Beichte

[496] Beichte (v. althochd. bijiht, mittelhochd. bigiht. Bekenntniß, lat. Confessio). I. Im Allgemeinen das feierliche, reuige Bekenntniß der Sünden vor dem Geistlichen, um durch diesen die Vergebung derselben (Absolution, s.d.) von Gott zu erhalten. Sie geht gewöhnlich dem Abendmahl voraus, ist aber bei den verschiedenen christlichen Religionsparteien verschieden (s. unten). Die B. entwickelte sich als eine in der christlichen Kirche entstandene Anordnung nach u. nach aus der Privatbuße, die aus der öffentlichen sich schon im 1. Jahrh. gebildet hatte (s.u. Buße). Als die Bischöfe, welche ursprünglich allein die Aufsicht über die Büßenden u. die Bestimmung der Bußübungen hatten, bei der immer größer werdenden Menge derselben, seit den Verfolgungen im 3. Jahrh., dies nicht mehr allein konnten, so nahmen sie einen gemeinschaftlichen Presbyter (Presbyter poenitentiarius) zum Gehülfen, welcher zwar nicht Absolution ertheilen durfte, weil diese in der ältesten Kirche nur nach einer öffentlichen Buße erfolgte, welchem man jedoch größere Sünden u. geringere Vergehungen gestand. da man so der strengen Kirchenzucht entging. Damit verband sich bald eine Verwechselung der Sündenvergebung bei Gott u. der Aussöhnung mit der Kirche. So entstand die Privat-B. vor besonderen Beichtvätern u. mit ihr die priesterliche Absolution, welche dann bes. mit dem Abendmahl verbunden war, weil durch den Genuß desselben die Gefallenen u. Büßenden wieder ganz in die christliche Kirchengemeinschaft aufgenommen wurden. Als durch Nectarius, Bischof von Constantinopel, unter Theodosius d. Gr. die Privatbuße in der Griechischen Kirche aufgehoben wurde, erhielt sich doch die Privat-B., ja die Anzahl der Beichtväter wurde dadurch vermehrt, indem nun jeder Priester unter Autorität des Bischofs die Absolution ertheilen durfte. In der Römischen Kirche dauerte die Einrichtung der Privatbuße u. der besonderen Bußprediger fort, u. in ihr entwickelte sich bes. seit dem 5. Jahrh. durch die Bemühungen des Papstes Leo d. Gr. die Privat-B. Die B. war indeß noch immer Jedes freiem Willen überlassen u. mußte nicht nothwendig der Communion vorhergeben, ja noch auf dem Concil zu Chalons 813 u. später ward noch ausdrücklich zwischen dem Sündenbekenntniß vor Gott u. vor dem Priester unterschieden. Immer mehr bildete sich indeß die Vorstellung aus. daß die Priester an Gottes Statt die Sünden vergäben u. daß Sünden u. zukünftige Strafen durch [496] Geld losgekauft werden könnten, u. so wurde die geheime od. Ohren-B. (Confessio au ricularis) immer gewöhnlicher u. endlich auf der 4. Lateransynode 1215 durch Papst Innocenz III. zum Kirchengesetz erhoben, indem diese verordnete, daß Jeder jährlich wenigstens einmal, u. zwar alle Todsünden, beichten solle. Von nun fing die B. an für das alleinige Mittel zu gelten, die Vergebung für Todsünden zu erhalten, welche der Priester als Stellvertreter Gottes wirklich gewähre u. allein gewähren könne. Dadurch fiel die B. an Laien, welche in der älteren Kirche, bes. bei Gefahr des Todes, üblich u. selbst noch zur Zeit der Scholastiker erlaubt war, von selbst weg. Zwar verwarfen die Albigenser im 13. Jahrh., Wiclef u. der General der Carmeliter, Michael de Bologna, im 14. Jahrh. die B. gänzlich, u. Huß im 15. Jahrh. die bisher übliche, allein sie wurde durch mehrere Concilien, zu setzt bes. durch das zu Trident, bestätigt u. genauer bestimmt u. ist in der Römisch-katholischen Kirche in der ausgebildetsten Form geblieben. II. Die verschiedene Form der B.: A) Bei den christlichen Confessionen. a) Griechische Kirche. Die orthodoxe griechische Kirche hält die B. mit der Buße verbunden für ein Sacrament u. legt vor der Absolution eine Genugthuhung auf. Ein specielles Sündenbekenntniß gilt zwar für gut u. heilsam, aber nicht für nothwendig ja es ist, außer in der Russisch-griechischen Kirche, Jedem freigestellt, ob er vor der Communion die B. ablegen will od. nicht, u. Viele unterlassen in dieselbe ganz. Die B. geschieht vor dem Altar, von der Priester betet u. einige Psalmen u. eine Collecte singt. Nachdem er dem Sünder die B. abgenommen hat, bittet er Gen, dem Sünder zu vergeben, legt ihm eine Buße auf, läßt ihn niederknieen u. gibt ihm die Absolution. Während eines Gesanges küßt der Beichtende dann das Evangelium u. begibt sich weg. Bei den schismatischen Roskolniken hört zwar der Starik, der den Gottes die ist leitet, B. u. legt Bußübungen auf, ertheilt aber keine Absolution, weil nur Christus Sünden vergeben könne. Unter den andern schismatischen Parteien der Griechischen Kirche verlangen die Jakobiten in Syrien das Bekenntniß aller, auch der Gedankensünden, vor dem Priester, welchem die strengste Beichtverschwiegenheit zur Pflicht gemacht wird. Unter den Nestorianern stand früher die Buße u. das Sündenbekenntniß in großem Ansehen u. wurde als nothwendige Vorbereitung zum Abendmahl gefordert; jetzt haben sie aber die B. nicht mehr. In der Abysinischen od. Äthiopischen Kirche ist die allgemeine u. öffentliche B.; die Absolution geschieht durch einen gelinden Schlag mit einem Ölzweig, bei größeren Verbrechen aber erst nach körperlichen Bußen, als Geißelung u.a. Auch die Armenier u. Mironiten fordern, ungeachtet ihrer Vereinigung mit der Katholischen Kirche, kein Bekenntniß aller einzelnen Sünden, nur das von Mord, Ehebruch u. Diebstahl. b) Römisch-katholische Kirche. Nach ihrer Lehre (s. oben) gründet sich die B. auf Matth. 3, o. a. Apostelg. 2,37 f. u. ist eine vor dem Priester abgelegte Selbstanklage über begangene Sünden, um durch die priesterliche Absolution Verzeihung von Gott zu erhalten. Sie wird gewöhnlich nur über die Sünden seit der letzten B., od. auch von einem längeren Zeitabschnitt, ja über die ganze Lebenszett, so beim Eintritt ins Kloster, abgelegt u. beißt dann General-B. Als nothwendiger Bestandtheil des Sacraments der Buße wird eine geheime od. specielle B., Ohren. B. (s. ob.), der schweren od. Todsünden gefordert, weil diese die herrschende gute Gesinnung des Menschen aufheben u. ihn des göttlichen Wohlgefallens berauben, das Bekenntniß geringerer Fehltritte aber wird als rathsam u. nützlich erklärt. Durch eine wissentlich verschwiegene schwere Sünde wird der Beichtact nichtig u. das Sacrament entweiht. Die B. muß in Person mündlich u. darf nicht schriftlich abgelegt werden. Die sacramentliche B. ist, als von Jesu eingesetzt, in der Römisch-katholischen Kirche ein Glaubensdogma. Die Nothwendigkeit der Ohren-B. leitet die Katholische Kirche ab theils aus der, den Aposteln von Jesu verliehenen Vollmacht zur Vergebung od. Behaltung der Sünden, indem dadurch den Aposteln u. ihren Nachfolgern eine richterliche Gewalt übertragen worden sei, welche sie nur dann ausüben können, wenn sie genau von der Beschaffenheit der Vergehungen u. von der Würdigkeit od. Unwürdigkeit der Sünder unterrichtet seiten, theils aus dem Zweck der ganzen Bußanstalt, welcher die Versöhnung mit Gottes heiligem Gesetze durch Sinnesänderung u. Besserung sei, auf welche der Priester nur dann einwirken könne, wenn er den Seelenzustand des Sünders genau kenne. Für die Heilsamkeit der Ohrenbeichte beruft sich die Katholische Kirche darauf, daß ein Jeder nach seinem besonderen Charakter, seinen individuellen Verhältnissen u. Bedürfnissen belohnt, ermuntert. gewarnt, beruhigt, getröstet, manche geheime Sünde gebessert, mancher verbrecherische Entwurf zurückgehalten u. sonst viel Gutes gewirkt werden könne. Die B. ist ihr nicht Zweck, sondern Mittel zur Erweckung des wahren Bußsinnes u. eben ein nothwendiger Theil der ganzen Bußanstalt. Auch jetzt noch muß Jeder wenigstens einmal im Jahre, bes. zu Ostern, dem Priester beichten u. erhält hierfür an manchen Orten einen Beichtzettel als Bescheinigung, daß es geschehen. Laien zu beichten u. ihnen das Absolutionsrecht zuzugestehen, verbietet die Katholische Kirche durchaus. Die in der Katholischen Kirche vorgeschriebene Beichtformel ist, daß der Beichtende vor dem Priester niederkniet, das Zeichen des Kreuzes macht u. spricht: Ich bitte Ew. Ehrwürden um den heiligen Segen, damit ich meine Sünden recht u. vollständig beichten möge. Er betet dann die sogenannte offene Schuld od. das Confiteor, bekennt einzeln seine Sünden, beschließt dieses Bekenntniß mit einer Renebezeugung u. der Bitte um Absolution u. Bußauflegung u. verläßt, nachdem er Beides erhalten hat, den Beichtstuhl. c) Die Protestantischen Kirchen. aa) Die Lutherische Kirche verwirft die Ohren-B. mit der genauen Aufzählung der einzelnen Sünden als nicht in der Heiligen Schrift begrünet, doch wird in den Symbolischen Büchern die Beibehaltung der Privat-B, vor jedem Genusse des Abendmahles, wegen der Absolution der Beruhigung, des Gewissens u. des moralischen Nutzens, verlangt. Sie verwirft indeß allen Zwang, welcher die Gewissen beunruhigen könnte u. überläßt es dem Beichtenden, ob u. welche einzelnen Sünden er dem Beichtvater bekennen wolle. Statt dieser Privat-B. war indeß gleich Anfangs in einige u. Lutherischen Ländern, wir in Schweden, Dänemark, Strasburg seit 1574 die[497] Allgemeine B., d.h. eine Vorbereitungsandacht auf das Abendmahl, üblich, wo nach einer dem Gegenstande angemessenen Rede des Geistlichen (Beichtrede) mehrere zugleich ein gemeinsames Sündenbekenntniß ablegen u. gemeinsam die Absolution erhalten, Schon der Prediger Schade zu Berlin verwarf 1695–1697 das ganze Beichtwesen; er wurde von Deutschmann in Wittenberg widerlegt, Spener aber suchte zu vermitteln u. meinte, daß man den gegen die B. Eingenommenen auch ohne dieselbe das Abendmahl nach der gehaltenen Vorbereitungspredigt u. ertheilten allgemeinen Absolution geben könne. Er selbst schlug auch statt derselben ein kirchliches Sittengericht vor. In Folge ihres Streites wurde es im Kurfürstenthum Brandenburg Jedem freigestellt, ob er vor der Communion beichten wolle od. nicht, nur mußte er sich vorher bei dem Geistlichen melden. Seit der Mitte des 18. Jahrh. wurde die Allgemeine B. bei weitem in den meisten Lutherischen Ländern gewöhnlich, u. die Privat-B. findet sich nur noch an wenigen Orten. Indeß ist dieselbe auch vielfach vertheidigt u. ihre Wiedereinsetzung gewünscht, hier u. da auch die Abhaltung der Privat-B. neben der allgemeinen für die Kirchgemeindeglieder, welche sie wünschen, empfohlen worden. Bon der B., welche dem jedesmaligen Genuß des Abendmahls vorausgeht, der Abendmahls-B., unterscheidet man die Cultus-B. od. die allsonntägige Verlesung der in den Agenden vorgeschriebenen allgemeinen Beichtformel nach der Predigt. bb) Die Reformirten verwerfen nicht nur die Ohren-B., sondern auch die bei den Lutheranern früher übliche Form der Privat-B., läugnen die Nothwendigkeit eines besonderen Sündenbekenntnisses u. lehren, daß jeder fromme u. rechtgläubige Christ ein solches anhören u. Belehrung, Trost u. Vergebung aus Gottes Wort ankündigen könne. Der Geistliche sei indeß der natürlichste Beichtvater, u. dieser habe die Pflicht, sich der bekümmerten Gewissen anzunehmen. Die statt der eigentlichen B. übliche Vorbereitung zur Communion ist der allgemeinen B. sehr ähnlich. Es wird ein allgemeines Sündenbekenntiß laut vorgelesen, von allen Communicanten durch ein lautes Ja! bekräftigt, die Absolution feierlich ertheilt u. an Alle die Aufforderung gerichtet, bei besonderen Gewissensangelegenheiten sich unmittelbar an den Geistlichen zu wenden. Auf ähnliche Weise ist die B. auch cc) in der Unirten evangelischen Kirche verordnet. dd) In der Presbyterialkirche in Schottland findet keine Art von stehendem Sündenbekenntniß, B. u. Absolution statt, obgleich die Communion sehr feierlich gehalten wird. ee) Die Socinianer haben statt der B. am Tage vor dem Abendmahl eine Disciplin, d.h. Vorbereitung bei verschlossenen Thüren, wo Jedem seine Fehler verwiesen, Ärgerniß Gebende ernstlich ermahnt, selbst von der Gemeinde ausgeschlossen u. Beleidigungen ausgesöhnt werden. ff) Bei den Herrnhutern vertritt das sogenannte Sprechen, welches 8 Tage vor der Communion zwischen den Chorhelfern u. den Communicanten über ihren Seelenzustand gehalten wird, die Stelle der B. gg) Die Episkopalkirche in England hat kein besonderes Beichtinstitut als Vorbereitung zum Abendmahle, sondern schreibt die allgemeine B. u. Absolution in ihrem liturgischen Book of common prayer für jeden Morgen- u. Abendgottesdienst vor, wobei die Vergebung der Sünden erklärt wird. hh) Die Quäker verwerfen mit dem Sacramente des Abendmahles auch die B. Die Beichtformel der Protestanten ist an verschiedenen Orten verschieden u. findet sich in den Agenden der einzelnen Landeskirchen. Vgl. Omler, Der Prediger im Beichtstuhle, Jena 1780; Waldau, Über das Beichtwesen, Dresd. 1786; Merkel, Über die allgemeinen. besondere B., Chemnitz 1800; Köhler, Anleitung für Seelsorger im Beichtstuhle, Frkf. a. M. 1803; Klee, Die B., eine histor. krit. Untersuchung, Frankf. 1828; I. Stäudlins Beleuchtung dieses Buches, Lpz. 1830; Kliefoth, Die B. u. Absolution, Schwerin 1856; Nehr, Kurze Geschichte der B., Windsheim 1799. B) Bei außerchristlichen Religionsverwandten. a) Die Juden brauchen bei der B. eine bestimmte allgemeine Beichtformel (Al Chet), welche aus 44, die gewöhnlichen Sünden enthaltenden Sätzen besteht, u. welche sie nur am Versöhnungstage an den 3 Tageszeiten u. am Vorabend desselben abbeten; außerdem nur am Hochzeits- u. am Sterbetage, weil die Verheirathung, nach der Meinung der Rabbiner, wie der Tod, Entsündigungskraft besitzt. Der Beichtende schlägt sich dabei zum Zeichen der Betrübniß mit der rechten Hand auf die Brust. Fällt der Versöhnungstag auf einen Sabbath, so wird die B. nur am Vorabend des Bußtages abgebetet u. vor Ausgang desselben in dem Schlußgebete (Nila) eingeschaltet. Die dem Al Chet vorhergehende kurze B. (Aschamnu), die nur aus 22 Worten besteht, wird auch an dem Vorabende der Neumonde u. anderen geringeren Bußtagen des Jahres im Morgengebet eingeschaltet. Öffentliche Sündenbekenntnisse in der Synagoge kamen bei großen Sünden sonst mehr als jetzt vor. b) Bei den Muhammedanern heißt die B. Ekrar u. wird den Mollahs abgelegt.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 2. Altenburg 1857, S. 496-498.
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