[644] Reformation (die) wird vorzugsweise die im 16. Jahrh. versuchte und zum Theil bewirkte Verbesserung der christlichen Kirche genannt, welche durch Misbrauch der päpstlichen Herrschaft und eine Menge den Glauben und das Leben der Kirche verunstaltender Irrthümer und Gebräuche nothwendig und schon durch eine Reihe von Begebenheiten eingeleitet und vorbereitet worden war. Die mit so glücklichem Erfolge erstrebte Herrschaft der Päpste, welche im Mittelalter zwar als eine geistig vermittelnde Macht auch wohlthätig auf das Leben der Völker gewirkt hatte, war auf ihrem Höhenpunkte in eine geistliche und weltliche Tyrannei ausgeartet, die den Staaten ebenso gefährlich als dem Christenthum verderblich wurde. Unter ihrem Einflusse hatte sich namentlich ein Kirchenthum gebildet, das jede freie Regung des christlichen Geistes durch zwingende Glaubensformeln erstickte, das eine äußere Wortheiligkeit zum Preise der christlichen Tugend machte, das endlich in seinem Schoose vielfach Unwissenheit, Unsittlichkeit und rohen Aberglauben nährte. Dieses Verderbniß der Kirche erzeugte schon vom 11. Jahrh. an allerhand Sekten, die entweder aus Unkenntniß der wahren Quelle des Christenthums auf noch größere Abwege geriethen, als die Kirche selbst, oder die, wo dieselben von der h. Schrift ausgingen, wie die Albi genser und Waldenser (s.d.), wirklich eine verbessernde Umgestaltung des christlichen Glaubens und Lebens zum Ziele hatten, aber immer von der Kirche, da sich dieselbe als die alleinige, untrügliche Glaubensgesetzgebung betrachtete, ausgestoßen wurden. Was auf gleiche Weise Wiclef und Huß (s.d.) im 14. und 15. Jahrh. für die Verbesserung der Lehren und Anstalten der Kirche wirkten, das führte diese zwar endlich selbst zu dem Entschlusse einer Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern auf den Concilien zu Kostnitz 1414–18 und Basel 1431–43; aber der päpstlichen Hierarchie war es damit kein Ernst und ihrem Streben nach einer immer einflußreichern Machtvergrößerung wäre darin ein unübersteigliches Hinderniß entgegengestellt worden. Die Masse der durch übermäßigen Reichthum verderbten Geistlichkeit und das Heer zuchtloser Mönche war natürlich ebenso wenig zu einem solchen Unternehmen gestimmt. Erst nachdem der Stand der Gelehrten zu einer die Interessen des geistigen Lebens vertretenden Macht sich herausgebildet und auch dem Volke ein kräftiger, religiöser Sinn sich mitgetheilt hatte, erst dann konnte die Reformation festern Fuß fassen und im Kampfe mit der übermächtigen Hierarchie sich behaupten. Und dazu wirkten vornehmlich seit der Mitte des 15. Jahrh. die Wiederbelebung der Wissenschaften in Folge der Einwanderungen gelehrter Griechen und die Erfindung der Buchdruckerkunst. Führte auch der Enthusiasmus für die Werke der Griechen und Römer noch nicht geradezu zur Quelle des christlichen Glaubens und Lebens hin, so diente er doch zur Aufhellung des Zeitalters, das weniger an Unglauben als an Unwissenheit und Aberglauben litt; die geistige Bildung wuchs in den höhern Ständen mit der Vermehrung der Universitäten, deren allein in Deutschland von 1451–1502 sieben entstanden und die Mitwirkung der Presse für religiöse Volksbildung spricht sich darin aus, daß vor der Reformation die h. Schrift schon in 14 Ausgaben der hochdeutschen Übersetzung gedruckt worden ist. Dadurch war in dem Volke das Verlangen nach der reinen Lehre des Christenthums lebendig geworden, Männer wie Reuchlin und Erasmus (s.d.) hatten den Eifer der Gelehrten auf das Studium der h. Schrift hingelenkt und selbst schonungslos die Unwissenheit und Sittenlosigkeit der Geistlichen und Mönche aufgedeckt; Mystiker, wie Tauler und Thomas a Kempis, hatten, wenn auch nicht ungetrübt, eine Fülle des christlichen Lebens ausgeströmt, und überall lag der Zündstoff verbreitet und angehäuft, den die Flamme der Reformation ergreifen sollte. Daß dieselbe zuerst in Deutschland aufloderte und ein aus dem Orden der Augustiner hervorgegangener Universitätslehrer an ihre Spitze trat, mag leicht durch die größere Entfernung von Rom erklärt werden, die entweder hier für den Verfall des geistigen Lebens nicht in dem Maße verderblich geworden war, oder doch wenigstens die Unterdrückung eines freiern Aufschwunges desselben schwerer machte, und vor andern Mönchsorden mußte ja vorzugsweise bei den Augustinern die Aufmerksamkeit auf die dem Christenthum so tief verwandten Schriften des h. Augustinus (s.d.) hingewandt sein. Hatte doch auch Italien in Savonarola (s.d.) einen würdigen Reformator gefunden, doch war sein Werk in Roms unmittelbarer Nähe schnell untergegangen.
Die Reihe der wichtigen Begebenheiten, welche die Reformation ausmachen, eröffnet ein scheinbar geringfügiger Streit über den Ablaß (s.d.), mit dem der Dominikaner und Ablaßkrämer Tezel als Bevollmächtigter des geistlichen Kurfürsten Albrecht von Mainz, der für einen Theil von Deutschland den Ablaß vom Papste gepachtet hatte, einen schmählichen Handel trieb. Gegen diesen erklärte sich Martin Luther (s.d.) zuerst in 95 Sätzen, die er am 31. Oct. 1517 an die Schloßkirche zu Wittenberg schlug, als gegen einen den sittlichen Ernst des Christenthums tief verletzenden Misbrauch auf das nachdrücklichste, und um das Ansehen des Papstes und der Kirche bekümmert, indem er den Ablaß in seiner ursprünglichen Bedeutung wol gelten ließ, aber [644] zu gleich nach der Lehre der Schrift den Glauben als die Bedingung zur Seligkeit hervorhob. Wie gerecht auch diese Foderung war, suchten gleichwol Tezel und diesem gleichgesinnte Ordensgenossen, wie Konrad Wimpina, Doctor der Theologie zu Frankfurt an der Oder, Sylvester Prierias, ein hoher Hausbeamter des Papstes, der Ketzermeister Hochstraten zu Köln, und zuletzt Eck, Professor zu Ingolstadt, Luthern zu verketzern. Dieser aber, im Bewußtsein seiner gerechten Sache und durch den allgemeinen Beifall, den seine Meinung bei dem Volke fand, ermuthigt, antwortete kühn und gewaltig und der Streit diente nur dazu, die Aufmerksamkeit, auf Luther zu lenken und in diesem die Überzeugung von der ewig seligmachenden Kraft des Glaubens und von dem Vorzuge der h. Schrift vor der bestehenden Kirchenlehre noch mehr zu befestigen. So war Luther zu neuen Kämpfen gerüstet und das gesammte Deutschland sah in Bewegung und Spannung dem Ausgange seiner Sache entgegen, als man in Rom noch immer geneigt war, dieselbe für ein bloßes Mönchsgezänk zu halten. Endlich erfolgte, wahrscheinlich um Luther zu schrecken, seine Vorladung nach Rom (7. Aug. 1518), wogegen ihm aber der sächs. Kurfürst Friedrich der Weise Verhör in Augsburg vor dem Cardinallegaten Cajetan (Thomas de Vio von Gaeta) auswirkte. Dieser suchte, ohne auf den Standpunkt Luther's einzugehen, den bloßen Widerruf desselben zu vermitteln; aber Luther drang auf freie und unparteiische Untersuchung seiner Sache und foderte Widerlegung aus der h. Schrift. Erzürnt über die Hartnäckigkeit Luther's, brach der Cardinal die Verhandlung ab und Luther selbst flüchtete insgeheim aus der Stadt nach Wittenberg, nachdem er zuvor von dem »übelunterrichteten an den besser zu unterrichtenden Papst« appellirt und die Entscheidung seiner Sache einem allgemeinen Concil vorbehalten hatte. Nun unterhandelte Rom aufs Neue durch den sächs. Edelmann, Karl von Miltitz, des Papstes Kämmerling, mit Luther zu Altenburg im Jan. 1519 und dieser erbot sich zu schweigen und den ganzen Handel ruhen zu lassen, wenn andererseits auch seiner Widerpart das Schweigen auferlegt würde. Zugleich schrieb er voll Demuth und Ehrerbietung an den Papst Leo X., daß er nie daran gedacht habe, die Vorrechte der röm. Kirche anzutasten. Unterdeß hatte der streitlustige Eck, dem es nur darum zu thun war, seinen Ruhm in der Streitkunst durch neue Siege zu verherrlichen, Luther zu der Disputation in Leipzig herausgefodert, die vom 27. Jun. bis 16. Jul. 1519 unter den Augen des Herzogs Georg von Beiden gehalten ward und in welcher Karlstadt Luthern als treuer Mitkämpfer zur Seite stand. Beide Parteien legten sich den Sieg bei, in der That aber war derselbe, auch nach Luther's Meinung, mehr auf Seiten Eck's, da dieser nicht weniger auf die h. Schrift sich berief und zugleich das Ansehen der Concilien und der gesammten Kirchenlehre für sich hatte. Während aber der üble Ausgang der leipziger Disputation nur in der nächsten Umgebung wirkte, regte dagegen in der weitern der hochmüthige Triumph Eck's und seiner Freunde von Neuem Alles auf und überall nahm man wieder für Luther Partei und betrachtete ihn als den Vorfechter gegen röm. Anmaßung. Ulrich von Hutten, Erasmus (s.d.), alle Humanisten sprachen und schrieben für Luther. Hundert fränkische Ritter, an ihrer Spitze Franz von Sickingen und Sylvester von Schaumburg, boten ihm zum Schutz ihre Burgen an. Luther aber schrieb zu Anfang des nächsten Jahres 1520 an den Kaiser und begleitete dieses Schreiben mit einer Protestation dagegen, daß man ihn ungerecht verdamme. Allein die verlorene Hoffnung auf Gerechtigkeit steigerte bis Anfang Jun. seinen Eifer so weit, daß er den Plan der Schrift an den deutschen Adel faßte, in welcher er nicht mehr auf die Abstellung einzelner Misbräuche drang, sondern den kühnen Sturm auf die ganze bestehende Verfassung der Kirche wagte. Den hundertsten Theil des Kirchenguts erklärte er zur Erhaltung der Kirche für hinreichend, die päpstlichen Einkünfte aus Deutschland sollten verweigert, die röm. Legaten mit Allem, was sie verkauften, aus dem Lande gejagt, dem Papste die weltliche Herrschaft genommen und ihm Bibel und Gebetbuch als das ihm zukommende Herrschergebiet überwiesen werden. In der That war diese Schrift eine Lossagung von Rom und ein Aufgebot des Volkes; neben den besten gibt sie zugleich die schlechtern Beweggründe zur Reformation an die Hand. Bei der so hervorgerufenen Stimmung des Volkes mußte die gleichzeitig von Eck gegen Luther ausgewirkte Bannbulle (15. Jun. 1520) nur mit Widerwillen aufgenommen werden. Luther ließ sich dadurch so wenig schrecken, daß er bereits im Oct. die Schrift von der babylonischen Gefangenschaft ausgehen ließ und der Bulle im Nov. eine Appellation an ein allgemeines Concilium und eine in fast noch kühnerm Tone abgefaßte Schrift wider die Bulle des, »Antichrists« entgegensetzte, in welcher er, auch die letzte Rücksicht bei Seite werfend, den Papst einen frevelnden, gewaltvermessenen, verstockten Ketzer nannte. Schritte zur friedlichen Ausgleichung, wie sie mitten in dieser stürmischen Zeit noch einmal Miltitz auf einer Unterredung in Lichtenberg versuchte, mußten natürlich erfolglos bleiben und am 10. Dec. 1520 warf Luther die päpstliche Bulle sammt dem kanonischen Rechtsbuch ins Feuer zur Antwort auf die Verbrennung seiner Schriften und als ein Feuerzeichen seiner unwiderruflichen Lossagung vom Papstthume. Es geschah dies Alles während der Zeit, wo Kurfürst Friedrich, der Luther schützte, nach Maximilian I. Tode bis 1519 das Reichsverweseramt verwaltete.
Die Reformation, die jetzt auch in der Schweiz in Zwingli (s.d.) einen wirksamen Vertreter erhielt, war zum vollen Ausbruch gekommen und ging fortan ihrer weltgeschichtlichen Bestimmung entgegen. Die durch Luther her. vorgebrachten Wirkungen waren so allgemein und für die bestehenden Verhältnisse der Kirche so drohend, daß sie dessen persönliches Auftreten auf dem ersten Reichstage, den der Kaiser Karl zu Anfang des Jahres 1521 zu Worms eröffnete, herbeiführten, indem der päpstliche Legat Alexander vom Kaiser nicht hatte erlangen können, daß Luther ungehört verdammt würde. Unter des Kaisers sicherm Geleit ging Luther nach Worms und die Reise, die er zugleich zur Verkündigung seiner Lehre benutzte, glich einem Triumphzuge und überall sprach sich neben der Verspottung des Papstthums die reinste Begeisterung für die Sache der Reformation aus. Luther lehnte vor dem Kaiser und den versammelten Reichsständen den Widerruf seiner Lehre standhaft ab und vertheidigte sich auf das freimüthigste; trotzdem ward am Schlusse der Reichsversammlung vom Kaiser die Acht über ihn ausgesprochen. Aber seine Vertheidigung hatte das Verderben der Kirche in ein noch helleres Licht gestellt und die meisten versammelten Fürsten, wie sehr auch zum Theil [645] von einem weltlichen Interesse bestimmt, schieden mit einer im Ganzen für die Reformation günstigen Stimmung. Diese war nun zur unmittelbaren Reichsangelegenheit geworden und ein noch entschiedeneres Gewicht erhielt sie dadurch, daß die Reichsstände selbst in 105 Artikeln gegen den röm. Hof Beschwerde erhoben. So hatte der Ausgang des Reichstages zu Worms einen nur scheinbar ungünstigen Erfolg für die Reformation; in der That war durch ihn ihre Macht nur verstärkt worden. Zunächst um Luthern nicht gegen das offene Gebot des Kaisers schützen zu müssen, ergriff der Kurfürst Friedrich die Maßregel seiner Aufhebung und Wegführung nach der Wartburg. Der Kaiser verließ dann noch in demselben Jahre wegen auswärtiger Kriege Deutschland und übergab während der Zeit seiner Abwesenheit, welche sieben Jahr dauerte, die Verwaltung der Reichsangelegenheiten einem von ihm und den Reichsständen dazu verordneten Collegium, dem sogenannten Reichsregimente, unter welchen Verhältnissen die Reformation überall eine freie und ungestörte Entwickelung fand. Indeß war auf Leo X. im J. 1522 Hadrian VI. gefolgt, ein redlicher, scholastisch gelehrter Niederländer, der die Nothwendigkeit einer Reformation ebenso lebhaft erkannte, als er von Luther's Ketzerei überzeugt war; daher sein Legat Chiaragati auf dem Reichstage zu Nürnberg 1522 einestheils die Vollziehung des wormser Edicts gegen Luther, als einen zweiten Mohammed, eifrig foderte, indem der Aufstand, der jetzt der geistlichen Obrigkeit gelte, sich bald auch gegen die weltliche Obrigkeit wenden werde, anderntheils das Bedürfniß einer Reformation anerkannte und ihre gesetzmäßige Ausführung an Haupt und Gliedern versprach. Die Reichsstände erhoben aufs Neue gegen den röm. Stuhl Beschwerden und zur Beilegung der Religionsirrungen foderten sie ein binnen Jahresfrist in Deutschland zu haltendes allgemeines Concil. Noch ehe der Reichstag im März 1523 geschlossen wurde, verließ der Legat denselben, allein Hadrian starb schon im Herbst dieses Jahres, nachdem er sich durch seine Versprechungen die Geistlichkeit ganz zu Feinden gemacht hatte.
Inzwischen war Luther, um den durch Karlstadt und die Schwärmer von Zwickau in Wittenberg bei der Einrichtung des neuen Gottesdienstes veranlaßten Unordnungen zu begegnen, im März 1522 plötzlich wieder in Wittenberg erschienen. Nach Wiederherstellung der Ruhe wurde dann von ihm, ohne die Mitwirkung des Landesherrn, der neue evangelische Gottesdienst eingeführt. Sein Verfahren hierbei legte er in der Schrift »Von der Ordnung des Gottesdienstes« (1523) dar, nach deren Vorbild bald auch außer Sachsen die Evangelischgesinnten den Gottesdienst einrichteten. Ein Jahr früher hatte er seine Übersetzung des N. T. herausgegeben, dem er bis 1534 auch die Schriften des A. T. nachfolgen ließ. Wie dadurch die Reformation im Volke eine breite Grundlage erhielt, so war sie in den Augen der Gelehrten, durch die 1521 von Melanchthon herausgegebene Glaubenslehre (»Locci communes«) gerechtfertigt worden. Allein auch die Bereicherung an Kirchengütern wurde den Fürsten, die Ehe den Priestern, die Freiheit den Völkern ein mächtiger Hebel zur Reformation. Die örtliche Einführung derselben geschah meist so, daß die Mehrzahl einer Gemeinde von Luther's Schriften bewegt in der h. Schrift den Widerspruch des wahren Christenthums gegen das vorhandene Kirchenwesen erkannte, daß ein evangelischer Prediger in diesem Sinne auftrat und mit verschiedenem Widerstande der geistlichen oder weltlichen Obrigkeit die Messe abgethan und deutscher Gottesdienst anfangs in wunderlicher Mischung der Gebräuche eingeführt wurde, So siegte die Reformation fast überall, wo der Volkswille galt, wie z.B. in den Reichsstädten. In Sachsen wurde nach Friedrich's des Weisen Tode Johann der Beständige im eifriger Beschützer und der junge Landgraf Philipp von Hessen erklärte 1525, lieber Land und Leute, als vom göttlichen Worte lassen zu wollen. In Preußen nahm nach Luther's Rath der Hochmeister des deutschen Ordens, Albrecht von Brandenburg, die Reformation an und machte Preußen (s.d.) zum erblichen Herzogthume. Im Ganzen siegte jedoch die Reformation durch die Macht der freien Überzeugung, während die katholische Kirche ihren hergebrachten Besitz durch geschärfte Censur, Studienzwang, Kerker, Landesverweisung und andere Gewaltthaten schützte. In den Niederlanden, in den Herzogthümern Baiern, Sachsen und einigen Bisthümern kamen mehre Hinrichtungen vor und Luther pries den Herrn, daß auch diese Herrlichkeit der apostolischen Kirche widerfahren sei. Nicht unmittelbar von der Reformation ausgegangen, aber doch mit durch dieselbe herbeigeführt, waren die seit 1524 in verschiedenen Gegenden Deutschlands ausbrechenden Bauernaufstände. (S. Bauernkrieg.) Die Katholiken säumten übrigens nicht mit ernsten Anstalten zu Unterdrückung der Reformation, und Clemens VII., das entgegengesetzte Verfahren seines Vorgängers beobachtend, erklärte auf einem andern Reichstage zu Nürnberg 1524 durch seinen Legaten Campeggio die von den Reichsständen eingereichte Beschwerdeschrift für das Machwerk einiger Übelgesinnten und die Vollziehung des wormser Edicts wurde aufs Neue gefodert, die von den Reichsständen nur so weit zugestanden worden war, als sie jedem Stande möglich sei. Die Bedeutung dieser Clausel kennend, hatte nun der Legat zwischen Ferdinand von Östreich, den Herzogen von Baiern und den meisten süddeutschen Städten ein Bündniß geschlossen, kraft dessen die wittenberger Neuerungen von ihren Landen ausgeschlossen und sie wegen jeder Gefährde deshalb sich gegenseitig Schutz und Beistand leisten sollten. Der Kaiser, nachdem er die Franzosen bei Pavia aufs Haupt geschlagen, schrieb drohende Briefe für die Vollziehung des wormser Edicts und auch unter den norddeutschen Fürsten rathschlagten die Gegner der Reformation auf einem Tage zu Dessau über die Mittel zur Unterdrückung derselben. Die Stellung der verbündeten Katholischen ward so drohend, daß nun auch ihrerseits der Landgraf Philipp von Hessen und der Kurfürst von Sachsen zu Torgau (4. Mai 1526) ein Bündniß zum Schutz wider jeden Angriff auf die Kirchenverbesserung in Beider Lande schlossen, dem bald auch Mecklenburg, Anhalt, Mansfeld, Preußen und die Städte Braunschweig und Magdeburg als Bundesgenossen beitraten.
Noch zeigten sich die Katholischen wegen der mislichen Lage des Reiches durch die Türken den Evangelischen auf dem Reichstage zu Speier 1526 so nachgiebig, daß diese den für sich günstigen Reichsabschied erlangten, daß in der Sache der Reformation bis zur Veranstaltung eines allgemeinen Concils jeder Stand sich so verhalten solle, wie er es vor Gott und dem Kaiser zu verantworten hoffe. Die Gefahr vor den Türken versammelte im Frühjahre 1529 die deutschen Reichsstände abermals in Speier und die katholische [646] Partei fühlte sich so stark, daß ein durch Stimmenmehrheit gefaßter Reichstagsbeschluß den Evangelischen alles weitere Reformiren untersagte, wogegen aber diese am 29. April 1529 die berühmt gewordene Protestation einlegten, von welcher sie nachmals den Namen Protestanten (s.d.) erhielten. Im nächsten Jahre erschien dann der Kaiser selbst in Deutschland auf dem Reichstage zu Augsburg, wo ihm die Evangelischen ihr von Melanchthon verfaßtes Glaubensbekenntniß, die augsburgische Confession (s.d.), am 25. Jun. 1530 übergaben. Der Kaiser ließ ihr eine Art Widerlegung, die sogenannte Confutation, ein Werk ohne alle Wirkung, entgegensetzen, der Landgraf von Hessen aber argwöhnte versteckte Pläne des Kaisers und entfernte sich plötzlich, und Luther fürchtete, wegen der Weichheit Melanchthon's das Ergebniß der weitern Unterhandlung nicht anerkennen zu können. Der Reichsabschied erklärte sich auch auf das gereizteste gegen die Protestanten; sie sollten unbedingt in den Schoos der Kirche zurückkehren, die Beurtheilung ihrer Lehren einem spätern Concil anheimgeben, alle verehelichten Priester sofort ihrer Stellen entsetzt sein, und nur wenn sie ihre Weiber von sich thäten und Absolution erhielten, sie wieder bekommen; alle Stifter und Klöster sollten hergestellt werden. Bis zum 15. April 1531 wurde den Protestanten vom Kaiser Bedenkzeit gegeben, während derselben sollten sie aber nicht weiter reformiren und den katholischen Gottesdienst nicht hindern. Die Reformirten in der Schweiz hatten gleichfalls, da sie sich mit den Protestanten nicht vereinigen konnten, dem Kaiser ein besonderes Glaubensbekenntniß überreicht, aber von diesem den noch härtern Bescheid erhalten, daß sie ihren gefährlichen Irrthümern und Verbrechen entsagen und zur Vernunft und zur alten Religion zurückkehren sollten. Am Schlusse dieses Reichstages standen daher die kirchlichen Richtungen in Deutschland fest. Die Protestanten konnten annehmen, daß sie allenfalls zur Lossagung von der augsburgischen Confession durch die Waffen gezwungen werden sollten, und so schlossen sie noch im Dec. 1530 auf sechs Jahre zu Schmalkalden eine Verbindung zu ihrer gegenseitigen Vertheidigung bei ihrem Glauben, den sogenannten schmalkaldischen Bund. Die Theologen, welche ihrer Sache keinen Flecken der Ungerechtigkeit und Empörung zufügen lassen wollten, gaben aber ihre Beistimmung zu dieser Verbindung erst, als die Rechtsgelehrten erklärt hatten, es sei ein solches Bündniß nicht gegen die Reichsverfassung. Der Kaiser hatte sich inzwischen eigentlich so streng nur gegen die Protestanten erklärt, weil er gehofft hatte, sie auf diese Weise einzuschüchtern und von selbst zum Nachgeben zu bewegen. Als er sich überzeugte, daß mit Machtsprüchen nichts auszurichten sei, knüpfte er Unterhandlungen mit dem schmalkaldischen Bunde an, und am 23. Juli 1532 kam dann der erste Religionsfriede in Nürnberg zu Stande, kraft dessen bis zu einem allgemeinen Concil oder bis zu einem neuen Reichsschluß kein Reichsstand den andern vergewaltigen, auch alle den Glauben anlangenden Processe eingestellt werden sollten. Der Friede war die Anerkennung der Thatsache, daß die Katholiken noch nicht angreifen konnten, die Protestanten aus Gewissenhaftigkeit nicht wollten, und er galt nur Denjenigen, die sich bereits zur augsburgischen Confession bekannt hatten. So standen im Allgemeinen die religiös-politischen Angelegenheiten bis 1537, wo die Vereitelung eines von Paul III. (seit 1534) zu Mantua ausgeschriebenen Concils, zu welchem Luther die schmalkaldischen Artikel abfaßte, aufs Neue die Protestanten zu den Katholiken in eine feindliche Stellung brachte.
Der Kaiser, immer auf die Erhaltung des Friedens im Reiche und in der Kirche bedacht, veranstaltete 1541 das Religionsgespräch zu Regensburg. Unter den Theologen befanden sich Melanchthon und katholischerseits Julius von Pflug und Eck, und dem frommen Cardinallegaten Contarini, in seinem Herzen zur Grundlehre des Protestantismus hingeneigt, war die Leitung des Gesprächs übergeben. Schon hatte man sich über die vier Artikel von ursprünglicher Gerechtigkeit, Erbsünde, Freiheit und Rechtfertigung, welche Luther immer als die Grundfesten des Glaubens behauptet hatte, vereinigt. Aber Luther und der Kurfürst Friedrich von Sachsen (seit 1532) sahen in all dieser Nachgiebigkeit nur einen Fallstrick, der König von Frankreich, erschrocken über die drohende Versöhnung Deutschlands, klagte über Verrath am Katholicismus und der Legat, wegen überschrittener Vollmachten von Rom aus bedroht, machte eine rückgängige Bewegung. Im Zerfallen der scheinbar so nahen Versöhnung schärfte sich das Bewußtsein des unversöhnlichen Gegensatzes beider Parteien. Und in der That stand auch einer friedlichen Ausgleichung nicht weniger der Religionshaß als die Verwickelung weltlicher Interessen entgegen. Als endlich die Protestanten 1545 dem Concil zu Trident ihre Theilnahme verweigerten, weil sie in demselben ihre Kläger und Richter in einer Person vereinigt sahen, und der Kaiser nach dem Frieden zu Crespy mit Frankreich 1544 für die Angelegenheiten in Deutschland freie Hand gewonnen hatte, erschien das Reich zerfallen und der Ausbruch eines Religionskrieges unvermeidlich. Kurz vor demselben starb Luther (am 18. Febr. 1546), der immer zum Frieden gerathen hatte. Der schmalkaldische Krieg (s. Schmalkalden) endete nach der Schlacht bei Mühlberg (24. Apr. 1547) mit der Auflösung des schmalkaldischen Bundes und mit der demüthigen Unterwerfung der Bundesgenossen unter die Macht des Kaisers. Ein hierauf von diesem zu Augsburg (15. März 1548) erlassenes Reichsgesetz, das Interim (s.d.), ordnete an, wie es der Religion halber bis zu Austrag des Concils gehalten werden sollte. Aber der früher zum Kaiser abgefallene Herzog Moritz von Sachsen stellte sich aufs Neue an die Spitze der protestantischen Angelegenheiten und erzwang am 31. Jul. 1552 den passauer Vertrag, dem 1555 den 26. Sept., unter der gegenseitigen Anerkennung der Glaubensfreiheit, der Religionsfriede zu Augsburg folgte, mit welchem die Reformation als durchgeführt angesehen werden kann, obwol ihre Bewegungen in ganz Europa das ganze 16. Jahrh. hindurch fortdauerten. In einer doppelten Richtung, der lutherisch-protestantischen und der zwingli-calvinischen, nahm sie das gesammte Nord. deutschland, im Süden Würtemberg und die Pfalz, ferner Schweden, Dänemark, England, Schottland, die Schweiz, Südfrankreich und die Niederlande in Besitz. Ungarn, Siebenbürgen und Polen wurden von ihr ergriffen und in Baiern und den östr. Landen schien sie eine Zeit lang die Oberhand über den Katholicismus zu gewinnen. Auch Spanien und Italien blieben ihrem Einflusse nicht fremd, doch ergingen hier über sie die harten Verfolgungen der Inquisition und wo anders noch der Katholicismus einen Rest seines frühern Ansehens bewahrt hatte, da wurde sie durch [647] die Anstrengungen des von jetzt an mächtig emporstrebenden Jesuitenordens und durch die gewaltsamen Maßregeln der Regierungen bis auf wenige übriggebliebene Spuren vertilgt.
Auf das europ. Völkerleben hat die deutsche Reformation dennoch den ausgebreitetsten Einfluß gehabt und wie viel auch Betrübtes in ihrem Gefolge und wie furchtbar und verheerend die Schrecken des Kriegs waren, die ein Jahrhundert später, durch sie hervorgerufen, über Deutschland hereinbrachen, so hat sie doch ein Resultat geboten, welches allein hinreicht, sie nach allen Seiten zu rechtfertigen. Dieser ist die Zurückführung der Kirche von den todten Werken auf den lebendigen Glauben; die Zurückweisung des sittlichen Menschen an die Gnade Gottes; die Verdammung der Werkheiligkeit und Hervorhebung der ewigen Grundlehren des Christenthums von der Sünde und von der Erlösung. Und wie oft auch seitdem von der katholischen Kirche, von Arminianern, von Deisten und Andern versucht worden ist, Menschenwort und Tugendwerk zur Herrschaft zu führen, aus der Weltgeschichte selbst wird man das Jahrhundert nicht vertilgen können, wo die höchsten und christlich-freiesten Männer gegen diese Richtungen gekämpft haben, wo im Sinne der h. Schrift die Lehren von der Erneuerung des sittlichen Menschen durch den Glauben an Christus der eigentliche Herd waren, auf welchem alle Geister brannten; und so lange das 16. Jahrh. mit seinen Werken im Andenken der Menschen bleibt, wird es eine mahnende Stimme für zu sittlichem Leichtsinn und Glaubensentfremdung geneigte Zeiten sein, und neue Kirchen und Gemeinden auf dem unvergänglichen Boden stiften, der damals erobert ward. Mit Recht wird die Reformation als ein großer Kampf für die Freiheit des Glaubens betrachtet, aber jener Freiheit, die der Glaube auf das Wort Gottes in der Schrift gründet, nicht jener Ungebundenheit der Überzeugung, jener Zuchtlosigkeit des Geistes, die, wie sie den Glauben nicht als höchstes Gesetz anerkennt, so auch vom Unglauben geboten wird und die von nichts Anderm, als nur dem Mangel des christlichen Geistes und Lebens weiß. Übrigens, wenn auch die katholische Kirche keineswegs das Grundthema der evangelischen Glaubenslehre, die Lehre von der alleinigen Erlösung durch den Glauben in der Weise aufgenommen hat, wie es Luther und Calvin und ihre Anhänger und Freunde als solches anerkannten, hat doch der protestantische Geisteskampf auch auf die katholische Kirche die segensreichste Rückwirkung gehabt. Wie äußerlich auch die katholische Kirche fortwährend geblieben ist, wie die Menschen bei der Zucht dieser Kirche den lebendigen Quell der christlichen Forschung und Wißbegierde eingebüßt haben, wie die bessere, wieder im Jansenismus (s.d.) sich bildende Richtung der katholischen Kirche und die wissenschaftlichen Bestrebungen katholischer deutscher Theologen der neuesten Zeit von Rom und dessen Anhängern behandelt wurden, die katholischen Völker fangen dessenungeachtet an, die katholische wahre Kirche von röm. und päpstlicher Anmaßung zu trennen. Die Geschichte der Reformation ist unter Andern von Spieker, »Geschichte Luther's und der Kirchenverbesserung in Deutschland« (Berl. 1818), und von Röhr, »Kurze Geschichte der Reformation für Schule und Haus« (3. Aufl., Lpz. 1833) behandelt worden.
Buchempfehlung
In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«
340 Seiten, 14.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro