Sansĭbar [2]

[577] Sansĭbar (bei den Eingebornen Unguja, »bevölkerter Raum«), Insel im Indischen Ozean, 40 km von der Ostküste Afrikas, zwischen 5°43´-6°28´ südl. Br. und 39°13´-39°37´ östl. L., samt unmittelbar zugehörigen Nebeneilanden 1590 qkm groß mit schätzungsweise 250,000 Einw. Die Insel ist eine echte Koralleninsel mit Steilküsten (besonders auch an der Insel Bawi vor dem Hafen von S.), über die sich ein bis 130 m hoher Höhenzug aus eisenhaltigem, rotem Ton erhebt. Spuren ältester Ablagerungen reichen nach Baumann bis in die Tertiärzeit. Der östliche Teil, ein echtes Korallenland mit Einsturztrichtern, Höhlen und versinkenden Flüssen, ist schwach bewohnt, der westliche Teil ist Kulturland mit eigentümlichen Erosionserscheinungen (Erdpyramiden aus hartem, sandigem Lehm) und einigen fließenden Gewässern, die aber nicht immer das Meer erreichen. Bei feuchtheißem, im allgemeinen ungesundem (Malaria) Klima hat S. zwei Regenzeiten, die größern Regen von März bis Mai, die kleinern von Mitte Oktober bis zum Jahresschluß; September ist am trockensten. Der Südwestmonsun dauert von März bis November, der Nordostmonsun von Mitte Dezember bis Mitte März; März und November sind Übergangsmonate. Die Regenmenge, die großen Schwankungen unterworfen ist, beträgt 150–250 cm. Mittlere Jahrestemperatur 26,7° (Juli 25,2°, Februar 28,1°); mittlere Jahresextreme 31,7° und 21,7° (absolute 32,6° und 20,4°). Die Insel gleicht in ihrer Flora der des tropischen Afrika, ebenso hinsichtlich der Kulturpflanzen: Negerhirse (Sorghum), der Tapioka liefernde Kassawastrauch (Manihot utilissima) aus Südamerika, Reis und Zuckerrohr. Die Ostindien entlehnten Gewürzpflanzen (Caryophyllus) sowie Citrus-Arten sind an felsigen Abhängen angepflanzt. Besonders einträglich ist der Gewürznelkenbaum von den Maskarenen. Von wilden Tieren kommen vor: Meerkatzen, Serval, Genettkatze, Zebra-Ichneumon, Hamster, Dach- und Wanderratte, Moschusböckchen, Zwergantilope und Larvenschwein; zahlreiche Vögel (das Perlhuhn) und von Reptilien eine Warneidechse. Unter der Bevölkerung nehmen die 10,000 Maskataraber, zu denen auch der Sultan gehört, als Beamte, Kaufleute und Plantagenbesitzer den ersten Rang ein. Den Handel aber haben die 7000 Inder (buddhistische Banjanen und Feuer anbetende Parsi, mohammedanische Hindu) als Bankiers, Groß- und Kleinhändler fast ganz an sich gerissen. Außerdem gibt es noch katholische Goanesen, Belutschen, Perser, Madagassen, Leute von den Komoroinseln (Wafungu) und etwa 170 Europäer. Die Masse der Bevölkerung besteht aus Negern, teils freien, vom Festland eingewanderten Suaheli (s. d.), sämtlich Mohammedaner, unter denen die Wangwana eine hervorragende Rolle spielen, teils aus einer sehr gemischten Sklavenbevölkerung. Die ursprünglichen[577] Bewohner sind die aus Afrika eingewanderten, ackerbautreibenden Wahadimu, die als mannigfach gemischte Gruppe der Suaheli bezeichnet werden können. Sie leben auf dem Korallenland in kleinen Dörfern zerstreut. Nahe der Nordspitze bei Kokotoni hat eine europäische Firma eine große Zuckerraffinerie und Ölpresse angelegt.

Die Stadt S., an der Westküste, zählt 100,000 Einwohner (je 5000 Inder und Araber) und besteht aus drei Teilen. Der vornehmste, Schangani, liegt auf einer Halbinsel und enthält die Trümmer von zwei Palästen des Sultans, deutsches, englisches und französisches Konsulatsgebäude, Zollhaus, Telegraphenamt, Dampferagenturen, englische Kirche, Hindutempel, steinerne Häuser in engen, winkligen Gassen und elende Rohrhütten der freien Arbeiter sowie ein nach altarabischem Muster gebautes Fort. Die Vorstadt Madagaskar Town ist der industrielle und geschäftliche, schmutzige Wohnsitz der Inder, Nyambi, das eigentliche Heim der Neger, nur aus Lehm- und Palmblätterhütten aufgebaut, die von Kokospalmen, Mangobäumen u.a. fast verdeckt werden. Schließlich kommt noch hinzu die Vorstadt Ngambo. In den Hafen (1892–99 Freihafen) liefen 1905 ein: 5528 Schiffe (darunter 5174 Dhaus von 84,354 Ton.) von 518,906 T., darunter 1635 deutsche von 208,878 T., 2046 englische, 74 französische, 1269 sansibarische (meist kleine). Monatlich einmal fahren die Dampfer der Deutsch-Ostafrika-Linie (etwa 200 im Jahre) zwischen Hamburg und der ganzen ostafrikanischen Küste, die der British India Steam Navigation Co. zwischen S., Aden, Indien und Europa sowie die Messageries Maritimes nach Marseille und die des Österreichischen Lloyd nach Triest. Die Einfuhr betrug 1905: 16,649,000, die Ausfuhr 16,810,000 Rupien. Besonders stark ist der Handel mit Deutsch-Ostafrika (Einfuhr 2,466,000, Ausfuhr 3,274,000 Rupien) und Ostindien. Eingeführt werden Baumwollenstoffe, Gewehre, Munition, Glasperlen, Draht, Kohle, gedörrte Fische, Metallwaren, ausgeführt: Gewürznelken, Gewebe, Elfenbein, Kopra, Häute, Kautschuk etc. Kabelverbindung besteht mit England. Es erscheint hier die »Gazette for Zanzibar and East Africa«.

Geschichte. Schon im 10. Jahrh. gründeten Araber Niederlassungen an der Ostküste von Afrika, zuerst in Lamu und Mombas. Vasco da Gama fand 1498 gut gebaute Städte, die lebhaften Handel mit Indien trieben; Hauptsitz war Oman. 1503 erkannten die Mohammedaner auf der Insel S. die portugiesische Oberherrschaft an. Doch gerieten die Portugiesen bald mit den ansässigen Arabern, dann mit den Persern, endlich mit den Holländern in schwere Kämpfe und verloren ihre Besitzungen nach anderthalbhundertjähriger Verteidigung an den Imam Said von Maskat, der sich 1784 Sansibars dauernd bemächtigte. Seine Statthalter machten sich jedoch unabhängig. Aber der 1806 zur Regierung gekommene Seyyid Said unterwarf sich bald die ostafrikanischen Küstenplätze, und 1837. fiel ihm auch S. durch Verrat in die Hände, das er 1840 zum Sitz seiner Dynastie machte. Als Seyyid Said 1856 starb, übernahm sein Sohn Sueni (Thowejni) die omanischen, ein andrer, Seyyid Madjid, die afrikanischen Besitzungen. Ihm folgte 1870 ein dritter Bruder, Seyyid Bargasch, der die Vorteile der abendländischen Bildung erkannte, europäische Forschung auf dem Festland förderte und mit dem Vordringen arabischer Händler auch im Seengebiet Einfluß gewann. Als die von der Gesellschaft für deutsche Kolonisation Ende 1884 mit Häuptlingen des Hinterlandes von S. geschlossenen Verträge durch kaiserlichen Schutzbrief vom 27. Febr. 1885 offizielle Anerkennung fanden, protestierte der Sultan, gab aber einer Demonstration der deutschen Flotte nach und erkannte 14. Aug. 1885 die deutsche Schutzherrschaft über Usagara, Nguru, Useguha und Ukami an. Am 20. Dez. 1885 wurde mit Deutschland ein Handelsvertrag geschlossen, der von Mitte 1886 an 15 Jahre galt und im September 1900 einer Revision unterzogen wurde. Am 16. Aug. 1888 übernahm die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft die Verwaltung des Küstengebiets südlich vom Umbafluß und die Zolleinnahmen im Namen des Sultans. Während dieser Verhandlungen starb Seyyid Bargasch. Sein Nachfolger Seyyid Khalifa schloß auch mit der Britisch-Ostafrikanischen Gesellschaft 1. Okt. 1888 einen Vertrag und überließ ihr im August 1889 die Somalküste zu selbständiger Verwaltung und Ausnutzung. Auf Seyyid Khalifa folgte 13. Febr. 1890 sein Bruder Seyyid Ali. Am 4. Nov. 1890 übernahm England auf Grund des deutsch-britischen Vertrags vom 1. Juli die Schutzherrschaft über S. und Pemba, Witu, die Küste bis Kismaju, die Inseln Patta und Manda, während Deutsch-Ostafrika und Mafia 1. Jan. 1891 gegen 4 Mill. Mk. zu deutschen Besitzungen erklärt wurden. Seyyid Ali starb 5. März 1893, sein Nachfolger Hammed ben Thwain 25. Aug. 1896. An Stelle des rechtmäßigen Erben Seyyid Chalid, eines Sohnes von Seyyid Bargasch, wurde von den Briten Hamud ben Mohammed als Scheinsultan eingesetzt; er starb 18. Juli 1902. Ihm folgte sein Sohn Ali bin Hamud, der, in Oxford erzogen, im April 1906 eine Reise nach Europa unternahm. Gegen den Verzicht auf eigne Gerichtsbarkeit in S. erwarb die 16. Juli 1893 gebildete italienische Kolonie Benadir die Hafenplätze Brawa, Merka, Mogdischu und Warscheik aus Pacht 1905 zu vollem Besitze. Vgl. von der Decken, Reisen in Ostafrika (Leipz. 1869–79, 6 Bde.); Burton, Zanzibar city, island and coast (Lond. 1872, 2 Bde.); Rabaud, Zanzibar (Mars. 1881); G. A. Fischer, Mehr Licht im dunkeln Weltteil (Hamb. 1885); K. W. Schmidt, S., ein ostafrikanisches Kulturbild (Leipz. 1887); Baumann, Die Insel S. (Veröffentlichung des Vereins für Erdkunde zu Leipzig, 1897); R. N. Lyne, Zanzibar in contemporary times (Lond. 1905); Schurtz im 3. Bande von Helmolts »Weltgeschichte« (Leipz. 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 577-578.
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