[173] Diplomătie (v. gr.), ein Theil der praktischen Staatskunst u. zwar derjenige, welcher sich auf die auswärtigen Angelegenheiten bezieht, im Gegensatz zu der sogenannten inneren Politik. Das Wort hängt sprachlich mit Diplom zusammen u. deutet darauf hin, daß die D. ursprünglich auf der Diplomatik (s.d.) basirt war. Allgemein gebräuchlich ist der Ausdruck D., wofür man sonst Politik brauchte, erst seit Anfang des 19. Jahrh., obwohl die Diplomatische Kunst eine sehr alte ist u. schon von den Griechen u. Römern geübt wurde. Als Wissenchaft genommen bezeichnet D. den Inbegriff der Regeln u. Grundsätze, welche bei der Ausübung diplomatischer Functionen festzuhalten sind; bis jetzt fehlt es jedoch noch an einem wissenschaftlich geordneten System der D.; auch möchte es schwer werden, positive Grundlagen festzustellen, nach denen das diplomatische Verhalten in jedem einzelnen Falle sich genau vorschreiben ließe, denn wie der Umgang mit Menschen je nach den Persönlichkeiten u. den gegebenen Verhältnissen sich modificirt, auch wenn man als wesentlichen Gesichtspunkt die Achtung der fremden Persönlichkeit gelten läßt, so wird auch der Verkehr der Staaten unter einander von gewissen Rücksichten abhängig sein u. sich nicht in die Formeln der Theorie einzwängen lassen. Aus diesem Grunde kann auch die D. nicht durch theoretische Studien erlernt werden, u. wenn auch ein gewisser Umfang theoretischen Wissens (europäisches Völkerrecht, namentlich Gesandtschaftsrecht, positives Staatsrecht der wichtigsten europäischen u. amerikanischen Staaten, geschichtliche Kenntnisse, namentlich in Bezug auf die Verträge u. Friedensschlüsse der vorzüglichen Staaten Europas u. Amerikas, Nationalökonomie u. Handelspolitik, Chiffrir- u. Dechiffrirkunst, Kenntniß des Ceremoniells, der schriftlichen Formalitäten u. der wichtigsten europäischen namentlich der französischen Sprache, seitdem diese die allgemeine diplomatische Sprache zwischen Staaten verschiedener Zunge geworden ist, u. endlich Diplomatik) dem Diplomaten nothwendig ist, so beruht seine Tüchtigkeit doch wesentlich auf einem natürlichen Scharfblick, einem angeborenen Takt, der ihn mit Hülfe der praktischen Erfahrung in Staatsgeschäften ein Verhalten vorschreibt, welches der Machtstellung des von ihm vertretenen Staates angemessen u. der Erreichung seiner Absichten dienlich ist. Das Ziel diplomatischer Thätigkeit ist einerseits die Verhütung von Collisionen zwischen dem Staate, welchen der Diplomat vertritt, u. jenem, wo er diese Vertretung ausübt; andererseits eine entstandene Collision in[173] billiger Weise zur Ausgleichung zu bringen, endlich auch für besondere Fälle Bündnisse zu schließen, um eine seinem Staate drohende Kriegsgefahr mit Hülfe des Verbündeten abzuwenden. Außer diesem specifisch politischen Interesse hat der Diplomat aber auch das ökonomische Interesse seines Staates ins Auge zu fassen, um gemäß der industriellen u. wirthschaftlichen Verhältnisse desselben, vortheilhafte Handelsverträge mit fremden Staaten zu Stande zu bringen. Der Charakter der D. ist somit ein durchaus friedlicher; aber ländersüchtige Souveräne haben sich zu verschiedenen Zeiten der diplomatischen Formen bedient, um ohne Krieg unbegründete Ansprüche durchzusetzen od. dem Kriege wenigstens den Schein eines Actes der Nothwehr zu geben, ja selbst seitdem das Völkerrecht die Willkürmacht einzelner Souveräne in Schranken hält, hat es nicht an Beispielen solchen Mißbrauchs der D. zur Motivirung einer Eroberungs- od., euphemistisch ausgedrückt, Annexationspolitik gefehlt. Im Alterthum ging der Drang mächtig gewordener Staaten darauf hinaus, schwächere Staaten durch Unterjochung in sich aufzunehmen, um auf diese Weise zur Weltherrschaft zu gelangen. Die D. war daher auch kein abgesondertes Departement in der Staatsregierung u. ruhte ganz in der Hand der Regierenden, denen das schlechteste Mittel gut genug war, wenn es galt, über fremde Staaten Vortheile zu gewinnen. Mit Lug u. Trug suchte man den fremden Staat zu überlisten u. unter der Maske der Freundschaft feindselige Absichten durchzuführen. So trieb, um der Römer nicht zu gedenken, namentlich König Philipp von Macedonien den griechischen Staaten gegenüber eine listige Politik. Im Mittelalter übte das Christenthum zwar einen civilisirenden Einfluß auf die D., aber die Eroberungspolitik einzelner Souveräne, namentlich das Streben mehrer deutscher Kaiser nach einem universalen Vasallenstaat, war weniger von sittlichem Bedenken als von der Rivalität der Kirche mit der weltlichen Macht im Zaume gehalten. Meister in der D. waren im Mittelalter die Päpste, die durch diplomatische Kunstgriffe den Mangel realer Gewalt zu ersetzen wußten u. die von ihnen unterhaltene Feindschaft zwischen den weltlichen Mächten zur Förderung ihrer eigenen Macht ausbeuteten. Zur Führung diplomatischer Unterhandlungen bedienten sich Kaiser u. Könige vorzugsweise geistlicher Würdenträger. Erst mit dem Verfall des Kaiserthums kommt der Grundsatz von der Anerkennung der fremden Staaten als in ihrem Umfang berechtigter Existenzen mehr u. mehr in Aufnahme. Es wurde allgemeiner Gebrauch, bei fremden Höfen stehende Gesandtschaften zu unterhalten; dadurch entstand ein geregelter Verkehr, es kam eine gewisse höfliche Form, ein anständiges Ceremoniell in das diplomatische Verhalten der verschiedenen Staaten. Freilich war damit nur der äußere Schein einer Rechtsbasis gewonnen, auf welcher die D. fußte, im Grunde aber dauerten die Tendenzen des Mittelalters fort, u. wie wenig die D. jener Zeit sich zu sittlichen Grundsätzen neigte, beweist Macchiavellis berüchtigtes Buch Il principe. Zu größerer Bedeutung erhob sich die D. seit dem Westfälischen Frieden, welchen ein europäischer Diplomatencongreß zu Stande gebracht hatte; in diesem Friedensschluß ist zuerst eine Anerkennung der Gleichberechtigung der damals wichtigsten europäischen Staaten ausgesprochen, u. das Bedürfniß der Völker nach Ruhe u. Erholung machte den Krieg in solchem Grade verhaßt, daß die D. sich genöthigt sah, die kriegerische Cabinetspolitik der Fürsten mit noch größerer Sorgfalt als früher in den Schein des Rechtes zu kleiden. Ränke u. Intriguen spielten in dem Zeitalter Louis XIV. eine Hauptrolle in der geschäftigen Thätigkeit der Diplomaten an den verschiedenen Höfen. Zugleich bildete sich das ceremoniöse Wesen weiter aus u. nahm einen pomphaften, steifen u. umständlichen Charakter an. Man begann die einzelnen Staaten nach ihrer Macht zu rangiren u. demgemäß den Vertretern derselben ein bestimmtes Maß äußerlicher Achtungsbezeugung zuzuerkennen. Unter endlosen Rangstreitigkeiten wurde während dieser Zeit der Grund zum europäischen Gesandtschaftsrecht gelegt. Das Übergewicht der französischen D. über die der übrigen europäischen Staaten u. die Autorität, welche der französische Hof in Sachen des Geschmackes u. der Mode einnahm, führte den Gebrauch der französischen Sprache an Stelle der lateinischen als Hof- u. Diplomatensprache ein Die Diplomatik, die Kunst aus alten Urkunden Rechtsansprüche zu deduciren, erhielt jetzt, wo man des Rechtes zur Kriegführung benöthigt war, große Wichtigkeit; aber wie ungescheut noch damals die Raubsucht Vorwände für ihre Absichten anzugeben wußte, dafür liefern die Reunionskammern (s.d.) Ludwigs XIV. einen deutlichen Beweis. Auch im 18. Jahrh. diente die D. noch oft der Eroberungssucht, vornehmlich durch Einleitung von Bündnissen mehrerer Staaten zur Vernichtung eines fremden Staates u. Vertheilung seines Territoriums unter die Verbündeten. Es war die Zeit des sogenannten Theilungssystems, der Coalitionen, welcher die napoleonische Universalmonarchie ein Ziel setzte. Nach Vernichtung derselben kam das System des sogenannten Gleichgewichtes auf, es bildete sich die Pentarchie der europäischen Großmächte unter ausdrücklicher Anerkennung des Besitzstandes der einzelnen Staaten, wie ihn der Pariser Frieden u. der Wiener Congreß feststellte. Die D. verlor ihren dynastischen Charakter u. bekam wenigstens in den Staaten mit repräsentativer Verfassung ein nationales Gepräge. Das Völkerrecht wurde die Basis der D., welche unter der Controle der öffentlichen Meinung sich immer mehr von rechtsbrüchigen Coalitionen fern halten u. dynastische Interessen der nationalen Wohlfahrt zum Opfer bringen mußte; trotzdem aber vermochte es die D nicht zu verhindern, daß in einzelnen Fällen die Gewalt über das Recht siegte, so bei der Lostrennung Belgiens von Holland. Die Idee, den Krieg völlig durch ein diplomatisches Schiedsgericht zu beseitigen, ist seit der letzten Wiederherstellung des Europäischen Friedens in Paris 1856 wieder lebhaft angeregt worden; liegt ihre Ausführung auch in weiter Ferne, so hat doch die D. der neueren Zeit viel von ihrem gehässigen, selbstsüchtigen Wesen verloren u. nähert sich ihrem idealen Ziele, als Hüterin des Friedens für die Wohlfahrt der Nationen zu sorgen. Eigenthümlich ist es der neueren D., daß sie sich auch um die inneren Angelegenheiten fremder Staaten kümmert, bald im Interesse der eigenen Sicherheit, bald angeblich als Vertreterin der Humanität, z.B. bei der Orientalischen Frage in Bezug auf die Rechte der Christen inder Türkei. Dasdiplomatische Ceremoniell hat die neueste[174] Zeit in vieler Beziehung vereinfacht. u. mit den modernen Lebensansichten in größere Übereinstimmung gebracht. Vgl. De Callières, De la manière à négocier avec les Souverains, Par. 1716; Secquet, De l'art de négocier, ebd. 1737; De Mably, Principes des négociations, Haag 1757; A. de Wicquefort, L'ambassadeur et ses fonctions, Par. 1764, 6. Aufl., 2 Bde.; Ahnert, Lehrbegriff der Wissenschaften, Erfordernisse u. Rechte eines Gesandten, Dresd. 1784, 2 Thle.; Die diplomatische Unterhandlungskunst, Lpz. 1811; v. Moshamm, Europäisches Gesandtschaftsrecht, Landsh. 1805; Liechtenstein, Über den Begriff der D., Wien 1814; Derselbe, Was hat die D. als Wissenschaft zu umfassen? Altenb. 1820; Martens, Manuel diplomatique, Par. 1823; G. B. Battur, Traité de droit politique et de diplomatie etc., ebd. 1822, 2 Bde.; de Cussy, Dictionnaire du diplomate et du consul, Lpz. 1846; Hellmuth Winter, Système de la diplomatie, Berl. u. Par. 1830; (Graf Garden), Traité complet de diplomatie, Par. 1833, 3 Bde.; v. Martens, Guide diplomatique, ebd. 1837, 2 Bde., 4. A. 1851; Fr. Köln, Betrachtungen über D., Stuttg. 1838; Meißel, Cours de style diplomatique, Dresd. 1823.
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