[463] 1. Auf heimliche Briefe muss man keine Handlung anfangen.
2. Beschwerte Briefe sind willkommen.
D.h. von Werthpapieren begleitete. Ein afrikanischer Negerstamm hat das Sprichwort: Leere Briefe gehen nicht an Bord. (Reinsberg II, 109.)
3. Besser aus dem Briefe recht lesen, denn auswendig fehlen. – Henisch, 321.
4. Briefe1 sind besser als Zeugen. – Pistor., III, 25; Sailer, 253; Simrock, 1299; Hertius, I, 27; Eisenhart, 542; Hillebrand, 226; Eiselein, 95, 726.
1) D.i. Urkunden. – Von dem Vorzuge, den schriftliche Urkunden als Beweismittel vor Zeugen haben, die weder stets zu erhalten sind, noch auch immer die Zuverlässigkeit von Briefschaften besitzen.
5. Briefe wahrer Freunde werden nicht mit Butter, sondern mit Diamanten versiegelt. – Winckler, IV, 44.
6. Der Brief redet. – Kirchhofer, 68.
Wenn man sich auf ein Schriftstück, eine Urkunde, eine Sache, die vorgezeigt werden kann, beruft.
7. Die ältesten Briefe gehen vor. – Eisenhart, 323; Henisch, 508; Pistor., III, 26; Hillebrand, 89; Hertius, I, 49; Hassl., 26; Sailer, 255.
Die Ansprüche dessen, der eine ältere Pfandverschreibung hat, gehen den Ansprüchen derer, die eine spätere haben, vor. Es kommt dabei sogar auf die Stunde der Verschreibung an, wenn jemand seine Güter mehreren zugleich an einem Tage verschrieben hat. Wo die Zeit nicht angegeben ist, haben die Pfandverschreibungen gleiche Rechte.
Holl.: De oudste brieven gaan voor. (Harrebomée, I, 89.)
8. Ein Brief ist ein Spiegel.
Holl.: Aan den brieven kent men den persoon. (Harrebomée, I, 89.)
9. Eines andern brieff, beutel vnd tafeln soll man nicht ansehen. – Henisch, 508.
10. Ey thut es yhm nicht, er hat brieff, dass man sein nicht spotten soll. – Agricola, 48; Latendorf, 86; Henisch, 507.
Von denen, die keinen Scherz oder Spott ertragen wollen. Das Sprichwort fordert ironisch die Vorlegung ihrer schriftlichen Urkunden, die sie von dem befreien, was doch das Los aller ist.
Holl.: Spot niet met hem; hij heeft vrijbrieven. (Campen, 6; Harrebomée, I, 90.)
11. Grosse Briefe haben viel Buchstaben und wenig Werk.
12. Man darf Briefen nicht zu viel anvertrauen, oder muss sie selbst tragen.
Holl.: Brieven, waar geheimen in staan, moet men maar zelf bezorgen. (Harrebomée, I, 89.)
13. Man soll eines andern brieff (oder heimlickeit) nicht liederlich an den Tag geben. – Henisch, 508.
14. Man muss den Brief nach der Aufschrift nehmen. – Burckhardt, 252.
Sieh den Menschen an und du wirst seinen Charakter kennen, ist herrschende Ansicht im Morgenlande.
15. Meineide Brief, meineide Wort. – Suchenwirth.
16. Um fremde Briefe und Säckel und geheime Buch soll sich niemand kümmern. – Henisch, 508; Körte, 724.
Holl.: Het oog op niemands brief (boek) noch de hand in iemands kast (beurs).
It.: Nè occhj in lettera, nè mani in tasca d'altri. (Gaal, 246.)
17. Vor zeytten gab man kurtze brieff1 vnd war vil glaubens, itzt gibt man lange brieffe vnd ist wenig glaubens. – Agricola, 733; Campen, 88; Latendorf, 109; Henisch, 568; Simrock, 1301; Körte, 725, Eiselein, 95.
1) D.i. Verbriefungen. – Das Sprichwort klagt darüber, dass mehr Acten- und Formelwesen, desto weniger Treu und Glauben, aber desto mehr Ränke und Ausflüchte und Schwindeleien aller Art existiren. Bei Reineke (S. CCLXIX) lautet es: Vor tyden gaff men korte Breve unde was vele gelovens. Itzunder gyfft men lange breve unde is weyneg gelovens.
Holl.: Vroeger gaf men korte brieven, en had men veel geloof; nu geeft men lange brieven, en heeft men weinig geloof. (Harrebomée, I, 90.)
18. Weh dem, der die brieffe tragen muss. – Henisch, 508.
19. Wer seine Briefe will bestellet han, lass sie durch'n Boten tra'n.
Holl.: Wilt gij van brieven zijn gediend, schrijf door een' bode en niet met vriend. (Harrebomée, I, 90.)
[464] *20. A hot de Briefe schun gelasen. – Robinson, 600.
*21. A hot die Briefe wul egen gelasen. – Gomolcke, 47.
*22. Das sind schlechte Briefe. – Eiselein, 95.
*23. Den Brief wird er nicht ans Fenster (hinter den Spiegel) stecken.
Frz.: Ecrire à quelqu'un une lettre à cheval. (Lendroy, 388.)
*24. Der hat fünf Briefe (Karten). (Eifel.)
Von Personen, deren Benehmen Züge von Verrücktheit blicken lässt.
*25. Do wil ich ehm Brief und Siegel drüber gahn, doass nischte droass wird. – Gomolcke, 821; Robinson, 194.
*26. Durch Brief und Siegel Messer stechen. – Murner, Vom luth. Narren.
*27. Einem über etwas Brief und Siegel geben.
Eigentlich eine rechtskräftige Urkunde; uneigentlich: kräftige Versicherungen.
Holl.: Gij hebt daar zegel en brief van. (Harrebomée, I, 89.)
*28. Einen Brief über etwas haben.
Einer Sache wegen vor allen nachtheiligen Folgen in Sicherheit sein.
Holl.: Daar hebt gij geene brieven van. (Harrebomée, I, 89.)
*29. Er hält Brief und Siegel, lässt sich aber die Worte nicht binden.
*30. Er hat ihm einen Brief geschrieben, wie der Arsch der Nase.
*31. Er lässt aufgehen, was der Brief vermag. – Mayer, II, 109.
*32. Er will alles, was der Brief verheisst. – Eiselein, 95.
*33. Ik hebbe dar de ollsten Brêfe in. – Eichwald, 175.
Holl.: Hij heeft de oudste brieven. (Harrebomée, I, 90.)
*34. Jemand einen Brief mit Zähnen schicken. (Altröm.)
Einen beissenden.
*35. Jemandes Briefe gefunden haben.
*36. Kein Brief so gut, er will ein Loch darein reden. – Eiselein, 95; Geiler.
*37. Sie hat einen eisernen Brief. – Bücking, 281.
Ein eiserner Brief ist eigentlich eine Urkunde, durch welche der Landesherr Schuldner, von denen man die Ueberzeugung hat, dass sie zwar ihre Gläubiger bezahlen können, nur nicht sogleich, gegen diese auf eine gewisse Zeit in Schutz nimmt. Daraus wird sich zum Theil die obige Redensart erklären, welche man von einer Frauensperson gebraucht, die eine ausschweifende Lebensart führt und doch kinderlos bleibt, und wovon Dr. Bücking sagt, dass dies medicinische Räthsel noch nicht gelöst sei. Sie scheint einen eisernen Brief gegen die Ansprüche der Natur zu haben.
*38. Was der Brief vermag. (Baiern.)
Thue, was möglich ist. Essen und Trinken, was der Brief vermag. Die Redensart ist von den Gerechtigkeitsbriefen hergenommen, in welchem die Rechte und Pflichten jedes Grundunterthans angezeigt waren. Mithin soviel als der Brief ausweist, soviel Recht als der Brief gibt. (Vgl. Zaupser, Idiot., Nachlese, 13.) Eine ähnliche Bedensart haben die Schweizer. (S. ⇒ Haben.)
zu4.
Mhd.: Briefe sint bezzer danne geziuge. (Gengler, Schwabenspiegel, 34.)
zu12.
Die Türken wollen nicht, dass Briefe nach dem Essen geschrieben werden; sie sagen: Ein nach dem Essen geschriebener Brief wird in der Hölle gelesen. (Weigel.)
zu16.
Lat.: In alias literas ne cucas. (Allotria, 64.)
zu17.
Dän.: Fordum vare faa breve og megen trofasted, nee toet imod. (Prov. dan., 89.)
zu23.
Holl.: Hij zal dat schrift niet voor den spiegel steken. (Harrebomée, II, 262.)
zu33.
Ich habe dazu das älteste oder meiste Recht. (Schütz, I, 149.)
zu35.
Man sagt von jemand, der dem (bösen) Beispiel seines Vorgängers folgt, er habe seine Briefe gefunden.
39. Auf wen der Brief spricht, der hat Recht. – Graf, 458, 551.
Werth des Beweises durch Urkunden.
Mhd.: Auff wälichen der brieff gicht, der hat recht.
40. Brief und Siegel mögen keinen Zug hindern. – Graf, 105, 247.
Wenn alle Vorbedingungen bei Ausübung des Näherrechts erfüllt waren, so konnte dann auch durch Urkunden dem Näherberechtigten sein Besitz nicht streitig gemacht werden. »Fürhin mögen Briefe und Siegel keinen Zug hintern.« (Graubündten, 87, 22.)
41. Brief und Siegeln steht zu glauben. – Graf, 458, 550.
Altfries.: Breeff ende sygel steet to lyowen. (Hettema, XVII, 18, 132.)
42. Brieff vnd hoffsuppen sind zu hoff wolfeyler dann ein baurniuppen. – Franck, I, 81a.
43. Die eltesten Briefe die besten. – Petri, II, 12b.
44. Ein Brief ist kühner als die Zunge.
Poln.: List śmielszy niž język. (Čelakovský, 75.)
[1053] 45. Einem Brief wird eher aufgethan als einem armen Mann.
Poln.: List wszędy ma przystęp. (Čelakovský, 75.)
46. Es ist besser auss dem Brieff recht lesen, den ausswendig fehlen. – Petri, II, 254.
47. Es ist ein schöner Brief, sagte Peter, aber man kann ihn nicht lesen.
Dän.: Blakket var blakket, skriveren var stam, dervoe kom brevet ilde fram. – Ikke var, brevet saa ilde skrevet, det maatte jô vaere laest, sagde forkielde Trundesen. (Prov. dan., 90.)
48. Mancher helt Brieff vnd sigel, läst sich aber an die wort nit binden. – Lehmann, 928, 18.
49. Offene Briefe kann jeder lesen.
Frz.: L'indiscret est une lettre décachetée, tout le monde peut la lire. (Cahier, 879.)
50. Vil Brieff vnd wenig Gerechtigkeit.
»Es seynd gar vil Hoherschul, man liesst allerliebster Geistliche vnd Weltliche Recht. Es ist aber vberall, als man spricht: viel Brieff vnd wenig Gerechtigkeit.« (Aventin, XVIII.)
51. Wer fremde Briefe innen hat ohne einen guten Titel, der ist ein Dieb. – Luther's Tischr., 182a.
52. Wo man Briefe hat, bedarf man keines Zeugen. – Graf, 458, 542.
Mhd.: Umb wen man brief hat, der bedarff chains zeugen. (Auer, Stadtrecht von München, Art. 53.)
*53. Einem hinter die Brieffe kommen. – Simplic., I, 231.
D.h. hinter die Schliche.
*54. Einen Brieff in ein ander Kloster geben. – Mathesius, Sarepta, CLIIa.
*55. Er führt böss Brieff. – Ayrer, IV, 2805, 32.
*56. Er hat Brief, dass man sein nicht spotten soll. – Schottel, 1129a.
*57. Er hat den Brief hinter den Spiegel gesteckt.
*58. Er ist mit Brieffen behenckt wie ein Zanbrecher oder Steinschneider. – Mathesius, Historia Jesu, CXVIIIa.
*59. Es wird morgen ein Brief kommen. – Frischbier, I, 45.
Wenn eine Schnuppe am Lichte sitzt.
*60. Ik well em Brêf un Segel derüver geben. – Schütze, I, 149.
Vollständige Gewissheit und Sicherheit.
*61. Ik will ênen Brêf nemen. – Schütze, I, 149.
Ich will jemand vor Gericht laden lassen. Brêf heisst in Ditmarsch eine gerichtliche Citation.
*62. Jemandes Briefe gefunden haben.
D.h. dessen schriftliche Anweisungen und Lehren, verwandt mit: in seine Fussstapfen treten.
*63. So, wie man den Brief lieset.
Die Entscheidung wird von der Auffassung und Betonung abhängen.
Adelung-1793: Credīt-Brief, der · Majestäts-Brief, der · Panis-Brief, der · Brief-Styl, der · Artīkels-Brief, der · Avīs-Brief, der · Brief, der
Brockhaus-1809: Der Majestäts-Brief
DamenConvLex-1834: Brief, Briefstyl
Heiligenlexikon-1858: Kunigundis Brief (2)
Meyers-1905: Geld und Brief · Kurzer Brief · Brief [1] · Brief [2]
Pierer-1857: Brief-Adel · Offener Brief · Brief · Brief u. Stegel
Buchempfehlung
»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«
224 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro