Griechische und apostolische Kirche

[276] Griechische oder griechisch-katholische und apostolische Kirche heißt die vorzüglich in Griechenland und Rußland herrschende christliche Kirche, welche an den altchristlichen Dogmen festhält, die nach der allgemeinen Anerkennung des Christenthums im röm. Kaiserthum durch mehre Kirchenversammlungen festgesetzt wurden und im 5. Jahrh. eine eigenthümliche Ausbildung erhielten, in deren Folge die griech. von der röm.-katholischen Kirche sich trennte. Zu ihr gehörten bis ins 7. Jahrh. Ostillyrien, das eigentliche Griechenland nebst den griech. Inseln, Syrien mit Palästina, Arabien, Ägypten und viele christliche Gemeinden in Mesopotamien und Persien. Später erst kamen slawische Völkerschaften, unter ihnen die Russen, dazu, nachdem fast alle Provinzen in Asien und Afrika allmälig durch die Mohammedaner entrissen worden waren. Die Trennung der griech. Kirche von der röm. wurde bedingt durch den Unterschied des Morgenlandes von dem Abendlande in Sitten und Sprache, besonders begünstigt aber durch die politische Trennung des röm. Weltreichs in das morgenländische und abendländische Reich. Es machten nun nämlich beide Städte, Konstantinopel und Rom, gleiche Ansprüche darauf, für die ersten Städte der Welt zu gelten, und gleichermaßen machten die geistlichen Oberhäupter in Rom und Konstantinopel Ansprüche auf den ersten Rang unter den Bischöfen der Christenheit. Anfänglich stellten sich den Anmaßungen des röm. Bischofs die Patriarchen von Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem nur gemeinschaftlich entgegen, bald aber verketzerten die beiden kirchlichen Parteien einander gegenseitig und die Bischöfe derselben fanden Unterstützung in den Regierungen ihrer Länder. Der Bischof zu Konstantinopel war auf zwei Kirchenversammlungen, zu Konstantinopel 381 und zu Chalcedon 451, als zweiter Bischof der Christenheit neben dem röm. anerkannt worden. Wegen einiger scheinbaren Abweichungen von den Bestimmungen der Kirchenversammlung zu Chalcedon sprach der röm. Bischof Felix II. 484 über die Patriarchen zu Konstantinopel und Alexandrien den Bann aus. Nun war die Trennung beider Kirchen entschieden, obschon wiederholte Versuche gemacht wurden, sie wieder zu vereinigen. Der Bilderstreit (s. Bilderdienst) bei den Griechen, das Cölibat bei den Lateinern und eine Menge abweichender Glaubensartikel, machten die Spaltung immer größer. Vergebens bemühten sich selbst mehre griech. Kaiser um die Hülfe des Abendlandes gegen die immer drängender anstürmenden Türken zu erhalten, die Kirchengemeinschaft mit Aufgebung der Eigenthümlichkeiten der griech. Kirche herzustellen. Das griech. Kaiserreich fiel endlich, verlassen von den abendländischen Christen, unter die siegende Macht der Türken. Unter der türk. Oberherrschaft beobachtete die griech. Kirche zwar gewissermaßen ihre Selbständigkeit und mit ihr die der Nation, aber ein großer Übelstand war die Verkäuflichkeit der geistlichen Stellen. In Ungarn, Siebenbürgen und Polen wurden die griech. Gemeinden zur Aussöhnung mit der röm. Kirche bewogen und hießen nun unirte Griechen. Für junge Griechen wurde vom Papst Gregor XIII. ein Collegium zu Rom 1566 gestiftet. Auch die Protestanten machten Versuche, ihren Ansichten Eingang bei den Griechen zu verschaffen. Der Patriarch Cyrillus Lukaris wurde in Folge der Calvinischen Richtung, die er in seinem Glaubensbekenntnisse aussprach, entsetzt und endlich sogar 1638 getödtet. In Moskau wurde 1587 der Bischof Hiob zum selbständigen Patriarchen ernannt. Einen festen Haltpunkt erhielt die griech. Kirche durch das Glaubensbuch, welches der Metropolit in Kiew, Petrus Mogilas, verfaßte und das 1643 durch die Unterschriften der Patriarchen von Konstantinopel, Alexandria, Antiochia, Jerusalem und anderer angesehener Geistlichen zum allgemein gültigen Glaubensbekenntniß der griech. Kirche wurde. In Rußland wurden von dem Kaiser Peter dem Großen verschiedene Kirchenverbesserungen durchgesetzt, indem er an die Stelle eines obersten Patriarchen über Rußland 1721 die heilige Synode zu Moskau setzte und sich selbst zum Schutzherrn der Kirche erklärte. Die griech. Kirche nimmt als Quellen der Glaubenslehre die heilige Schrift und die Beschlüsse der sieben ökumenischen (d.h. allgemeinen) Concilien zu Nicäa 325, Konstantinopel 381, Ephesus 431, Chalcedon 451, Konstantinopel 553, 680, und Nicäa 787 und mehre Kirchenväter an. Sie erkennt überhaupt die Unfehlbarkeit der in einer Synode repräsentirten Kirche an, sowie eine solche Synode auch das Recht hat, den Bann auszusprechen. Dagegen verwirft sie die Vorstellung eines sichtbaren Stellvertreters Christi auf Erden, und der oberste Patriarch nimmt daher bei den Griechen keineswegs die Stelle ein, welche der Papst in der röm.-katholischen Kirche behauptet. Die Hauptunterschiede der morgenländischen von der abendländischen Kirche sind folgende: Der heilige Geist geht nicht, wie der Papst lehrt, vom Vater und Sohn, sondern allein von dem Vater aus; die Apokryphen sind den kanonischen Büchern der Bibel nicht gleichzuachten; es gibt kein Fegfeuer, keine überverdienstlichen guten Werke, keinen Ablaß im Sinne der Katholiken; jeder Priester kann die Firmung ertheilen; bei der Taufe werden die Kinder dreimal ganz untergetaucht; das Abendmahl wird in beiderlei Gestalt ausgetheilt und zwar so, daß den Laien ein Brocken ungesäuerten Brotes in einem Löffel voll mit Wasser gemischten Weines über [276] dem Altar oder einem Altartuche gereicht wird, nur Geistliche trinken aus dem Kelche; das Abendmahl wird auch Kindern gereicht; die niedern Geistlichen dürfen heirathen, aber nur eine Jungfrau und nur einmal in ihrem Leben, daher sie als Witwer gewöhnlich in den Mönchsstand treten; Laien dürfen keine vierte Ehe eingehen; Ehescheidungen sind gestattet; nur gemalte Bilder Christi und der Heiligen dürfen verehrt werden, keine erhaben gearbeiteten Bildwerke; die Ölung wird als Heilmittel bei Krankheiten angewendet u. m. a. Streng ist das Fasten der Griechen, bei dem nur der Genuß von Früchten, Kräutern, Brot und Fischen gestattet ist. Sie fasten Mittwochs und Freitags in jeder Woche, nicht Sonnabends, wie die Katholiken. Überdies sind Fastenzeiten: die großen Fasten während der 40 Tage vor Ostern; das Muttergottesfasten, vom 1.–15. Aug.; das Apostel-Petersfasten nach Trinitatis; das Apostel Philippsfasten vom 15. Nov. bis 24. Dec.; endlich die Tage der Kreuzerhöhung und der Enthauptung Johannis. Die Griechen haben die hohen Fest- und Feiertage (s.d.) der übrigen Christen. Eigenthümlich sind ihnen nur das Fest der Wasserweihe, welches am 6. Jan. gefeiert wird zur Erinnerung an die Taufe Jesu im Jordan, und der orthodoxe Sonntag zur Ehre der griech. Kirche. Bei der Wasserweihe wird eine Öffnung in das Eis des nächsten Flusses gemacht und mit grünen Nadelholzzweigen geschmückt, mit Heiligenbildern umstellt u.s.w. In feierlichem Zuge kommt die Geistlichkeit mit der Gemeinde zu dem Orte, das Wasser, welches durch die Öffnung strömt, wird geweiht, stellt nun den Jordan vor und wird für besonders wunderbar wirksam gehalten. Mit ihm besprengt der vornehmste der anwesenden Geistlichen das Volk, man füllt Flaschen und andere Gefäße mit diesem Wasser und taucht Kinder in ihm unter. Am orthodoxen Sonntage werden die Beschützer, Prälaten und Märtyrer der Kirche gepriesen und die Ketzer verflucht. Kreuze, Reliquien, Gräber sind den Griechen sehr heilig und sie bedienen sich, wie die Katholiken, der Zeichen des Kreuzes und der Anrufung der Heiligen. Ja in der Verehrung der Heiligen gehen sie fast noch weiter als jene. In der Kirche dulden sie keine Instrumentalmusik, sondern nur Gesang, auch haben sie keine Sitzplätze. Die Messe macht den Haupttheil des öffentlichen Gottesdienstes aus, es werden Schriftstellen vorgelesen, desgleichen Legenden von Heiligen und Gebete, Sprüche und Glaubensbekenntnisse hergesagt, die der Priester oder Liturg anstimmt, die Gemeinde aber zu Ende spricht. Bei den Russen wird zuweilen auch gepredigt. Kirchensprache ist bei den eigentlichen Griechen das alte Griechisch, in welchem das neue Testament geschrieben und in welches das alte Testament übersetzt ist; bei den Russen und andern slaw. Völkerschaften die altslawische und bei den Georgiern die altgeorgische Sprache. Es wird eine höhere (Archiereis) und eine niedere Geistlichkeit unterschieden. Zu jener gehören die Patriarchen, Metropoliten, Erzbischöfe und Bischöfe; diese besteht theils aus Weltgeistlichen, theils aus Klostergeistlichen. Die höhere Geistlichkeit lebt im ehelosen Stande und geht aus der Klostergeistlichkeit (den Mönchen, Monachi) hervor, welche auch die schwarze Geistlichkeit genannt wird und aus gemeinen Brüdern, ordinirten Mönchen (Hierodiakonen oder Hieromonachi), Prioren (Higumenen) und Äbten (Archimandriten) besteht. Die Weltgeistlichkeit oder weiße Geistlichkeit besteht aus Liturgen, Vorstehern, Sängern, Hypo- (Unter-) Diakonen und Diakonen, und aus Priestern, Popen und Protopopen. Die Mönchsklöster und die wenigen Nonnenklöster haben alle die Regel des heil. Basilius (s.d.). Zwar gibt es noch gegenwärtig Patriarchen von Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem, aber die drei letztgenannten haben nur noch sehr kleine Gemeinden. Der ökumenische Patriarch von Konstantinopel hat auf der Synode, die aus den vornehmsten Geistlichen besteht, den Vorsitz und in seinen Händen lag ehemals auch ein großer Theil der weltlichen Gerichtsbarkeit über die Griechen, die im türk. Reiche zerstreut lebten. Gegenwärtig ist die letztere im neuen Königreiche Griechenland natürlich in die Hände der weltlichen Regierung übergegangen. Auch aus der griech. Kirche haben sich, wie aus der latein., mehre Sekten ausgeschieden, welche als ketzerisch betrachtet. werden. Die orthodoxen (rechtgläubigen) Griechen nennen sich, im Gegensatz gegen die Sektirer: Melchiten (d.h. Königliche). Die Roskolniken (d.h. Schismatiker, Sektirer) nennen sich selbst Altgläubige (Starowerzi) oder Auserwählte (Isbraniki) und haben sich um 1666 gebildet, als der Patriarch Nikon in Rußland mehre Verbesserungen durchsetzte. Sie wurden anfangs sehr verfolgt, erhielten aber nachmals durch die Kaiserin Katharina II. Religionsfreiheit. Zu ihnen gehören ein großer Theil der Bewohner Sibiriens und die Kosacken. Die Philipponen, ein Zweig der Roskolniken, von ihrem Stifter, Philipp Pastowiät (gegen Ende des 17. Jahrh.) genannt, haben keine Popen. Sie gingen vom Kloster Pomor im Gouvernement Olonez aus und wurden anfangs so hart verfolgt, daß sie ihre letzte Rettung mehrmals zur Selbstverbrennung nahmen. Um 1700 retteten sich viele Philipponen nach dem poln. Lithauen und ein Theil derselben in das jetzige Ostpreußen. Sie leben hier in großer Unwissenheit, ohne Schulen, aber als arbeitsame, fleißige Unterthanen, thun keine Kriegsdienste, leisten keinen Eid, halten die Ehe für kein Sacrament und haben keine Priester. Statt dieser ist in jeder Gemeine ein Ältester (Starik), der sich seit seiner Taufe starker Getränke enthalten haben muß und welcher die Geschäfte eines Geistlichen verwaltet, aber keine Absolution ertheilt, die sie nur von Gott zu erhalten glauben. Sie kennen weder Trauung, noch Confirmation, noch Firmelung. Die Duchoborzy nehmen nur die Evangelien als Glaubensquelle an, haben weder Kirchen noch Priester, leisten keinen Eid und keine Kriegsdienste und erkennen die Dreieinigkeit nicht an. Es gibt endlich noch unpopische Russen oder sogenannte russ. Juden im Gouvernement Archangel und Katharinoslaw, welche keine Taufe, keine Kirche, keine Priester haben, und weder Christus noch die Heiligen verehren.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 276-277.
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