Baur

[486] Baur, 1) Ferdinand Christian, berühmter prot. Theolog, geb. 21. Juni 1792 in Schmiden bei Kannstatt, ward 1817 Professor am theologischen Seminar zu Blaubeuren u. 1826 ordentlicher Professor zu Tübingen, wo er 2. Dez. 1860 starb. Nach Herausgabe seiner »Symbolik u. Mythologie, oder die Naturreligion des Altertums« (Stuttg. 1824–25, 3 Bde.) bebaute er in epochemachender Weise die Gebiete der Dogmengeschichte, der kirchlichen Symbolik und der biblischen Kritik. Zuerst auf dem Standpunkt Schleiermachers stehend, schloß er sich schon in seinen Schriften über »Das manichäische Religionssystem« (Tübing. 1831) und »Die christliche Gnosis, oder die christliche Religionsphilosophie in ihrer geschichtlichen Entwickelung« (das. 1835) der Hegelschen Schule an, der er dann[486] m seiner philosophischen Behandlung der gesamten Kirchengeschichte treu geblieben ist. Den eigentlichen Glanzpunkt seiner historischen Forschungen bildete das dogmengeschichtliche Feld, teils in den umfassenden Monographien: »Die christliche Lehre von der Versöhnung in ihrer geschichtlichen Entwickelung von der ältesten Zeit bis auf die neueste« (Tübing. 1838), »Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes« (das. 1841–43, 3 Bde.), teils in seinem »Lehrbuch der christlichen Dogmengeschichte« (Stuttg. 1847, 3. Aufl. 1867) und in seinen »Vorlesungen über die christliche Dogmengeschichte« (Leipz. 1865–67, 3 Bde.). Ein zweites, verwandtes Gebiet, auf dem B. wirkte, ist die Symbolik im kirchlichen Sinne; er verteidigte den Lehrbegriff der evangelischen Kirche gegen Möhlers »Symbolik« in seiner Schrift »Der Gegensatz des Katholizismus und Protestantismus« (Tübing. 1834, 2. Aufl. 1836). Mit Vorliebe endlich wandte er sich der Urgeschichte des Christentums zu. Wo man früher im apostolischen Zeitalter nur Frieden und Einheit gesehen hatte, da suchte er den Kampf entgegengesetzter Richtungen nachzuweisen, eines jüdisch-gesetzlichen Messiasglaubens und des von Paulus eingeführten Prinzips der gesetzesfreien Weltreligion. Aus der Auseinandersetzung, in der beide Richtungen anderthalb Jahrhunderte lang miteinander begriffen waren, ging dann die katholische Kirche hervor; als Denkmäler dieses kirchenbildenden Prozesses seien unsre neutestamentlichen Schriften entstanden, meist im 2. Jahrh. Vor dem Jahre 70 bleiben als echte Schriften nur bestehen die vier größern Briefe des Paulus und die Offenbarung des Johannes. Zusammengefaßt sind die auf die Apostelgeschichte und die Paulinischen Briefe sich beziehenden Untersuchungen in dem Werke »Paulus, der Apostel Jesu Christi« (Stuttg. 1845; 2. Aufl., Leipz. 1866–67, 2 Tle.), seine die evangelische Überlieferung betreffenden Studien dagegen in den »Kritischen Untersuchungen über die kanonischen Evangelien, ihr Verhältnis zueinander, ihren Ursprung und Charakter« (Tübing. 1847), wozu als Nachtrag kommt die Schrift »Das Markus-Evangelium nach seinem Ursprung und Charakter« (das. 1851). Die von B. und seinen Schülern, wie Zeller, Schwegler, Köstlin, Hilgenfeld (s. d.), verfolgte kritische Richtung, als deren Organ die »Theologischen Jahrbücher« von 1842–57 erschienen, bezeichnet man mit dem Namen der Tübinger Schule. Vgl. Baurs Schrift »Die Tübinger Schule und ihre Stellung zur Gegenwart« (Tübing. 1859, 2. Aufl. 1860) und Zeller, Vorträge und Abhandlungen, S. 267 ff., 354 ff. (Leipz. 1865). Diese Schule brach einer durchaus neuen Anschauung des Urchristentums Bahn, die gewiß auf vielen Punkten anfechtbar, aber schon darum epochemachend ist, weil sie zuerst die allgemein gültigen Gesetze der Geschichtswissenschaft auf diesem Gebiet zur Anwendung gebracht hat. Die beste Gesamtdarstellung gibt B. selbst in dem Werke »Das Christentum und die christliche Kirche der drei ersten Jahrhunderte« (Tübing. 1853, 3. Aufl. 1863). Daran schließen sich: »Die christliche Kirche vom Anfang des 4. bis zum Ende des 6. Jahrhunderts« (Tübing. 1859; 2. Aufl. Leipz. 1863); »Die christliche Kirche des Mittelalters« (das. 1861, 2. Aufl. 1869); »Die Kirchengeschichte der neuern Zeit« (das. 1863); »Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts« (das. 1862, 2. Aufl. 1877). Vgl. auch Baurs Werk »Die Epochen der kirchlichen Geschichtschreibung« (Tübing. 1852).

2) Gustav, prot. Theolog, geb. 14. Juni 1816 zu Hammelbach im Odenwald, gen. 22. Mai 1889 in Leipzig, 1841 Privatdozent zu Gießen, 1847 außerordentlicher, 1849 ordentlicher Professor, ging 1861 als Hauptpastor der Jakobigemeinde nach Hamburg und 1870 als ordentlicher Professor nach Leipzig. Unter seinen Schriften sind außermehreren Predigtsammlungen zunennen: »Grundzüge der Homiletik« (Gießen 1848); »Grundzüge der Erziehungslehre« (4. Aufl., das. 1887); die unvollendete »Geschichte der alttestamentlichen Weissagung« (das. 1861); »Boëtius und Dante« (Leipz. 1874) und »Die vorchristliche Erziehung« (in Schmids »Geschichte der Erziehung«, Bd. 1, Stuttg. 1884). Nach seinem Tode wurde »Die christliche Erziehung« (ebenda, Bd. 2, 1892) veröffentlicht.

3) Wilhelm, prot. Theolog, Bruder des vorigen, geb. 16. März 1826 zu Lindenfels im Odenwald, gest. 18. April 1897 in Koblenz, 1865 Pastor in Hamburg und Direktor der dortigen Stadtmission, 1872 Hof- und Domprediger in Berlin, 1879 Oberkonsistorialrat, 1881 Propst, 1883 Generalsuperintendent der Rheinprovinz. B. war Mitglied des Zentralausschusses für innere Mission. Von seinen volkstümlichen Schriften sind zu erwähnen: »Geschichts- und Lebensbilder aus der Erneuerung des religiösen Lebens in den deutschen Befreiungskriegen« (5. Aufl., Hamb. 1893); »Das deutsche evangelische Pfarrhaus« (5. Aufl., Halle 1902); »Leben des Freiherrn vom Stein« (5. Aufl., Berl. 1901), kleinere Lebensbeschreibungen von Friedrich Perthes (2. Aufl., Barmen 1880) und E. M. Arndt (5. Aufl., Hamb. 1883); »Lebensbilder aus der Geschichte der Kirche und des Vaterlandes« (Brem. 1887); »Prinzeß Wilhelm von Preußen, geborne Prinzeß Marianne von Hessen-Homburg« (2. Aufl., Hamb. 1889). Seine »Gesammelten Schriften« erschienen in 4 Bänden (Halle 1898–1901).

4) Hans, Bildhauer, geb. 26. Febr. 1829 in Konstanz, gest. im Mai 1897 daselbst, bildete sich zunächst bei Öchslin in Schaffhausen, einem Schüler Danneckers, und dann in München bei Widnmann. Sein erstes Hauptwerk waren die kolossalen Statuen des heil. Konrad und des heil. Pelagius im Dom zu Konstanz, denen die Statuen des Markgrafen Bernhard III. von Baden und des Bischofs Gebhard von Konstanz daselbst folgten. 1860 wurde ihm das Modell der kolossalen Statue des Vater Rhein für die Rheinbrücke bei Kehl übertragen, 1862 schuf er für die Rheinbrücke bei Konstanz die Sandsteinstatuen des Herzogs Bertold I. von Zähringen und des Großherzogs Leopold von Baden, 1873 das eherne Siegesdenkmal mit einer Viktoria in Konstanz und 1897 den Vierkaiserbrunnen mit den Bildern der Kaiser Heinrich III., Friedrich Barbarossa, Maximilian I. und Wilhelm I.

5) Franz von, Forstmann, Bruder von B. 2 u. 3), geb. 10. März 1836 in Lindenfels, gest. 2. Jan. 1897, studierte in Gießen, wurde 1855 Professor an der Forstschule zu Weißwasser, 1860 Oberförster in Mitteldick bei Darmstadt, 1864 Professor in Hohenheim, 1878 in München. B. hat durch seine Schrift »Über forstliche Versuchsstationen« (Stuttg. 1868) die erste wirksame Anregung zur Organisation des forstlichen Versuchswesens in Deutschland gegeben. Außerdem schrieb er: »Die Holzmeßkunde« (4. Aufl., Berl. 1891); »Lehrbuch der niedern Geodäsie« (5. Aufl., das. 1895), »Die Fichte in Bezug auf Ertrag, Zuwachs und Form« (das. 1876); »Die Rotbuche in Bezug auf Ertrag, Zuwachs und Form« (Berl. 1881); »Handbuch der Waldwertberechnung« (das. 1886). Seit 1866 war er Herausgeber der »Monatsschrift für das Forst- und Jagdwesen« (seit 1879 »Forstwissenschaftliches Zentralblatt«).[487]

6) Albert, Maler, geb. 13. Juli 1835 in Aachen, bildete sich an der Akademie in Düsseldorf bei Sohn und bei Kehren, dann in München bei Schwind und kam 1861 nach Düsseldorf zurück, wo er durch seinen Karton: die Leiche Ottos III. wird über die Alpen nach Deutschland gebracht, den von der Verbindung für historische Kunst ausgesetzten Preis gewann. Er führte ihn später in Öl aus. Bei der Konkurrenz zur Ausschmückung des Schwurgerichtssaales in Elberfeld errang er 1864 den ersten Preis, und die Ausführung (Szenen aus dem Jüngsten Gericht) wurde ihm übertragen (1869 vollendet). Es folgten in den nächsten Jahren: christliche Märtyrer werden von ihren Angehörigen zum Begräbnis abgeholt (in der Kunsthalle zu Düsseldorf), Otto I. an der Leiche seines Bruders Dankmar (1874, in der Kirche von Eresburg), und Paulus predigt in Rom (1876). Dazwischen entstanden kleinere Bilder aus dem deutschen Mittelalter und dem altrömischen Leben. 1872 wurde B. als Professor an die Kunstschule zu Weimar berufen, legte jedoch 1876 die Professur nieder und lebt seitdem wieder in Düsseldorf, wo er neben Porträten und kleinern Gemälden die Bilder: die Versiegelung des Grabes Christi (1879), die Tochter des Märtyrers in den Katakomben (1888), einen Zyklus von monumentalen, die Geschichte der Seidenindustrie in Europa darstellenden Wandbildern für das Textilmuseum in Krefeld und eine Reihe von allegorischen und geschichtlichen Wandbildern im Rathaussaal zu Düsseldorf malte.

7) Georg, Zoolog, geb. 4. Jan. 1859 in Weißwasser (Böhmen), gest. 25. Juni 1898 in München, arbeitete nach Beendigung seiner Universitätsstudien im Zoologischen Institut zu Leipzig, dann im Anatomischen und im Geologisch-paläontologischen Institut zu München, ging dann nach New Haven (Conn.), wurde Professor für vergleichende Osteologie an der Clark-Universität in Worcester, zuletzt in Chicago. B. lieferte vergleichend anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen über die Hand- und Fußwurzel unter eindringlicher Beachtung der paläontologischen Verhältnisse, er arbeitete ferner über den Archäopteryx, über die Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten, über die Rippen der Fische, über die Anatomie der Schädelknochen, über die Ossifikation der langen Knochen und über das Gebiß. Eine Reihe von Jahren beschäftigte er sich mit dem Studium der Schildkröten, auch arbeitete er über die Abstammung der Wirbeltiere und über das Variieren der Eidechsengattung Tropidurus auf den Galapagas. Von seinen Beiträgen zur Morphogenie des Carpus und Tarsus der Vertebraten erschien nur der erste Teil: »Batrachia« (Jena 1888).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 486-488.
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