[784] Luther (Martin), der große Reformator, wurde geb. zu Eisleben am 10. Nov. 1483.
Sein Vater Hans, ein Bergmann aus einem Bauerngeschlechte in Möra, später wohlhabender Hüttenherr und Rathmann in Mansfeld, hielt ihn in harter Zucht; seine Mutter Margaretha, eine geborene Lindemann, war ausgezeichnet durch Sittsamkeit und Tugend. Den ersten Sprachunterricht erhielt L. in seinem 14. Jahre bei den Nullbrüdern (s. Lollharden) in Magdeburg, von wo er aber schon im nächsten Jahre nach Eisenach ging. Hier lebte er als Currendschüler, auch durch die Wohlthätigkeit der Matrone Cotta, einer Verwandtin seiner Mutter, die sich an seinem herzlichen Singen und Beten erbaute. Als L. im Jahre 1501 die Universität Erfurt bezog, sollte er nach dem Wunsche seines Vaters die Rechtswissenschaft studiren; aber L. beschäftigte sich vorzugsweise mit den alten Classikern, mit scholastischer Philosophie und namentlich auch mit dem Studium der Bibel. Seinem von einem starken Gedächtnisse und einer scharfen Urtheilskraft unterstützten Fleiße gelang es, schon 1503 die Magisterwürde zu erwerben, worauf er selbst philosophische Vorträge zu halten begann. Aber erschüttert durch den raschen Tod seines Busenfreundes Alexis, der auf einer Reise von Mansfeld nach Erfurt durch den Blitz oder durch Meuchelmord an seiner Seite umkam, floh er in der Nacht des 17. Jul. 1505 in das Augustinerkloster zu Erfurt und legte gegen die Abmahnung seiner Freunde und gegen den Willen seines Vaters das Gelübde ab. Im J. 1507 erhielt L. die Priesterweihe und im folgenden Jahre durch seines Ordensgenerals Staupitz's Verwendung ein öffentliches Lehramt an der neugestifteten Universität zu Wittenberg. Von der Aristotelischen Philosophie der Scholastiker, die zu lehren er berufen worden war, wandte er sich bald zur Theologie, hielt mit vielem Beifall Vorlesungen über Abschnitte der h. Schrift und wagte nach langem Widerstreben zu predigen, blieb aber ein eifriger Anhänger des Papstes und der Kirche. Mit besonderer Freude unterzog er sich deshalb dem Auftrage seines Ordens, 1511 in Angelegenheiten desselben nach Rom zu reisen. Hier lernte er die Sittenlosigkeit der ital. Geistlichkeit kennen. Der glückliche Erfolg seiner Reise, noch mehr seine ausgezeichnete Predigergabe, die er selbst vor dem Kurfürsten Friedrich dem Weisen hatte geltend machen müssen, erwarben ihm 1512 die theologische Doctorwürde. Je tiefer er nun in den Inhalt der h. Schrift eindrang, um so überzeugender ward ihm als Grundbedingung des Christenthums ein inneres religiöses Gemüthsleben, während von den meisten Christen ein allzugroßer [784] Werth auf äußere Werkheiligkeit gelegt wurde. Aus reiner Liebe zur Wahrheit trat daher L. gegen den Ablaßkrämer und Dominikaner Tetzel in die Schranken, als derselbe als untergeordneter Geschäftsführer des Kurfürsten Albrecht von Mainz, eines der Hauptcommissarien des Ablaßverkaufes in Deutschland, im Bisthume Magdeburg und Halberstadt bis in L.'s Nähe sein Gewerbe auf das frechste und schändlichste trieb. Die 95 Streitsätze, die jetzt L. am 31. Oct. 1517, als am Vorabende Allerheiligen. wo viel Volk nach Wittenberg strömte, an die dortige Schloßkirche schlug, gingen noch keineswegs auf eine Reformation der Kirche aus. Er wollte vielmehr die Würde des Papstes selbst gegen einen Misbrauch verwahren, in welchem jene der Verachtung und Verspottung selbst der Ungelehrten preisgegeben schien, und das Christenthum von der ihm angethanen Beschimpfung reinigen. Aber L.'s Bestimmung zum Reformator war entschieden, als Gegner das Wort nahmen, die durch bittere Schmähung und nimmer rastende Verfolgung seinen kräftigen Widerstand reizten und den Streit allmälig auf alle jene Lehren ausdehnten, die sie selbst als Waffen gegen ihn brauchten, und endlich auf die allgemeine Grundlage derselben, das untrügliche Ansehen des Papstes. Das Geschrei eines Ketzerrichters erhoben gegen ihn Tetzel und der demselben gleiche Hogstraaten, Dominikaner zu Köln; dagegen vertheidigte Sylvester Priorias, ein hoher Hausbeamter des Papstes, die Sache seines Ordensgenossen mit vornehmer Nachlässigkeit, und Eck's, des sonst wohlverdienten Lehrers der Theologie zu Ingolstadt, gelehrter Angriff war gepaart mit engherziger Streitlust. L. schleuderte gegen sie seine vernichtende Beredtsamkeit. Mitten in diesen Kämpfen, zu denen anfangs noch Zweifel gegen sich selbst kamen, bildete sich in ihm die Überzeugung, daß er nicht seine, sondern Christi Sache führe, und daß er im Frieden mit seinem Erlöser von der Welt nichts zu hoffen noch zu fürchten habe. Dem demüthigen Schreiben, das er dem Papste Leo X. zugleich mit seinen Thesen und deren Vertheidigung geschickt hatte, folgte am 7. Aug. 1518 die unheimliche Vorladung L.'s nach Rom vor ein geistliches Gericht, wogegen sein Kurfürst vom Papste nicht ohne Mühe für ihn Verhör in Deutschland erwirkte. Im Oct. 1518 erschien L. zu Augsburg vor dem Cardinallegaten Cajetan (Thomas Vio de Gaeta). Aber weder das stolze Machtgebot dieses, noch die vielversprechende Freundlichkeit des päpstlichen Kämmerlings, Karl von Miltitz, in einer Unterredung zu Altenburg 1519, vermochten ihn zum Widerruf. Zwar schrieb er noch einmal in Demuth und Ehrerbietung nach Rom und bat um Gerechtigkeit, ungeachtet er schon früher wegen der feierlichen Bestätigung der angefochtenen Lehren vom Ablaß die Entscheidung seiner Sache einem allgemeinen Concil vorbehalten hatte; aber die bald darauf in Leipzig mit Eck gehaltene Disputation (vom 27. Jun. bis 16. Jul. 1519) entflammte seinen Reformationseifer aufs Neue und mehr als je benutzte er in reicher, schöpferischer Thätigkeit zur Durchführung seines Reformationsplans den mächtigen Schutz, den ihm der Kurfürst Friedrich, nunmehriger Reichsverweser, gewährte. Obschon daher der Papst, auf Eck's Betreiben, am 15. Jun. 1520 das Verdammungsurtheil über L.'s Lehren und über ihn selbst den Bann für den Fall des Nichtwiderrufs aussprach, und obschon der neugewählte Kaiser Karl V. sich sofort sehr geneigt zeigte, dem Urtheil durch den weltlichen Arm die Erfüllung zu geben, so zagte L. doch nicht, sondern trat nur begeisterter auf. Er fing an, sich als Werkzeug zu betrachten, wodurch Gott Großes vollbringen wolle. Also erkühnte er sich, nachdem seine Schriften bereits in Rom, Köln und Löwen ins Feuer geworfen worden waren und er selbst nicht mehr daran zweifelte, daß der Papst ein verhärteter Ketzer, der Antichrist selbst sei, die päpstliche Bulle und mit ihr die Decretalen des päpstlichen kanonischen Rechts am 10. Dec. 1520 zu Wittenberg öffentlich zu verbrennen, und erschien am 17. Apr. 1521 heitern Muthes auf des Kaisers erstem Reichstage zu Worms, wohin man ihn vorgeladen, zwar unter sicherm Geleit, doch als Einer, gegen den blos die äußere Rechtsform des Verhörs noch zu beobachten wäre. Die Tage zu Worms und schon jene der Reise dahin waren die glorreichsten in L.'s Leben. Allenthalben, wo er durchzog, strömte das Volk ihm entgegen, pries ihn laut als Befreier und segnete ihn. Worms selbst wiederhallte von L.'s Lob und war voll von Schutzschriften für ihn und voll drohender [785] Erklärungen gegen seine Feinde. Eine große Zahl Edelleute, angefeuert durch den begeisterten Hutten, verschwor sich zu seinem Beistande. Indessen vertheidigte L., nachdem er sich zuvor einen Tag Bedenkzeit genommen, vor dem Kaiser, vor den Fürsten des Reichs und vor dessen ersten Prälaten seine Lehre mit Entschlossenheit und Kraft, bekannte sich zu seinen Schriften, und schloß seine zweistündige lat. und deutsch gehaltene Vertheidigungsrede mit den Worten: »Es sei denn, daß ich mit Zeugnissen der h. Schrift, oder mit öffentlichen, hellen und klaren Gründen überwunden und überwiesen werde, denn ich glaube weder dem Papst, noch den Concilien allein nicht, weil am Tage ist, daß sie oft geirrt und sich selbst widersprochen haben, und also mein Gewissen in Gottes Wort befangen ist, so kann und will ich nichts widerrufen, weil weder sicher noch gerathen ist, etwas wider das Gewissen zu thun. Hier steh' ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen.« Am 25. Apr. reiste er von Worms ab, mit einem für seine Sache scheinbar ungünstigen Erfolge, da über ihn und seine Anhänger von dem Kaiser die Reichsacht ausgesprochen wurde. Zur Sicherung seines Lebens ließ ihn der Kurfürst Friedrich auf seiner Heimfahrt durch verkappte Ritter anfallen und auf das Schloß Wartburg bringen. Hier lebte L. als Junker Georg in ritterlicher Tracht, oft krank und verdüstert, in Deutschland schon als todt betrauert, aber in heilsamer Thätigkeit, indem er das N. T. übersetzte und in neuen, durch Spalatin's Hände ausgehenden Streitschriften seine Gegner bekämpfte. Aus dieser zehnmonatlichen Abgeschiedenheit trat L. aufs Neue unerwartet hervor, als Karlstadt's (s.d.) stürmische Neuerungen in Wittenberg und die Schwarmgeister von Zwickau, die sich göttlicher Offenbarungen rühmten, das ruhige Fortschreiten der Reformation unterbrachen. Er schrieb von Borna aus zur Rechtfertigung seiner Entweichung an den Kurfürsten einen Brief in der erhabenen Ruhe der Gewißheit eines göttlichen Berufes, und stillte in Wittenberg den Aufstand, nachdem er eine Woche lang täglich gepredigt hatte. Während nun die Reformation die wichtigste Angelegenheit des Reichs wurde, und Papst Hadrian VI. in einem Schreiben an den Kurfürsten aufs Neue auf L.'s Untergang sann, traf dieser, von der öffentlichen Meinung geschützt und von seinen Freunden unterstützt, die Anstalten, durch die jene allmälig ins Leben trat. Doch fehlte es ihm jetzt noch keineswegs an äußern Kämpfen. Der König Heinrich VIII. von England griff 1522 seine Meinung vom Abendmahle an; ihm antwortete L. auf das kräftigste. Ebenso wenig scheute L. den Kampf mit Erasmus, als derselbe, wahrscheinlich auf Heinrich's von England Anmahnung, gegen ihn Partei ergriff, ungeachtet er selbst früher einmal in Köln für L. vor dem Kurfürsten ein kräftiges Wort gesprochen, und dessen reiches Wissen und unerschöpflichen Witz L. nicht so sehr achtete, als er seine Unentschiedenheit und Lauheit gegen die gute Sache tadelte. Unterdeß hatte aber L. selbst durch seine misverstandene Predigt von der christlichen Freiheit 1525 zu den Aufständen der hartgedrückten Bauern Veranlassung gegeben, und seine Feinde eilten, seine reine Sache mit der Schuld des öffentlichen Elends zu brandmarken. L. aber trat selbst gegen die Greuel des Bauernkrieges auf. Mitten in diesen Kämpfen und Unruhen schloß L. seine Vermählung mit Katharina von Bora (s.d.), nachdem er schon 1524 die Mönchskutte abgelegt hatte: ein Schritt, den er im 42. Jahre seines Alters, nicht ohne mancherlei Bedenklichkeiten und nicht sowol in Folge einer mächtigen Liebe, als einer allgemeinen, durch die Wünsche der Ältern begünstigten Neigung zum Glücke des Familienlebens that. Wol verstummten jetzt die Streitigkeiten L.'s mit katholischen Gegnern im Herannahen eines allgemeinen Kampfes, aber das Hervortreten einer Reformation in der Schweiz durch Zwingli hatte zwischen beide Reformatoren selbst eine Meinungsverschiedenheit über die Lehre vom Abendmahl zum Vorscheine gebracht. Der schon 1523 von L. mit Karlstadt geführte Streit brach 1526 aufs Neue zwischen ihm und Zwingli aus. Heftige Streitschriften wurden zwischen beiden Reformatoren gewechselt, und so sehr auch die Vereinigung Beider im Interesse der Reformation lag, so angelegentlich sie selbst in einem 1529 zu Marburg angestellten Religionsgespräche betrieben wurde, so dauerte gleichwol der später von Calvin aufgenommene Streit durch L.'s ganzes Leben fort. Ungleich ersprießlicher als dieser Streit war die neue evangelische Kirchenordnung, die L. auf Befehl des Kurfürsten 1526–29 unter Mitwirkung Melanchthon's und anderer Freunde in Sachsen einführte, und nach der von ihm 1527 –29 gehaltenen Kirchenvisitation eilte er selbst, dem unwissenden Volke und den gleich unwissenden Pfarrherren die reichen Gnadengaben des Evangeliums in seinem kleinen und großen Katechismus mitzutheilen. Als die evangelischen Stände, nachdem sie bereits in Speier 1529 gegen das Verbot, weiter zu reformiren, protestirt hatten, auf dem Reichstage zu Augsburg 1530 dem Kaiser ihr Glaubensbekenntniß überreichten, blieb L. in Koburg, da er selbst wegen der Reichsacht, womit er behaftet war, an derselben keinen Antheil nehmen durfte. Unterdeß hatte er seit seiner Rückkehr von der Wartburg mit unermüdlichem Fleiße an der Verdeutschung auch des A. T. gearbeitet. Seine Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit hierbei war so groß, daß er oft über der Wahl einzelner Worte ganze Tage zubrachte. Im J. 1534 konnte er zum ersten Mal die ganze h. Schrift in deutscher Sprache drucken lassen, ein Werk, durch welches allein schon er seinen Namen unsterblich gemacht hat. Wie aber L. den Gang der öffentlichen Verhandlungen über die Reformationsangelegenheit niemals aus dem Auge verlor, so wurde sein Eifer und seine Thätigkeit aufs Neue gespannt, als von Paul III. endlich 1536 das längstverheißene Concil, auf welchem die Reformation berathen und die Sache der Protestanten entschieden werden sollte, nach Mantua ausgeschrieben worden war. L. verfaßte zu diesem Zwecke im Auftrage seines Kurfürsten die von den evangelischen Reichsfürsten 1537 zu Schmalkalden unterzeichneten schmalkaldischen Artikel, in denen er in scharfem, mitunter heftigem Ausdrucke zeigte, wie viel in den streitigen Punkten nachgegeben werden könnte, oder nicht. Als er sich aber wiederum in der Hoffnung eines allgemeinen Concils getäuscht sah, da wurde er in mehren Schriften gegen das Papstthum aufs Neue fortgerissen, gab den brandenburgischen und anhaltischen Gesandten, die 1541 vom Reichstage zu Regensburg an ihn geschickt wurden, um ihn zur Nachgiebigkeit gegen die Katholischen zu stimmen, mit Festigkeit eine abschlägliche Antwort und verweigerte, als das Concil zu Trident 1545 wirklich zu Stande kam, die Theilnahme seiner Partei und schrieb sein heftiges Buch: »Das Papstthum in Rom vom Teufel gestiftet.«
[786] Indessen hatten L. körperliche Leiden, Steinschmerz und Schwindel, die ihn schon früher mehremal, namentlich in Schmalkalden, dem Tode nahe gebracht hatten, einen immer gefährlichern Charakter angenommen und das allgemeine Leiden erhöhte den Verlust eines Auges, der ihn jetzt noch traf. Im Vorgefühl seines nahen Todes hatte er sich von Wittenberg weg nach Zeitz gewandt, wo er seine letzten Lebenstage neben seinem Freunde Amsdorf in Ruhe beschließen wollte, kehrte aber bald auf das vereinigte Bitten der Universität. und des Kurfürsten nach Wittenberg zurück. Da riefen ihn zur Schlichtung einer Streitigkeit die Grafen von Mansfeld nach Eisleben, und hier starb L. am 18. Febr. 1546, zwar in der vollen Thätigkeit seines rastlosen Lebens, aber wie Einer, der sich nach der Heimat sehnt, und wie er selbst von sich kurz vorher im Jan. in den Worten geschrieben hatte: »Ich alter, abgelebter, fauler, müder, kalter und nun auch einäugiger Mann hoffte doch nun ein wenig Ruhe zu haben; so werde ich aber dermaßen überhäuft mit Schreiben, Reden, Thun und Handeln, als ob ich nie etwas gehandelt, geschrieben, geredt oder gethan hätte. Ich bin der Welt satt und die Welt meiner, wir sind also leicht zu scheiden, wie ein Gast, der die Herberge quittirt; darum bitte ich nun um ein gnädiges Stündlein und begehre des Wesens nicht mehr.« Sein Leichnam wurde in feierlicher Procession nach Wittenberg gebracht und daselbst in der Schloßkirche begraben. Seine zärtlich geliebte Frau hinterließ er mit vier Kindern, denn zwei waren früher gestorben, in dürftigen Umständen, und mit Martin Gottlob L., der 1759 als Rechtsconsulent in Dresden starb, erlosch seine männliche Nachkommenschaft. Wider seinen Willen ward seine Partei nach ihm die Lutherische genannt; und wie er selbst Gottes Sache nur mit den Waffen des Geistes führte, so widerrieth er auch, so lange er lebte, den Krieg, der gleich nach seinem Tode ausbrach. Von den durch die mansfelder literarische Gesellschaft seit 1801 gesammelten Beiträgen zu einem Denkmale L.'s, zusammen 34,000 Thlr., wurde am 31. Oct. 1831 das Denkmal zu Wittenberg aufgestellt, zu welchem der König von Preußen am 1. Nov. 1817 den Grundstein gelegt. L.'s Verdienst ist so groß, als die Reformation selbst in ihren Folgen segensreich gewesen ist. Der treue Spiegel seines Charakters und der Schlüssel all seines Thuns sind seine Schriften, deren gegen 400 gezählt werden, und die Zeit, die ihn bildete und in der er sein Werk vollbrachte, gibt für ihn selbst und für dieses den echten Maßstab der Würdigung. So war die Derbheit und Geradheit der Sprache L.'s ganz das Eigenthum seiner Zeit, die, wie sie selbst in Allem nur die lebenskräftige Natur kannte, so auch des verfeinerten Ausdrucks ungewohnt war und sich am liebsten in L.'s Kraftsprache angeredet wissen wollte. Doch haben boshafter Widerstand und der eigne mächtige Wahrheitstrieb seine rauhe Wahrheit, wie sehr auch begründet in seiner mönchischen Bildung und hitzigen Gemüthsart, noch rauher gemacht, und er selbst wollte lieber, wenn er einen Fehler haben sollte, daß er zu hart redete und die Wahrheit zu heftig herausstieße, denn daß er irgend einmal heuchelte und die Wahrheit zurück behielte. Über dem Großen, was L. als Reformator leistete, dürfen seine Verdienste um die deutsche Sprache und Poesie nicht vergessen werden. Er dichtete selbst herrliche Kirchenlieder, führte dadurch die Poesie in ihrer edelsten Gestalt in das Volk und regte andere tüchtige Geister an, von der lat. Poesie sich der deutschen zuzuwenden. Seine herrliche Bibelübersetzung wurde allgemein, und die in ihr niedergelegte gewaltige und schöne Sprache wurde das Vorbild aller folgenden großen deutschen Schriftsteller bis auf die neuesten Zeiten. Bei keinem Manne erscheint der Grundcharakter des deutschen Gemüths, Geradheit, Treue und Redlichkeit, herrlicher und offener dargelegt, als in L. So nachdrücklich er die Fehler Anderer züchtigte, so unverholen gestand er seine eignen Schwächen. Bei seiner natürlichen Heiterkeit war er doch öftern Bekümmernissen des Gemüths unterworfen; doch saß er insgemein lebensmuthig im Kreise seiner Freunde, neben dem Heiligen und Höchsten harmlos an Musik, Gesang und manchem derben Witzworte sich erfreuend. Mit der gutmüthigsten Biederkeit war er ein Trost und eine Hülfe allen Bedrängten. Von Statur war er mittelmäßig; seine Stimme war schwach, aber durchdringend und angenehm. Eine neue Ausgabe von L.'s Schriften ist in Erlangen (24 Bde., 1826–34) erschienen, eine Auswahl derselben von Wenk (10 Bde., Hamb. 1826) und von Pfizer (in Einem Bde., 1837).
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