B [2]

[915] B) Blutumlauf (Kreislauf des Blutes, Circulatio sanguinis). Das in den Blutgefäßen enthaltene B. ist während des Lebens in beständiger Bewegung, indem es vom Herzen ausgeht, in alle Theile des Körpers sich vertheilt u. in das Herz wieder zurückkehrt. Es ist aber dieser Kreislauf, wie bes. durch Harvey zuerst deutlich nachgewiesen worden ist, ein doppelter: a) der kleine Kreislauf. Aus der rechten od. vorderen Herzkammer (s. Herz), in deren Vorhof die Hohlvenen das aus dem Körper zurückkommende Blut ergießen, wird es durch die Lungenarterien in die Lungen getrieben, vertheilt sich daselbst in den feinsten Verzweigungen in der Substanz dieses Organs, sammelt sich aus dieser durch seine, bei ihrer Vereinigung immer stärker werdende Venenäste endlich in 4 große venöse Stämme (Lungenvenen), die dasselbe in den linken od. hinteren Vorhof des Herzens ergießen. Dieser kleine Kreislauf bezweckt nur, das aus dem Körper durch die Venen zurückkehrende B. in den Lungen mit der atmosphärischen Luft in Berührung zu bringen (vgl. Athmen). Zu ihrer eigenen Ernährung erhalten die Lungen, wie jedes andere Organ, durch eigene Arterien Blut aus dem Aortensystem. Aus der linken Herzkammer geht das aus den Lungen zurückkehrende arterielle Blut in einen großen Arterienstamm, die Aorta, aus welcher unmittelbar od. mittelbar alle übrigen Arterien entspringen. Die Capillargefäße, welche aus den Verästelungen der größeren Arterien entspringen, vertheilen sich durch die ganze Masse des Körpers u. führen das Blut dahin, wo sich aus ihm die durch den Lebensproceß consumirten Organen bilden u. die Producte der organischen Rückbildung abgeschieden werden (vgl. Capillargefäße). Aus dem Parenchym der verschiedenen Organe sammelt sich das seiner nährenden Theile beraubte, mit Kohlensäure gesättigte, daher dunklere B., indem das von den Arterien zugeführte im Capillarsystem untergegangen ist, in seine, durch ihre Vereinigung immer stärker werdende Venenzweige, Äste u. Stämme, u. endlich in die beiden Hohladern, aus denen es sich in die rechte Vorkammer des Herzens (s. oben) ergießt u. so b) den großen Kreislauf vollendet, Im neugeborenen Kinde ruht, da dasselbe sein Blut bereits völlig gebildet durch die Nabelschnur erhält u. nicht athmet, der kleine Kreislauf, u. das in das rechte Herz gelangte Blut geht durch das eirunde Loch unmittelbar in das linke u. aus der Lungenarterie in den Botallischen Gang ebenso in die Aorta über; deshalb ist es aber auch arm an Sauerstoff. Damit das Blut in geregeltem Laufe aus einem Gefäßsystem in das andere übertreten könne, muß ein Organ vorhanden sein, welches einen der Schnelligkeit der Bewegung entsprechenden Druck auf die ganze Blutmasse ausübt; dieses Organ ist das Herz. Die Formveränderungen, die es im lebenden Organismus erleidet u. welche den regelmäßigen Druck auf das Blut mit sich führen, sind ein Zusammenziehen seiner Wände nach allen Dimensionen, daher Verkleinerung seiner Höhlen u. eine Vergrößerung seines Umfangs, daher Erweiterung seiner Höhlen, man nennt den ersteren Zustand Systole, den anderen Diastole. Der Grund dieser Formveränderung liegt einestheils in der Verkürzung der Muskelfasern des Herzens, anderentheils in dem Gegendruck, welchen das in ihm enthaltene B. gegen die Herzwandungen ausübt. Diese Erscheinungen sind schon von Harvey, dem eigentlichen Entdecker des Blutumlaufes, vorher aber bereits von la Reyna genau studirt worden, welcher in seiner Schrift: De Albeyteria (1522), sehr richtige Ansichten über diesen Gegenstand ausgesprochen hat. Die Thätigkeit des Herzens gibt sich durch den Herzschlag (Pulsus cordis) u. durch die Herztöne kund. Die Zahl der in einer Minute sich wiederholenden Herzschläge ist verschieden nach dem Alter, so bei Neugeborenen 130–140, bei Kindern in den ersten Lebensjahren 100–120, in der Jugend 80–100, in mittleren Lebensjahren 70–80 u. im Greisenalter 60–70. Die Herztöne kann man durch Auflegen des Ohres an die Brustwand, od. durch den Gebrauch des Stethoskopes (s.d.) wahrnehmen. Durch die Bewegung des Herzens u. die daraus resultirende Erschütterung der Blutmasse in den Arterien entsteht eine Wellenbewegung des Arterienblutes, der sogenannte Aderschlag od. Arterienpuls. Die Länge dieser Blutwellen hängt ab von der Systole u. von der Beschaffenheit der Arterienwand, ob dieselbe mehr od. weniger gespannt ist; die Frequenz der Pulsschläge ändert sich proportional der Zahl der Herzschläge. Als wesentliche Eigenthümlichkeit der Arterien ist ihre Elasticität u. der Druck hervorzuheben, den ihre Wände auf die in ihnen befindliche Blutmenge ausüben, denn das Herz allein u. seine Formveränderung sind nicht im Stande, den Lauf des Blutes auf so weite Strecken zu reguliren; somit steht das Blut im Arteriensystem unter einem doppelten [915] Druck: unter dem des Herzens u. dem der elastischen Arterienwände. Poiseuille hat, um den Druck einer solchen Blutsäule zu messen, ein Hämadynamometer erfunden, mit Hülfe dessen er fand, daß der Druck im Arteriensystem nicht an allen Stellen gleich sei. Die Venen sind in histologischer Beziehung ganz ähnlich den Arterien, sie besitzen, wenn auch in geringerem Grade, Elasticität u. Contractilität, u. nur der Blutlauf in ihnen weicht von dem in den Arterien ab; hier bemerkt man nämlich keine wellenförmige Fortbewegung des Bintstroms, das Blut aus einer geöffneten Vene fließt nicht stoßweise hervor, wie aus den Arterien, sondern ruhig, in einem continuirlichen Strahl. Die Schnelligkeit des Blutlaufes hat man theils durch Berechnung, theils durch Beobachtung ermittelt u. auf beide Arten bedeutende Geschwindigkeiten gefunden. So bedarf z.B. eine Blutmenge von 15,293 Grammen bei 70 Pulsschlägen pro Minute nur 11/3 Minute, um das Herz einmal zu passiren. Die Menge des im lebenden Körper circulirenden Blutes ist ziemlich schwer zu ermitteln, weil das Blut der Capillargefäße bei Verblutungen niemals ganz entfernt u. durch das Gewicht bestimmt werden kann; aus vielfachen direct u. indirect angestellten Versuchen geht aber hervor, daß die gesammte Blutmenge 1/5-1/10, des ganzen Körpergewichts ausmacht. Bei der Wichtigkeit des Blutes in dem Organismus kann eine bedeutende Entziehung desselben mit dem Leben nicht bestehen, sondern führt den Tod herbei. Manche Thiere sterben schon, wenn ihnen, 1/30 ihrer Blutmenge entzogen wird, andere erst bei Verlust von 1/10. Bei Menschen ist ein Blutverlust von mehr als 1–2 Pfd. schon schwächend, doch kann ein Verlust von 12–14 Pfd. auf einmal bisweilen, schwerlich aber einer, der 16–18 Pfd. übersteigt, überstanden werden. In wiederkehrenden Blutungen, od. wenn vorher eine B-menge sich in einem Organe angehäuft hat, können sehr große Verluste überstanden werden, so bei gebärenden Frauen, beim Blutbrechen etc.

C) Blutbildung. Da das Blut dazu bestimmt ist, die durch den Lebensproceß consumirten Organe wieder zu erzeugen, u. diese Bildung neuer Organe stetig fortgeht, so muß auch dem Blute, wenn das Gleichgewicht des allgemeinen thierischen Stoffwechsels nicht gestört werden soll, fortwährend Nahrung zugeführt werden, u. dies geschieht durch die Speisen. Die Umbildung derselben zu dem später in Blut zu verwandelnden Speisebrei od. Chymus erfolgt im Magen; hier werden zunächst die zur Blutbildung verwendbaren Stoffe theils durch die Säuren desselben, theils durch das eigentliche verdauende Princip des Magensaftes, das Pepsin, gelöst; ungelöst bleiben solche Materien, welche nicht an der Bildung neuer Organe u. Gefäße theilnehmen können. In dieser Beziehung unterscheidet sich die Magenverdauung der fleischfressenden Thiere wesentlich von der des Menschen u. der Pflanzenfresser; während z.B. Knochen, Sehnen, Horngebilde etc. im menschlichen Magen nur in fast verschwindend kleinen Mengen aufgelöst werden, verdauen größere Raubthiere dieselben ziemlich schnell selbst ohne vorhergegangene Zerkleinerung; ebenso werden die festen Pflanzentheile (Cellulose) vom menschlichen Magensafte fast gar nicht aufgelöst. Manche gelöst in den Speisekanal gebrachten Stoffe verbreiten sich ohne Weiteres in die allgemeine Säftemasse des Körpers, andere werden erst unlöslich u. dann wieder durch die Verdauungssäfte gelöst; so gerinnt die Milch im Magen, indem die Säure des Magensaftes den Käsestoff in Flocken abscheidet, bevor ihn das Pepsin wiederum auflöst. Besondere chemische Veränderungen erleiden die Nahrungsmittel im Magen meistentheils nicht, die Proteïnkörper werden nur wenig verändert, Fett geht wahrscheinlich als solches in die Chylusgefäße über, Stärkemehl, Rohr- u. Milchzucker werden in Dextrin, Traubenzucker u. Milchsäure verwandelt. So zubereitet gelangt der Chymus neben noch unverdauten, aber durch den Magensaft meist aufgeweichten u. sein zertheilten Speisen in den Darmkanal; hier gesellt sich zu ihm der pankreatische Saft (Saft der Pankreas od. Bauchspeicheldrüse) u. die Galle, welche ebenfalls ihre Fähigkeit, Nahrungsmittel zu verdauen, geltend machen u. den Chymus zum Übergang in das Blut vorbereiten, um dessen Verluste, die es durch Ablagerung an die Gewebe des Organismus erlitten hat, wieder zu ersetzen. Dies geschieht theils durch Aufsaugen in die Blutgefäße der Darmzotten, theils mittelbar durch die Lymphgefäße durch Zuführung der in den Geweben enthaltenen parenchymatösen Flüssigkeit u. des in die Lymphgefäße übergegangenen Chylus in das Blut. Beim Durchgang durch die Lymphgefäße u. deren Drüsen gehen mit diesen Flüssigkeiten Veränderungen der Art vor sich, daß sie selbst dem Blute ähnlich werden. Ob nur gewisse Stoffe von den Lymphgefäßen aufgenommen, andere nur durch die Darmzotten aufgesogen werden können, ist noch nicht mit Bestimmtheit ermittelt worden. Vgl. Verdauung, Ernährung, Resorption, Stoffwechsel.

II. Sittengeschichte. Der innige Bezug des Blutes zu dem Leben veranlaßte schon in frühester Zeit Scheu u. Achtung vor demselben. Nach den Mosaischen Urkunden wurde es schon durch ein Noachitisches, später durch das Mosaische Gesetz verboten, Fleisch in seinem Blute u. Blut zu essen, mit der Hindeutung: des Leibes Leben sei im Blute, u. das Blut sei die Seele. Die ägyptischen Priester tranken nicht einmal Milch, wähnend, daß dieß nur weißes Blut sei. Noch jetzt ist die Scheu vor Blut- u. Fleischgenuß überhaupt bei den Braminen in Indien tief gewurzelt u. mit den religiösen Ansichten der Hindus auf das Innigste verflochten. Auch die Philosophen Griechenlands erkannten die Wichtigkeit des Blutes als unmittelbaren Lebensprincips; nach Pythagoras ist es seine Bestimmung, selbst die Seele, ihrem sinnlichen Theile nach, zu ernähren. Dennoch galt es jederzeit als etwas Irdisches. Homers Götter hatten kein (dickes, rothgefärbtes) Blut, sondern einen (seinen, farblosen) Ichor. Allgemeine Anwendung hatte das Blut bei dem Opfercultus, bes. bei Sühnopfern; bei den Hebräern, Griechen u. Germanen seit der ältesten Zeit, bei den Römern erst nach der Zeit des Numa Pompilins. Auch beim Schließen von Bündnissen gehörte Blut zur Ceremonie, u. bei dem Abschluß von Blutbrüderschaften (s.d.) tranken die Paciscenten gegenseitig von ihrem Blute. Die Abneigung gegen den Genuß rohen Blntes ist bei den Menschen ziemlich allgemein; indeß ist für einzelne Nationen, bei sehr beschränkten Nahrungsmitteln, wie den Isländern, auch den wilden Visharyes in Oberägypten, frisches Thierblut ein[916] Labetrunk. In Zuständen eines an Wuth grenzenden u. nur in Mord seines Feindes seine Befriedigung findenden Hasses erwacht in rohen Gemüthern auch ein Verlangen nach dessen Blute (Blutdurst). In der Schlacht in den Catalaunischen Gefilden trinken die wilden Hunnen das Blut der erschlagenen Feinde, in dem Nibelungenliede die Burgunden in der Mordscene an Etzels Hofe nur aus Durst. Ein alter Volksglaube legt dem Trinken frischen Blutes von Enthaupteten u. bis zur Erschöpfung gesteigertem Laufen unmittelbar nach demselben, große Wirkung gegen Epilepsie u. andere Nervenleiden bei. In Zubereitungen wird von zu Speisen dienenden Thieren fast nur von dem geronnenen Blute der Schweine Gebrauch gemacht (s.u. Wurst), von Gänse-, auch Fischblut nur in Brühen. Raubvögel, auch größere Raubthiere, wie Löwen u. Tiger, erhalten ihren flüssigen Nahrungsstoff fast nur vom B. der erlegten Thiere, da sie nur wenig u. selten trinken. In Rußland wird das Trinken des warmen Blutes erschlagener toller Thiere gegen den Ausbruch der Tollheit der davon Verletzten angewendet. In älterer Zeit wurde das Baden in frischem Menschenblute zur Heilung des Aussatzes versucht. Unter die Sagen des Alterthums gehört auch, daß Tyrannen sich im Blute von Kindern gebadet haben, um verlorene Körperkräfte wieder zu erlangen. Das Gleiche wird von schändlichen vornehmen Weibern als Mittel, ihre Schönheit zu erhalten, erzählt.

III. Benutzung des Blutes. Thierblut wird in der Färberei angewendet, bes. zum Einweichen roth zu färbender Zeuge u. Garne; mit den meisten Beizen gibt es unbeständige Farben, doch mit Quecksilbersalzen eine dauernde rothe Farbe; in Armenien wird Blut mit Krapp zu dauerhaften rothen Farben angewendet. Töpfer färben häufig damit, doch nicht dauernd, kleine Thonwaaren. Chemisch läßt sich Blut überhaupt zur Desoxydation mehrerer Metalloxyde, sowie zum Klären des Zuckers benutzen. Häufig wird es noch jetzt zur Darstellung von Blutlaugensalz (s.d.) verwendet.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 2. Altenburg 1857, S. 915-917.
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