges Wiegen), Drücken, Reiben etc. vermieden, bes. aber die Augen vor dem Lichtreiz bewahrt werden, indem letzter zur Augenschwäche, selbst zur Blindheit führen kann. Dagegen ist auch selbst ein lärmendes Geräusch in der Nähe des Kindes ohne nachtheilige Einwirkung auf die Ruhe desselben, da das Gehörorgan erst während dieser Periode seine völlige Ausbildung erlangt. Nächst der Aufmerksamkeit auf Licht u. Farben, welche sich am frühesten zeigt, u. dem Gehörsinn zeigt sich auch der Tastsinn, bes. im freien Gebrauch der Glieder, namentlich der Hände, indem das K. mit den Händen äußere Dinge sich anzueignen strebt, wogegen es allen Störende von sich zu entfernen u. ihm sich entziehen sucht. Sodann benutzt es alle der Willkür unterworfene Muskeln, namentlich der Füße, anfänglich durch Anstemmen u. Aufrichten des Körpers, zunächst im Sitzen, allmälig auch im Stehen, dann auch im Fortbewegen desselben, wenn auch nur noch im Kriechen, zu selbständigem Handeln. Die Hauptveränderung, die körperlich in dem Inneren der Neugeborenen vorgeht, so wie es aus dem Embryonenzustande tritt, ist die, daß das Blut der ganzen Masse nach seinen Weg durch die Lungen nimmt, womit die Lebensthätigkeit des Athmens, als die erste Grundbedingung der Lebensunterhaltung, in notwendiger Verbindung steht; das ovale Loch des Herzens u. der Botallische Gang sind in den ersten Wochen immer noch offen, verengen sich aber immer mehr u. schließen sich endlich ganz. Die Lungen sind noch klein u. nur wenig aufgelockert; der Herzschlag ist noch schnell, wie beim Fieberzustande eines Erwachsenen, u., wie das Athemholen, leicht gestört; daher (durch Steckfluß) die häufigen schnellen Sterbefälle von Wochenkindern Die Leber, als Hauptorgan der Ernährungsthätigkeit, hat noch eine bedeutende Größe u. Verbreitung; der Darmkanal dagegen ist eng. Die Nebennieren sind größer als die Nieren selbst u. letztere im Verhältniß sehr groß, eben so die Harnblase, welche ganz über dem kleinen Becken liegt u. oben in den Urachs übergeht. Die Brusthöhle ist, im Bezug auf die Bauchhöhle, noch klein u. oberwärts größtentheils mit der Brustdrüse ausgefüllt. Das Gehirn ist im Verhältniß zum Körper sehr groß, dabei aber sehr weich u. blutreich, die harte Hirnhaut fest, stark u. schwer vom Schädelknochen zu trennen, die selbst aber noch bedeutend zurück sind. Das Stirnbein ist in zwei Hälften[485] getheilt u. ohne Spur von Stirnhöhlen; das Hinterhauptsbein, die Schläfebeine u. die tieferen Schädelbeine bestehen jedes aus mehreren Stücken; die Scheitelbeine sind in der Mitte sehr erhaben u. schließen nicht unter sich u. mit den benachbarten Knochen zusammen (vgl. Fontanellen); auch die Gesichtsknochen, bes. die Kiefer, sind noch sehr unausgebildet; die Milchzähne, so wie die vier Backenzähne liegen als gallertartige Keime in den Zahnzellen. Alle übrigen Körperknochen bestehen größtentheils noch aus Knorpeln u. einzelnen Stücken Am Skelett haben die Körperknochen ein auffallend geringes Verhältniß zum Kopf; bes. ist das Becken in seiner Ausbildung zurück u. eben so die Geschlechtstheile. Alle Muskeln sind weich, empfindlich, geröthet u. schlaff.

Die zweite Periode des Kindeslebens beginnt mit dem ersten Zahnausbruch u. nach dem Entwöhnen, von etwa dem siebenten Monat an. Durch denselben gelangt das K. zu der vollkommenen Ausbildung des Darmkanals u. der Verdauungsorgane überhaupt, zugleich auch durch fortgesetzte Übung in dem Gebrauch seiner Füße allmälig zum Gehen, während seine Hände, als Tastorgan, sich immer mehr ausbilden u. seine Zunge die Fähigkeit zu reden erlangt, zugleich zeigt sich die beginnende Entwickelung des Verstandes; aber erst dann, wenn die Kinder in der Sprache allmälig auch abstracte Begriffe auszudrücken u. ihre Begriffe in Sätzen zu verbinden lernen, erlangt der Verstand so viel Stärke, daß die im Gedächtniß aufgefaßten Vorstellungen auch für das spätere Leben erhalten bleiben, u. daß Kinder sich wirkliche Lebenskenntnisse zu erwerben fähig werden; daher Erwachsene auch nicht leicht über das vierte Lebensjahr Erinnerungen haben. Immer aber behält noch die Einbildungskraft u. der selbständige Thätigkeitstrieb das Übergewicht über den erwachenden Verstand. Beide leiten das K. zum Spiel, als zu seiner eigentlichen Lebensschule. Da das Vernunftvermögen in dieser Periode nur erst im Aufkeimen u. noch unentwickelt ist, mithin auch kein sittliches Gebot die Handlungen des Kindes bestimmt, so ist sein Leben jetzt noch ein Stand der Unschuld, u. es erregt dadurch das Wohlgefallen u. die Liebe Erwachsener Aber gleichwohl bedarf dieses in der Kindernatur vorwaltende egoistische Princip der Beschränkung u. Mäßigung, um Kinder zum Leben mit Erwachsenen vorzubereiten. Dies geschieht nur durch die Kinderzucht, wo die Aufgabe ist, den Egoismus (Eigensinn) der Kinder zu beschränken u. zu leiten, doch so daß diese Hemmung der möglichst freien Entfaltung der körperlichen u. geistigen Kräfte des Kindes nicht entgegen ist. Meist werden nur wenige schmerzhafte, in der Erinnerung zurückbleibende Erfahrungen des Kindes, daß sein Eigenwille einem fremden verständigeren Willen untergeordnet sei, zureichen, um es zum Gehorsam hinzuleiten, u. vernünftige Consequenz in der Leitung der Handlungen des Kindes, im Gestatten u. Untersagen u. dadurch Gewöhnen zu dem, was zu seinem eigenen Heil gereicht, u. vor allem gutes Beispiel der Erzieher u. anderer Kinder, mit denen es aufwächst, die Erziehung in dieser Periode vollenden, ohne dem Kinderleben in seiner freien Entwickelung Eintrag zu thun. Dieser Typus ist in der menschlichen Natur so tief begründet, daß er auch, nach Erwachen der Vernunft in späteren Lebensaltern, als Kindlichkeit in Bezug auf Personen, die im Leben höher gestellt sind, für Tugend gilt. Es ist aber auch diese Periode die eigentliche Zeit des Lernens u. als solche auch durch den Trieb, der bes. als Neugier hervortritt, angedeutet, aber doch nur des Lernens od. des Erwerbes von solchen Kenntnissen, die innerhalb der nächsten Umgebungen des Kindes liegen u. die durchaus nur Sinnesgegenstände sind. So wie der Geist zu einer verständigeren Besonnenheit gelangt, haben auch gewöhnlich die Schädelknochen durch Verwachsung sich vollständig geschlossen. Schon vom dritten Lebensjahre an hat das Gehirn, u. also auch der Hirnschädel, fast ganz u. im siebenten Jahre völlig die Größe erlangt, welche es das ganze Leben über behält. Auch in den übrigen Körperknochen verbinden sich mehrere Stücke, welche vorher getrennt waren; überhaupt erlangen Knochen u. Muskeln den Grad der Festigkeit, dessen der Körper zu den Bewegungen bedarf. Bei den Außengliedern herrscht jetzt durchaus Beweglichkeit, wenn auch mit Unbehülflichkeit verbunden, vor, daher die Leichtigkeit von Fallen u. körperlichen Verletzungen in diesen Jahren, die jedoch bei der Weichheit der Theile u. der geringen Körpergröße nur selten gefährlich sind.

Die dritte Periode des Kindeslebens tritt mit dem Wechsel der ersten Zähne, also etwa vom siebenten (auch um deswillen als erstes Stufenjahr bezeichneten) Lebensjahre ein. Die ganze geistige u. körperliche Entwickelung schreitet vorwärts, die Scheidung des Geschlechtes u. der Verfolg von Lebensbestimmungen, die zunächst aus der Geschlechtsverschiedenheit hervorgehen, wird schon merklich Kinder männlichen Geschlechts fassen als Knaben immer vorwaltender ein höheres Interesse für Gegenstände, die zunächst in Lebenskreisen von Männern in späterem Alter; Mädchen dagegen für solche, welche Frauen näher liegen od. auf ihre Bestimmung Bezug haben. Vorrückend in diesem Alter zeigen Knaben u. Mädchen einerseits eine Scheu u. Abneigung gegen einander, häufig aber auch eine, indeß nur auf Einzelne sich richtende Zuneigung, die wohl auch zu einer schuldlosen, gewöhnlich schnell vorübergehenden Liebelei wird. Die zunehmende Verstandesbildung führt nun aber zur Entwickelung der Vernunft, u. dies um so rascher, je mehr der Jugendunterricht, als Vorbereitung zum ernsten Leben, zu dessen Benutzung das K. nunmehr gereist ist, derselben Förderung leistete. Der nothwendige Zwang, in welchen das K. aber nun hierdurch geräth, verleitet dasselbe einerseits zu einer Rückwirkung, um seine Selbständigkeit zu behaupten, welche bes. bei Knaben, zu Folge ihrer Geschlechtsentwickelung, schärfer hervortritt u. eine Übergangsperiode in der Erziehung zur Folge hat, in der sie sich gewöhnlich mißfällig darstellen (Flegeljahre); hieraus entwickelt sich auch der in diesem Alter der Kinder, bes. bei Knaben, so eigene Muthwille u. Vorwitz, auch zeigt sich oft, bes. in den späteren Jahren dieser Periode, ein Mißbehagen mit sich u. seinem Streben, eine Abweichung von der bestimmten, oft selbst gewählten Lebensbahn. Um so größeres Bedürfniß ist daher eine aufmerkende, ernste Zucht. Mit der Vernunftentwickelung tritt in diesem Alter aber zugleich, als der mächtigste Hebel ihrer eigenen Förderung u. des sittlichen Lebens, der Ehrtrieb hervor, bei den Knaben mehr als Nacheiferungstrieb, Bestreben sich auszuzeichnen u. bemerklich zu machen, bei Mädchen meyr als Scham, als Scheu etwas Unziemliches zu begehen. Der Körper erlangt dabei die Größe u. [486] Stärke, in der er immer mehr fremder Hülfe für das Leben entrathen kann. Noch sind die Knochen in allen ihren Theilen nicht völlig verwachsen; aber sie besitzen doch bereits auch zu kräftigeren Lebensthätigkeiten zureichende Festigkeit, Mit dem anhebenden Zahnwechsel im siebenten Jahre sind auch, die bleibenden vier mittleren Backzähne zum Vorschein gekommen, u. der Zahnwechsel nimmt in dieser Zeit seinen Fortgang. Wie die Knochen, erlangen nun auch die Muskeln höhere Ausbildung u. werden zu Körperfertigkeiten geschickt. Bes. richtet sich aber die Natur auf die Ausbildung der geschlechtlichen Theile, u. mit dem gleichzeitig erwachenden Geschlechtstrieb erfolgt der Übergang des Kindesalters in die letzte Periode, in das Jugendalter; s. Jugend.

Nach Römischem Rechte dauert das Kindesalter bis zum vollendeten siebenten Jahre, in diesem Alter ist jede Zurechnung zur Strafe ausgeschlossen. Über das mit diesem Alter nicht abgeschlossene Verhältniß der Kinder zu den Eltern s.u. Eltern. In bildlichen Sinne nennt man K. Gottes die vernünftigen Geschöpfe als seine Creaturen, vgl. Kindschaft Gottes. K. des Lichts, so v.w. Erleuchtete, s. Erleuchtung 1); im Gegensatz aber auch als K. der Menschen, K. der Welt, K. der Finsterniß, K. der Hölle etc., so v.w. Gottlose. In der Bibel sind Kinder des Propheten, so v.w. Schüler des Propheten; auch nennt man auf Schiffen K., (Schiffskinder) die Matrosen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 485-487.
Lizenz:
Faksimiles:
485 | 486 | 487
Kategorien:

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon