Rheinprovinz

[868] Rheinprovinz (Rheinland, Rheinpreußen, hierzu Karte »Rheinlande und Luxemburg«), preuß. Provinz, grenzt gegen N. an die Niederlande, gegen O. an die Provinzen Westfalen und Hessen-Nassau, das Großherzogtum Hessen und die bayrische Rheinpfalz, gegen S. an Elsaß-Lothringen und gegen W. an Luxemburg, Belgien und die Niederlande. Getrennt von der Provinz liegt an der Lahn der Kreis Wetzlar; ganz umschlossen von derselben ist das oldenburgische Fürstentum Birkenfeld an der Nahe. Der Flächenraum beträgt 26,995 qkm (490,28 QM.). Die R. besteht aus den ehemaligen Herzogtümern Kleve, Geldern und Berg, den Fürstentümern Mörs und Lichtenberg, dem Herzogtum Jülich, dem nördlichen und mittlern Teil des Erzbistums Köln und den Herrschaften Homburg, Neustadt und Gimborn, ferner aus den von Nassau eingetauschten Gebieten sowie aus den Standesherrschaften Neuwied, Solms und Wildenburg, den Gebieten der Reichsstädte Wetzlar und Aachen, aus einem Stück von Limburg und Teilen vorm aliger französischer Departements, wozu 1866 noch das von Hessen erworbene Oberamt Meisenheim kam. Anfangs war sie in zwei gesonderte Provinzen, Kleve-Berg und Niederrhein, geschieden, die 1824 zu Einer Provinz vereinigt wurden. Die größere südliche Hälfte der R. besteht aus Bergland, und zwar aus verschiedenen Teilen des rheinisch-westfälischen Schiefergebirges. Auf der rechten Rheinseite treten Ausläufer des Westerwaldes bis an den Strom heran, so das Siebengebirge bei Königswinter, während weiter abwärts das Bergland mehr zurücktritt. Nur wenige Höhen übersteigen auf der rechten Rheinseite 500, keine aber 600 m. Auf der linken Rheinseite erheben sich der Hunsrück mit dem Soon-, Idar- und Binger Wald sowie mit dem Osburger- und Schwarzwalder Hochwald, die Eifel und das Hohe Venn. Die höchsten Punkte der einzelnen Teile sind: der Simmer Kopf (656 m) im Soonwald, die Zwei Steine (765 m), das Steingerüttel (757 m) und der Idarkopf (745 m) im Idarwald, der Erbeskopf (816 m) im Schwarzwalder Hochwald, der höchste Gipfel in der R., die Hohe Wurzel im Osburger Hochwald (669 m), die Hohe Acht (760 m) auf der Eifel und die Botrange (695 m) auf dem Hohen Venn. Die Oberfläche der Bergländer ist größtenteils bewaldet. Das Hohe Venn trägt gewaltige Moore auf seiner Höhe; an seinem Nordfuß liegen die Steinkohlenbecken von Aachen bei Eschweiler, während fast in der Südspitze der Provinz das wichtige Steinkohlengebirge von Saarbrücken, an der Saar und Blies, die äußerste Grenze des Schiefergebirges gegen S. bezeichnet und auf der Westgrenze ein Übergang zu den Ardennen in Belgien stattfindet. Innerhalb des Berglandes bilden die Moselebene zwischen Konz und Schweich und das Neuwieder Becken an der Moselmündung sowie das Saartal und die Gegend bei Kreuznach fruchtbare Landschaften. Die nördliche Ebene enthält an vielen Stellen (namentlich zwischen Aachen, Bonn und Krefeld) fruchtbare Ackerländereien. Hauptfluß ist der Rhein, der die Provinz auf einer Strecke von 335 km durchfließt und innerhalb derselben rechts die Sayn, Wied, Sieg, Wupper, Ruhr, Emscher und Lippe, links die Nahe, Mosel, Nette, Ahr und Erst aufnimmt. Die Mosel empfängt rechts die Saar, links die Sauer, Kyll, Salm, Liefer, Alf, Üß und Elz. Endlich sind noch die zum Gebiete der Maas gehörigen Flüsse Roer (Ruhr), Schwalm und Niers (Neers) zu erwähnen. Der einzige See von Bedeutung ist der Laacher See (s. d.) auf der Eifel. Außerdem gibt es daselbst eine Anzahl kleinerer Kraterseen (Maare genannt). Die Kanäle der R. sind unbedeutend (nennenswert sind nur der Erftkanal, der Duisburger Kanal zwischen Rhein und Ruhr, der Rheinberger Kanal und der Spoygraben bei Krefeld). Das Klima ist in der Tiefebene sowie in den Tälern des Berglandes sehr mild; die jährliche Durchschnittswärme beträgt dort 9–11°, dagegen in Neunkirchen nur 8,64 und auf den höchsten Teilen der Eifel und des Hohen Venn nur 5–6°; die jährliche Regenmenge im S. 45–70, im N. bis 80 cm.

Nach der Zählung von 1905 hat die Provinz 6,436,337 Einw. (238 auf 1 qkm), davon 1,877,582 Evangelische, 4,472,058 Katholiken und 55,408 Juden. Die Einwohner sind der Mehrzahl nach Deutsche; nur in Malmedy und Umgegend wohnten 1900: 9612 Wallonen mit französischer Sprache. Von der Gesamtfläche der R. entfielen 1900 auf Ackerland und Gärten 45,7, Weingärten 0,5, Wiesen 10,8, Weiden 5,8, Waldungen 30,9 Proz. Der Getreidebau deckt nicht ganz den Bedarf der Provinz. Garten- und Obstbau sind im Tiefland von größter Wichtigkeit, der Weinbau auch in den Tälern des Berglandes (s. Rheinweine). Von Fabrikpflanzen werden Zuckerrüben, Tabak, Hopfen, Flachs, Hanf und Raps gebaut. Die Fläche der Weinberge betrug 1905: 12,656 Hektar mit einem Ertrag von 218,384 hl im Werte von 9,4 Mill. Mk. Die Waldungen umfassen 8349,9 qkm. Auf Laubhölzer entfallen 73,5 Proz. des Areals, auf Nadelhölzer nur 26,5 Proz. Die Eichenschälwaldungen haben eine Ausdehnung von 2043 qkm (fast die Hälfte der in Deutschland dafür verwendeten Fläche). Nach der Viehzählung von 1904 hatte die R. 201,226 Pferde, 1,157,457 Stück Rindvieh, 117,481 Schafe, 968,617 Schweine und 301,208 Ziegen. Zur Hebung der Pferdezucht besteht zu Wickrath im Kreis Grevenbroich ein Landgestüt. Die Rindviehzucht ist sehr bedeutend, dagegen nimmt die Zahl der Schafe mehr und mehr ab. In den Waldungen fehlt es nicht an Rot- und Schwarzwild. In den Wäldern des Hunsrücks und der Eifel trifft man auch noch den Wolf an, der aus den Vogesen und den Ardennen zuweilen herüberkommt. Unter den Fischen gebührt dem Rheinlachs oder Salm der erste Rang, in den zahlreichen Gebirgsbächen ist aber auch die Forelle häufig. Von hoher Wichtigkeit sind die Produkte des Mineralreichs. Steinkohlen werden gefördert an der Ruhr, an der Saar und bei Aachen (1904) 38,829,035 Ton. im Werte von 314,4 Mill. Mk., Braunkohlen in dem Landrücken Ville 6,766,315 T.; Eisenerze (1,032,430 T.) werden hauptsächlich im Regbez. Koblenz an der Sieg und [868] Wied, ferner Zinkerze (69,973 T.) und Bleierze (43,329 T.) abgebaut. Noch findet man Kupfer, Mangan- und Vitriolerze, Kalk, Gips, Ton, vulkanische Produkte auf der Eifel (Mühlsteine bei Niedermendig, Traß), Dachschiefer, Basalt etc. An Mineralquellen ist die R. reich; zahlreiche Säuerlinge gibt es auf der Eifel. Die berühmtesten Badeorte sind Aachen und Burtscheid; diesen schließen sich Bertrich im Kreise Kochem, Neuenahr im Ahrtal, Kreuznach und Münster am Stein im Nahetal an. Von mehreren Sauerbrunnen (Apollinarisbrunnen, Heppingen, Roisdorf etc.) wird das Wasser außerdem in Menge versendet.

In der Industrie nimmt die R. den ersten Platz unter den Provinzen des preußischen Staates ein. Vorzüglich konzentriert ist sie in dem rechtsrheinischen Teil abwärts bis zur Emscher, sodann auf der linken Rheinseite in Köln, in der Gegend zwischen Krefeld und Aachen und in der Südspitze; sie fehlt dagegen fast ganz auf der Höhe des linsrheinischen Berglandes und in der Nordspitze. An Roheisen (teilweise aus Erzen von Luxemburg und Lothringen) wurden 1904: 3,465,921 Ton. im Werte von 192,5 Mill. Mk., an Blei 46,451 T. im Werte von 11,1 Mill. Mk., an Zink 47,357 T. im Werte von 21,6 Mill. Mk., an Silber 59,169 kg im Werte von 4,6 Mill. Mk., an Schwefelsäure 169,108 T. im Werte von 4,2 Mill. Mk. in den Hüttenwerken gewonnen. Großartige Eisenwerke gibt es in Essen, wo die Gußstahlfabrikation sich Weltruf erworben hat, in Oberhausen, Duisburg, Düsseldorf, Köln-Deutz, Eschweiler, Neunkirchen, Quint bei Trier etc. Die Kleineisen- und Stahlwarenfabrikation hat sich im bergischen Land großartig entwickelt, besonders in und um Solingen und Remscheid. Eisenbleche liefert Dillingen an der Saar, Nadeln die Schwesterstädte Aachen und Burtscheid, Messingbleche und Messingplatten Stolberg. In der Tuch- und Buckskinfabrikation nehmen Aachen und Burtscheid eine hohe Stelle ein; sonst wird dieselbe noch in der R. zu Eupen, Düren, Lennep, Werden, Kettwig etc. betrieben. Krefeld ist der Hauptsitz der deutschen Seidenindustrie, die außerdem noch in Verbindung mit der Erzeugung von Samtwaren und halbseidenen Stoffen in Viersen, Rheydt, Elberfeld, Barmen, Hilden, Mülheim a. Rh. etc. blüht. Große Baumwollspinnereien findet man in Köln, München-Gladbach, Duisburg etc. Daselbst ist auch die Fabrikation von baumwollenen Stoffen im Schwange, deren eigentlicher Mittelpunkt jedoch im Wuppertal zu Elberfeld und Barmen ist, woselbst auch die Türkischrotfärbereien von großer Wichtigkeit sind. Weißwaren werden in Neuß gefertigt, vortreffliche Leinwand in den Kreisen Gladbach und Grevenbroich. Die Gerbereien in Malmedy, St. Vith u. a. O. liefern vorzügliches Leder. Glashütten sind namentlich im Bereich des Saarkohlengebiets, ferner in Stolberg bei Aachen. Steingut und Fayence werden an verschiedenen Orten hergestellt, in Mettlach an der Saar auch Fliesen und Mosaikfußböden von ausgezeichneter Güte. In Trier werden die Steine für ganze Kirchen in gotischem Stil zugehauen und auf der Mosel verschifft. Für die Papierfabrikation sind die Kreise Düren und Jülich an der Roer sowie die Stadt Bergisch-Gladbach, für die Fabrikation von Chemikalien (Farben) die Stadt Duisburg und die Ruhrgegend sowie die Umgegend von Aachen von Wichtigkeit. Ferner gibt es in der R. Schaumweinfabriken, große Seifensiedereien, Rübenzuckerfabriken (1904/05 Produktion in 10 Fabriken 499,723 Ton. Rohzucker) und Zuckerraffinerien, zahlreiche Bierbrauereien (Produktion 1904/05 in 759 Brauereien 5,763,459 hl Bier) und Branntweinbrennereien (1904/05 in 1787 Brennereien Produktion 126,920 hl Alkohol), Fabriken für wohlriechendes Wasser (Köln) etc. Der Handel ist sehr bedeutend und wird durch ein vortreffliches Straßennetz, die schiffbaren Flüsse und die überaus zahlreichen Eisenbahnen gefördert. Schiffbare Flüsse sind: der Rhein, die Mosel, Saar, Lahn, Ruhr und Lippe. Ein neuer wichtiger Handelsweg zu Wasser wird durch den 1906 im Bau begonnenen Rhein-Hannoverkanal geschaffen werden. Als die wichtigsten Handelsstädte am Rhein müssen genannt werden: Koblenz, Köln, Mülheim, Düsseldorf, Duisburg-Ruhrort und Wesel (sämtlich mit Flußhäfen und Schiffswerften). Es bestehen 21 Handelskammern. Die Eisenbahnen der Provinz (im Rechnungsjahr 1904: 4079,7 km Haupt- und Nebenbahnen und 1476,7 km Straßenbahnen und nebenbahnähnliche Kleinbahnen) gehören meist dem Staate. Die wichtigsten Linien sind: Berlin-Hannover-Köln, Oberhausen-Emmerich, Venlo-Hamburg, Köln-Nimwegen, Köln-Herbesthal, Köln-Trier, Köln-Bingerbrück, Koblenz-Diedenhofen, Trier-Saarbrücken, Speldorf-Niederlahnstein, Deutz-Gießen, Bingerbrück-Neunkirchen, Aachen-Düsseldorf-Holzminden etc.

An Unterrichtsanstalten hat die R.: eine Universität (Bonn), 45 Gymnasien, 15 Realgymnasien, 10 Oberrealschulen, 17 Progymnasien, 20 Realschulen, 3 Realprogymnasien, eine Technische Hochschule (Aachen), eine Handelshochschule (Köln), 2 Landwirtschaftsschulen, eine Kadettenanstalt (Bensberg), eine Kriegsschule (Engers), 10 Schullehrerseminare (davon 3 für Lehrerinnen), 8 Taubstummenanstalten, ein Blindeninstitut etc. Für die innere Verwaltung wird die Provinz in fünf Regierungsbezirke mit 78 Kreisen geteilt: Koblenz mit 14, Düsseldorf mit 27, Köln mit 13, Aachen mit 11 und Trier mit 13 Kreisen. Provinzial- und Kreisordnung wurden 1. April 1888 eingeführt. Was das Justizwesen betrifft, so bestehen seit 1906, nach Abzug beinahe des ganzen rechtsrheinischen Teiles des Regierungsbezirks Koblenz (Landgericht Neuwied zum Oberlandesgericht in Frankfurt a. M.) und des zum Oberlandesgericht in Hamm gehörigen Landgerichtsbezirks Essen, für die Provinz zwei Oberlandesgerichte: in Köln mit den sechs Landgerichten in Aachen, Bonn, Koblenz, Köln, Saarbrücken und Trier, sodann (seit 1906) in Düsseldorf mit den sechs Landgerichten in Duisburg, Düsseldorf, Elberfeld, Kleve, Krefeld und München-Gladbach (danach ist die Textbeilage: »Die Gerichtsorganisation im Deutschen Reich«, im 7. Bd., zu berichtigen). Militärisch bildet der größte Teil der R. den Bezirk des 8. Armeekorps; der größte Teil des Regierungsbezirks Düßeldorf gehört zu dem des 7., der Kreis Wetzlar zu dem des 18. Armeekorps. Festungen sind: Köln, Koblenz und Wesel. Im Abgeordnetenhaus ist die R. durch 62, im Reichstag durch 35 Mitglieder (s. Karte »Reichstagswahlen«) vertreten. Die wichtigste Stadt der Provinz ist Köln, die politische und militärische Hauptstadt dagegen Koblenz. Das Wappen der R. ist in Silber ein königlich gekrönter, goldbewehrter schwarzer Adler mit goldenen Kleestengeln, der Zepter und Reichsapfel in den Fängen hält; im gekrönten grünen Brustschild ein silberner Schrägfluß (s. Tafel »Preußische Provinzwappen«). Die Provinzialfarben sind Grün und Weiß. Vgl. Restorff, Topographisch-statistische Beschreibung der preußischen R. (Berl. 1830); »Gemeinde-Lexikon von Rheinland« (hrsg. vom königlichen Statistischen Bureau, das. 1897); [869] Grotefend, Die Organisation der staatlichen und kommunalen Verwaltung in der R. (Düsseld. 1887); Vigelius, Die Städteordnung für die R. (Leipz. 1904); Bitter, Die Gemeindeverfassungsgesetze für die R. (3. Aufl., Berl. 1905); Vogelstein, Die Industrie der R. 1888–1900 (Stuttg. 1902); Moldenhauer, Geschichte des höhern Schulwesens der R. unter preußischer Regierung (Köln 1895); »Die Bau- und Kunstdenkmäler der R.« (Düsseld. 1886 ff.); Achepohl, Das niederrheinisch-westfälische Bergwerks-Industriegebiet (2. Aufl., Berl. 1894) und Weiteres beim Artikel »Ruhrkohlengebirge«; Dechen, Geognostische Karte der R. (2. Aufl., das. 1870, und Text); Polis, Temperaturkarte der R. (Essen 1906); »Geschichtlicher Atlas der R.« (in den Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtsforschung, Bonn 1895 ff.); »Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst« (Trier).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 868-870.
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