Schulze (Starost)

[387] Schulze (Starost).


1. A lausiger Schulze, a nissige Gemeind.Idiot. Austr., 99.

Wie die Läuse Nisse zeugen, so pflegen sich die Mitglieder der Gemeinde nach dem Vorsteher derselben zu bilden und zu richten.


2. Bei dem Herrn Schulzen richtet man mehr aus als beim Schulzen.

Nur ja nicht zu wenig Ehre geben. Die Russen scheinen darin aber gar zu weit zu gehen, denn eins ihrer vielen Schulzensprichwörter sagt: Wer vor des Starosten Hunde die Mütze zieht, wie will er seine Höflichkeit vor dem Kaiser beweisen. (Altmann VI, 487.)


3. Der ist kein rechter Schulze, der nicht thun kann, was die Leute verdriesst.Eiselein, 557.


4. Der Schulze des geringsten Dörfleins lässt sich nicht verachten.


5. Der Schulze und die Bauern denken nicht über alles gleich.

Wenn sie überhaupt denken.

Holl.: Een burger en een burgemeester, dat is twee. (Harrebomée, I, 104.)


6. Der Schulze von Birkenfeld (Prügel, Ruthe) kann den Handel am besten schlichten. Florini, IV, 811.


7. Des Schultzen Kuh wil immer einen Vortheil haben.Petri, II, 835.


8. Des Schulzen Bauch drückt auf die ganze Gemeinde.


9. Des Schulzen Kuh und eines andern Kühe sind zweierlei Kühe, sagte der Feldschütz.Eiselein, 557; Blum, 427; Pistor., V, 22; Körte, 5436; Simrock, 9278; Braun, I, 4005.

Satire auf die saubern Gerichtshöfe, welche dem Reichen und Angesehenen, der zum Schadenersatz verurtheilt werden sollte, durchhelfen, während sie den Geringern den nämlichen Schaden streng ersetzen lassen. Nach Erasmus hat das Sprichwort folgenden Ursprung. In einem seeländischen Dorfe verwundete einst der Stier des Schulzen die Kuh eines Bauern so, dass sie sterben musste. Der Bauer ging darauf zum Schulzen und berichtete gegen die Wirklichkeit Folgendes: »Ich habe das Unglück gehabt, dass mein Stier über den Graben gesprungen ist und eure Kuh getödtet hat, was ist in diesem Falle Rechtens« – »Dass ihr die Kuh bezahlt«, erwiderte der Schulz ohne weiteres. »Aber«, versetzte hierauf der Bauer, »es findet just das Gegentheil statt; der Stier war euer und die getödtete Kuh die meinige.« – »Nun dann«, meinte der verlegene Schulze, »hat es nichts zu sagen. Ein anderes ist des Schulzen Kuh. Schaden wird nicht ersetzt, denn des Schulzen Kuh und eines andern Kuh sind zweierlei Kühe.« Auch bei nichtdeutschen Völkern sind die Schulzen nicht aufs beste angeschrieben. Die Slawen, deren Wojwoden auf drei Jahre gewählt wurden, lassen ihren Schulzen ein Jahr sich gütlich thun und zwei Jahr jagen. Legen ihm also amtliche Unthätigkeit zur Last und schreiben ihm die Neigung zu, dafür sich selbst zu pflegen und seinem Vergnügen nachzugehen oder, wie viele Sprichwörter behaupten, sein Amt zu benutzen, um sich Privatvortheile zu verschaffen, sich auf Kosten der Gemeinde zu bereichern. So sagen die Russen: Den Starost frage nicht nach seinem Hause, sondern nach seinem Palast. (Altmann V, 112.) Der Starost nimmt uns nur das Kummt, aber der Gutsherr (s.d.) auch den Gaul. (Altmann V, 125.) Wer die innige Verbindung zwischen Gutsherrn und Schulzen in Deutschland kennt, wird das vorstehende russische Sprichwort verstehen. Die Russen empfehlen: Den Starosten musst du zum Freunde erhalten, denn seine Macht im Dorfe ist grösser als die des Zaren im Reiche. (Altmann V, 90.) Aber seine Freundschaft zu behalten ist kostspielig, denn die Russen behaupten: Wenn du dem Starosten neun Würste gibst und eine im Rauch fang hängen lässt, so hast du ihm keine gegeben. (Altmann V, 105.) – Im Sinne des obigen Sprichworts: Was anders ist des Schulzen Kuh, heisst es jüdisch-deutsch: Dem Rebben's (Rabbiners) Kuh. Es wird erzählt, es sei am Sabbat eine Kuh auf dem Felde wiedergefunden worden, was an den Ruhetagen verboten ist. Der Rabbiner des Ortes, der darüber befragt wurde, sprach das Urtheil: »Die Kuh muss gesteinigt werden.« »Aber die Kuh gehört euch«, sagte man: »So bringt sie schnell nach Hause«, erwiderte er. s. Büchmann, 8. Aufl., S. 5-7.

Böhm.: Rychtář rok hoví, a dvĕ léta loví. (Čelakovsky, 363.)

Holl.: De koeijen van den schout gaan voor. (Harrebomée, I, 422b.)

Lat.: Duo cum faciunt idem, non est idem. (Pistor., IV, 11.)


10. Ein Schulz ohne Kopf, ein Koch ohne Topf und eine Flasch' ohne Pfropf sind nicht viel werth.

Die Türken sagen: Wenn sich der Iman vergisst, verliert die ganze Versammlung den Werth von ihm.


[388] 11. Ein Schulze kann so gut Ja sagen wie ein Schöffe.


12. Einer kann nur Schulze sein im Dorf.Graf, 516, 225.

Wer den Bildungsstandpunkt einer Landgemeinde unter dem Schulzenregiment kennt, wird auch vollständig mit Einem Schulzen zufrieden sein. Im Niederdeutschen: Ein kan mant schulze sin in'n dörpe. (Schambach, II, 30.)


13. Entweder Schulze im Dorfe, sagte der Bauer, oder an den Galgen.

Holl.: Het moet galgen of burgemeestern. (Harrebomée, I, 199.)


14. Es ist dem Schulzen genug, dass er vber den Bauern vorgeht.Petri, II, 258; Henisch, 213, 70; Simrock, 9280; Körte, 5435; Braun, I, 4006.

Bei Tunnicius (1324): It is genôch dem schulten, dat he geit boven den buren. (Agricolae satis est, si praestat honore colonos.) »Ein gebûr genuod êren hât, der in sîme dorfe gât.« (Freidank.)


15. Es ist kein Schulze eher gut, bis man einen schlimmern erhalten hat.

Dän.: Onder foged er ei god, førend halffve (halve) værre igien kommer. (Prov. dan., 172.)


16. Es kann nicht jeder Schulze werden.

Böhm.: Tĕžko v rychtářství, ale snadno pak o med a máslo. (Čelakovsky, 363.)


17. Es wäre gut Schulze sein, wenn man keine Rechnung legen dürfte.

Dän.: Godt at værre foged, skulle man ikke gjøre regnskab. (Prov. dan., 172.)


18. Hinter Schulzens Schuppen, da gehets lustig zu, da tanzt der polsche Uchse mit der deutschen Kuh.Schles. Provinzialbl., 1862, 569.

Wie sich in Schlesien die slawische und germanische Nationalität lange bekämpft haben, so wurde später ihre Verschmelzung wie in diesem Sprichwort verspottet.


19. Lachenden Schulzen und weinenden Huren soll man nicht trauen.

Holl.: Lagchende schouten en schreijende hoeren zal men niet ligt gelooven. – Niemand late zich vervoeren van lagchen de schouten en schreijende hoeren. (Harrebomée, II, 261a.)


20. Lieber Schulze auf dem Dorfe als Rathsherr in der Stadt.

Böhm.: Radĕji chci býti rychtářem ve vsi, než konšelem v mĕstĕ. (Čelakovsky, 363.)

Poln.: Wolę byé wojtem we wsi, niž ławnikiem w mieście. (Čelakovsky, 363.)


21. 'S Schulza Magd het Junge g'het im a schwarza Kratta; wie viel hat si dinna g'hett? Siebene und 'n Spatza. (Riedlingen.) – Birlinger, 1115.


22. Schulz ist der sechsundzwanzigste Buchstabe im Alphabet.

So pflegt man bei den hannöverschen Behörden in Bezug auf das häufige Vorkommen des Namens Schulz zu sagen. Im (hannöverschen) Wendlande gibt es Dörfer, in denen nur Schulz wohnen, die Hälfte aller Wendländer heisst so. (Vgl. Westermann, Monatsschrift, 1865, S. 247.)

23. Schulzen haben viel Augen und Ohren.

Holl.: Schouten hebben veel ooren en oogen. (Harrebomée, II, 261a.)


24. Schulzen und Polizeien flieht man wie die Weihen (Habichte).

Holl.: Schouten en baljouwen grijpen als de wouwen. – Schouten en baljouwen schuwt men als de wouwen. (Harrebomée, II, 261a.)


25. Schulzen und Schulmeister kann kein Dorf entbehren.

Holl.: De burgemeester en de schoolmeester zijn de twee nuttigste serpenten van een dorp. (Harrebomée, I, 104a.)


26. So seh' ich's an, sagte der Schulze, und damit basta.

Holl.: Burgemeesteren begrijpen het zoo, daarmede afgedaan. (Harrebomée, I, 104.)


27. Weil du Schulze bist, fahr' zu Felde deinen Mist.


28. Wenn der Schulze vom Amte kommt, der Bauer verkauft ihm nicht, was er ihm zuvor geschenkt hätte.

Dän.: Bliver fogden afsat, det bonden gav hannem før; vil han ey u.s.w., ei sælge hannem nu. (Prov. dan., 171.)


29. Wer den Schulzen zum Freunde hat, der kann sich schon eine Gurke herausnehmen.

Holl.: Het is geen wonder, dat hij vrijraakt, hij heeft den schout te vriend. (Harrebomée, II, 261a.)


[389] 30. Wer den Schulzen zum Vetter hat, dessen Kühe können auf jeder Weide grasen.

Span.: El que tiene al padre alcalde. (Don Quixote.)


31. Wo der Schulze schenket Wein, die Fleischhauer im Rathe sein, der Bäcker wieget selber das Brot, da leidet die Gemeinde Noth.


*32. Ein anderes ist des Schulzen Kuh.Körte, 5437; Simrock, 9274.

»Aber es geht in der Welt so zu: ein anders ist des Schulzen Kuh.« (Froschm., Jiiii.)


*33. Er kann Schulze werden, er kann mit dem Kopfe nicken, wenn der Erb(Guts-)herr (Landrath) befiehlt.

Diese Schulzensprichwörter schildern trefflich das vielgepriesene, väterliche Regiment in der Landgemeinde.


*34. Er würd' ein guter Schulz, kann gut thun, was die Leute verdreusst.Eiselein, 557; Braun, I, 4007.


*35. Morgen werd ich dem Schulzen soan, woas er verdient hot.Keller, 170a.

Als Strafandrohung wegen beleidigenden Reden.


[Zusätze und Ergänzungen]

36. Baser ist's Schultz syn byn Buren, as Bittel byn Junkern.Schaltjahr.


37. Geh zum Schulzen, der sich seine Haut oft schmieren lässt, sagte Klaus, als ihn einer fragte, wo man wol geschmiertes Leder kaufen könne.Harssdörffer, 2455.


38. Schulz ist Schulz.

Früher waren sehr viele Aemter erblich. Der Gutsherr war geborener Richter und Polizeiherr und der Schulze Gemeindevorsteher, daher die Amtsnamen in Eigennamen übergingen.

Poln.: Co Mniszech to starosta, co Bal to podkomorzy. (Kijew, 41.)


*39. Der hat heute mit dem Schulzen gefrühstückt.

Die Polen sagen von einem, der sich rühmt, mit einer höhern Person gesprochen zu haben und infolge dessen zu stolz ist, sich mit andern abzugeben: Mit dem ist heute nicht zu reden, er hat mit Ferens gesprochen.

Poln.: Gadal z Ferensem. (Kijew, 16.)


Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 4. Leipzig 1876.
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