Getreidehandel, -Produktion und -Preise

[761] Getreidehandel, -Produktion und -Preise. Alle Kulturvölker entnehmen einen großen oder den größten Teil ihrer Nahrung den Getreidearten. Wegen dieser Bedeutung als Grundlage der Existenz und wegen des Zusammenhanges zwischen Seßhaftigkeit und Getreidebau kann man letztern als den Anfang des eigentlichen Kulturlebens bei allen Völkern bezeichnen. Schon sehr frühzeitig werden Getreidebau und Brotverbrauch örtlich und wirtschaftlich getrennt, und es beginnt die Notwendigkeit eines regelmäßigen Tausches, des Getreidehandels, es folgt die Reglementierung dieses Handels und endlich dessen eigentliche Organisation. Die großen Gefahren, die sowohl Mangel und Teurung als allzu großer Vorrat und Preiserniedrigung des Getreides für die davon betroffenen Kreise der Bevölkerung haben können, veranlaßten schon frühzeitig eine eigenartige Einflußnahme der Staatsverwaltung und eine eigentümliche soziale Auffassung in bezug auf den Kornhandel. Als Beweggründe für alle Maßregeln gelten einerseits die Sicherung des Brotbedarfs der Bevölkerung, anderseits der Schutz des Einkommens der ackerbautreibenden und grundbesitzenden Klassen; man will also mittlere, möglichst feste Preise bei stets genügenden Mengen der Brotfrüchte durch die Kornhandelspolitik herbeiführen, eine Aufgabe, deren Lösung wegen der großen Preisschwankungen, der Umständlichkeit des Transportes und der Aufspeicherung große Schwierigkeiten bereitet.

Zu den Maßregeln, die von diesen Gesichtspunkten geleitet werden, gehören: 1) Anlegung von Getreidemagazinen (Granarien) durch den Staat oder unter seiner Kontrolle von seiten der Gemeinden oder Dominien; diese Magazine mußten bei der Ernte gefüllt und mit einem gewissen Vorrat erhalten werden; sie erhielten sich bis in die Mitte des 19. Jahrh. als Regierungsspeicher, Staatskornmagazine, kontributionspflichtige Schüttböden etc. 2) Verbot und möglichste Unterdrückung des privaten Kornhandels; diese Maßregel artete zeitweise zu einer fanatischen Verfolgung der Kornwucherer und Kornjuden aus und dauerte bis in die neue Zeit in der Form polizeilicher Überwachung der Kornhändler, der Beschränkung des Kornhandels auf wenige Orte, Marktreglements in betreff der dazu berechtigten Personen, Börsenreglements etc. fort. 3) Festsetzung von Getreidepreistaxen. An diese Maßregeln, die vornehmlich den innern Kornhandel betreffen, fügt sich eine ganze Kette von Vorschriften zur Regelung des äußern Kornhandels. Diese beginnen mit dem Verbote der Ausfuhr und verschiedenen Zwangsmitteln der Zufuhr, dauern im Mittelalter fort und führen periodenweise zu einer vollständigen Absperrung nicht nur der Staaten, sondern sogar der Provinzen gegeneinander. Häufig waren die Ausfuhrverbote mit Einfuhrprämien verbunden und wurden entweder dauernd oder nur bei Mißernten und drohender Hungersnot erlassen oder verschärft (vgl. Getreidezölle). In diesem Rahmen bewegte sich die Getreidehandelspolitik im alten Athen, im alten Rom und namentlich im Mittelalter nach dem Aufblühen der Städte sowie die merkantilistische Wohlfahrtspolitik. Aber solche Maßregeln der frühern Kornhandelspolitik mußten nicht bloß wegen ihrer Irrtümer, sondern insbes. wegen des Umschwunges, den die internationale Wirtschaftsweise bewirkt hat, beseitigt werden. Die Aufgabe der ehemaligen öffentlichen Vorratsmagazine hat heute das freie wirtschaftliche Unternehmen im großartigsten Umfang übernommen. In jedem für den Getreidehandel[761] bedeutendern Marktplatz befinden sich Getreidespeicher, Magazine (Silos und Elevatoren), die durch ihre Leistungsfähigkeit die alten Provianthäuser und Schüttböden unvergleichlich übertreffen (s. Elevator und Kornhäuser). Die Ansammlung von Vorräten geschieht nach richtiger spekulativer Erwägung; sie trägt zur Ausgleichung der Ernteergebnisse so sehr bei, daß sie allein genügen würde, um die Gefahren der Hungersnot und Teurung zu beseitigen.

Diese Organisation konnte erst durchgeführt werden, nachdem einmal der Handel mit Getreide als berechtigte und im Interesse der Gesamtheit wünschenswerte Vermittlertätigkeit anerkannt worden war. Im Gegensatz zur mittelalterlichen Verpönung begegnen wir daher heute einer zielbewußten Pflege des privaten Getreidehandels von seiten der Staatsverwaltung. Die Einrichtung der großen Getreidebörsen (die älteste in Amsterdam 1617, jetzt die größten in London [Mark Lane], Liverpool, Paris [Marché an blé] Wien [Frucht- und Mehlbörse und internationaler Getreide- und Saatenmarkt], Budapest, Berlin [Produktenbörse], Danzig, Stettin, Hamburg, Leipzig, Zürich, Antwerpen, New York, Chicago, San Francisco etc.), die Bestellung der Makler und Sensale an denselben und die Freigebung des Getreidehandels bieten die Gewähr, daß durch umfassenden Mitbewerb etwaige Ausschreitungen am besten eingedämmt werden. Man hat deshalb von den frühern Preistaxen als unzureichend und schädlich abgesehen. Der börsenmäßige Getreidehandel vollzieht sich als Loko- oder Kassengeschäft und als Zeit- oder Lieferungsgeschäft. Von besonderer Wichtigkeit ist die Bestimmung der Qualität der Ware; als wichtigstes Mittel zu deren Bestimmung wird das sogen. Qualitätsgewicht angewendet, d. h. die Angabe des Gewichtes eines bestimmten Hohlmaßes Getreide. So ist z. B. das Qualitätsgewicht an den preußischen Getreidebörsen durch Verfügung des Handelsministers von 1892 für Weizen 1 Lit. = 755 g und für Roggen 1 Lit. = 712 g, für Hafer = 450 g festgesetzt. Daneben gibt es noch eine Reihe andrer Usancen über die gesunde, trockne Beschaffenheit, die fremden Beimischungen etc. Auch die Lieferzeit im Termingeschäft ist usancemäßig geregelt; dieselbe beträgt in Berlin zwei aufeinanderfolgende Monate, zumeist April-Mai oder September-Oktober. Der Schluß, d. h. die Einheit, auf welche oder auf deren Vielfaches die Geschäfte abgeschlossen werden, beträgt bei Getreide an den deutschen und österreichischen Börsen 500 metr. Ztr., ist aber in andern Ländern größer. Ein wesentlicher Behelf zur Vervollkommnung des Terminhandels in Getreide, ebenso wie in den andern Waren, ist die Errichtung von Abrechnungsstellen mit Geheimhaltung der Kontrakte der einzelnen Spekulanten. Überhaupt ist der Terminhandel in dieser Warengattung verhältnismäßig jungen Datums und besteht in Berlin für Roggen erst seit 1832, für Weizen seit 1866 und sonst in Deutschland nur noch in Stettin (wo er zuerst auftrat), Breslau, Köln, Frankfurt a. M. und Mannheim. Sofern es beim Terminhandel nicht auf wirkliche Lieferung der Ware, sondern auf den Gewinn aus der Differenz zwischen dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Preis abgesehen ist, pflegt man den letztern Geschäften die andern als Effektivgeschäfte gegenüber zu stellen. Im Deutschen Reich ist erst jüngst auf Andrängen der landwirtschaftlichen Produzenten, die sich durch den Börsenterminhandel in Getreide und Mühlenfabrikaten geschädigt erachteten, dieser durch Gesetz vom 22. Juni 1896 verboten worden, was die Auflösung einer Reihe von Produktenbörsen vom 1. Jan. 1897 ab zur Folge hatte. Sie wurden z. T. durch freie Vereinigungen der Händler ersetzt. Aber der dermalige Zustand ist wegen des Fehlens zuverlässiger Preisnotierungen auf die Dauer kaum haltbar. In London wurde der eigentliche Terminhandel in Getreide erst 1887 durch die Gründung der London Produce Exchange Association eingeführt; dann hat (1889) das London Produce Clearinghouse von Mincing Lane den Terminhandel in Getreide aufgenommen und dient zugleich als Liquidationskasse. Solche Liquidationskassen haben den Zweck, Käufern und Verkäufern die Erfüllung der Leistung zu garantieren, zu welchem Zweck entsprechende Depots gegeben werden müssen. In Liverpool, das als Getreideeinfuhrhafen London überlegen ist, bildet den Mittelpunkt des Getreidehandels die 1853 gegründete Liverpool Corn Trade Association, an der auch Termingeschäfte, und zwar durch Vermittelung des daselbst errichteten Clearinghauses, abgeschlossen werden.

Freilich konnte der Erfolg dieser Maßregeln erst zur vollen Geltung kommen, als die Verkehrsmittel gestatteten, Getreide aus allen Teilen der Erde rasch und billig zu beziehen, und als die Statistik im Zusammenhang mit dem internationalen Nachrichtendienst es ermöglichte, sich in Umrißziffern stets über die verfügbaren Getreidemengen in den Produktions- und Handelszentren und über den Bedarf in den Konsumtionsgebieten zu unterrichten. Die Mißernten einzelner Jahre oder Länder werden auf dem Weltmarkt kaum noch fühlbar. Die Getreidepreise sind nicht allein gleichmäßig und stetig, sondern auch so niedrig geworden, wie sie seit einem halben Jahrhundert nicht waren, und der steigenden Tendenz, die sich in der Zeit von 1650–1860 verfolgen ließ, ist jetzt eine Zeit mit sinkender Tendenz gefolgt.

Getreideproduktion und Getreidehandel haben sich infolge der Zunahme des Konsums und der Erleichterung des Transports in der letzten Zeit mit ungeahnter Raschheit gehoben. Die Erntestatistik, wie sie in der Mehrzahl der Kulturstaaten gegenwärtig eingerichtet ist, gestattet einen ziffermäßigen Ausdruck der tatsächlichen Verhältnisse, der zwar nicht auf unbedingte Genauigkeit im einzelnen Anspruch erheben darf, aber doch genügende Anhaltspunkte bietet, uta alle maßgebenden Elemente im großen und ganzen verläßlich zu konstatieren. Man kann sämtliche für die Kornfrage wichtige Staaten in zwei Gruppen einteilen: erstens solche Länder, die in mittlern Erntejahren regelmäßig Überschüsse der eignen Erzeugung ausführen (Getreideausfuhrländer), und zweitens solche Länder, die regelmäßig auf Getreidezufuhren angewiesen sind (Getreideeinfuhrländer).

I. Getreideausfuhrländer.

Vereinigte Staaten von Nordamerika. Diese stehen seit 1878 in erster Reihe; ihre Übermacht beruht auf dem Bodenreichtum, besonders im Westen, auf der extensiven billigen Kultur, der großartigen Organisation der Aufspeicherung, des Transports und Handels. Die Erntemengen in Millionen Hektoliter waren im Durchschnitt der Jahre, bez. in den Jahren:

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[762] Die großen Mengen von Getreide werden auf einem zusammenhängenden Netz von Eisenbahnen und Kanälen an die Seen und von den Emporien des Zwischenhandels, unter denen Chicago einen hervorragenden Platz einnimmt, an die atlantischen Häfen zur Versendung nach Europa gebracht. Die Ausfuhr von Getreide betrug in Tausenden Hektoliter:

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Die Nettoausfuhr von Brotstoffen stieg in der Zeit von 1879–99 von 5,855 auf 17,899 Mill. dz. Mais nimmt seine Ausfuhrrichtung nach Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Britisch-Amerika, Dänemark und Belgien; Weizen zum größten Teil nach Großbritannien, weniger nach Frankreich, Belgien etc.; Roggen nach Belgien, Deutschland und Großbritannien; Hafer und Gerste, ferner Weizenmehl hauptsächlich nach Großbritannien.

Rußland. Die Getreideproduktion hat ihren Sitz hauptsächlich im Südosten des Reiches, in der Gegend der sogen. schwarzen Erde (Tschernosem). Die Erntemenge betrug in Millionen Hektoliter:

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Die Ausfuhrmenge war in Millionen Kilogramm:

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Der Wert der Ausfuhr betrug 1880: 630 Mill. Mk., 1384: 992,1891: 1130,1892, wegen der vorhergegangenen Mißernte, nur 522,1897 wieder 1013,6 Mill. Mk. In normalen Jahren zählt Rußland neben Nordamerika und Britisch-Ostindien als bedeutendstes Ausfuhrland der Welt.

Österreich-Ungarn. Hier liefert das dünn besiedelte, fruchtbare Flachland Ungarns die regelmäßigen Überschüsse der Ausfuhr. Die Ernten betrugen in Millionen Hektoliter im Durchschnitt der Jahre:

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Die Ausfuhr ist namentlich bei Gerste und Malz, Weizen, Hafer und den vorzüglichen Mahlprodukten bedeutend; es betrug:

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1897 betrug die Ausfuhr an Getreide und Hülsenfrüchten, Mehl- und Mahlprodukten sowie Reis zusammengenommen 155,7 Mill. Mk., die Einfuhr 94,4, somit die Mehrausfuhr 133 Mill. Mk. Gerste (1900: 3,7 Mill. metr. Ztr.) wurde vor allem nach Deutschland, weniger nach Großbritannien, der Schweiz und den Niederlanden, Weizen (1900: 12,5 Mill. metr. Ztr.) nach Deutschland und der Schweiz ausgeführt, ebenso wie Hafer (2,70 Mill. m. Ztr.). Mehl geht nach Deutschland, Großbritannien, Frankreich und der Schweiz.

Untere Donauländer. Unter denselben ist Rumänien das wichtigste Produktionsgebiet. Die Produktion betrug 1901 bei Weizen 24,5, Mais 47,5, Gerste 7,5, Hafer 3,8, Roggen 3,0 Mill. hl, und die Mehrausfuhr von Getreide und Mahlprodukten belief sich 1897 auf 194,6 Mill. Mk. Nächst Rumänien sind dann noch Bulgarien und die europ. Türkei zu nennen, während Serbien geringere Bedeutung besitzt. In Bulgarien betrug 1901, bez. 1900 in Mill. metr. Ztr. (zu 100 kg) die

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Britisch-Ostindien ist erst seit 1881 in die Reihe der für den europäischen Getreidehandel belangreichen Länder eingetreten. Seine Jahresproduktion betrug 1901: 65,8 Mill. metr. Ztr. Seine Ausfuhr ist bis 1891/92 rasch gestiegen, in der letzten Zeit aber ebenso rasch zurückgegangen. Sie betrug in Mill. metr. Ztr.:

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Das meiste davon gelangt nach Großbritannien. Außerdem liefert Britisch-Indien jährlich 160–170 Mill. kg Reis in den Welthandel.

Dagegen sind andre Länder in der jüngsten Zeit als Ausfuhrländer, speziell für Weizen, hervorgetreten, so die folgenden, die 1900 folgende Ausfuhrmengen in Millionen metr. Ztr. lieferten: Australien 5,00, Argentinien 20,42, Kanada 2,50.

II. Getreideeinfuhrländer.

Großbritannien und Irland. Während die Bevölkerung und der Konsum alljährlich ansteigen, nimmt der Weizenbau ab. Der Ausfall wird durch Zufuhren billiger gedeckt als früher durch die eigne Landwirtschaft. Im Durchschnitt von 1893–97 verbrauchte Großbritannien etwa 67,5 Mill. dz Weizen, davon lieferte das eigne Land etwa 15 Mill. Im Vereinigten Königreich betrug die Ernte in Millionen Hektoliter:

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Die Zufuhren von Weizen kommen zunächst aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika und Rußland, die zusammen zwei Drittel der Einfuhr ausmachen; Weizenmehl kommt hauptsächlich aus Nordamerika, Gerste aus Rußland, Rumänien und Deutschland, Hafer aus Rußland und Schweden. Die Einfuhr belief sich auf folgende Mengen (1901):

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Der Wert der Einfuhr von Getreide und Mehl betrug 1897: 1487,5 Mill. Mk.[763]

Frankreich. Der Getreidebau ist zwar im Laufe der letzten Jahre in diesem Lande nicht wesentlich eingeschränkt worden; trotzdem genügt aber die eigne Ernte nicht mehr wegen des rasch zunehmenden Bedarfs, der zu den höchsten Europas gehört und gegenwärtig etwa 3,9 kg pro Kopf und Jahr beträgt. Die Erntemengen betrugen in Millionen Hektoliter:

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Die Einfuhr an Zerealien ist sehr schwankend; sie betrug 1880: 637 Mill. Mk., 1884: 288,1890: 291,1891: 426 und 1897: 263 Mill. Mk. Im Detail für die einzelnen Getreidearten betrug 1900 die Mehreinfuhr in Millionen metr. Ztr. an Weizen 1,54, Gerste 1,81, Hafer 2,76, Mais 2,80.

Deutsches Reich. Auch hier machen die Zunahme der Bevölkerung und des Verbrauchs immer mehr auswärtige Zufuhren erforderlich. Es betrugen die Anbauflächen in Tausenden Hektar:

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Das reichsdeutsche statistische Amt pflegt Verbrauchsberechnungen vorzunehmen, derart, daß zur Produktion die Einfuhr hinzu-, die Ausfuhr abgerechnet und schließlich ein Abschlag für das Aussaatquantum angenommen wird; danach berechnet sich die zum Verbrauch für menschliche und tierische Ernährung und gewerbliche Zwecke verfügbare Menge vom 1. Juli 1893 bis 30. Juni 1901 in 1000 Tonnen folgendermaßen: Roggen 8025, Weizen 4765, Gerste 3716. Hafer 5960 oder auf den Kopf der Bevölkerung 148,6, bez. 88,2,68,8 u. 110,4 kg. Der eigentliche Nahrungsverbrauch bemißt sich auf den Kopf der Bevölkerung für das Jahr etwa mit 180 kg Brotgetreide. Der Getreidehandel ist in den letzten Jahren fast ganz zum Einfuhrhandel geworden; es betrug in Tausenden metr. Ztr. (zu 100 kg) im Durchschnitt der Jahre:

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Davon kamen:

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Gerste und Malz kommen wohl überwiegend aus Österreich-Ungarn. Mais wird aus den Vereinigten Staaten, Rußland, Österreich-Ungarn und Rumänien, Reis aus Brit. – Indien eingeführt. Die Umsätze von Zerealien-, Mehl u. Mahlfabrikaten waren in Mill. Mk.

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Die Schweiz und die Niederlande erfordern ebenfalls steigende Einfuhren von Getreide. Italien hat sehr bedeutende Ernten von Weizen (1890: 45,1901: 43 Mill. hl) und Mais (1890: 26,1901: 29 Mill. hl), jedoch wurden dieselben durch den Bedarf überwogen; 1897 wurde für 99 Mill. Mk. mehr eingeführt. Dasselbe gilt von Spanien (durchschnittlich steht einer jährlichen Einfuhr von 66,5 Mill. Mk. eine Ausfuhr von 26 Mill. Mk. entgegen). Dänemark, das noch bis 1883 regelmäßig eine Mehrausfuhr von Getreide aufwies, ist seither, des steigenden Konsums wegen, in die Reihe der Einfuhrländer eingetreten. Schweden und Norwegen sind durch die klimatischen und Bodenverhältnisse naturgemäß auf die Einfuhr angewiesen; dasselbe gilt von Finnland, Portugal und Griechenland.

III. Internationale Übersichten.

Um die vorangehenden Einzeldarstellungen zu ergänzen und übersichtlich anzuordnen, folgen nachstehend einige Tabellen. Die erste gibt auf Grundlage der im »Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich« 1903 veröffentlichten internationalen Übersichten einen Überblick über jene Bodenflächen der wichtigsten Länder, die für den Körnerbau bestimmt waren:

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[764] Die internationalen Übersichten über den Ertrag der Ernten beruhen auf den Veröffentlichungen des ungarischen Handelsministeriums.

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Eine übersichtliche Darstellung des Welthandels mit Getreide, d. h. der Ein- und Ausfuhr von solchem in, resp. aus sämtlichen belangreichern Staaten der Welt, kann nur den Wert einer Schätzung haben, und dies selbst dann, wenn die Nachweisungen der einzelnen Staaten für sich genommen zuverlässig sein würden, was sie eben nicht immer sind. Denn auch in diesem Falle müssen ungleichmäßige Nachweisungen zusammengehalten werden. Über den Welthandel mit Zerealien bestehen verschiedene Berechnungen aus frühern Jahren, denen die folgenden, auf die Jahre 1888 u. 1897 bezüglichen angeschlossen werden sollen, wie sie vom ungarischen Handelsministerium veröffentlicht worden sind.

Tabelle

Daß in der Übersicht die Ausfuhr größer erscheint als die Einfuhr, ist schon dadurch begründet, daß die Verluste an Waren beim Transport immerhin beträchtlich sind; überdies ist auf die Verschiedenheit der Nachweisungsperioden, auf die Anhäufung von Lagerbeständen außer den Zollgebieten, auf den Zeitunterschied zwischen Abgang und Ankunft der Ware etc. Rücksicht zu nehmen.

IV. Getreidepreise.

Die Jahrespreise der Getreidearten schwanken je nach dem Ernteausfall um einen für größere Jahresperioden maßgebenden Durchschnitt, der durch Produktions- und Frachtkosten, dann durch den Unternehmergewinn des Händlers bestimmt wird. Der Durchschnittspreis ist im Verlauf der Kulturentwickelung und mit der zunehmenden Volksdichte immer mehr angestiegen: das an Umfang beschränkte Ackerland kann nur mit steigendem Kostenaufwand kultiviert werden, die lokale Produktion lohnt oft nicht mehr, so daß der Bezug von außen erforderlich wird. Diese Tendenz wurde aber mit den großen Erfindungen der Neuzeit um die Mitte des 19. Jahrh. und darauf umgestaltet. Der billiger werdende Transport und die Schaffung eines großen Eisenbahnnetzes gestattete einen ausgiebigen Ausgleich der Vorräte und brachte damit eine Preisherabsetzung hervor. Bei der Gestaltung der Preise stehen die einzelnen Getreidearten in Wechselbeziehung, indem sie sich gegenseitig bis zu einem gewissen Grade zu ersetzen vermögen. Auf die Mehlpreise haben die Getreidepreise selbstverständlich entscheidenden Einfluß, weniger auf die Brotpreise. Die Ermittelung der Getreidepreise stößt auf große Schwierigkeiten, weil es nicht möglich ist, die Durchschnitte aus den zu den verschiedenen Preisen abgesetzten einzelnen Quantitäten zu bestimmen und mehr oder minder willkürliche und zuverlässige Angaben den Berechnungen zugrunde gelegt werden müssen. Außerdem kommt stets auch die Qualität als bestimmender Faktor hinzu. Noch mehr Vorsicht ist gegenüber den aus frühern Jahrhunderten stammenden Preisangaben geboten, die nur für das 17. und 18. Jahrh. eine selbst den heutigen Erhebungen gegenüber erhöhte Zuverlässigkeit besitzen. Das Ansteigen der Getreidepreise in Berlin und der Rückgang seit der Mitte des 19. Jahrh. wird z. B. aus der folgenden Tabelle ersichtlich:

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Im Verlauf des 19. Jahrh. vollzieht sich zwischen Deutschland und England eine charakteristische Preisausgleichung. In England standen die Weizenpreise zu Anfang des Jahrhunderts doppelt so hoch als in Preußen. Das letztere Land erzeugte mehr, als es brauchte, das erstere war auf die Zufuhr angewiesen, steigerte aber den Preis durch ein künstlich angelegtes Schutzzollsystem. Als diese Zölle ermäßigt und 1860 ganz abgeschafft wurden, sank, namentlich auch mit Rücksicht auf die Verkehrserleichterungen, der Preis bedeutend, während in Preußen gegenwärtig der Preis[765] höher steht als in England. Es waren die Preise für 1000 kg in Mark:

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Im allgemeinen ist seit der Mitte des 19. Jahrh. eine bedeutende Reduktion der Preise auf dem Weltmarkt eingetreten, indem neue Gebiete für die Zufuhr nach Europa erschlossen wurden, wie namentlich Nordamerika, Indien, das innere Rußland, Australien, Argentinien. Dazu kamen die Reduktionen der Frachtkosten und die Entwertung des Silbergeldes in Rußland und Indien. Diese beiden letztgenannten Länder sind als Ersatz für jene großen Frachtmengen eingetreten, die aus Nordamerika bisher nach Europa gekommen, aber dann durch die Zunahme der Bevölkerung in diesem Land in Schranken gehalten wurden. So dürfte auch für die nächste Zukunft ein erhebliches Steigen der Getreidepreise nicht anzunehmen sein.

Für das Deutsche Reich werden seit dem Jahre 1878 vom Statistischen Amt Großhandelspreise veröffentlicht, die von den Handelskammern für die wichtigsten Börsenplätze zusammengestellt werden. Nach diesen Nachrichten stellten sich 1902 die Engrospreise für 1000 kg in Mark folgenderweise dar:

Tabelle

Wenn man die Preisziffern für Österreich durch längere Zeit verfolgt, wie sie von der Wiener Produktenbörse für den höchsten und niedersten Stand jedes einzelnen Jahres angegeben werden, so ersieht man, daß 1894 ein Tiefstand erreicht worden ist, der seit einem Vierteljahrhundert nicht zu verzeichnen war. Seit 1869 sind die höchsten Preise angegeben für die Jahre 1873 und 1874, und zwar waren die höchsten Sätze des Jahres in Gulden für 100 kg in 1873 bei Weizen 18,6, bei Roggen 14,0, in 1874 bei Gerste 13,8, bei Hafer 10,9; im ersten Semester 1894 waren die geringsten Sätze dieses Zeitabschnittes für Weizen 6,8, Roggen 5,8, Gerste 8,7, Hafer 5,8. Im J. 1902 standen sie auf 9,5, 7,6, 7,4 und 8,3 Gulden.

In Nordamerika standen die Weizenpreise nach dem Vierteljahrsheft zur Statistik des Deutschen Reichs I, 1903, und zwar in Chicago 1893: 104, 1894: 86, 1896: 98, 1898: 135, 1902: 115 Mk. für 1000 kg. In New York zur selben Zeit je nach Ware zwischen 112 und 117, 92 und 105, 101–110, 135–140, 123–128. – In England stellten sich nach einer im Statistischen Vierteljahrsheft IV, 1902, veröffentlichten Zusammenstellung im 19. Jahrh. die Preise folgendermaßen (für 100 kg):

Tabelle

Auf dem Pariser Markte kosteten 100 kg in Mark:

Tabelle

Die französischen amtlichen Preisnotierungen, die nach Departements verfaßt wurden, ergeben für den ganzen Staat 1892 für das Hektoliter folgende Werte: Weizen 17,87, Roggen 12,44, Gerste 10,14, Mais 13,34 und Hafer 8,20 Frank.

Literatur. Vgl. die Schriften der Anti-Cornlaw-League (s.d.); Roscher, Kornhandel und Teuerungspolitik (Stuttg. 1852); R. Meyer, Ursachen der amerikanischen Konkurrenz (Berl. 1883); Sering, Die landwirtschaftliche Konkurrenz Nordamerikas (Leipz. 1887); Fuchs, Der englische Getreidehandel (in den »Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik«, neue Folge, Bd. 20) und Der Warenterminhandel (in Schmollers »Jahrbuch für Gesetzgebung etc.«, Bd. 15); Mucke, Deutschlands Getreideverkehr mit dem Auslande (Greifsw. 1887); Sonndorfer, Die Technik des Welthandels (2. Aufl., Wien 1900) und Usancen und Paritäten des Getreidehandels im Weltverkehr (2. Aufl., Berl. 1882); Kohn, Der Getreideterminhandel (Leipz. 1891); Tooke u. Newmarch, Die Geschichte und Bestimmung der Preise 1793–1857 (deutsche Ausgabe, Dresd. 1862); Rogers, A history of agriculture and prices in England (Lond. 1866 bis 1888, 6 Bde.); Kremp, Über den Einfluß des Ernteausfalls auf die Getreidepreise (Jena 1879) und Ernten und Fruchtpreise (in den »Jahrbüchern für Nationalökonomie«, neue Folge, Bd. 9); Naude, Die Getreidehandelspolitik der europäischen Staaten vom 13.- 18. Jahrhundert (Berl. 1896); Mancke, Getreideversorgung u. Großmachtstellung (das. 1899); »Das Getreide im Weltverkehr« (vom k. k. Ackerbauministerium vorbereitete Materialien etc., Wien 1900, 3 Tle.); Heller, Der Getreidehandel und seine Technik (Tübing. 1901); Hailer, Studien über den deutschen Brotgetreidehandel in den Jahren 1880–1899 (Jena 1902); O. Schmitz, Bewegung der Warenpreise in Deutschland 1851–1902 (Berl. 1903); Rabe, 40 Jahre Brotgetreidebau (das. 1901); Neumann-Spallart, Übersichten der Weltwirtschaft (Stuttg. 1878–89; fortgesetzt von Juraschek, Berl. 1890ff.); Ruhland, Die Lehre von der Preisbildung für Getreide (das. 1903); Engelbrecht, Die geographische Verteilung der Getreidepreise (1. Teil: Vereinigte Staaten, das. 1903); M. Becker, Der argentinische Weizen im Weltmarkte (Jena 1903); die Artikel »Getreidehandel«, »Getreidepreise« und »Getreideproduktion«[766] im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«, Bd. 3 (2. Aufl., Jena 1900); endlich die »Agricultural Returns«, die Berichte des nordamerikanischen Landwirtschaftsdepartements, des ungarischen Handelsministeriums, des Wiener Saatenmarktes, die sonstigen Publikationen der statistischen Ämter über Anbau und Ertrag von Kornfrüchten und die Handelsausweise sowie Broomhalls Corn Trade Year Book (Liverpool) und The Statesman Year Book (Lond.). S. auch Getreidezölle.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 761-767.
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