[922] Marseille (spr Marselj, lat. Massilia), 1) Arrondissement im französischen Departement Bouches du Rhône; 13,72 QM., 4 Cantone, 210,000 Ew., Vorgebirg Aigle (Cap de l'A.); 2) Hauptstadt darin, auch des Departements Bouches du Rhône, am Einflusse des Flüßchens Biaud in den Golf du Lion; die dritte Stadt Frankreichs u. nächst London, Liverpool u. Hamburg der bedeutendste europäische Seehandelsplatz. M. liegt auf einer von Bergen eingeschlossenen Ebene hufeisenförmig um das Meer; hat Präfectur; die Departementalbehörden, Tribunal erster Instanz, Handelskammer, Handels- u. mehre Friedensgerichte, Suffraganbischof, von den alten Festungswerken sind die Wälle zu Alleen umgewandelt u. nur noch einige Forts (St. Jean, rechts u. St. Nicolas links des Hafens, das Schloß Notre dame de la Garde auf dem Felsrücken Mondredon) vorhanden; Hafen (seit 1815 wieder zum Freihafen erklärt), ein viereckiges Bassin, 2700 Fuß lang, 780 Fuß breit, nur 1622 Fuß tief, mit Quais eingefaßt, mit, wegen verborgener Klippen beschwerlicher Einfahrt, ist aber sicher u. geräumig für 1200 Schiffe u. kann mittelst einer Kette zwischen den beiden Forts geschlossen werden; vor demselben liegen die Felseninseln Iff (mit dem Fort Château d'Iff), Ratonneau, auch mit Fort, u. Pomegue, durch einen Kunstdamm mit einander verbunden, wohin der neue Quarantainehafen Port Frioul od. P. dieudonné u. alle Quarantaineanstalten verlegt worden sind; der ehemalige Hafen Lakydon ist jetzt verschlämmt. Bei dem Hafen befinden sich große Magazine u. Werste. In der Altstadt (Le vieux quartier, dem bevölkertsten Theil) hat M. meist schlechte u. enge, in der Neustadt (Le beau quartier) schöne, breite u. gerade Straßen, viele hohe Häuser mit platten Dächern, öffentliche Plätze (Place nouvelle, mit 4 Springbrunnen, Castellane, du Roi, St. Ferreol u.a.), viele katholische Kirchen, unter ihnen bes. die Kathedrale (Eglise de St. Lazare, die älteste Kirche Galliens, einst Dianentempel, von denen noch Säulenreste übrig, durch Napoleon III. restaurirt), 1 reformirte Kirche, Synagoge, 14 Hospitäler, darunter das Hotel Dien, Stadtbans mit Börse, in dem unteren Stockwerk das alte Arsenal, das neue Arsenal mit Garten, Justizpalast, Münze, Gouvernementshaus, Lyceum (sonst Benedictinerkloster, mit Kunst- u. anderen Sammlungen). M, besitzt königliches Collegium (Gymnasium), eine Marineschule mit Sternwarte, Taubstummeninstitut, Medicinal-, Zeichen- u. Malerschule, öffentliche Bibliothek 2000 Handschriften), Museum der Alterthümer, Kunstmuseum, Botanischer Garten (bes. auch zur Acclamatisirung ausländischer Gewächse), Athenäum, Gesellschaften für Medicin, für Wissenschaften u. Künste, Afrikanische Gesellschaft, Gesellschaft für Moral u. m. a.; Fabriken: wichtigste in Seife (75), ferner in Stärke, Nudeln, Zucker, Korallen (deren Fischerei sonst beträchtlicher war), Apothekerwaaren, Schmelztiegeln, Kattun, Hüten, Saffian, Segeltuch, geflochtenen Waaren, Räucherwerk, Farben, Tabak, Lack, Confituren, zubereiteten Fischen, Kapern, Öl; lebhafter Handel nach allen Erdtheilen, bes. aber nach den Küstenländern des Mittelmeers, namentlich nach der Levante u. Algerien; jährlich laufen etwa 9000 Schiffe ein u. eben so viel aus; den Werth der jährlichen Ausfuhr schätzt man auf 150 Mill. Franken. Nach Genua, Livorno, Neapel u. der Levante gehen regelmäßig Dampfboote. M. ist einer der Endpunkte der großen französischen Südostbahn, welche von Paris über Lyon führend sich nach den wichtigsten Hafenstädten am Golf du Lion verzweigt. Ein 184047 erbauter Kanal leitet das Wasser der Durance nach M. Vergnügungen: Theater, Spaziergänge, gegen 5000 blendend weiße Landhäuser (Bastides) zwischen hellgrünen Oliven- u. Mandelbäumen rings um die Stadt. M. hat auch Seebäder. Die Einwohnerzahl belief sich nach der Volkszählung von 1856 auf 233,817 Seelen (ohne Militär, mit demselben über 250,000). M. ist der Geburtsort von Adolphe Thiers.
M., lat. Massilia, griech. Massalia, wurde 600 (560) v. Chr. von Phokäern aus Kleinasien unter Simos u. Protis, welche dem persischen Joche entrinnen wollten, gegründet. Protis wurde Schwiegersohn des Nannus, des Königs der Segobrier; sein Schwager, Comanus, überfiel die neue Colonie, kam aber mit 7000 Mann dabei um. M. hatte eine musterhafte Verfassung, sie war aristokratisch u. die Geschäfte wurden von 600 Senatoren besorgt. Die Stadt wurde bald reich u. ihre Akademie vielfach von Römern besucht. Sie hatte Tempel der Diana (wo jetzt die Kathedrale steht), des Neptun (der in das Meer hinausragte), des Apollo u. anderer Götter. M. ward später treue Freundin Roms u. ge war die einzige Stadt Südgalliens, welche dem Hannibal widerstand; ihre Schiffe kämpften unter der römischen Flotte unter Scipio gegen die Punier, ihr Heer unter Marius gegendie Teutonen. Wegen ihrer Treue erhielt M. von den Römern Befreiung von allen Abgaben u. für ihre Abgeordneten einen Ehrenplatz im Theater neben den Senatoren. Die Sittenreinheit der Massilier, während ihrer Unabhängigkeit, war bei den Römern sprüchwörtlich, ebenso aber später ihr Hang zur Schwelgerei. Als Cäsar im Bürgerkriegenach Hispanien abgehen wollte, weigerte ihm M. 40 v. Chr. den Durchzug, während sie dem Pompejaner Domitius die Thore öffnete. Cäsar ließ sie zu Wasser u. zu Lande belagern, u. sie ergab sich erst nach tapferer Vertheidigung aus Mangel an Lebensmitteln. Cäsar[922] nahm den besiegten Einwohnern Waffen u. Schiffe, ließ ihnen aber das Vorrecht sich nach eigenen Gesetzen zu regieren. In M. ließ Constantin seinen Schwiegervater, Maximianus, ermorden.414 u. Chr. wurde die Stadt nebst dem übrigen Gallien eine Beute der Westgothen, seit Anfang des 6. Jahrh. der Franken u. kam später unter Burgund (Arelat); unter Ludwig dem Blinden (regierte 889903) wurde die Stadt von den Sarazenen zerstört u. unter Konrad dem Friedfertigen wieder hergestellt u. besonderen Statthaltern untergeben, welche sich in der Mitte des 10. Jahrh. unter dem Titel Vicomten von M. unabhängig machten. Der erste derselben war Boso. Unter seinen Nachkommen wurde diese Vicomté in eine Menge einzelner Theile zersplittert, welche die Bürger nach u. nach an sich kauften, so daß M. 1218 eine Republik wurde, aber als Karl I. Herzog von Anjou, Bruder Ludwigs IX., Graf von Provence wurde, unterwarf sich auch M., doch blieb es ein besonderer Staat; 1481 kam es an die Krone von Frankreich u. wurde Sitz des Lieutenants der Senechaussée. M. war damals eine der bedeutendsten Städte des Königreichs u. vertheidigte sich tapfer gegen den Connetable Karl von Bourbon 1524 u. gegen Kaiser Karl V. 1536. Der Ligue zugethan war sie die hartnäckigste unter allen französischen Städten u. hatte sich, als schon ganz Frankreich Heinrich IV. anerkannte, zuletzt noch den Spaniern in die Hände geliefert. An der Spitze der Stadt stand damals der Corse Peter Libertat u. die Franzosen Charles des Casaux u. Louis d'Aix. Indeß erfolgte die Übergabe an Heinrich noch. Nachdem endlich Ludwig XIV. 1660 M. seiner Freiheiten beraubt hatte, wurde es seitdem eine gewöhnliche See- u. Handelsstadt. 1720 u. 1721 litt M. durch die Pest; es starben in der Stadt allein 40,000 Menschen. In der Revolution war das royalistische M. den Republikanern so verhaßt, daß diese den Namen in La ville sans nom umänderten. Aus der Hefe des Volks u. aus losgelassenen Galeerensklaven kamen jene Marseiller Horben, welche, 1792 nach Paris berufen, dort so viele Gräuel verübten. Hier am 22. u. 23. Juni 1848 Aufstand der Arbeiter u. Clubisten, Barrikadenbau u. Kampf in den Straßen. Vgl. Hendreich, Massilia, sive de antiqua Massiliensium republica, Strasb. 1725; F. X. de Belzunce, L'antiquité de l'église de M. etc., Mars. 174151, 3 Bde.; Grosson, Recueil des antiquités et monuments Massil., ebd. 1773; M. Guys, M. ancienne et moderne, Par. 1786; Johansen, Veteris Massiliae res et instituta, Kiel 1817; Brückner, Hist. reipublicae Mass., Gött. 1826; Ternaux, Hist. reipubl. Massil.. ebd 1826.
Buchempfehlung
1889 erscheint unter dem Pseudonym Bjarne F. Holmsen diese erste gemeinsame Arbeit der beiden Freunde Arno Holz und Johannes Schlaf, die 1888 gemeinsame Wohnung bezogen hatten. Der Titelerzählung sind die kürzeren Texte »Der erste Schultag«, der den Schrecken eines Schulanfängers vor seinem gewalttätigen Lehrer beschreibt, und »Ein Tod«, der die letze Nacht eines Duellanten schildert, vorangestellt. »Papa Hamlet«, die mit Abstand wirkungsmächtigste Erzählung, beschreibt das Schiksal eines tobsüchtigen Schmierenschauspielers, der sein Kind tötet während er volltrunken in Hamletzitaten seine Jämmerlichkeit beklagt. Die Erzählung gilt als bahnbrechendes Paradebeispiel naturalistischer Dichtung.
90 Seiten, 5.80 Euro