[68] Siena (Gesch.). Nach der Sage soll Sanisius, Sohn des Römers Remus, S. gegründet, nach And. Senoner sie erbaut haben. Sie hieß Anfangs Sena Julia, gehörte wohl zum Gebiet von Volterra in Etrurien u. war früher unbekannt; später schickte Augustus eine Colonie dahin (Colonia Senensis), nachdem die Senonen von dort vertrieben worden waren. Seit dem Beginn des Mathildischen Erbschaftsstreits (1115) gehörte S. zu den herrschenden Städten in Toscana u. machte sich gleich Pisa, Lucca u. Florenz nach u. nach als Freistaat von der kaiserlichen Oberherrschaft völlig unabhängig. Schon im 12. Jahrh. war S. reich u. mächtig, stand aber seit dieser Zeit auch in unaufhörlichen Fehden mit den übrigen großen Städten, bes. mit Florenz Die Regierung befand sich in den Händen des Adels, bis 1133 die Bürger sie an sich rissen u. alle Adelige davon ausschlossen. Deshalb entspannen sich Kämpfe zwischen Guelfen u. Ghibellinen, welche zu Gunsten der Letztern durch den Grafen Aldobrandino di Cacciaconti beigelegt wurden. Regiert von einem Podesta, welchem für die gewöhnlichen Angelegenheiten Consuln, für außerordentliche ein Collegio beigegeben war, suchten die Sieneser dennoch bald eine andere Verfassung u. übertrugen die Verwaltung 1233 dem Magistrat der Vierundzwanziger ohne Standesunterschied, welchem später der Rath der Neuner beigegeben ward. S. war das Haupt der ghibellinischen Städte in Mittelitalien, schlug, von Manfred von Sicilien u. deutschen Truppen unterstützt, die (florentinischen) Guelfen an der Arbia 1250 u. blieb selbst nach der Niederlage der Ghibellinen 1267 noch immer fester Zufluchtsort dieser Partei bis 1270, wo es Karl von Anjou gelang sich zum Signore von S. u. die Stadt zum Mitglied des Toscanisch-guelfischen Städtebundes zu machen. In diesem ganzen Zeitraum, während dessen in den Nachbarstaaten, bes. in Florenz, die Verfassungen unaufhörlich wechselten, erhielt S. die ihrige, so wie das Übergewicht des Volks (der Popolanen) über den Adel ungeändert aufrecht. Ausgezeichnet ist der Parteikampf der beiden Familien Salembeni u. Tolomei 1322. Damals überfiel Castruccio von Lucca das Gebiet von S., welches bei Florenz Hülfe suchen mußte. Darauf verbündeten beide Städte sich 1351 gegen Johann Visconti von Mailand, aber schon 1354 bewirkte eine Regierungsveränderung in S. zu Gunsten des Adels die Auflösung dieses Bundes. Damals standen neun Nobili an der Spitze der Regierung, welche, um sich gegen die Volkspartei zu behaupten, die Stadt dem Kaiser Karl IV. unterwarfen. Das Volk aber entriß den Nobili die Herrschaft u. setzte 12 Regimentsräthe u. einen Gonsaloniere aus seiner Mitte ein. Um den Kämpfen ein Ende zu machen, erschien der Kaiser Karl IV. 1368, ernannte Malatesta zu seinem Statthalter u. waltete unumschränkt in S. Deshalb empörten sich die Bürger u. belagertenden Kaiser in seinem Palast, ließen sich aber dann durch ein Geldgeschenk beruhigen u. erhielten alle ihre Freiheiten zurück. Der auswärtigen Feinde wegen wählte S. 1390 Johann Galeazzo von Mailand zum Schutzherrn u. unterwarf sich ihm 1400 völlig, entledigte sich aber mit dem Beistande von Florenz der mailändischen Herrschaft wieder. Am 22. Aug. 1423 wurde vom Papst Martin V. die in Pavia angefangene Synode zur Fortsetzung des Reformationswerkes nach S. verlegt, aber wegen der geringen Betheiligung der außeritalienischen Bischöfe im Februar 1424 aufgelöst. In den Kämpfen der Aristokraten mit den Demokraten, welche nun viele Jahre hindurch geführt wurden, blieben die Letztern meist im Besitz der Gewalt, doch mißlang ihnen 1457 der Versuch den Adel ganz von der Regierung auszuschließen. Papst Pius II., welcher das Bisthum S. 1459 zum Erzbisthum erhob, brachte es durch seinen Einfluß dahin, daß der Adel den achten Theil Antheil an der Staatsverwaltung erhielt, doch schon 1464 verlor derselbe diese Begünstigung wieder u. mußte sich in die Zünfte einschreiben lassen. Dennoch mußten 1480 alle Adelige, mit Ausnahme der Piccolomini, die Waffen ausliefern, u. es wurde eine neue Verfassung eingeführt u. alle Staatsbürger in drei Klassen, in Adel, Plebejer u. Reformatoren (Unbegüterte aus den niedrigen Klassen), eingetheilt; der Senat wurde aus allen drei Klassen zu gleichen Theilen erwählt. Auf Andringen einer Pöbelpartei, der Birebotte, wurden die reichsten Bürger aus der Stadt verwiesen u. die Reformatoren bemächtigten sich der Güter derselben. Die Verwiesenen aber, welche Beistand von Florenz u. vom König von Neapel erhielten, bemächtigten sich 1487 unter Pandolfo Petrucci durch Überfall der Stadt u. führten eine neue Verfassung ein, welche dem Adel einen größeren Einfluß gewährte. Der Senat bestand nun aus 120 Mitgliedern, die Balia od. der Stadtrath aus fünf, welche zwar aus allen drei Ständen gewählt werden sollten, doch meist Freunde der Nobili waren u. diesen zum Vortheil dem Senat alle Macht entzogen. Petrucci, selbst Mitglied der Balia, leitete diese nach dem Tode des Rechtsgelehrten Borghese, eines Gegners der Aristokraten, ganz nach seinem Willen u. veranlaßte die Errichtung eines aus drei Mitgliedern bestehenden Geheimenraths, dessen Mitglieder nur aus der Familie Petrucci waren u. durch welchen er die Balia u. den Senat beherrschte. Wiewohl die neue Regierung die Ordnung herstellte u. die auswärtigen Angelegenheiten glücklich leitete, so erregten doch die Reformatoren viele Unruhen, wofür sie meist mit Verbannung büßten. Ein wesentliches Verdienst um den Staat erwarben sich die Aristokraten durch die Befreiung der Maremnen von den Corsen, welche das Land ausplünderten. Dennoch erregte Petruccis Herrschaft Unzufriedenheit, u. um das Volk zu beruhigen, mußte er in die Abschaffung des Gemeinenraths willigen; dagegen erhielt er die Oberaufsicht über das Kriegswesen. Durch auswärtige Verbindungen erhielt er sich bei Ansehen u. bes. die Freundschaft mit Pisa u. leistete diesem Beistand gegen Florenz. Als Frankreich 1493 Florenz bekriegen wollte, trug es S. ein Bünoniß an, u. S. begab sich in französischen Schutz u. nahm 360 Mann Besatzung ein. Zwischen Florenz u. Frankreich wurden die Feindseligkeiten bald beigelegt u. letzteres zog seine Besatzung aus S., welches mit Florenz in einen Krieg wegen Montepulciano gerieth, da dieses von Florenz abgefallen war u. sich den Sienesern unterworfen hatte. Petrucci schloß ferner mit Florenz 1496 einen Waffenstillstand, erkaufte die Freundschaft des Kaisers durch ein demselben gemachtes Darlehn u. erlangte vom König Ludwig XII. von Frankreich 1499 die Gewährleistung[68] für S-s Verfassung. 1502 brachte er ein förmliches Schutzbündniß mit Frankreich zu Stande u. gewann die Freundschaft des Papstes Julius II. Als Piombino sich S-s Schutz unterwarf, kündigte Florenz den Waffenstillstand auf, der Papst verhinderte aber den Krieg u. vermittelte es dahin, daß S. 1511 Montepulciano an Florenz abtrat, weshalb es aber in S. zu großen Volksbewegungen kam. Florenz schloß nun ein Bündniß auf 25 Jahre mit S. u. verpflichtete sich Petrucci u. seine Söhne bei Ausübung der öffentlichen Gewalt zu schützen. Petrucci konnte aber wegen seiner Verfeindung mit den Mediceern die Herrschaft von S. seinem Hause nicht erhalten; unversöhnlich wurde der Haß beider Häuser, nachdem sein Sohn, der Cardinal Petrucci, 1517 eine Verschwörung gegen Papst Leo II. gestiftet hatte, wofür er erdrosselt wurde. Von da an ging alles Ansehen der Petrucci in S. unter, u. die Parteikämpfe zwischen den Nobili u. Plebejern zerrütteten viele Jahre hindurch den Staat. Die Plebejer verbannten die vornehmsten Familien u. begaben sich 1540 unter den Schutz des Kaisers Karl V. Die Verwiesenen hatten eine Zuflucht in Frankreich gesucht, u. Franz I. wollte sich ihrer bedienen, um festen Fuß in Toscana zu fassen, daher unterstützte er sie u. sandte heimlich Agenten nach S., um die Bürger durch Geld auf seine Seite zu bringen. Aber Cosmo dei Medici, davon benachrichtigt, legte im Einverständniß mit dem Kaiser eine Besatzung nach S., gab eine neue Verfassung, wodurch die Regierung auf 40 Mitglieder beschränkt wurde, u. schloß dann ein Bündniß mit S. auf 15 Jahre. Bei einem Aufstande 1546 wurde die spanische Besatzung von den Bürgern aus der Stadt getrieben, doch von Cosmo zurückgeführt. Der kaiserliche Befehlshaber, Diego de Mendoza, überredete die Bürgerschaft, daß zu ihrer Sicherheit gegen die Angriffe des Adels eine Citadelle erbaut werden müsse, als er aber die Bürger gewaltthätig behandelte, vertrieben sie 1552 mit dem Beistande französischer Truppen die spanische Besatzung abermals, zerstörten die Citadelle u. entsagten nun aller Verbindung mit dem Kaiser. Nun hatte Frankreich in S. eine Besatzung eingelegt u. mit den Bürgern einen Vertrag geschlossen, welcher ihnen eine völlige Freiheit sicherte, den Adel aber von der Regierung gänzlich entfernen sollte. Obgleich die Franzosen durch ihre Willkür Mißmuth erregten, so unterstützten die Sieneser doch den französischen Befehlshaber Montluc, als 1554 die Stadt von den Spaniern belagert wurde. Aber endlich zwang der Hunger die Franzosen sich am 22. April 1555 auf Capitulation zu ergeben. Der Stadt wurde die Aufrechterhaltung ihrer Freiheiten zugesichert, doch behielt Cosmo dei Medici sich das Recht vor eine Besatzung in die Stadt zu legen. Kaum im Besitz der Stadt, setzte Cosmo die Obrigkeit ab u. ernannte eine neue, welche ihm ergeben war, u. befahl allen Bürgern die Waffen abzuliefern u. ließ die inzwischen in großer Menge nach Monte Alcino u. andern kleinen Orten der Republik auswandernden Bürger durch spanische Truppen vertreiben, bis ein Befehl des Kaisers dieser Verfolgung Einhalt that. Dagegen belehnte Karl V. seinen. Sohn Philipp mit der Stadt u. ihrem Gebiet, ließ durch Franz von Toledo die Verwaltung u. Kriegsverfassung nach spanischer Weise einrichten u. die Sieneser als ein unterworfenes Volk behandeln. Cosmo hatte aber seine Absichten auf S. nicht aufgegeben, er forderte plötzlich die Summen, welche er dem Kaiser u. seinem Sohne geliehen hatte, zurück, u. als die Bezahlung nicht erfolgte, stellte er sich, als ob er sich mit Frankreich verbünden wollte. Um dies zu verhindern, trat Philipp ihm 1557 als Entschädigung für die schuldigen Summen S. mit dem ganzen Gebiet ab. So wurde S. mit Florenz vereinigt u. verlor für immer seine Selbständigkeit. Im Dec. 1850 wurde die Universität wegen unruhiger Studentenaustritte auf ein Jahr geschlossen. Die übrige Geschichte S-s s.u. Toscana. Vgl. Pecci, Mem. istor. critiche della città di S., Siena 17591 Romagnoli, Cenni storico-artistici di S., 1840.
Brockhaus-1911: Terra di Siena · Siena
Heiligenlexikon-1858: Laurentius de Siena (45)
Herder-1854: Siena · Bernhardin von Siena
Lueger-1904: Terra di Siena · Gebrannte Siena
Meyers-1905: Siena [1] · Siena [2] · Erde von Siena · Bernhardin von Siēna · Braune Erde von Siena
Pierer-1857: Terra di Siena · Siēna · Nagel zu Siena
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