Eine Höflichkeit erfordert die andere. – Reinsberg III, 57.
Böhm.: Jedna zdvořilost druhou stíhá. (Čelakovsky, 86.)
Frz.: Courtoisie qui ne vient que d'ung costé ne peult longuement durer. (Leroux, II, 206; Bohn I, 14.)
2. Eine Höflichkeit ist der andern werth. – Simrock, 4855; Körte, 2923.
It.: Una cortesia ricerca l'altra. (Pazzaglia, 72, 1; Gaal, 618.)
3. Feine Höfflichkeit vnd Tischzucht hat jhr Lob vnd Preiss bey den Leuten. – Petri, II, 310.
[730] 4. Höflichkeit geht vor Schönheit.
Voltaire sagt: »Die Höflichkeit ist für den Geist, was die Schönheit für das Gesicht ist.« Montaigne behauptet: »Höflichkeit ist die nützlichste Wissenschaft und nimmt sofort, wie Schönheit und Anmuth, für sich ein.« Marquise von Lambert: »Höflichkeit hält die Gesellschaft zusammen und erhält den Frieden. Sie ist die Kunst, in angenehmer Weise das zu vereinigen, was man andern und jenes, was man sich selbst schuldig ist.« Joubert: »Höflichkeit glättet die Rauhigkeiten unsers Charakters und verhindert, dass andere sich daran verwunden.« La Bruyère: »Die Höflichkeit ist das Bestreben, durch unser Reden und unser Benehmen zu bewirken, dass andere mit uns und mit sich selbst zufrieden sind.« Rochefoucault: »Die Höflichkeit ist nichts als der Wunsch, höflich behandelt zu werden und für höflich zu gelten.« Chesterfield: »Ohne Höflichkeit nützen alle Tugenden und Talente nichts. Sie ist das Resultat eines gebildeten Verstandes, ein gewisses Entsagen seiner selbst zu Gunsten anderer, um von andern Aehnliches zu erlangen.«
Frz.: Courtoisie passe beauté. (Leroux, II, 206.)
5. Höflichkeit ist der Verstand und die Münze der Hofleute. – Welt und Zeit, III, 69, 23.
6. Höflichkeit ist die beste Grobheit.
Höflichkeit, die im Mittelalter fast nur an Höfen zu finden war, wie es schon das Wort selbst sagt, ist später nach und nach, wenn auch in dem einen Lande mehr als in dem andern, Gemeingut geworden. Dazumal aber waren die fürstlichen Höfe Deutschlands als hauptsächliche Pflanzstätten der Poesie, wie für die Sprache überhaupt massgebend. Man hat die in der mittelhochdeutschen Zeit (Ende des 12. bis ins 14. Jahrhundert) unter den höhern Ständen, an den Höfen und in den Dichtungen herrschende Sprache Hofsprache genannt, im Gegensatz zum althochdeutschen Zeitraum, wo nur die Dialekte herrschten, auch zur Unterscheidung von den Volksmundarten, die höfische. Unter hövisch, hovelich, hovebäre, hövischeit versteht man, was dem Hofe, den höhern Kreisen der Gesellschaft gemäss ist, also feine Bildung, Adel der Gesinnung, der Sitte, der Rede. Das Gegentheil davon ist unhövisch, unhovelich, unhövischeit, d.h. alles, was dem Hofe unangemessen, der feinern Sitte und dem Anstande zuwider ist: Unbildung, Roheit, Gemeinheit im Thun und Lassen. Für letzteres hatte das Mittelalter noch einen andern, vom Worte dorf gebildeten und dasselbe besagenden Ausdruck: dörperlich (dörper, dörperheit), womit, ebenfalls im Gegensatze zum Höfischen, das Flegel- und Tölpelhafte, Dorfmässige, kurz das Bäuerische bezeichnet wurde. Höfisch und unhöfisch oder dörperlich entsprechen genau den französischen Wörtern courtois und vilain, und von dort her, aus Frankreich, sind Wort und Begriff zugleich mit der Hofpoesie nach Deutschland gekommen. Was demnach in gebildeten Kreisen für roh, gemein, pöbelhaft galt, wurde auch für unschicklich und unhöfisch gehalten. (Vgl. Freie Forschung. Kleine Schriften zur Geschichte der deutschen Literatur und Sprache von Franz Pfeiffer, Wien 1867. Und daraus: Unhöfische Worte in der Europa, Leipzig 1867, Nr. 32, S. 1002.)
7. Höflichkeit ist ein geringer Aufwand, grosse Sachen zu erhalten.
Julius Cäsar sagt: »Einen grossen Theil der Erfolge in meinen schwierigen Kämpfen verdanke ich meinem Bestreben, mich den Leuten angenehm zu machen.« Und Buckingham: »Ich gelangte zum Gipfel des Glücks und der Macht nicht sowol durch meine Verdienste als durch mein höfliches Benehmen; und König Jakob hat mich bei keiner Gelegenheit für einen grössern Minister gehalten, als da ich zum erstenmal in einem Brief an ihn schrieb: Your slave and dog.« Wer sich übrigens als Sklave und Hund unterzeichnet, ist es oder verdientes zu sein.
It.: Cortesia di capello e bocca assai vale e poco costa. (Pazzaglia, 72, 2.)
8. Höflichkeit ist ein herkömmlicher Betrug. – Eiselein, 650.
Pascal behauptet: »Von Natur hassen alle Menschen einander; um ein Beisammenleben möglich zu machen, musste man ein Scheinbild der Liebe erfinden – das ist die Höflichkeit.« Schopenhauer (Welt als Wille, I, 435) sagt: »Höflichkeit ist Klugheit, folglich ist Unhöflichkeit Dummheit, sich mittels ihrer unnöthiger- und muthwilligerweise Feinde machen, ist Raserei. Höflichkeit ist, wie die Rechenpfennige, eine offenkundig falsche Münze; mit einer solchen sparsam zu sein, beweiset Unverstand; hingegen Freigebigkeit mit ihr Verstand. Wer hingegen die Höflichkeit bis zum Opfern realer Interessen treibt, gleicht dem, der echte Goldstücke statt Rechenpfennige gäbe.« Mayer (I, 220) bemerkt, da die meisten Höflichkeitsbezeigungen nur falsche Münze ohne innern Gehalt seien, womit die Unerfahrenen betrogen werden, so wäre ein Wörterbuch wunschenswerth, in welchem die Höflichkeitssprache nach ihrem wahren Sinne verdolmetscht werde. Der Spanier Guevarra habe den Gedanken schon gehabt, aber nicht ausgeführt.
[731] 9. Höflichkeit ist halbe Bezahlung.
Manche bezahlen blos mit dieser Münze. Die praktischen Engländer sagen daher: Weniger von eurer Höflichkeit und mehr von eurer Börse. (Reinsberg IV, 79.)
Frz.: Il faut payer ou agréer. (Cahier, 1300.)
It.: Miele in bocca, guarda la borsa. (Cahier, 2985.)
10. Höflichkeit ist nicht Schuldigkeit. – Körte, 2921 u. 3634; Simrock, 4851.
11. Höflichkeit lasst sich an keinem Probir Stein streichen, sie möcht in schlechten Halt bestehen. – Sutor, 725.
12. Höflichkeit schadet nie. – Mayer, I, 219.
13. Höflichkeit tödtet die Zeit.
»Den Chinesen ist die Höflichkeit angeboren und sie verknixen und verbücklingen zwei Drittel ihrer Tageszeit mit Ausübung dieser Nationaltugend.« (H. Heine, Vermischte, III, 47.)
14. Höflichkeit und Ehrlichkeit sind Schlüssel zu aller Menschen Herzen. – Gaul, 948.
Ohne Zweifel ist dann der zweite Schlüssel der bessere, wenn er überhaupt in ein Herz passt, das mit dem erstern geöffnet werden kann.
15. Höflichkeit und gute Sitten machen wohlgelitten.
Frz.: La complaisance fait connaître l'amitié, la franchise engendre la haine.
Holl.: Beleefdheid geeft veiligheid, maar hoogmoed vijanden. – Beleefdheid is de moeder van genegenheid. (Harrebomée, I, 46.)
16. Höflichkeit und reine (treue) Hand geht durch alle Land.
Doch findet L. Börne (Gesammelte Schriften, Hamburg 1840, V, 16), dass die Franzosen höflicher sind als die Deutschen. »Je vornehmer ein Franzose«, sagt er, »desto höflicher behandelt er den Niedrigen. Der Deutsche ist nur gegen Vornehmere höflich. Wie eine Sphinx lächelt er freundlich oben und gebraucht nach unten die Krallen. Hat er eine Schmeichelei ins Soll gesetzt, so schreibt er schnell eine Grobheit ins Haben.« A. Ruge (Zwei Jahre in Paris, Leipzig 1846, I, 397): – »In Paris wird man mit mehr Rücksicht zum Thor hinausgeworfen, als in Deutschland zum Hofrath ernannt.«
Dän.: En høvisk mand og to reene hender gaaer igiennem alle lande. (Prov. dan., 308.)
17. Höflichkeit und Treue1 bringen nimmer Reue. – Gaal, 998; Körte, 2924; Simrock, 4852; Braun, I, 1440.
1) Auch Treue gegen die eigenen Grundsätze, sofern man deren besitzt. Die polnischen Oberschlesier drücken dies sehr bezeichnend durch die Redensart aus: Er verbeugt sich bis zu den Füssen und steht wie ein Pfahl: Klania sie až do samych stóp, a stoi jak kół. (Lompa, 14.)
18. Höflichkeit und Wahrheit schicken sich wie Pillen und Vergoldung. – Körte, 2922.
Höflichkeit ist der Verstand und die Münze der Hofleute. Complimente sind eine Art falscher Münze, deren Werth die Klugen längst kennen, womit aber die Pinsel täglich betrogen werden.
Frz.: Courtoisie valt moult contre vezié (rusé) ennemi. (Leroux, II, 207.)
19. Höflichkeit von Einer Hand hat nicht lange Bestand.
20. Höflichkeit ziert den Mann und kostet nichts. – Simrock, 4853.
Auch die Spanier sagen: Höflichkeit des Mundes gilt viel und kostet wenig. Derselben Ansicht ist man auf Sicilien. (Reinsberg III, 90.)
Böhm.: Zdvořilostí nezhřešíš. (Čelakovsky, 86.)
Dän.: Høvlighed koster intet, og man kand derved baade faae lykke og ulykke. (Prov. dan., 308.)
Poln.: Ludzkościa żaden niezgrzeszy. (Čelakovsky, 86.)
21. Ist die Höflichkeit zu gross, sitzt der Teufel ihr im Schoss.
Dän.: Bedre at forsee sig mod høflighed end mod sin natur. (Prov. dan., 54.)
Engl.: Full of courtesy, full of craft. (Gaal, 1758; Bohn II, 81.)
It.: Chi te fa più carezza che non vuole, o ingannato t'ha o ingannar te vuole. (Bohn II, 82; Cahier, 2846.) – La molta cortesia fà temer ch'inganno via sia. (Pazzaglia, 177, 6.)
Lat.: Melius peccare in ethicam quam in physicam.
22. In Höflichkeit und Hutabziehen soll man keine Theuerung machen.
23. Mit Höflichkeit kommt man durch die Welt.
It.: Vince più cortesia che forza d'armi. (Pazzaglia, 72, 3.)
24. O Höflichkeit verlaat mi nig, wenn mi de grave (grobe) Knull anficht. (Holst.)
Spruchreim, den man als Lehre groben Menschen gibt. Grave Knull, sonst Grobian, Filz, ist hier die personificirte Grobheit. H. Heine (Reisebilder, III, 5) hatte [732] diese Herrschaft gewonnen, denn er gibt sich das Zeugniss: »Ich bin der höflichste Mensch von der Welt. Ich thue mir was darauf zugute, niemals grob gewesen zu sein auf dieser Erde, wo es so viele unerträgliche Schlingel gibt.«
25. Von grosser Höflichkeit ist Betrug nicht weit.
26. Wegen Höflichkeit ist noch niemand gestraft worden. (Steiermark.)
*27. Er beisst sich an der Höflichkeit keinen Zahn aus.
Holl.: Hij is zoo vol beleefdheid; als eene koe vol muskaat. (Harrebomée, I, 46.)
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