Staat

[260] Staat (der) ist die umfassendste aller Gesellschaften, in welcher Menschen zusammen leben, diejenige, welche alle andern in sich umschließt und die Existenz derselben sicherstellt, zum Theil erst möglich macht. Man kann überhaupt zwei Arten menschlicher Gesellschaften unterscheiden, solche, welche der Natur des Menschen ihr Dasein verdanken, also mit dem Menschen selbst gegeben sind, und solche, welche von der Willkür der Menschen geschaffen sind. Der Staat gehort zu der ersten Art, sein Ursprung fällt daher mit dem des Menschengeschlechts zusammen. Sowol wenn wir die geschichtlichen Spuren bis ins höchste Alterthum hinauf verfolgen, als wenn wir noch auf einer anfänglichen Bildungsstufe stehende Völker betrachten, um den Ursprung der Staaten zu entdecken, werden wir zu der Überzeugung geführt, daß dieselben aus dem Familienleben erwachsen sind, sodaß die Familie selbst als das erste Dasein des Staats zu betrachten ist. Das, wodurch aber die Familie zum Staate wird, ist das allmälig sich ausbildende Bewußtsein über die allen ihren Mitgliedern gemeinschaftlichen Interessen und deren gemeinschaftlichen Willen. Da in der Familie der Hausvater nicht allein Derjenige ist, der von Natur in dem größten Ansehen steht als Schöpfer und Erhalter der Familie, sondern auch Der, welchem Alter und Erfahrung die vollkommenste Einsicht in das gemeinsame Interesse geben, so ist er es auch, welcher den gemeinschaftlichen Willen aller zur Familie gehörenden Glieder ausspricht. Dadurch wird sein Wille zum Gesetz, denn dieses ist der herrschende allgemeine Wille. Der Staat erweitert sich dann naturgemäß zugleich mit der Familie, welche zum Volke sich ausbreitet, sodaß auch im Volke der Staat durch das Gesetz, den ausgesprochenen allgemeinen Willen, seine Existenz bezeugt. Wie das Volk ursprünglich die Gesammtheit der Stammgenossen ist, so ist auch in der entsprechenden Entwickelungsstufe des Staatslebens Der, welcher den gemeinsamen Willen ausspricht, die gemeinsamen Interessen wahrnimmt, der Erste im Volke, der Fürst, Niemand anders als das älteste Stammoberhaupt. Nun muß sich aber sehr bald herausstellen, daß das älteste Stammoberhaupt nicht immer Derjenige ist, welcher am geeignetsten ist, den allgemeinen Willen auszusprechen und ihn gegen Diejenigen zu behaupten, welche aus Thorheit oder Bosheit demselben zuwiderhandeln; Andere werden mit gebildeterm Verstande sich auch größern Einfluß zu verschaffen verstehen und bald wird ein Fürst aus dem Volke zum Oberhaupte des Staats sich erheben, welcher, ohne durch Stammverhältnisse übrigens dazu berechtigt zu erscheinen, seinen Willen um so unumschränkter als allgemeinen Willen geltend machen wird, je mehr er selbst an Verstand die Übrigen überragt. Ihn selbst aber verbinden natürliche Bande mit seiner Familie, und das von ihm errungene Ansehen wird er bemüht sein, in seiner Familie zu erhalten. Auf diese Weise wird die Obergewalt erblich und das Bewußtsein, daß der Fürst den allgemeinen Willen im Gesetz ausspreche, existirt nur erst noch in der Form, daß Alle den Willen des Einen zu dem ihrigen zu machen haben.

Wir sehen schon hieraus, daß der Staat in der Entwickelung seines Lebens verschiedene Formen annimmt. Diese verschiedenen Staatsformen stehen mit der Entwickelung des menschlichen Geistes überhaupt im innigsten Zusammenhange. Diejenige Staatsform, wo das Oberhaupt der Familienvater oder das Stammoberhaupt ist, heißt die patriarchalische, [260] weil die Patriarchen (s.d.) in solchen Staaten herrschende Fürsten waren. Aus ihr hervor geht zunächst die despotische Staatsform, in welcher ein Einzelner die nicht von ursprünglichen Familienverhältnissen abgeleitete, sondern errungene Macht anwendet, um seinen Willen als alleinherrschenden geltend zu machen. Da die despotische Staatsform nur bestehen kann, wo die Masse des Volks noch nicht dahin gelangt ist, auch einen eignen Willen zu haben, welcher von dem Willen des Fürsten verschieden sein könnte, so muß den Despoten selbst daran liegen, um ihre Macht zu sichern, jede geistige Entwickelung im Volke abzuschneiden, und so ist es denn auch geschehen, daß die asiat. Völker, bei denen sich die despotische Staatsform am vollkommensten ausbildete, seit Jahrtausenden auf dem einzig ihnen möglichen, längst errungenen Bildungsstande stehen geblieben sind und also, da sie an der Entwickelung des Menschengeistes keinen Theil nehmen, geistig todt sind. Bei dem griech. und röm. Volke gelangte die Despotie nicht zu einer den geistigen Fortschritt hemmenden Entwickelung. Hiervon mögen vorzüglich klimatische Verhältnisse die Ursache gewesen sein. Je üppiger die Natur, welche den Menschen umgibt, je erschlaffender das Klima, desto leichter verfällt der Mensch in eine geistige Trägheit, welche das Streben des Despoten, ihn willenlos zu machen, begünstigt. Wo dagegen, wie dies im gemäßigten Klima der Fall ist, der Mensch schon von der Natur zum Kampfe herausgefodert wird, wo er derselben die Mittel seiner Existenz abringen muß, da bildet er sich geistig zum willenskräftigen Individuum aus und da kann die despotische Gewalt sich nicht halten. In einem allzu rauhen Klima erliegt der noch junge Mensch der Natur, er gelangt nicht zum Triumph über dieselbe, wie dies in Ländern der Fall ist, wo das Klima die glückliche Mitte zwischen erstarrender Rauheit und erschlaffender Wärme hält und wo der Mensch seine erwachende Freiheit und Selbstbestimmung in der Natur geltend zu machen vermag. Daher sind es die Gegenden des südl. Europas, welche die Keime der weitern Entwickelung des Menschengeschlechts herausgetrieben und gedeihlich gepflegt haben, bis sie so weit erstarkten, um auch nördl. und südl. sich auszubreiten. Daher sehen wir nun in jenen Gegenden die despotische Staatsform allmälig in die vollkommenere republikanische übergehen. Die griech. und röm. Königsherrschaft war aber niemals Despotie im Sinne der asiat. Völker, denn stets erhielt sich in ihr das Bewußtsein, daß es der allgemeine Wille sei, durch den und mit welchem der König herrschte. Als sich ereignete, daß die aus Stammverhältnissen hervorgegangenen Könige ausstarben oder vertrieben wurden und an ihre Spitze sich kluge und mächtige Männer stellten, welche unumschränkte despotische Gewalt erstrebten, so wurden dieselben, welche man Tyrannen nannte, durch den allgemeinen Haß verfolgt und mußten bald überall weichen. Tyrannenhaß wurde eine der ersten patriotischen Tugenden und man verstand unter Tyrann nicht nur, wie jetzt, einen böswilligen Gewalthaber, sondern Jeden, welcher die höchste Gewalt behauptete, ohne durch ursprüngliche Stammverhältnisse zu derselben berechtigt zu sein. In den Kämpfen gegen die Tyrannen erwachte das Selbstbewußtsein und allgemein wurde erkannt, daß nur der allgemeine Wille im Staate herrschen dürfe und daß dieser allgemeine Wille ausgesprochen werde durch das Gesetz. Daher bekleidete das Volk einzelne durch Verstand und Rechtlichkeit ausgezeichnete Männer mit dem Amte eines Gesetzgebers, und diese Gesetzgeber gaben den Staaten selbst solche Einrichtungen, durch welche der allgemeine Wille auch für die Folge als Gesetz sanctionirt wurde. Die Gesetzgeber berücksichtigten die Sittlichkeit ihres Volkes, gaben derselben in ihren Gesetzen einen selbstbewußten Ausdruck und verkündigten so in Wahrheit den allgemein vernünftigen Willen ihres Volkes. Aber indem sie für die Folge der Meinung der Mehrzahl im Volke die Würde des allgemeinen Willens und dadurch Gesetzeskraft gaben und somit die Republik gründeten, bezeichneten sie auch diejenige Entwickelungsstufe des Geistes, auf welcher sie selbst standen, als eine noch mangelhafte. Der wahrhaft allgemeine Wille ist nämlich offenbar derjenige, welchem jeder Einzelne beistimmen muß, wenn er sich überhaupt aus seinem vereinzelten zum allgemein menschlichen Standpunkte erhebt, d.h. der wahrhaft vernünftige. Dieser kann aber weit entfernt von dem Willen der Mehrzahl sein, denn in einer Versammlung läßt sich die Stimme der Mehrzahl auch ebensowol durch Aufregung der Empfindungen, der Leidenschaften, wie durch Darlegung der Vernünftigkeit erlangen. Das republikanische Staatsleben ging unter, sobald die Persönlichkeit zur Macht kam, sobald es Menschen gab, welche für ihren Einzelwillen die Mehrzahl durch edle und unedle Mittel zu stimmen wußten. Schon aus diesen Bemerkungen erhellt, wie thöricht es ist, wenn man in der Gegenwart an Herstellung der Republik denkt – es würde keinen Tag an Einzelnen fehlen, welche die Mehrzahl zu ihrem Eigenwillen zu bestimmen vermöchten, und es würde ein wilder Kampf einzelner, durch Verstand ausgezeichneter Menschen um die Gunst der Mehrzahl sich entspinnen, in welchem der Staat ebenso sicher unterginge, wie einst die griech. Republiken der Bildung der ausgezeichnetsten ihrer Bürger erlagen. Mit der Einführung des Christenthums trat eine höhere Staatsform als die republikanische in die Welt: die monarchische. Nachdem die alten Republiken sämmtlich der Willkür der Einzelnen und zuletzt der Despotie der röm. Kaiser erlegen waren, machte sich im Bewußtsein eine Religion geltend, welche lehrte, daß der Mensch verloren und verworfen sei, wenn nicht der Wille Gottes in ihm lebendig würde, welche also foderte, daß im Menschen selbst der göttliche, d.h. höchst vernünftige und ewige Wille des Geistes herrsche. Damit war die Idee gegeben, daß im menschlichen Dasein Ein heiliger Wille herrschen müsse, welcher eben so weit entfernt von der Willkür des Einzelnen wie von der Übereinstimmung der Mehrzahl wäre, und die Verwirklichung dieser Idee im Staatsleben war die Monarchie. Dem Staate gegenüber hatte sich die Kirche, das Reich Gottes auf Erden, geltend gemacht und in den sich zu ihr bekennenden christlichen Staaten übernahm sie die Aufsicht über die Heiligkeit des in ihnen herrschenden Geistes. Die christlichen Regenten hatten die höchste Pflicht, ihren als Gesetz auszusprechenden Willen dem göttlichen conform zu machen, und die Kirche nahm sogar das Recht in Anspruch, da, wo ein Regent einem andern als dem heiligen Willen Gottes Gesetzeskraft geben wollte, die Unterthanen ihres Gehorsams gegen die Regenten zu entbinden. Die Kirche aber selbst hörte allmälig immer mehr auf, ein Werk Gottes zu sein und wurde ein Werkzeug zu Verfolgung irdischer Zwecke; die Staaten suchten [261] sich von ihrer lästigen Oberaufsicht zu befreien und es gelang ihnen um so leichter, je mehr sie vermöge der fortgeschrittenen Bildung im Stande waren, aus eigner Kraft eine christliche Monarchie zu gründen, ohne dabei des Rathes der in sich verderbten Kirche nöthig zu haben. Durch den Protestantismus wurde die Macht und Kraft der Kirche gebrochen, zugleich aber auch auf unmittelbare Weise die unabhängige Entwickelung des Geistes gefördert. Seitdem ist es in das Bewußtsein getreten, daß sich der als Gesetz geltende Wille nach seiner Vernünftigkeit geltend machen müsse, sich öffentlich als der vernünftige zu beweisen habe, nichtsdestoweniger aber von der Persönlichkeit des Herrschers repräsentirt werden muß, sodaß derselbe sich jenen als vernünftig documentirten Willen aneignet, als Herrscherwillen ausspricht und dadurch zum Gesetz macht. Auf dieses Princip gründet sich die constitutionnelle Monarchie. Die Constitution selbst hat keinen andern Zweck, als es zu veranstalten, daß einzig nur der wahrhaft vernünftige Wille Gesetzeskraft erlangen kann; soll sie aber diesen Zweck vollkommen erreichen, so muß durch sie nicht nur die Willkür des Herrschers, also die Despotie, unmöglich gemacht sein, sondern ebenso sehr muß auch die Möglichkeit einer Verwechselung der Meinung der Mehrzahl mit der Bestimmung der Vernunft, also die Republik, abgeschnitten sein. Das constitutionnelle Staatsleben ist noch in seiner Entwickelung begriffen und daher mag ihm in seinen mancherlei Gestaltungen noch mehr oder weniger abgehen von Dem, was es zur völligen Erreichung seines Zwecks bedarf; gewiß ist aber, daß dasselbe in seiner Vollendung das höchste Ideal einer Staatsverfassung ist, welches wir auf dem gegenwärtigen Standpunkte unserer Bildung zu fassen vermögen. Es kann den Schein haben, als ob auch in den ständischen Verhandlungen der jetzt bestehenden constitutionnellen Staaten nicht sowol die Stimme der Vernunft als die Überredung und die durch sie geleitete Stimme der Mehrzahl die Gesetze erlasse, hier und da findet dieser Misbrauch auch unstreitig statt und die constitutionnelle Monarchie scheint also die Mängel der Republik zu theilen. Gegen diese Mängel ist aber die constitutionnelle Zusammensetzung der berathenden Kammern, die Art, in welcher die Gesetze in Vorschlag gebracht werden und endlich das Verhältniß, in welches durch die Constitution die Regierung gegen die Kammern gestellt wird, gerichtet, und sobald die Constitution in dieser Beziehung das Richtige festsetzt, ist dieser Mangel unmöglich gemacht.

Außer der in dem Vorhergehenden durchgeführten Ansicht vom Staate, nach welcher derselbe mit der Natur des Menschen gegeben ist und mit ihr sich entwickelt, gibt es nun noch verschiedene andere, zum Theil sehr widersprechende Ansichten, welche nur Das gemein haben, daß sie den Staat aus der Willkür ableiten und in den verschiedenen Staatsformen nicht eine Fortbildung des Menschengeistes erblicken, sondern dieselben als zufällige nebeneinander bestehende Formen betrachten, welche eben auch nur der Willkür ihr Dasein verdanken. Die flachste von diesen Ansichten ist diejenige, welche den Staat für eine menschliche Erfindung zum Vortheil der Mächtigen ausgibt und welcher die nicht minder flache entgegensteht, welche den Zweck dieser Erfindung in das Gegentheil setzt, in den Schutz der ohnmächtigen Einzelnen gegen die Schlechtigkeit der Menge. Etwas höher steht die Ansicht, welche den Staat als einen von ursprünglich Gleichberechtigten geschlossenen Vertrag ausgibt, welcher das Wohl Aller durch die Gemeinschaftlichkeit möglich macht. Dieser Ansicht widerspricht die Geschichte auf das bestimmteste, denn es ist kein Staat auf einen Vertrag gegründet worden, ja jeder Vertrag selbst setzt schon den Staat voraus, ein bestehendes Rechtsverhältniß, in welchem er seine Sicherstellung findet. Wie nach den vorerwähnten Ansichten die Gesetze zu bloßen Äußerungen der Willkür herabsinken, so werden sie hier in das Gegentheil von Dem verkehrt, was sie in Wahrheit sind. Man sagt nämlich, der Mensch sei ursprünglich unbedingt frei, d.h. habe unbedingte Willkür des Handelns, um aber der Vortheile der Gemeinschaftlichkeit theilhaft werden zu können, müsse er sich eines Theils seiner ursprünglichen Freiheit, seines angeborenen Rechtes begeben, und der Staat sei eben der über die Rechtsbegebung gemachte Vertrag, die Gesetze enthielten die nähern Bestimmungen über diese Rechtsbegebung. Hiernach wären also die Gesetze nicht sowol Bestimmungen des Rechts, als Bestimmungen eines willkürlich sich selbst angethanen Unrechts. Der Staat selbst erscheint von diesem Standpunkte aus nicht als die vollkommenste Frucht der Menschlichkeit, sondern als ein leider nothwendiges Hülfsmittel gegen die leibliche und geistige Schwächlichkeit, Gebrechlichkeit und Schlechtigkeit der Menschen. Wenn man daher auf diesem Standpunkte eine Vervollkommnung des menschlichen Wesens annimmt, so setzt man folgerecht als letztes Ziel derselben das Aufhören aller Gesetze, indem diese um so überflüssiger werden müßten, je vollkommener die Menschen würden. Diese Ansicht ist nicht minder trostlos als diejenige, welche den Schein der Willkür zu vermeiden meint, indem sie die Staaten aus dem Privatbesitz ableitet, indem sie dieselben auf das Eigenthumsrecht der Herrscher basirt. Hier herrscht der Grundfehler, daß man ein Eigenthumsrecht über Personen annimmt, welches niemals existirt hat, sogar in der Despotie nur scheinbar. Die Willkür ist hier nur scheinbar ausgeschlossen, in Wahrheit ist sie hier, wo der Despotismus zur einzigen Staatsform erhoben ist, als einzig herrschende Macht anerkannt.

Das Verhältniß zwischen Staat und Kirche, wie es sich aus einer der Grundideen des Christenthums ergibt, ist im Obigen bereits berührt worden. Die röm.-katholische Kirche hatte in der Kirche diejenige Einheit bewahrt, welche mit dem Verfall des röm. Staats im Staatsleben verloren ging. Sie dehnte sich, mit Ausnahme der griech. katholischen Staaten, über alle christlichen Staaten aus und den Anspruch auf Beaufsichtigung des in derselben waltenden Geistes machte sie nicht nur durch Bann und Interdict geltend, sondern sie ging so weit, alles Ansehen der Herrscher von sich abzuleiten, sodaß sie Kronen und Länder vergab und von ihrer Zustimmung die Rechtmäßigkeit des Herrscheramts abhängig erklärte. Namentlich den deutschen Königen gegenüber machte sie ihr Ansehen geltend, weil diese durch die Erhebung zu röm. Kaisern den Anspruch auf Oberherrlichkeit über alle christlichen Staaten erhielten. Bald aber kam es zu Streitigkeiten zwischen weltlicher und geistlicher Macht, denn die ohnehin vielfach lästige Oberaufsicht der Kirche bot um so mehr zum Widerstande selbst die Hand, als es offenkundig war, daß die Päpste sich weltlich in weltliche Händel mischten, ihr eigenes geistiges Ansehen durch Laster aller Art untergruben und nicht im Namen eines heiligen [262] Gottes, sondern zu ihrem persönlichen Nutzen die in ihren Händen ruhende Gewalt gebrauchten. Der Streit zwischen Kirche und Staat wurde jedoch so lange stets mehr oder weniger zum Vortheil der Kirche geführt, bis endlich die Reformation das Ansehen des Papstes in mehren Staaten gänzlich vernichtete und in Bezug der in der katholischen Kirchengemeinschaft beharrenden Staaten die Kirche nachgiebiger machte, indem sie ihr bewies, daß sie durch Beharren auf ungerechten Foderungen und weltlicher Eitelkeit sich selbst den Untergang bereite.

Seitdem einmal das frühere Ansehen der Kirche wankend geworden war, seitdem in den der Reformation sich anschließenden Ländern die Kirche ihre bisherige Verfassung aufgab und eine neue durch die Herrscher erhielt, ist das Verhältniß zwischen Kirche und Staat, wie es fernerhin bestehen sollte, Gegenstand vielfacher Erörterungen geworden. Durch das Bewußtsein, welches über den Staat aufgegangen, ist die frühere Bevormundung desselben durch die Kirche überflüssig geworden und man hat der Kirche das Recht abgesprochen, sich um weltliche Dinge zu bekümmern, indem man in den Verfassungen die Garantien gegen den Misbrauch der Gewalt suchte, welche früher die Kirche gewährte. Die protestantische Kirche begab sich gleich bei ihrer Entstehung des Rechts der Einmischung in weltliche Dinge fast ganz und es fiel den Regierungen nicht schwer, sie endlich um allen directen Einfluß auf dieselben zu bringen; dagegen hat die katholische Kirche ihr Recht der Beaufsichtigung niemals aufgegeben und ist der weltlichen Macht nur gewichen, indem sie ihre Zurücksetzung als ein ihr angethanes Unrecht trug. Wo sich nur eine Gelegenheit zu erfolgreicher Einmischung bot, hat sie dieselbe eifrig benutzt. Sie fand solche Gelegenheit namentlich in neuerer Zeit in den Ländern, wo katholische Unterthanen unter einer protestantischen Regierung stehen, und in Angelegenheiten, welche, wie z.B. die Ehe, zugleich als geistliche und als weltliche Angelegenheit zu betrachten sind. Nachdem einmal das zeitgemäße Versprechen der Duldsamkeit feierlich ausgesprochen worden war, nachdem auf dieses Versprechen zum Theil die Verhältnisse des Staats selbst gegründet waren, konnten die protestantischen Regierungen nur mit der größten Vorsicht gegen die Anmaßungen der katholischen Kirche operiren.

Was die deutschen Bundesstaaten anbetrifft, so ist in allen die katholische Kirche wenn nicht als Staatskirche, doch in der Freiheit ihrer Ausübung ausdrücklich anerkannt. Wie sich aber die protestantischen Regierungen jedes Drucks ihrer katholischen Unterthanen, jeder Bevorzugung der protestantischen enthalten, so fodern sie auch von der katholischen Kirche, daß sie sich duldsam bezeigen und alle Proselytenmacherei aufgeben soll, ohne daß jedoch einem auf Überzeugung beruhenden freiwilligen Übertritt von einer Religionspartei zur andern Hindernisse von Seiten des Staats in den Weg gelegt werden. Der Papst ist als Oberhaupt der katholischen Kirche allgemein anerkannt, doch dürfen seine Bullen und Breven nicht eher vollzogen werden, als nachdem sie von Seiten der Regierung ausdrücklich zugelassen worden sind. Auch darf der Papst in keinem deutschen Staate unmittelbare Jurisdiction ausüben. Auch die Verordnungen der Bischöfe dürfen nur nach Genehmigung der Staatsregierung in Kraft treten, mit Ausnahme derjenigen, welche sich auf reingeistige Angelegenheiten beziehen. In gemischten Angelegenheiten, welche sich nur zum Theil auf religiöse Verhältnisse beziehen, darf die geistliche Behörde nicht ohne Mitwirkung der weltlichen auftreten. Die Jurisdiction der Bischöfe bezieht sich nur auf rein geistliche Sachen, wie denn auch die bürgerlichen Verhältnisse und Handlungen der Geistlichen ihr nicht unterworfen sind. Die Ehesachen sind in einigen Staaten, so z.B. in Östreich, der Kirche ganz abgenommen worden, in andern, z.B. in Preußen, nur theilweise. Auch im Bereiche der bischöflichen Gerichtsbarkeit steht dem Staate das Oberaufsichtsrecht zu. Die Regierungen haben sich auch fast überall ihre Mitwirkung bei der Wahl eines Bischofs vorbehalten, und der Gewählte muß den Eid der Treue ablegen. Synoden dürfen nur auf Genehmigung der Regierung und in Gegenwart eines von ihr abgeordneten Deputirten vorgenommen werden. Bei Besetzung geistlicher Ämter hat der Staat seine Genehmigung zu ertheilen und die Geistlichen sind in Bezug der ihnen übertragenen bürgerlichen Geschäfte, wie Führung der Tauf-, Trau- und Sterbebücher, als Beamte der Regierung zu betrachten. In den meisten Staaten müssen die Angestellten die Verfassung beschwören. Über das weltliche Besitzthum der Kirche steht dem Staate die Oberaufsicht zu.

Ganz anders ist das Verhältniß der protestantischen Kirche gegen den Staat. Im Gegensatz gegen die katholische Kirche ist sie stets als eine nicht im Äußerlichen, Weltlichen, sondern nur im Geiste ihrer Bekenner sich gewaltig bezeugende Macht aufgetreten, und wenn auch einzelne Mitglieder derselben noch bis auf unsere Tage herab die Reformation nur als eine Reinigung der katholischen Kirche von deren Misbräuchen haben anerkennen wollen und daher für die protestantische Kirche eine ähnliche Stellung dem Staate gegenüber in Anspruch genommen haben, so hat sie doch nie und nirgend eine solche Stellung eingenommen. Schon ihre geschichtliche Entstehung setzte sie in ein innigeres Verhältniß zu dem Staate; denn in den meisten Ländern bildete sich die protestantische Kirche nur unter dem unmittelbaren Einflusse der Fürsten auf ihre äußere Erscheinung aus, und wo sie sich in den Ländern katholischer Herrscher ausbreitete, da erhielt sie sich doch nur durch den Schutz ausländischer protestantischer Fürsten und nahm eine äußerliche Gestalt an, welche der in dieser Herren Ländern geltenden gemäß war. Die protestantische Kirche macht nicht den Anspruch auf ein Recht der Beaufsichtigung über den Staat, auf eine Gewalt, welche sie nöthigenfalls der des Staats entgegensetzen könnte, sondern sie will das Dasein eines protestantischen Staates wie dessen innerste Seele durchdringen. So hat sie über den Staat in Wahrheit mehr Gewalt als die katholische Kirche. Denn wenn diese sich als zwingende Gewalt dem Staate gegenüberstellt, so bestimmt sich der protestantische Staat nach seiner eignen Freiheit nicht anders als im Sinne der protestantischen Kirche. Staat und Kirche fallen wesentlich zusammen, sie beruhen auf derselben Grundlage: auf dem sittlichen Bewußtsein Derer, welche sie bilden, und ein Widerspruch zwischen beiden ist so lange unmöglich, als dieses Bewußtsein mit sich selbst im Einklange steht. In den protestantischen Staaten werden daher die Kirchenangelegenheiten von Staatsbehörden, Consistorien, verwaltet und der Regent ist zugleich mit der höchsten bischöflichen Gewalt bekleidet. Ein Misverhältniß findet allerdings da statt, wo sich das Volk zur protestantischen, der Regent zur katholischen [263] Kirche bekennt, denn eine protestantische Gemeinde kann unmöglich zu einem katholischen kirchlichen Oberhaupte Vertrauen haben. Im Königreich Sachsen, wo ein solches Verhältniß obwaltet, ist das Misliche desselben dadurch ausgeglichen, daß in Kirchensachen der protestantische Minister des Cultus mit den ihm zur Seite stehenden Kirchenräthen die höchste Instanz bildet. Durch die Reformation sind aber auch der Gemeinde selbst viele Rechte zurückgegeben worden, welche sie in den ältesten Zeiten der christlichen Kirche besaß, die ihr jedoch später durch die katholische Hierarchie entzogen wurden und entzogen werden mußten, da die ersten zum Christenthum sich bekennenden Völker noch viel zu weit in der Bildung zurückstanden, um sich selbst leiten zu können, wenn nicht das Christenthum selbst zu einer Caricatur werden sollte. Besonders hat sich die Gemeindeverfassung der Kirche in den Ländern ausgebildet, welche sich zu der von der Schweiz ausgehenden Reformation bekennen. Die Reformation selbst war ein zeitgemäßer Fortschritt in der Auffassung des Christenthums, und wenn das Christenthum, die göttliche Offenbarung, selbst auch ewig unveränderlich feststeht, so ist doch gewiß die Auffassung desselben von der Bildung der Zeit abhängig. Je weiter der menschliche Geist in der Bildung fortschreitet, desto rein geistiger wird er die Religion begreifen. Soll nun aber hierüber nicht, wie eben jetzt vielseitig geschieht, die Kirche selbst in sich uneinig werden, indem die verschiedenen Menschenclassen nach ihrem Bildungsstande die Religion verschieden auffassen, so ist eine Verfassung der Kirche nöthig, nach welcher der allgemein gültige Lehrbegriff auf eine wahrhaft zeitgemäße Weise bestimmt und ausgesprochen wird, d.h. in einer Weise, welche der in einem Lande herrschenden Durchschnittsbildung gemäß ist. Diesen Zweck kann man durch Presbyterial- und Synodalverfassung (s. Presbyter und Synode) erreichen, denn dann gibt es kirchlich gebildete und allgemein anerkannte Versammlungen, welche mit mehr Autorität eine Veränderung des Lehrbegriffs vornehmen kann, als Staatsbehörden, welche, als außer allem Einfluß der Gemeinde stehend, stets das Vorurtheil gegen sich haben werden.

Jeder Einzelne, welcher vollberechtigtes Mitglied eines Staatsverbandes ist, heißt ein Staatsbürger. Aus dem vollen Genuß aller Rechte, deren Genuß der Staat seinen Bürgern gewährt, folgt aber auch die Verpflichtung, zur Erhaltung des Staats in gleichem Verhältnisse, wie alle übrigen Bürger, beizutragen, d.h. die Mittragung aller Staatslasten, als Steuern, Dienste, namentlich Kriegsdienste u.s.w. Auch im Auslande genießt der Staatsbürger den Schutz seines Staats, bleibt daher aber auch den Gesetzen desselben unterworfen. Das Staatsbürgerrecht kann verloren werden durch Verbrechen, und kann aufgegeben werden, wenn man in einem andern Staate sich niederlassen will, nachdem man die Entlassung aus dem Staatsverbande nachgesucht und erhalten hat. Da der Staatsbürger seine Rechte nur durch den als Gesetz geltenden allgemeinen Willen hat, so muß er seine einzelne Vernunft dem Gesetze unterordnen und ist daher zugleich auch Staatsunterthan. Die Regierung des Staats repräsentirt und verwaltet den vernünftigen Gesammtwillen, und in dieser Beziehung kann man den Staatsbürger auch Unterthan der Regierung nennen, wobei nur zu erinnern, daß in nichtdespotischen Staaten die Regierenden dem Gesetz ebenso unterthan sind wie die Regierten.

Da das Staatsbeste stets nur das Beste der Gesammtheit aller Bürger ist, so muß dasselbe von der Regierung stets im Auge behalten werden, und wenn der Einzelne als Staatsunterthan dem Gesetz als dem anerkannten Gemeinwillen sich unterwirft, so muß er auch bereit sein, für das Staatsbeste seinen eignen Vortheil, ja wenn es die Erhaltung des Staats gilt, selbst sein Leben aufzuopfern. Bei ein Interesse des Allgemeinen betreffenden Unternehmungen (wie Straßen, Kanäle, Festungen und dergl.) hat die Regierung daher das Recht, die Abtretung von Gegenständen des Privateigenthums zu beanspruchen; da jedoch der Staat auch das Privateigenthum seiner Bürger zu schützen hat, so hat gleichzeitig die Regierung die Verpflichtung, den Schaden, welcher dem Privatmanne aus einem derartigen Abtreten seines Besitzthums erwächst, nach dem Werthe desselben zu entschädigen. Zum Staatsbesten hat der Staat ferner das Recht, Privilegien zurückzunehmen, neue zu ertheilen, die Rechtsverhältnisse der Bürger zu ordnen u. dgl. Eine durchaus falsche Ansicht ist es jedoch, wenn behauptet worden ist, daß wirkliches Unrecht zur Förderung des Staatsbesten ausgeübt werden dürfte; vielmehr muß der Staat, d.h. die Gesammtheit aller Bürger, dafür einstehen, daß der Rechtszustand keines einzelnen Bürgers verletzt werde, und die Regierung muß auch in dieser Beziehung den Staat repräsentiren.

Die Würde und Macht des Staats concentrirt sich im monarchischen wie im despotischen Staate in der Person des Herrschers, Fürsten, Regenten, Staatsoberhauptes. Diese Würde wird Majestät genannt und die Gewalt, welche der Herrscher in höchster Instanz ausübt und welche sich auf Alles erstreckt, was als Mittel zur Verwirklichung des Zwecks des Staats zu betrachten ist, heißt die Staatsgewalt. Da der Herrscher, welcher den allgemeinen Willen als seinen Willen zu vollführen und durchzusetzen hat, als selbst nur ein einzelner Mensch diese Gewalt nicht allein verwalten kann, diese vielmehr den ganzen Staat gleichsam wie die Nervenfasern den ganzen Organismus eines lebendigen Wesens durchziehen muß, so ergibt sich hieraus, daß er ein zahlreiches Personal nöthig hat, welches keine andere Aufgabe hat, als für die Ausführung des Staatswillens zu sorgen. Soll dieses Personal seinem Zwecke entsprechen, so muß es so geordnet sein, daß durch die Anordnung selbst jeder mögliche Misbrauch der Staatsgewalt durch den Einzelnen, sowol der willkürliche wie der unwillkürliche verhindert ist, und es muß überdies eine zweckmäßige Vertheilung der Geschäfte stattfinden, sodaß jeder einzelne im Interesse der Staatsgewalt Wirkende nur solchen Geschäften vorzustehen hat, welchen er vermöge seiner Bildung, Kenntnisse und sonstigen Lebensverhältnisse gewachsen ist. Die Staatsgewalt stellt sich der Natur der Sache nach in dreifacher Weise dar, nämlich 1) als diejenige Gewalt, welche alle Thätigkeit des Staats nach seinen einzelnen Gliederungen zum Vortheil des Ganzen bestimmt, die Regierungsgewalt (lat. potestas rectoria); 2) als diejenige Gewalt, welche den allgemeinen Willen zum Bewußtsein bringt und als Willen ausspricht, die gesetzgebende Gewalt (lat. potestas legislatoria); 3) als diejenige Gewalt, welche in allen einzelnen zweifelhaften Fällen bestimmt, ob die Handlungen der Einzelnen dem als Gesetz ausgesprochenen allgemeinen Willen gemäß sind oder nicht, die richterliche Gewalt (lat. [264] potestas judiciaria). Je vollkommener sich das Staatsleben ausgebildet hat, desto mehr ist man zu der Überzeugung gelangt, daß eine strenge Scheidung dieser drei Gewalten zum Heile des Ganzen durchaus nothwendig sei. Namentlich ist es wichtig, daß die richterliche Gewalt durchaus von jedem Einflusse der Regierungsgewalt, ebenso wie vom Einflusse der Geistlichkeit und der Volksmeinung durchaus unabhängig sei. In den constitutionnellen Staaten hat man auch die gesetzgebende Gewalt streng geschieden, indem man, damit das Gesetz durchaus als Allgemeinwille dastehe und bei dessen Ausspruch die Interessen des Staats allseitig vertreten erscheinen, dieselbe mehr oder weniger in die Hand der Volksvertreter gelegt hat. Die Besorgung der öffentlichen Angelegenheiten nach den Bestimmungen der Regierungsgewalt und gemäß den bestehenden Gesetzen gehört der Staatsverwalt und oder Administration an. Sie wird unterschieden von der Staatsregierung, dem Gouvernement, welche nur anordnet, während die Verwaltung ausführt. Von Wichtigkeit ist, daß die Verwaltung der Rechtspflege von der Administration unabhängig sei, damit jene darüber wache, daß das Recht der einzelnen Staatsbürger von Seiten der Verwaltung in soweit nicht verletzt werde, als diese für ihre dem Gesammtinteresse gebrachten Opfer zur Herstellung gleichmäßiger Vertheilung der Staatslasten zu entschädigen sind.

Alle mit einem Theile der Staatsgewalt bekleideten, innerhalb eines bestimmten Wirkungskreises dieselbe ausübenden Personen heißen Staatsdiener oder Staatsbeamte. Sie sind von der Regierung angestellt, und zwar entweder auf Lebenszeit oder so lange sie die ihnen obliegenden Geschäfte zur Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten ausführen. Hierdurch unterscheiden sie sich von den Bevollmächtigten der Regierung, welche nur für die Dauer eines bestimmten Geschäfts die ihnen übertragene Gewalt ausüben. Auch mit solchen Ämtern bekleidete Personen, welche nicht im Staatsinteresse unmittelbar stehen, z.B. Geistliche, sind als Staatsbeamte zu betrachten, insofern mit ihren Ämtern das Interesse des Staats betreffende Functionen verbunden sind. Die Staatsdiener sind theils solche, welche Geschäfte verrichten, die keine besondere Vorbildung nöthig machen, bei denen es nur auf genaue Vollziehung zugehender Befehle ankommt, theils solche, welche zu ihren Geschäften einer Vorbildung, eines gewissen Reichthums an Kenntnissen besitzen. Die letztern unterscheidet man wieder, je nachdem ihre Thätigkeit eine mehr nur mechanische ist, z.B. Aufzeichnung des Geschehenen und Verhandelten, Ausfertigung von Beschlüssen, Aufbewahrung von Papieren u.s.w., oder eine freie Selbstthätigkeit des Geistes nöthig macht, entweder indem sie eine berathende oder eine entscheidende Stimme haben. Jene heißen subalterne (wie Secretaire, Actuarien, Registratoren u.s.w.), diese höhere Beamten. Da der Herrscher die Würde und Gewalt in seiner Person vereinigt darstellt, so sind alle Staatsbeamten zugleich die Diener des Herrschers, und sie vertreten die Person des Fürsten innerhalb der ihnen anvertrauten Geschäftskreise. In einigen Staaten erscheinen jedoch die Staatsbeamten selbständiger, indem sie die ihnen anvertraute Gewalt innerhalb der durch die Bestimmungen der Gesetze gegebenen Schranken auf eine selbständige Weise ausüben, ja Befehlen höherer Behörden bis zum Fürsten nur insoweit Genüge zu thun haben, als dieselben den Gesetzen entsprechen. Eine solche Einrichtung findet z.B. in England statt. Die Beamten sind theils auf die Dauer ihres Lebens angestellt, sodaß der Staat für den Unterhalt derselben selbst dann noch sorgt, wenn sie durch Krankheit oder Alter zum Dienst unbrauchbar geworden sind; theils absetzbar, wenn sie auch nur eine nicht hinlängliche Geschicklichkeit in den Augen ihrer Vorgesetzten kund geben, oder sonst deren Misfallen erregen. Völlige Unbrauchbarkeit zum Dienst, grobe Vergehungen gegen die Gesetze, Misbrauch der in ihren Händen ruhenden Gewalt ziehen stets die Entsetzung vom Amte nach sich. In frühern Zeiten, namentlich in denen der Republiken, wurden die Staatsämter als Ehrenämter meist unentgeldlich und neben den sonst das Leben ausfüllenden und häufig den Erwerb betreffenden Geschäften geführt; seit jedoch die Gesetzgebungen immer vollständiger, die Verhältnisse der Staaten nach innen wie nach außen immer zusammengesetzter geworden sind, ist es nöthig geworden, daß Jeder, welcher ein einigermaßen bedeutendes Staatsamt bekleiden will, sich für dasselbe auf das sorgfältigste vorbereiten und nachher demselben seine ganze Zeit und Thätigkeit widmen muß. Da nun ein solcher Beamter unmöglich nebenbei noch selbst für seinen und der Seinen Lebensbedarf durch anderweite Thätigkeit zu sorgen vermag, so ist es nur der Billigkeit gemäß, wenn die meisten Ämter auf Lebenszeit und mit der Aussicht auf Beförderung zu höhern Ämtern und entsprechend höhern Gehalten ertheilt werden. Damit indeß nicht auf diese Weise nur mangelhaft vorgebildete Personen zu Ämtern gelangen, so hat der Staat für die meisten Staatsdienste besondere Prüfungen, Examina, zur Bedingung der Anstellbarkeit gemacht. Die Absetzung der Beamten kann daher in der Regel auch nur nach Einholung eines auf gründliche Untersuchung gegründeten richterlichen Urtheils geschehen. In einigen Staaten ist die Absetzbarkeit wenigstens gewisser Beamten von der Regierung für die ersten Jahre ihres Dienstes vorbehalten worden, in welchen man erst ihren Diensteifer und ihre Geschicklichkeit erproben will. Am allgemeinsten hat man die Nothwendigkeit der Unabsetzbarkeit der Gerichtsbeamten anerkannt, weil es von der größten Wichtigkeit ist, daß diese in ihren Urtheilen einzig und allein nur auf das Gesetz, nicht aber auf den Beifall von Vorgesetzten Rücksicht nehmen. Auch den Kirchenbeamten gesteht man darum Unabsetzbarkeit zu, weil sie nöthigenfalls das Interesse der Religion gegen die Regierung wahrnehmen sollen. Die einem Staatsdiener übertragene Gewalt haftet nicht an der Person desselben, sondern an der Stelle, welche er einnimmt, und geht daher auf seinen Nachfolger über. Eine solche zur Ausübung eines gewissen Theils der Staatsgewalt angeordnete Stelle heißt eine Staatsbehörde. Bei der Vertheilung der Geschäfte an die Behörden wird theils auf die Art der mit ihnen verbundenen Geschäfte Rücksicht genommen, theils auf die geographische Ausdehnung ihrer Wirksamkeit, indem sie innerhalb eines gewissen Landestheils thätig ist, während andere Landestheile andern Behörden untergeben sind. Alles, was der Wirksamkeit einer Behörde zusteht, macht zusammen den Wirkungskreis, Ressort derselben aus, darüber erstreckt sich die Competenz derselben.

Da der Monarch die oberste Aufsicht über alle innern [265] und äußern Verhältnisse des Staats hat, so pflegt sich derselbe in der Regel mit einer Anzahl von kundigen Männern aus allen Zweigen der Verwaltungs-und Regierungsangelegenheiten zu umgeben, denen er sein besonderes Vertrauen schenkt, und diese bilden den Staatsrath, wie derselbe namentlich in Frankreich und Preußen besteht. Da derselbe keine mit einem besondern Theile der Staatsverwaltung bekleidete, keinen bestimmten Wirkungskreis habende Behörde ist, so bildet er auch der Natur der Sache nach in Preußen nur eine begutachtende Behörde, ohne auf die Verwaltung und auf die Handhabung des Rechts einen directen Einfluß zu haben, außer in einzelnen ihm besonders vom Könige übertragenen Angelegenheiten. Ausgedehnter und mehr unmittelbar in das Staatsleben eingreifend ist die Thätigkeit des franz. Staatsraths.

So anerkannt nothwendig es nun ist, wie bereits erwähnt wurde, daß die richterliche Gewalt im Staat unabhängig von der Regierungsgewalt sei, so hat doch die Regierung die Verpflichtung, im Interesse des Allgemeinen darüber zu wachen, daß die Richter die in ihre Hände gelegte Gewalt auf keine Weise weder wissentlich noch unwissentlich misbrauchen, daß alle einzelne Fälle, bei denen das Staatsinteresse gefährdet erscheint, zu rechtlicher Entscheidung gebracht werden, und endlich, daß die Entscheidungen der Gerichte gewissenhaft vollstreckt werden. Diese Vertretung des Staatsinteresses ist, namentlich in Frankreich, wo dieses Institut zu vorzüglicher Ausbildung gelangt ist, den Staatsanwalten, Staatsprocuratoren oder Kronanwalten anvertraut. Dieselben haben daher nicht nur Criminal- und Policeiuntersuchungen einzuleiten, wobei sie als öffentliche Ankläger auftreten, auf Befolgung der Gesetze in den Gerichten und auf die Vollstreckung der Urtheile zu halten, sondern sie haben auch die Pflicht, solche Urtheilssprüche, bei denen sich die Parteien selbst beruhigen, in denen aber ein Gesetz übergangen oder falsch ausgelegt erscheint, im allgemeinen Interesse für Handhabung des Rechts anzugreifen. Solche Urtheile bleiben dann zwar in Kraft, aber dem Gericht wird, wenn sich ein Fehler in der Herstellung des Urtheils nachweisen läßt, die genauere Berücksichtigung der Gesetze für die Zukunft eingeschärft.

Alle Gerichte werden, obschon ihre Mitglieder als Richter unabhängig von der Regierung sein sollen, stets von dem Oberhaupte des Staats, welches die Gesammtgewalt desselben repräsentirt, mit ihrer richterlichen Gewalt bekleidet. Bei der Einrichtung der Gerichte ging man in den german. Staaten von jeher von dem Grundsatze aus, daß jeder Einzelne nur von Personen seines Standes gerichtet werden könnte, damit sich nicht etwa ein Standesvorurtheil gegen den Einzelnen geltend machen könne, und damit die zu Richtern Berufenen die vollständigste Einsicht in die Lebensverhältnisse des Angeklagten haben. Nach diesem Grundsatze sind die Geschworenengerichte (s.d.) eingerichtet, und nach demselben bestanden schon in frühern Zeiten des german. Staatslebens eigne Staatsgerichtshöfe, vor welchen die Großen des Reichs und die Fürsten selbst gerichtet wurden. Dieselben bestanden daher stets aus den angesehensten Personen im Staatsverbande, den Pairs, und bei Einführung der Verfassungen ging dieses Gericht der Pairs in Frankreich in das Parlament, in England in das Haus der Lords, in Deutschland in die richterliche Gewalt des Reichstags über. Seit 1814 ist in Frankreich die Kammer der Pairs zugleich Staatsgerichtshof, und dieselbe ist als solcher besonders seit 1830 thätig gewesen, indem sie über die Minister Karl X. und nachher über politische Verbrecher, namentlich auch über die von Fieschi und dann von Alibaud gegen den König gerichteten Mordversuche das Urtheil sprachen. In den deutschen constitutionnellen Staaten ist der Staatsgerichtshof auf verschiedene Art organisirt. So wird er in Würtemberg und in Sachsen zur Hälfte von dem Könige aus den Mitgliedern der höhern Gerichte, zur Hälfte von den Ständen ernannt, und es werden von ihm nur Sachen entschieden, welche sich auf den Umsturz der Verfassung oder Verletzung derselben in einzelnen Punkten beziehen. In Hanover, Kurhessen und Weimar müssen Klagen von den Ständen gegen die Minister bei dem Oberappellationsgericht angebracht werden.

Unter Staatsgebiet versteht man theils die Gesammtheit des zu einem Staate gehörenden Grundeigenthums, theils die Gesammtheit aller Macht und Wirksamkeit des Staats, oder das in sich zur Einheit sich zusammenschließende geistige Dasein des Staats. Ein geschlossenes Staatsgebiet ist daher ein solches Dasein des Staats, in welches nicht die Macht irgend eines andern Staats störend eingreift, welches also vollkommen selbständig ist, sodaß keine Theilung der Staatsgewalt mit irgend einem fremden Staate stattfindet. Die ungeschmälerte Erhaltung des geistigen Daseins des Staats, seines Gebiets, ist die Integrität desselben, und ein Unternehmen gegen dieselbe muß der Staat im Rechte der Selbsterhaltung auf das strengste ahnden. Das Dasein des Staats erscheint gebunden an die äußerlichen Grenzen des zu ihm gehörenden Grundeigenthums, daher tritt auch jeder Ausländer mit Überschreitung dieser äußerlichen Grenzen in geistiger Beziehung in das Gebiet des Staats ein, d.h. er ist allen Anordnungen dieses Staats unterworfen. Ausländer sind daher im Allgemeinen nach den Gesetzen des Staats zu bestrafen, in welchem sie sich ein Verbrechen zu Schulden kommen lassen. Andererseits erscheint aber auch das Gebiet des Staats nicht an jene äußerlichen Grenzen gebunden, indem die Staatsunterthanen auch nachdem sie sich in das Territorium eines andern Staats begeben haben, noch mit allen ihren in der Heimat liegenden Besitzungen dem Staate rechtlich zugehören. Da sogar die Anerkennung eines im Auslande gefällten Richterspruchs schon ein Eingriff in das Staatsgebiet ist, so kann eine solche nur auf Grund ausdrücklicher Vertrage stattfinden, wenn nicht die Integrität des Staats verletzt erscheinen soll.

Als Staatsgut ist im Allgemeinen Alles zu betrachten, was der Staat zur Erreichung seines Zwecks benutzen kann, doch nennt man Staatsgüter (s. Domainen) vorzugsweise nur denjenigen Theil des Grundvermögens im Staate, der dem Staatsoberhaupte zusteht, um aus den Einkünften desselben den Aufwand des Staats oder auch des Hofs zu bestreiten. Die Einkünfte des Staats fließen aber nicht blos aus den Staatsgütern, sondern namentlich auch aus den Regalien und aus den auf alle Staatsunterthanen vertheilten directen und indirecten Abgaben und Steuern. Alle diese Einkünfte fließen zusammen in den Staatsschatz, die Staatskasse oder den Fiscus. Staatsschatz nennt man vorzugsweise auch einen eigens aufgesammelten [266] Vorrath von Geld und werthvollen Gegenständen, den man zurückbehält, um sich desselben bei einer besonders wichtigen Gelegenheit, z.B. im Fall eines Kriegs, zum Vortheil des Staats zu bedienen. Der Stand des gesammten Staatsvermögens in Bezug auf die jährlichen Einnahmen und Ausgaben, sowie in Bezug auf die Quellen, welche die Einnahmen geben, und die auf dem Staate lastenden Schulden, macht die Staatsfinanzen aus. Das Wort Finanzen kommt von dem im Mittelalter üblichen lat. Ausdrucke financia her, welcher einen Vergleich über eine zweifelhafte Verbindlichkeit, namentlich Schadenersatz, bezeichnet. Die Verwaltung der Finanzen eines Staats ist von der allergrößten Wichtigkeit, weil Unordnung in denselben unsagliches Elend, ja den Untergang des Staats herbeiführen kann, wogegen ein Staat, in welchem strenge Ordnung im Finanzwesen herrscht, in welchem die Ausgaben streng nach den Einnahmen, und diese nach den Kräften des Volks bemessen sind, jedenfalls wenigstens in materieller Beziehung sein Glück als begründet ansehen darf. Unvorhergesehene und große Ausgaben, welche zur Erhaltung des Staats oder zur wesentlichen Förderung seines Gesammtwohlstands nöthig sind, können zuweilen nicht aufgebracht werden, ohne den Ruin, die Verarmung des Volks herbeizuführen; daher ist es unumgänglich nothwendig, daß der Staat das unter solchen Verhältnissen nöthige Geld aufborgt, in der Regel, um es allmälig unter veränderten Verhältnissen zurückzuzahlen. So erwächst die Staatsschuld, Nationalschuld oder öffentliche Schuld. Durch die großen Kriege, welche alle europ. Staaten seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts geführt haben, sind die meisten europ. Staaten in Schulden gerathen, die so beträchtlich sind, daß in der Höhe derselben jetzt einer der wichtigsten Gründe der Aufrechthaltung des Friedens zu erblicken ist. Man unterscheidet schwebende und consolidirte Staatsschulden. Auch bei der gewissenhaftesten Verwaltung der Staatseinkünfte und selbst da, wo diese zur Bestreitung der Ausgaben vollkommen hinreichen, ist es unvermeidlich, daß nicht eine Menge größerer und kleinerer Ausgaben bestritten werden müssen, ehe die Gelder, die zu ihrer Bestreitung angewiesen sind, eingegangen sind; zur Tilgung dieser Ausgaben müssen daher Staatsschulden aufgenommen werden, die jedoch bei Eingehung der rückständigen Einnahmen getilgt werden, und die man daher schwebende nennt. Bleiben die Einnahmen aus, so wird die Schuld anerkannt, consolidirt; es werden große Summen aufgenommen, für welche die Regierung gewisse Zinsen zu zahlen, wol auch im voraus sie in gewissen Terminen und unter gewissen Bedingungen zurückzuzahlen verspricht, und diese begründen dann die consolidirte Staatsschuld. Fundirt ist eine Staatsschuld aber erst dann, wenn eine bestimmte Staatseinnahme zur Verzinsung derselben angewiesen ist. Machen außerordentliche Fälle Ausgaben nöthig, welche durch die gewöhnlichen Einnahmen nicht gedeckt werden können, so wird häufig den Ministern vorläufig eine gewisse Summe zur Verwendung bewilligt, es wird den Ministern ein Credit eröffnet, und die Minister bleiben für diese schwebende Schuld insofern verantwortlich, als sie die bewilligte Summe nicht übersteigen darf. Staatsschulden werden durch die Verausgabung von Staatspapieren (s.d.) aller Art begründet. Ist ein Staat nicht im Stande, die Verbindlichkeiten zu erfüllen, welche er bei Contrahirung der Staatsschulden übernommen, so findet ein Staatsbankrott statt, welcher erklärt ist, sobald die Regierung ihre Unfähigkeit, jene Verbindlichkeiten zu lösen, ausdrücklich erklärt, oder dadurch beurkundet, daß sie den Nominalwerth der Staatsobligationen herabsetzt.

Das Verhältniß der verschiedenen Staaten zueinander ist dasjenige, in welchem auch die einzelnen Menschen zueinander stehen würden, wenn sie nicht im Staatsverbande zusammenlebten. Das Recht des Stärkern würde hier vollkommen obwalten, wenn nicht die Staaten untereinander zu ihrer Sicherstellung vielfache Verträge eingegangen wären, deren Aufrechthaltung jedoch zuletzt immer wieder von dem Rechte des Stärkern abhängt. Da jedoch allen einzelnen Staaten daran liegen muß, daß die Verträge zwischen den verschiedenen Staaten heilig geachtet werden, so liegt die Macht des Stärkern, welche die Verträge aufrecht erhält, in der Gesammtheit aller civilisirten Staaten, und überdies übernehmen häufig bei Verträgen, welche zwischen zwei Staaten abgeschlossen werden, noch einzelne Staaten ausdrücklich die Garantie, d.h. sie versprechen, den säumigen oder unrechtlichen Staat zur Erfüllung der eingegangenen Verbindlichkeiten mit ihrem Ansehen anzuhalten. Unter den gebildeten und namentlich unter den christlichen Staaten sind gewisse Principien in Bezug auf die Verhältnisse der Staaten untereinander allgemein ins Bewußtsein getreten und festgehalten worden, welche das sogenannte Völkerrecht (s.d.) begründen. Wenn von einem Staate einem andern Staate die Ausübung eines Rechts innerhalb seines Gebiets vertragsmäßig gestattet wird, oder wenn sich ein Staat zu einer fortdauernden Leistung oder einer Unterlassung gegen einen andern Staat verbindlich macht, welche zum Vortheil des letztern dient, so nennt man dieses Verhältniß in Bezug auf den ersten Staat Staatsdienstbarkeit. Solche findet z.B. statt, wenn ein Staat dem andern ein für allemal bewilligt, Truppen durch sein Gebiet hindurchzuführen, wenn er die Verpflichtung übernimmt, Grenzfestungen zu schleifen und keine neuen anzulegen u.s.w. Von der Dienstbarkeit muß man die Theilung der Hoheitsrechte unterscheiden, welche nicht die Unterthanen eines fremden Staates, sondern die eignen betrifft, und stattfindet, wenn z.B. die Civil- oder Criminaljurisdiction, die wirkliche Regierung u.s.w. einem andern Staate überlassen wird. Während die Theilung der Hoheitsrechte stets ein Aufgeben der Integrität des Staatsgebiets ist, so können dagegen Dienstbarkeiten unter ganz selbständigen Staaten stattfinden, doch müssen sie, soll die Souverainetät nicht verletzt erscheinen, auf Contract und gegenseitige Leistungen gegründet sein.

Der Staat ist nach allen seinen Beziehungen zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung gemacht worden, und es gibt in dieser Beziehung einen Kreis sogenannter Staatswissenschaften, durch deren Studium sich der künftige Staatsmann, d.h. namentlich Derjenige, welcher sich zum höhern Staatsdiener im Fache der Regierung und Verwaltung ausbilden will, zu seinem wichtigen Beruf vorzubereiten pflegt. Zu diesen Staatswissenschaften gehört zunächst das Naturrecht (s.d.), in welchem nicht nur die in der Vernunft liegenden Principien aller Rechte, sondern auch der [267] Begriff des Staats zur Untersuchung kommt. Die geschichtliche Entstehung und rechtliche Begründung der Staaten, die Staatsgewalt, deren vernunftgemäße Eintheilung oder Gliederung, überhaupt der Zweck des Staats und die allgemein geltenden Mittel zu dessen Verwirklichung sind die Gegenstände der allgemeinen Staatslehre oder des allgemeinen Staatsrechts, welches mit dem Naturrecht auf das engste zusammenhängt, ja als ein Theil desselben betrachtet werden kann. Theile der Staatslehre sind die Verfassungslehre und die Regierungsleh re. Hierher gehört auch die Entwickelungsgeschichte der verschiedenen Staatsformen und die Lehre von den Mitteln, deren sich eine jede zur Aufrechthaltung ihrer selbst zu bedienen hat. Das positive Staatsrecht bestimmter Staaten stellt die in diesen geltenden rechtlichen Normen auf und theilt sich auch in Verfassungs- und Regierungslehre, zu denen dann noch die Lehre von den auf Verträgen, Friedensschlüssen, Herkommen beruhenden rechtlichen Verhältnissen zu andern Staaten kommt. Weitere Staatswissenschaften sind die Policeiwissenschaft (s. Policei), die Staatswirthschaftslehre (s. Nationalökonomie), welche über die Mittel Auskunft gibt, deren sich der Staat zur Hebung des Vermögens und des Wohlstandes der Nation zu bedienen hat; die Staatsfinanzwissenschaft, die Lehre von der Verwaltung der Finanzen; die Statistik (s.d.), welche über den gegenwärtigen Zustand der Staaten Auskunft gibt; die Staatengeschichte, welche die Entstehung und die Entwickelung der einzelnen Staaten zum Gegenstande hat, und dabei den einzelnen Staat nicht nur im Verhältniß des in ihm zum Bewußtsein gelangenden Volks nach dessen besonderm Charakter, sondern namentlich auch nach seinen Verhältnissen zu den übrigen Staaten zu betrachten hat; das Völkerrecht (s.d.). Zu diesen eigentlichen Staatswissenschaften, welche im Allgemeinen eine gründliche Vorbildung durch historische, geographische Kenntnisse und namentlich auch philosophische Bildung voraussetzen, kommt dann noch die Kenntniß der sogenannten Staatspraxis, d.h. des Kanzleistyls (s. Kanzlei), auf welchem früher mehr Gewicht gelegt wurde als gegenwärtig, des Ceremoniels (s.d.) und der Etikette (s.d.), sowie des diplomatischen Verkehrs. (S. Diplom.) Die Staatswissenschaft und namentlich derjenige Theil derselben, welcher sich auf den Zusammenhang des innern und äußern Staatslebens bezieht, wird auch Politik (s.d.) oder Staatskunst genannt. Streng genommen ist die Staatskunst die Anwendung der Lehren der Staatswissenschaften auf Repräsentation der Regierung und Verwaltung eines bestimmten Staats.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 260-268.
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