[513] Homöopăthie (Homöopathik, v. gr.), die von S. Hahnemann begründete Heilmethode, welche, im Gegensatz mit einem der, seit Hippokrates herrschenden Hauptgrundsätze der Medicin, daß nämlich Krankheiten durch ihnen entgegengesetzte Heilmittel (Contraria contrariis) bekämpft werden müssen, als Heilprincip aufstellt, daß dieselben durch solche Arzneimittel geheilt werden müssen, welche, bei Gesunden angewendet, jenen ähnliche Leiden erzeugen (Similia similibus). Dieser seiner Lehre hat Hahnemann vorzüglich folgende Grundsätze untergelegt: Das thierische Leben beruht auf einer, nicht physischen Gesetzen folgenden, sondern dynamisch wirkenden u. jene sich unterordnenden Grundkraft. Krankheit besteht in einer in ihrer nächsten u. wesentlichsten Ursache uns unerkennbaren Veränderung dieser Grundkraft. Da dieselbe eine durch den Körper allgemein verbreitete ist, so gibt es auch keine örtlichen Krankheiten, u. die H. bekümmert sich daher auch wenig um die anatomische Ordnung derselben, so wie sie überhaupt wenig auf Anatomie u. Physiologie gibt. Bei der Erforschung der Krankheit hat sich die ärztliche Untersuchung blos an die Symptome zu halten, deren Complex die Krankheiten bildet, u. diese mit aller Genauigkeit zu ermitteln. Die Krankheiten lassen sich nicht in größere od. kleinere Gruppen bringen u. mit eigenen Namen bezeichnen, weil bei der Mannichfaltigkeit der Symptome jeder einzelne Krankheitsfall ein besonderer ist u. die Zahl der Arten der Krankheiten ins Unendliche geht Die bisherige Nomenclatur derselben ist daher unbrauchbar. Eben so wenig, wie die nächste Ursache der Krankheit, ist das Heilprincip der Arzneien erforschbar. Ihre Wirkung kann nur durch Prüfung derselben an Gesunden ausgemittelt werden. Die durch sie an diesen erzeugten krankhaften Zufälle bilden zusammengenommen künstliche Krankheiten. Die Arzneiwirkungen sind im Verhältniß zu einer bestimmten Krankheit entweder andersartige Zustände (allopathische), od. ihr entgegengesetzte (anantiopathische) od. ihr ähnliche (homöopathische). Nur durch letztere ist Heilung möglich, indem diese Wirkungen, welche im Allgemeinen die Krankheitspotenzen an Kraft übertreffen, dieselben vernichten, wobei die H. der Heilkraft der Natur u. ihren kritischen Bestrebungen fast gar keinen Einfluß einräumt. Je mehr eine Arznei einer Krankheit ähnliche Symptome entwickelt, je mehr sie dieselbe deckt, desto sicherer heilt sie dieselbe. Die Arzneien müssen in der einfachsten Form, in aus frischen Kräutersäften u. Weingeist zu gleichen Theilen bereiteten Tincturen od. Pulvern, gegeben werden. Da sie die Krankheitspotenzen an Kraft überwiegen, so müssen sie, um keine Verschlimmerung der Krankheit, od. störende Nachwirkungen zu erzeugen, in möglichst kleinen Gaben (Homöopathische Dosen) gegeben werden. Man mischt daher einen Tropfen einer Tinctur mit 100 Theilen destillirtem Wasser od. Weingeist u. schüttelt die Mischung zwei- bis zehnmal kräftig, od. zerreibt bei [513] Pulvern 1 Gran davon 10 Minuten lang mit 100 Gran Milchzucker. So wird die Verdünnung bis zur dreißigsten Potenz fortgesetzt (Decilliontheil). Pulver werden nur bis zur dritten Verdünnung verrieben u. von da in Weingeist weiter verdünnt. Durch Schütteln u. Reiben soll die Kraft der Arzneien mehr entwickelt u. dadurch sowohl wie durch die Verdünnung gleichsam gesteigert werden. Doch hat die H. später die Arzneien auch in niedrigeren Verdünnungen, selbst in der urspünglichen Tinctur gebraucht. Früher ließ Hahnemann immer nur eine Dosis der Arzneien anwenden, bis deren Wirkungszeit abgelaufen war, od. die Krankheit sich vermindert hatte; später näherte er sich jedoch wieder der alten Schule, indem er die Wiederholung der Gaben nicht blos erlaubte, sondern sogar für nothwendig hielt. Damit die Wirkung der kleinen Arzneigaben nicht gestört werde, schreibt die H. eine höchst einfache u. strenge Diät vor. So sehr auf der einen Seite Hahnemanns Pathologie dem Dynamismus huldigt, so tief versinkt sie wieder in Materialismus, indem derselbe die meisten chronischen Krankheiten auf die Miasmen der Sykosis, des Schankers u. der Krätze zurückführt u. bes. die letztere mit Übertreibung gewissermaßen zur Mutter der allermeisten derselben stempelt u. ihr die große Reihe der sogenannten antipsorischen Mittel entgegenstellt. Ein Auswuchs der H. war die sogenannte Isopathik, die sogar Gleiches mit Gleichem heilen wollte u. sich dazu bes. der Contagien u. Krankheitsstoffe bediente.
Die H. machte bei ihrem Erscheinen großes Aufsehen, u. Hahnemann erwarb viele Jünger. Die neuern Homöopathen haben ihr Streben bes. darauf gerichtet, ihrer Lehre eine wissenschaftlichere Begründung zu geben. Zu diesem Zwecke haben sie nicht blos die neuern Hülfsmittel der Medicin, als Stethoskopie, Chemie etc. mit in ihren Bereich gezogen, sondern es sich auch namentlich zur Aufgabe gemacht, die Wirkungen der anzuwendenden Arzneimittel nach allen Seiten hin sorgfältig zu prüfen, um nach dem Ergebniß diesen Mitteln ihren richtigen Platz in dem homöopathischen Arzneischatze anweisen zu können. Diese Versuche sind theils vereinzelt angestellt worden, theils haben sich aber auch besondere Vereine zu diesem Zwecke gebildet, so bes. der Arzneiprüfungsverein zu Wien. Förderlich für die H. war es, daß die Regierungen anfingen, das früher bestandene Verbot des Selbstdispensirens der homöopathischen Ärzte aufzuheben, z.B. im Königreich Preußen durch Cabinetsordre vom 11. Juli 1843. Hierdurch erwuchs den Homöopathen der Vortheil, daß sie sich auf die Reinheit ihrer Mittel u. auf die Wirkung derselben verlassen konnten. Da es aber mehreren homöopathischen Ärzten unthunlich war, ihre Arzneien sich jedesmal selbst zu bereiten, so wurden theils besondere Homöopathische Apotheken errichtet, z.B. in Leipzig, Dresden etc.; theils fingen einzelne Arzte od. auch bloße Liebhaber der H. an, die homöopathischen Arzneimittel in condensirteren Formen darzustellen u. dieselben in größerer od. kleinerer Auswahl ebenfalls unter dem Namen von homöopathischen Apotheken zum Verkauf auszubieten. Da hierdurch auch dem nichtärztlichen Publicum der Besitz homöopathischer Arzneimittel möglich wurde, so erschienen bald auch populäre homöopathische Schriften, so z.B. F. A. Günthers Homöopathischer Hausfreund, Sondersh. 184750, 3 Thle., um dasselbe in dem Gebrauch dieser Mittel zu unterrichten. Ferner wurde der Anfang gemacht, auch in öffentlichen Spitälern die Behandlung der Kranken nach homöopathischen Grundsätzen einzuführen. Das älteste derartige Institut ist die homöopathische Heil- u. Lehranstalt in Leipzig, welche bereits 1833 durch den gegründeten Verein zur Beförderung der H. eröffnet, durch mannigfache ungünstige Verhältnisse aber in ihrer Entwicklung sehr gehindert wurde. Bessern Erfolg hatten die in Österreich bestehenden derartigen Spitäler, bes. die Spitäler der Barmherzigen Schwestern in Wien unter der Direction Fleischmanns, in Linz unter Reiß, in Kremsier unter Schweitzer u. die Armenkrankenanstalt zu Nechanitz in Böhmen unter Feltler, Hahnemannshospital in London, in welchem, sowie in dem Spital zu Wien, auch klinische Vorträge gehalten werden. Auch in Amerika bestehen mehrere derartige Spitäler u. selbst Lehranstalten, wie die Homöopathische Akademie zu Allentown in Nordamerika, u. in Madrid wurde 1850 ein Lehrstuhl der H. gegründet. In der neuern Zeit hat die H. auch Eingang in die Thierheilkunde gefunden. Trotz aller dieser Fortschritte der H. ist dieselbe doch noch nicht zu dem Ansehen gelangt, daß die Allöopathie dadurch in den Hintergrund gedrängt worden wäre. Unter den homöopathischen Ärzten Deutschlands sind nach dem am 2. Juli 1843 in Paris erfolgten Tode Hahnemanns, dessen Wittwe sich daselbst ebenfalls mit homöopathischen Kuren beschäftigte, als die vorzüglichsten zu nennen: Stapf in Naumburg Griesselich in Karlsruhe (gest. 1849), Trinks is Dresden, Noack, Hartmann, Haubold in Leipzig, Goullon in Weimar, Fleischmann, Watzke in Wien, Groß in Magdeburg, Lutze in Köthen.
Die Schriften Hahnemanns, s.d.; vgl. Bibltotheca homoeopathica, Lpz. 1842, 2. Aufl. Hartlaub u. Trinks, Reine Arzneimittellehre, Lpz. 182831, 3 Bde.; Hufeland, Die H., Berl. 1831; Weber, Systematische Darstellung der reinen Arzneiwirkung, Braunschw. 183134; Kopp, Denkwürdigkeiten aus der ärztlichen Praxis, Frankf. 1834, 2 Bde.; Hartmann, Therapie akuter Krankheitsformen nach homöopathischen Grundsätzen, Lpz. 1834, 2 Bde., 2. Aufl.; J. R. Buchner, Homöopathische Arzneibereitungslehre, Münch. 1840; Noack u. Trinks, Handbuch der homöopathischen Arzneimittellehre, Lpz. 184148; Jahr, Klinische Anweisungen zu homöopathischer Behandlung der Krankheiten, Lpz. 1846; Georg Schmid, Homöopathische Arzneibereitung u. Gabengröße, Wien 1848; Griesselich, Handbuch zur Kenntniß der homöopathischen od. specifischen Heilkunst, Karlsr. 1848; Hartmann, Specielle Therapie akuter u. chronischer Krankheiten, Lpz. 1848; Jahr, Ausführlicher Symptomencodex der homöopathischen Arzneimittellehre, Lpz. 184749, 4 Bde.; A. Haas, Die H. lichtvoll in der Theorie u. heilvoll in der Praxis, Wien 1851; Hirschel, Die H., eine Anleitung zum Verständniß derselben, Dessau 1851; Derselbe, Die H. u. ihre Bekenner, ebd. 1851; Jahr, Handbuch für die Wahl der homöopathischen Heilmittel, Lpz. 1851, 4. Ausg.; Possart, Charakteristik der homöopathischen Arzneien, Sondersh. 1851; Jahr, Die Lehren u. Grundsätze der gesammten theoretischen u. praktischen homöopathischen Heilkunst, Stuttg. 1857; Lutze, Lehrbuch der H., Sondersh.[514] 1857; Goullon, Darstellung der H., Lpz. 1859; Hellmund, Repertorium der Thierheilkunde nach homöopathischen Grundsätzen, Gotha 1848; F. A. Günther, Der homöopathische Thierarzt, Sondersh. 1849, 5. Aufl., 3 Thle.; Zeitschriften: Stapf, Archiv für die homöopathische Heilkunst, Lpz. 182835, 1._ 15. Bd., nebst 2 Supplementbdn., mit Groos u.a. 16. u. folg. Bde., 183743, u. dann Neues Archiv etc., 1844 ff; Hartlaub u. Trinks, Annalen der homöopathischen Klinik, Lpz. 183033, 4 Bde.; Hygea von Griesselich, Karlsr. 1834 ff., 1._ 12. Bd.; Allgemeine homöopathische Zeitung von Groos, Hartmann u. Rummel, Lpz. 1832 ff.; Österreichische Zeitschrift für H., herausgegeben von Fleischmann, Clem. Hampe, Ph. Ant. Watzke u. Fr. Wurm, Wien 184450; Allgemeine. Zeitung für H., vom Verein in- u. ausländischer Arzte, herausgegeben von J. Nusser u. J. B. Buchner, Augsb. 1848 f.; Homöopathische Vierteljahrschrift, Centralorgan für die gesammte H. mit besonderer Berücksichtigung aller medicinischen Hülfswissenschaften, herausgegeben von Clotar Müller u. Veit Weber, Lpz. 1850; Homöopathische Klinik, Dessau seit 1851; Günther, Magazin für die neuesten Beobachtungen u. Erfahrungen im Gebiete der homöopathischen Thierheilkunde, Sondersh. 1845.
Die Gegner des homöopathischen Systems machen diesem hauptsächlich folgende Einwände: daß in demselben die Wirkung der Medicin als allmächtig hingestellt werde, u. daß man auf die Natur u. ihre Heilkraft keine Rücksicht nehme; dann daß der Grundsatz: Similia similibus zu heilen, der Begründung entbehre u. sich in der Medicin nicht durchführen lasse; ferner, daß es unglaublich sei, von einer Arzneigabe um so stärkere Wirkung zu erwarten, je schwächer dieselbe sei; auch daß die strenge Diät in sehr vielen Fällen den Kranken eher schädlich als nützlich sei, u. bemerken, daß die homöopathischen Ärzte selbst eingeständig seien, keine einzige Krankheit zu erkennen u. zu behandeln, sondern nur die äußern, oft sehr zufälligen Erscheinungen derselben; endlich daß die homöopathischen Arzneigaben völlig wirkungslos seien, u. daß daher nur diejenigen Krankheiten von den Homöopathen geheilt werden könnten, welche die neuere physiologische Medicin ohne alle Arznei durch die exspectative Methode behandle u. heile; wo aber Heilungen nach Gebrauch homöopathischer Mittel erfolgten, da seien dieselben nur einer Einwirkung der Einbildungskraft der Kranken beizumessen u. daher mit denen durch Sympathie in eine Klasse zu stellen. Unter die gewichtigsten Gegner der neuern Zeit gehört der Naturforscher Liebig, u. in Großbritannien beschloß 1851 die medicinische Facultät der Universität St. Andrews u. Edinburg, sowie das Londoner Royal College of Physicians, keinem Studirenden die Doctorwürde zu verleihen, welcher nicht durch ein feierliches Versprechen auf die Anwendung der homöopathischen Heilmethode verzichtet, u. der Medicinische Verein zu Brighton entschied sich für ein Manifest, welches die H. als dem gefunden Menschenverstand durchaus zuwiderlaufend verdammt. Indessen leugnen auch ihre Gegner nicht, daß die H. einen großen historischen Werth hat u. daß sie einst vielen Nutzen gestiftet hat, indem sie die Arzte darauf aufmerksam machte, wie die Heilung eines Kranken keineswegs von der Menge der Arznei abhinge, welche derselbe nähme. Vgl. Rummel, Die H. in ihrer Licht- u. Schattenseite, Lpz. 1827; Jörg, Kritische Hefte für Arzte, Lpz. 182224, 1._ 3. Heft; Heinroth, Antiorganon, Lpz. 1828; Simon, Pseudomessias Hahnemann, Hamb. 183034, 3 Thle.; Lesser, Die H., Berl. 1834; Stieglitz, Über H., Hann. 1835; Simon, Antihomöopathisches Archiv, Hamb. 1834 ff.
Buchempfehlung
Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«
270 Seiten, 9.60 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro