1. Auf dem Dorfe ist gut predigen. – Eiselein, 123; Simrock, 1661.
2. Besser der erste im Dorfe, als der letzte in der Stadt.
3. Dörfer haben auch Weichbildrecht. – Eisenhart, 6; Pistor., I, 97; Eiselein, 123; Hillebrand, 37; Graf, 21, 239.
D.h. sie haben das Recht, von dem Urtheil der Dorfgerichte an ein Weichbild, d.i. hier an städtische Gerichtsbarkeit, zu appelliren. Da sich besonders viel Dörfer des magdeburgischen Weichbildes dieses Rechts bedienten, so gab dies den dasigen Schöppen zur Erfindung dieses Sprichworts Veranlassung. Ueber die Ableitung des Wortes Weichbild, am richtigsten wol [675] von dem althochdeutschen wih, gothisch veihs, altsächsisch wik, holländisch wyk, d.i. vicus, oppidum, und »Bild« vgl. J. Grimm, Deutsche Grammatik, II, 641; III, 418 u. 428.
4. Ein kleines Dorf hat auch wol gute Glocken.
Die Russen sagen: Es kann nicht jedes Dorf (so gross wie) Bor sein. (Altmann V.) Bor ist ein durch seinen Handel mit Nishnij-Nowgorod wie durch Industrie ausgezeichneter Ort unterhalb der genannten Stadt am linken Ufer der Wolga.
Frz.: Voilà bonne sonnerie pour un petit village. (Leroux, I, 35.)
5. Es ist gut auff eim dorff predigen. – Henisch, 732.
Holl.: Het is goed, om op een dorp den boeren te preken. (Harrebomée, I, 70.)
Lat.: Inter coecos regnat strabus. (Philippi, I, 205.)
6. Es ist leichter ein Dorff zu verthun, als ein Hauss (ein Hütte) zu gewinnen. – Gruter, III, 25; Lehmann, 371, 111; Simrock, 1667; Müller, 67, 1.
Holl.: Het is gemakkelijker, een dorp te verdoen, dan een huis te winnen. (Harrebomée, I, 149.)
7. Gemach ins dorff, die Bawren seind truncken. – Henisch, 732; Agricola I, 426; Lehmann, 565, 1; Eiselein, 61.
Berauschten muss man aus dem Wege gehen.
Holl.: Vrienden, maakt u van de kermis, de boeren zijn dronken. (Harrebomée, II, 414.)
Lat.: Temulentus dormiens non est excitandus. (Binder II, 3313.)
8. Ich komme doch noch ins Dorf, sagte der Wolf, da hatten sie ihn hinausgejagt. – Sailer, 127; Simrock, 1668.
Zur Charakterisirung des Listig-Gewaltsamen.
9. Im Dorfe Frieden ist besser, als Krieg in der Stadt. – Simrock, 1663.
10. Im Dorfe muss man sich mit Türken messen, im Felde wird man vom Wolfe gefressen.
11. In meinem Dorffe, sagte der Bauer, sind die Bauern all so Fromb wie ich. – Lehmann, 218, 36.
12. Jedes Dörp hät sîn Wis' un jeder Bûr hät sîn Spîs. (Mecklenburg.) – Latendorf, 225.
13. Kein Dorf so klein, es hat jährlich seine Kirmes. – Simrock, 1665.
14. Oenn jedem Derp öss andre Lehr, önn jedem Krog öss ander Beer. – Frischbier.
15. So viel Dörfer, so viel Sitten.
Aehnlich sagen die Walachen: So viel Dörfer, so viel Hütten; so viel Hütten, so viel Sitten. (Reinsberg II, 69.)
16. Vmb eines Dorffs (oder einer Statt) willen soll man kein Land verderben. – Lehmann, 435, 34.
17. Wann das Dorff brennt, so geht des Pfaffen Hauss mit. – Lehmann, 260, 27.
18. Wenn das Dorf abgebrannt ist, kommt der Regen (Wolkenbruch).
19. Wenn das Dorf brennt, so steht des Pfaffen Haus im Rauch. – Eiselein, 123; Simrock, 1662.
20. Wenn das ganze Dorf deinen Affen einen Löwen nennt, dann nenne ihn auch so. (Abyssinien.) – Altmann II.
21. Wenn schon ein gantzes Dorff verbrennet, wenn nur dess Pfaffen Hauss vffrecht stehen bleibt, so gehts noch wol ab. – Lehmann, 152, 103; Gruter, III, 31.
22. Wenn't ganze Dörp lacht, lach ick mit, segt de Niegendörper Kohhierd.
23. Wer vil dörffer hat, der ist edel. – Henisch, 732; Lehmann, II, 67, 189; Simrock, 1666; Graf, 32, 57.
Lat.: Nobilis est ille, quem nobilitant bene villae.
24. Wie das Dorf, so sind die Bauern.
25. Wie viel Dörfer sein, wie der Hund' am Bein, Zöckel, Tschöpel, Tschau, Heinzendorf und Reichenau? Oder: Wie viel Dörfer sind unter Einem Wind: Zöckel, Tschöpel, Tschau, Heinzendorf und Reichenau? – Schles. Provinzialblätter, 1862, S. 569.
Mehr Neck- und Räthsel-, als Sprichwort. Unter den fünf kleinen 1-11/2 Meilen von Freistadt (Regierungsbezirk Liegnitz) liegenden Ortschaften (Alt- und Neu-) Schau, Reichenau, Tschöplau und Zecklau ist nur eins, das als Dorf bezeichnet wird, und das, obwol es wie alle übrigen von todtem Sande umgeben ist, vorzüglicher sein will als diese, nämlich Heinzendorf. Auch die Franzosen haben ähnliche Neckereien. So sollen die Dörfer Athies, Fourques und Ennemain zusammen so [676] gross wie ein Handteller sein: Athies, Fourques, Ennemain sont trois villages en une main. (Reinsberg V, 140.) Und von sechs andern Dörfern lassen sie das Sprichwort sagen, dass sie zusammen in einem Haufen liegen: Salleux, Sallouel, Ver, Bacouel, Plachy, Oubion (Buyon). (Reinsberg V, 163.)
26. Wo ein Dorf ist ane Nid, ich weiss wol, dass es öde lit. – Freidank.
*27. Doss seyn mer Bühmsche Dörffer. – Robinson, 439; Reinsberg V, 38.
Sagt jemand, dem eine Sache fremd vorkommt, von der er keine Kenntniss besitzt. Wie die einen meinen, ist die Redensart daher entstanden, weil die Namen den der böhmischen Sprache unkundigen Deutschen so schwer auszusprechen sind, dass man unverständliche und unbekannte Dinge damit bezeichnete. Andere leiten den Ursprung aus dem Dreissigjährigen Kriege her, der in Böhmen alles verwüstet hatte, sodass der Anblick eines dortigen Dorfes entweder wegen der Seltenheit derselben oder wegen ihrer verwüsteten Gestalt eine Art Verwunderung erregte. Noch andere verlegen seinen Ursprung in den Hussitenkrieg, indem ebenfalls so viele Dörfer verwüstet wurden, dass man selten eins erblickte. Berckenmeyer sagt in seinem Antiquarius: »Böhmen war im Jahre 1466 so sehr ruinirt, dass man weit und breit kein Dorf sehen konnte, woher dies Sprichwort entstand.« – Die Herleitung der Redensart aus Jakob Böhme's dunkeln Schriften (vgl. Act. Philos., I, 600) ist mehr als gezwungen. Vgl. über die Redensart auch Zeileri Epist., II, 95. – Jüdisch-deutsch heisst es bei Tendlau (Nr. 112) Das sen polnische Dörfer für mich. Dem deutschen Juden lag durch den Verkehr mit Polen diese Bezeichnung näher.
Frz.: C'est du grec, de l'hébreu, de l'algèbre pour lui. (Starschedel, 389; Kritzinger, 18.)
*28. Er ist nie aus seinem Dorfe herausgekommen.
Frz.: Il n'a jamais perdu de vue le clocher de son village. (Lendroy, 448.)
*29. Er solt ehe eyn dorff verzeren, dann eyn hauss gewinnen. – Franck, II, 66b; Tappius, 79a; Lehmann, II, 146, 5; Henisch, 732; Sutor, 81; Sailer, 300.
Lat.: Promus magis quam condus.
30. Lieber auf dem Dorf der Erste als in Rom der Zweite sein. – Scheffel, Trompeter, 124.
31. Man soll im Dorff den Bauern die Hund nicht wecken. – Lehmann, 35, 3.
32. Wer im Dorfe herumschwänzt, schadet sich selbst. – Frischbier, I, 4249.
Poln.: Kto po wsi chodzi, sami sobie szkodzi.
33. Wia gleana 's Doarf, wia bissicha d' Hund. (Niederösterreich.)
Je kleiner das Dorf, je bissiger die Hunde, d.h. desto schlimmer und klatschsüchtiger die Leute.
*34. Aus jedem Dorf ein Hund, aus jedem Stall ein Ferkel (Pferd). – Frischbier, I, 593.
Wer beim Kartenspiel von jeder Farbe eine Karte hat.
*35. Aus jedem Dorf ein Hund und aus Labäz (bei Wittenberg) ein Däckel.
Redensart beim Kartenspiel, um zu sagen: allerlei Karten, aber nichts Besonderes.
*36. Dütt Dörp is all gôd', 't is man 'n Amtmann und Eddlmann drin. (Altmark.) – Danneil, 259b.
Bäuerliche Ironie über ritterlichen Druck.
Holl.: It were en slin dorp vorwar dar men nicht helde ens kerk misse tom jar. (Höfer, 33.)
*37. Er geht auf die Dörfer. (Köthen.)
Nämlich: betteln. Die Redensart wird beim Kartenspiel gebraucht, wenn der Spieler, an Trümpfen arm, behutsam aufhört, diese abzufordern, und mit Däusern und sonstigen hohen Karten das Spiel zu gewinnen sucht.
*38. Fahre schon jn das dorff, dye pavren sein truncken. – Hofmann, 37, 149.
*39. He is vun düren Dörpen. – Schütz, I, 272.
Er ist aus einem Dorfe, wo man theure Preise hat.
*40. Ein Dorf auspochen.
Wenn in der Raubritterzeit eine Gesellschaft »kleiner Herren«, in Verbindung mit »⇒ Stellmeisern« (s.d.), Buschkleppern und Strauchdieben, einen Ort überfielen und ausplünderten, so nannte man dies »auspochen.« So pochten am 28. September 1411 die Herren von Uchtenhagen, Putlitz, Jagow, Rohr, Rochow u.a. unter Anführung des Iwan von Wulffen und Hennig Kracht die Dörfer Retzow und Möthlow aus, indem sie 300 Schweine, 1034 Schafe, über 200 Ochsen und viele Pferde forttrieben und den bestürzten Einwohnern die Wahl liessen, entweder eine bestimmte Summe zu zahlen oder ihre Häuser angezündet zu sehen. Nach langem Handeln begnügten sich die »Edeln« mit 65 Schock böhmischen Groschen und 20 Paar – Hosen. Eine solche Gesellschaft, an deren Spitze die Herren von Treskow, Möllendorf, Predöhl, Reestorf u.a. standen, überfiel und plünderte die Dörfer Bauernstorf, Niebehde u.s.w. aus. Aus Bredow, das man zur Nachtzeit »auspochte«, wurden 75 Pferde, 300 Schafe, 120 Schweine und 45 Kühe hinweggetrieben; ausserdem nahm man den Bewohnern das beste Hausgeräth und selbst die Betten fort und zwang die Geplünderten, den Raub selbst fortbringen zu helfen. Zum Dank wurden sie so lange zurückbehalten, bis sie sich durch einige Schock böhmische Groschen ausgelöst hatten. (Vgl. Die alten Raubritter von Max Ring in Nr. 330 der Schlesischen Presse, 1874.)
*41. Ein potemkinisches Dorf.
»Und doch ist jener von Lust und Freude erfüllte Ballsaal gar oft nur ein Potemkinisches Dorf, hinter dem sich viel Entbehrung und stumme Sorge verbirgt.« (Bohemia, 1876, Nr. 66, Beilage.)
*42. Ja, hinderm Dorf heisst's auff dem Feld. – Ayrer, V, 3004, 26.
*43. Up dat Dörp hat he nich to kaom'. (Altmark.) – Danneil, 37b.
Wird angewandt, wenn sich jemand in einem Stücke ganz unwissend und unerfahren zeigt.
*44. Ut jeden Dörp en Köter, der schult schickt twê. – Schiller, III, 4b.
Wenn von fünf Karten nur zwei von derselben, die andern von verschiedenen Farben sind.
Buchempfehlung
Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.
64 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro