Daguerreotyp

[643] Daguerreotyp (spr. Daguerrotyp), ist ein lediglich durch Einwirkung des Sonnenlichts auf eine versilberte Kupferplatte erzeugtes festbleibendes Bild von einem Gegenstande, wozu man die in der Mitte des 16. Jahrh. von dem Neapolitaner I. B. Porta erfundene, nach Wollastons Rathe mit achromatischem u. periskopischem Objectivglas versehene Camera obscura benutzt. Daguerre (s.d.) bediente sich ihrer nämlich, um mittels derselben blos durch Einwirkung des Sonnenlichts auf einer mit möglichst chemisch reinem Silber bedeckten Kupfertafel, welche durch Joddämpfe mit einem Überzug versehen wird, die mit Beihülfe Nièpce's von ihm erfundenen, 1839 öffentlich bekannt gemachten Lichtbilder, Phototypen (jetzt allgemein Daguerreotypen genannt) darzustellen. Schon längst wußte man, daß gewisse chemische Stoffe, namentlich Chlorsilber, durch das Sonnenlicht in der Farbe Veränderung erlitten, u. Scheele stellte schon 1776 hierüber Versuche an u. fand, daß das Maximum der Veränderungen eines, mit Chlorsilber bestrichenen Papiers violett sei. 1790 fand Sennebier dasselbe. Auch Phototypen erzeugte man schon früher, indem man ein mit Chlorsilber bestrichenes Blatt in einer Camera obscura dem Licht aussetzte, nur daß hierdurch Bilder erzeugt wurden, bei denen das, was an dem sich abbildenden Gegenstand hell war, dunkel, was dunkel war, sich hell darstellte, auch hielten diese Bilder nicht einmal Kerzen-, geschweige denn Sonnenlicht aus, ohne sich zu verändern. Die Chemiker Ritter, Wedgwood, Davy, Charles, Lassaigne, Fyfe machten mehrere Versuche über diesen Gegenstand, ohne es zu weiteren Resultaten zu bringen, doch wendete Letzterer schon Jod mit an. Daguerre's u. Nièpce's Erfindung beschränkt sich auf die Herstellung von Bildern auf versilberten Platten, u. diese Art der Lichtbildnerei ist es, die man Daguerreotypie nennt. Unter Photographie (s.d.) versteht man die Kunst der Sonnenmalerei auf Papiere, welche zuerst von dem Engländer Fox Talbot praktisch nützlich ausgeübt wurde. St. Victor Nièpce erfand in Marseille das Verfahren, silberne, zinnerne u. zuletzt versilberte Kupferplatten mit einer Auflösung von Asphalt in Lavendelöl zu überziehen, die Platte dann der Hitze auszusetzen u. so die öligen Theile zu verflüchtigen, wo dann ein dünner Firnißüberzug auf der Platte zurückblieb, auf welcher Grundlage, wenn sie in einer Camera obscura dem Licht ausgesetzt wurde, sich nach u. nach erkennbare Lichtbilder darstellten, welche durch eine Abwaschung mit Laveudel- u. weißem Erdöl od. Bergnaphtha (später mit Schwefelleber u. Jod) deutlicher wurden. Dieser Firnißüberzug war indessen so unempfindlich, daß es oft 3 Tage der Aufstellung der Platte unter der Camera obscura bedurfte, um die Lichtbilder zur Erscheinung zu bringen. Daguerre verband sich um 1826 mit Nièpce, benutzte dessen Erfahrungen, u. auf diesen u. den seinigen fortbauend, brachte er die Sache zu solcher Vollkommenheit, daß er 1839 erprobten Physikern u. Kunstkennern, namentlich Arago, sein Verfahren vorlegen konnte, auf dessen Bericht die französische Deputirtenkammer, unter der Bedingung, daß Daguerre seine Erfindung vollständig bekannt mache, den Erfindern 10,000 Fr. Rente decretirte. Das Verfahren Daguerres ist nun folgendes: Eine mit reinem Silber versilberte Kupferplatte (diese ist besser als bloßes Silber, vermuthlich wegen galvanischer Einwirkung) wird zunächst mit höchst seinem Bimsteinpulver gleichmäßig bestäubt, dann mit einem, mit etwas Olivenöl getränkten Bäuschchen von sehr seiner Baumwolle in stets rundlichen Zügen sorgfältig polirt u. zuletzt durch mehrmals aufgestreutes Bimsteinpulver, welches mit frischer Baumwolle wieder abgerieben wird, gereinigt. Dann wird die Platte mit verdünnter reiner Salpetersäure (1 Theil Säure auf 16 Theile destillirten Wassers) geätzt, indem man sie mit der damit befeuchteten Baumwolle so abreibt, daß die Säure jeden Theil des Silbers benetzt u. einen hauchartigen Überzug bildet, der dann wieder mit trockenem Bimsteinpulver in wenigen Minuten wegpolirt wird. Demnächst folgt das Erhitzen der Platte über der Flamme einer Weingeistlampe od. über einem Kohlenfeuer, bis sich nach 5–7 Minuten ein mattweißer Überzug auf der Oberfläche des Silbers erzeugt. Sobald dieses geschieht, muß die Platte vom Feuer entfernt, zum Behuf der schnelleren Abkühlung auf eine ebene, 2–3 Zoll starke Steinplatte gelegt u. dann mit trockenem Bimsteinpulver u. reiner Baumwolle wieder blank polirt werden. Hat man nun die Tafel in der vorhin angegebenen Weise noch 3–4 Mal mit verdünnter Salpetersäure geätzt u. nach jedesmaligem Ätzen wieder trocken abpolirt, so wird sie auf einem Bretchen mit Metallstreifen befestigt, in einem hölzernen Kasten dem Joddampfe ausgesetzt, indem das Jod auf dem Boden des Kastens steht u. der Dampf durch dünne Gaze geht, wodurch er gleichförmiger vertheilt auf die Platte gebracht wird, bis sie sich hochgoldgelb färbt. Die vier 1/4 Zoll breiten Metallstreifen, die mit der Platte von gleichem Material sind u. ihrer Länge nach den Dimensionen derselben entsprechen, sind nicht blos zum Aufklammern der Platte, sondern insbesondere deshalb nöthig, um die allzustarke Anhäufung der Joddämpfe an den Rändern derselben zu verhüten u. so die zum Gelingen des Versuchs nothwendige Gleichförmigkeit der empfindlichen Schicht zu bewirken. Die hierdurch gewonnene Jodschicht ist kaum 1 Milliontheilchen eines Millimeters dick. Nun wird die Platte, sorgfältig vor jeder Lichteinwirkung verwahrt, mittelst eines Klappenkästchens, von dem sie die Rückwand bildet, in die Camera obscura gebracht. Auf der Rückseite der Daguerreschen Camera obscura ist ein mattgeschliffenes Glas angebracht, das durch das Ausziehen derselben so lange hin- u. hergeschoben wird, bis sich das Bild des aufzunehmenden Gegenstandes vollkommen deutlich darauf zeigt, dann wird das Klappenkästchen mit der [643] Platte herausgenommen, genau an die Stelle des Glases gesetzt u. dann geöffnet. 3–12, im nördlichen Deutschland 14–24 Minuten, je nach der Stärke des Sonnenlichts, sind gewöhnlich erforderlich, bevor die Platte das dem Auge noch nicht sichtbare Lichtbild empfängt. Es wird nun die Platte in einem dunklen Zimmer aus dem wieder geschlossenen Kästchen herausgenommen, dann im Quecksilberapparat den in einer Temperatur von 60–65° C. entwickelten Quecksilberdämpfen unter einem Winkel von 45° ausgesetzt, dann in lauwarmes Wasser u. hierauf in eine Auflösung von unterschwefligsaurem Natron getaucht, wodurch das Jod entfernt u. das beim Herausnehmen in lauwarmes Wasser einzutauchende u. dann mit heißem Wasser zu übergießende Lichtbild gegen das Licht unempfindlich wird. Nach der Trocknung (welche am schnellsten dadurch bewerkstelligt wird, daß man die Tafel auf die oben erwähnte, vorher erwärmte Steinplatte legt od. sie fast vertical auf untergelegtes Fließpapier stellt), wird das, durch die leiseste Berührung zerstörbare Bild mit einer passenden Glastafel überdeckt u. um es vor Staub u. sonstigen Unreinigkeiten zu schützen, am Rande mit Papierstreifen überleimt. Hat man während des ganzen Processes die Silberfläche nicht mit den Fingern berührt u. das reinste destillirte Wasser beim Eintauchen u. Übergießen gebraucht, so erscheint das fleckenlose, gelungene Bild, welches in Zimmern, wie jedes andere, aufgehängt werden kann, auf der Platte wie mit den feinsten Crayonstrichen gezeichnet, od. wie sein radirt, doch macht das Spiegelartige der Platte, indem man sie hin- u. herhalten muß, um den richtigen Gesichtspunkt zu gewinnen, keinen ganz vortheilhaften Eindruck. Nach vielen Ersahrungen bringt es, wenigstens im nördlichen Deutschland, dem Bilde keinen Nachtheil, wenn sich während der Aufnahme desselben der Gegenstand zuweilen bewegt, wenn er nur in seiner natürlichen Stellung bleibt, od. doch bald wieder in diese zurückkehrt. Schnell vor dem Objectiv der Camera obscura vorübergehende Menschen, vorüberfliegende Vögel etc. hinterlassen auf dem Bilde keine Spur, wohl aber kommt es vor, daß z.B. sonst ruhigstehende dunkle Pferde auf dem Bilde mit weißen Köpfen erscheinen, in Folge der ununterbrochenen Bewegung derselben. Dagegen sind hellerer u. weniger Sonnenschein, höherer od. niederer Stand der Sonne auf die Erzeugung der Lichtbilder nicht ohne. Einfluß. Dies, der unkünstlerische Eindruck, welchen ein Lichtbild wohl wegen des Metallglanzes der Platte macht, die Schwierigkeit u. unumgänglich nöthige Genauigkeit bei Bereitung derselben, welche es Ungeübten erschwert, dergleichen anzufertigen u. m. a. ließen die Befürchtung, daß die Daguerreschen Lichtbilder den Kupferstich verdrängen würden, nicht in Erfüllung gehen. Indessen bemächtigte sich die Technik u. Wissenschaft der Erfindung, u. letztere bestrebte sich, dieselbe mehr auszubilden. So suchten Daguerre u. Nièpce der Jüngere, Brongniart, Pelouze, Dumas, Seebeck u. Herschel der Jüngere auf dem Lichtbild Farben zu erzeugen, u. wirklich zeigten sich zuweilen rothe, grüne, blaue Lichter auf ihnen, ohne daß man solche bis jetzt beliebig hervorbringen konnte. Bianchi in Toulouse übersandte der Akademie der Wissenschaften in Paris Lichtbilder einer Landschaft mit einigen Häusern im Vordergrunde, als Beweis, daß es möglich sei, die Gegenstände mit ihren natürlichen Farben darzustellen; auch erschienen die Dächer allerdings mit einem der Ziegelfarbe sehr genäherten Rostroth, allein auch die grünen Fensterläden zeigten diese Färbung. Andere arbeiteten dahin, das gewonnene Bild besser zu fixiren; Dame u. Herres in Wien fertigten Lichtbilder an, in denen das Bild vertieft erschien, so daß sie, geschwärzt, zu Platten, von denen man Kupferstiche abziehen konnte, allenfalls gebraucht werden konnten. Als die erste Nachricht von den Lichtbildern Daguerres bekannt wurde, hegte man auch bald die Hoffnung, hierdurch Portraits erhalten zu können, die alle anderen in Bezug auf Ähnlichkeit übertreffen müßten; aber Anfangs fanden sich große Schwierigkeiten, dieses mittelst der bis jetzt beschriebenen Procedur zu leisten, indem in Folge davon, daß eine Person nicht wohl 10–18 Minuten bes. ohne zu häufig vorkommendes Augenblinzeln ruhig sitzen konnte, den erhaltenen Portraits die zu wünschende Schärfe u. Reinheit mangelte, was sich bes. störend an den Augen zeigte, die ohne allen Glanz der Pupille erhalten wurden. Mehrere, die sich mit der Darstellung von Daguerreotypen mit Erfolg beschäftigt hatten, bes. der Maler Isenring von St. Gallen u. der Engländer R. Beard, machten sich die Beseitigung dieses Übelstandes zur Aufgabe, aber die Resultate blieben unvollkommen, u. erst durch einen von den Optikern Voigtländer u. Sohn in Wien verfertigten Apparat gelang es, diese Aufgabe vollkommen zu lösen. Das Objectiv des neuen Voigtländerschen Apparats, zu welchem Petzwal in Wien die Krümmungshalbmesser durch Rechnung bestimmte, besteht aus 2 in Entfernung von nahe 2 Zoll von einander abstehenden Linsen, deren eine 18, die andere 19 Wiener Linien reine Öffnung hat; die Brennweite beider in ihrer Verbindung beträgt 4 Zoll Pariser Maß, u. die Wirkung derselben erfolgt so schnell, daß im Monat April 1841 von einem, von der Sonnebeschienenen Objecte in 1/2 Minute ein lebhaftes Bild erhalten wurde. Portraits von im Schatten sitzenden Personen werden in größter Reinheit u. mit sichtbarem Glanz der Pupille in 2–21/2 Minuten erhalten. Die vorher erhitzten u. dann abgekühlten Platten werden nämlich mit Öl u. seinem Knochenmehl, hierauf, zur Reinigung, mit trockenem Knochenmehl, nachher mit Knochenmehl u. destillirtem Wasser u. zuletzt wieder mit trockenem Knochenmehl u. reiner Baumwolle weit vollkommener, als durch Anwendung von Daguerres Verfahren, polirt. Bei der Operation mit dem Quecksilber erhitzt man dasselbe bis 75° C., u. dann erst wird die Platte in den dazu gehörigen Apparat eingesetzt u. darin erhalten, bis das Bild die gehörige Lebhaftigkeit hat. Noch überraschender sind die Resultate, die man durch Anwendung des von dem k. k. Beamten Kratochwilla u. den Gebrüdern Natterer erfundenen Verfahrens, die Platte empfindlicher zu machen, erhält. Wird nämlich die in derchngegebenen Weise gut polirte u. dann hochgoldgelb jodirte Platte über, mit etwas Brom vermischten Chlor-; kalk od. Chlorwasser einige Secunden gehalten, bis die Färbung derselben einen Stich ins Rothe bekommt, so erhält sie eine solche Empfindlichkeit, daß bei Anwendung der Voigtländerschen Camera obscura selbst bei trübem Wetter in 5–6 Secunden, bei hellem Tage im Schatten in 2 Secunden u. im directen Sonnenlichte in der nicht bestimmdurch[644] Zeit des Öffnens u. Wiederverschließens des vor den Linsen angebrachten Schiebers Portraits u. andere Bilder erhaltenwerden, die alle Erwartungen übertreffen. Ganze Gruppen, in denen die einzelnen Personen die sprechendste Ähnlichkeit haben, belebte Straßen, in denen Menschen u. Thiere das bunte Gewirre des Tages darstellen, nahe stehende belaubte Bäume in der größten Reinheit, verschiedene naturhistorische Gegenstände etc. werden jetzt auf diese Weise daguerreotypirt. Da die Krümmungshalbmesser dieser Voigtländerschen Linsen kleiner als die des Objectivs der Daguerreschen Camera obscura sind, außerdem aber durch die zweite Linse die Vereinigungsweite der Lichtstrahlen noch mehr verkürzt wird, so müssen die Bilder freilich viel kleiner ausfallen. Durch diese neue Entdeckung u. Verbesserung, welche Deutschland u. den Wienern angehört, ist der Daguerreschen Erfindung ein weit höherer praktischer Werth verliehen worden. Die Daguerreotypie ist jetzt zu einem völligen städtischen Gewerbe geworden, aber durch die Vervollkommnungen in der Photographie (s.d.) etwas zurückgedrängt. Bei jener fällt nämlich die Spiegelung weg, u. das Bild hat ganz das Ansehen einer sein getuschten Zeichnung aufs Papier. Mit der Verbreitung der Kunst ist sie wohlfeiler geworden. Sie hat Silhouetten u. die mangelhafte Portraitzeichnung verdrängt, u. unterstützt den tüchtigen Maler u. Künstler in der Richtigkeit seiner Auffassung. Aus der Kunst der Lichtbildnerei od. Sonnenmalerei sind eine Anzahl von Ab- u. Unterarten od. Folgekünste entstanden, wie Stereoskopie, Verrotypie, Photolithographie, Pentastyl-Photogalvanographie, Kalotypie, Panotypie, Iconometer, Lucimeter, Talbotypie (Chartotypie), Ceratypie, Glutenotypie, Photokalkographie, Photoxylographie, Heliochromie (s.d.a.). Daguerre's Schriften über die Kunst, s. u. Daguerre; außerdem Dingler, Polytechnisches Journal, Jahrg. 1840–41, wo bes. die neueren Fortschritte angegeben sind; Vademecum des praktischen Photographen, Lpz. 1858.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 643-645.
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