Deutsche Kunst

[884] Deutsche Kunst. Eine selbständige Entwickelung nahm die Kunst in Deutschland erst mit dem Beginn des 13. Jahrhunderts. Der germanische Volksstamm, als Träger der christlichen Religion schuf im Einklange mit den neugewonnenen religiösen Anschauungen ein neues System der Baukunst, welche auch hier, wie überall, in der Kunstgeschichte die Grundlage künstlerischen Schaffens bildet, an welche sich die Schwesterkünste Bildhauerei u. Malerei zunächst in untergeordneter Stellung anlehnen. Die Kreuzzüge waren es, welche durch ihre gewaltige Erregung der religiösen Begeisterung alle Adern des Volkslebens mit christlichen Elementen durchdrangen u. die noch übrig gebliebenen Reste heidnischer Vorstellungen beseitigten. Dem neugewonnenen Boden christlicher Weltanschauung entsproß im Dienste der innerlich befestigten Religion der Germanische od. Gothische Baustyl (vgl. Baukunst II. P.). Die himmelanstrebenden Formen dieses Styls, die kühne Construction der langgestreckten Spitzbogenfenster u. durchbrochenen Thürme, die bei dem Mangel breiter Massen nur wie durch ein Wunder zusammengehalten erscheinen, stellen sich als eine Äußerung jener Religion dar, welche den Sinn der Menschen von der Erde aufwärts zum Himmel richtet. Zwar weist nicht der deutsche Boden die ersten Spuren des Spitzbogenstyls auf, diese finden sich vielmehr in Isle de France, in Paris u. dessen Umgebungen u. stammen aus der letzten Hälfte des 12. Jahrhunderts, aber den deutschen Baukünstlern blieb es vorbehalten, das gothische Princip mit Consequenz durchzuführen u. die charakteristischen Momente desselben zu einem System zu ordnen, dessen vollendetste Turchsührung der um die Mitte des 13. Jahrhunderts begonnene Kölner Dom aufweist. Schon von 1212–1227 baute man in Köln im Gothischen Style das Schiff der St. Gereonskirche, u. bald fand der junge Baustyl, die romanischen Elemente mehr u. mehr verdrängend, Eingang am ganzen Rhein, dann auch in Sachsen u. Westfalen. Der Baukunst dienend entwickelte sich mit ihr die Sculptur als Bildnerin der reichen Ornamente, welche die Massen der gothischen Bauwerke in eine Menge von Details auflösen, deren Formen, dem einheimischen Laubwerk, Eiche, Ephen, Petersilie, Wein etc. entnommen, das schwere Material so leicht u. zart erscheinen lassen, daß demselben nur die Bewegung fehlt, um den Eindruck eines organisch belebten Naturgebildes zu machen. Größere Freiheit gewann die Bildkunst bei der Ausführung des inneren Schmuckes der Gotteshäuser, der Kanzeln, Altäre, Tabernakel,[884] dann der Grabmäler, mit denen die monumentale Kunst sich von der Architektur loslöste u. zur Selbständigkeit gelangte. Auch der Erzguß war den Deutschen schon im 12. u. 13. Jahrh. bekannt (vgl. Bildhauerkunst II. G.). Die ersten Spuren deutscher Malerei führen zurück bis in die Zeit der Karolinger u. lehnen sich an die byzantinischen Vorbilder. Wie diese, so dienten auch die ersten Malereien in Deutschland zu gottesdienstlichen Zwecken, zunächst zur Ausschmückung von Handschriften (Missalen, Ritualen etc.) in den Klöstern geübt, als Miniaturmalerei, dann zur Decoration der Kirchenfenster als Glasmalerei u. endlich (schon unter den Sächsischen Kaisern) zum Schmuck der Wände in kaiserlichen Palästen. Eigentliche Malerschulen, in denen sich die Kunst allmälig aus handwerksmäßiger Übung zu freier schöpferischer Thätigkeit erhob, entstanden erst im 14. u. 15. Jahrh., so in Prag, dann in Köln, dem Hauptsitz der bildenden Künste in Deutschland zur Zeit Wenzels u. Sigismunds. Aber erst die Erfindung der Ölmalerei u. der Einfluß der niederländischen u. später der italienischen Meister gab im 16. Jahrh. den Anstoß, die Malerei von den Fesseln des Herkommens loszureißen u. ihrer Thätigkeit ein freies Feld zu eröffnen. Die Landschaft u. das Porträt drängten sich in den Kreis der Vorstellungen, aus denen die Maler ihre Gegenstände nahmen, das rein kirchliche Wesen mußte vor dem Streben nach Naturwahrheit zurückweichen, ja selbst profane Stoffe, dem antiken Ideenkreise od. dem täglichen Leben entnommen, gelangten in der Malerei u. gleichzeitig auch in der Plastik zur Darstellung Die hauptsächlichsten Vertreter dieser Periode sind die Holbeins, Mart. Schongauer (Schwäbische Schule), Mich. Wohlgemuth, Dürer, Scheufele (Fränkische Schule), Lucas Cranach (Sächsische Schule); vgl. Malerei. An der Regeneration der bildenden Künste zu Ende des 18. u. Anfang des 19. Jahrh. hatten deutsche Künstler keinen geringen Antheil, nachdem deutsche Schriftsteller (Lessing, Winckelmann) den Sinn für die Antike mächtig angeregt hatten. Die Baukunst u. Plastik erblühte vornämlich in Berlin u. München, dort unter Schadow's (des älteren), Schinkels u. Rauchs Einfluß, hier unter der Protection des Königs Ludwig I. (vgl. Baukunst II. S. u. Bildhauerkunst. II. H.). Die Malerei nahm einen höheren Aufschwung seit der Ausbildung der Düsseldorfer Schule unter W. v. Schadow im dritten Jahrzehnt des 19. Jahrh. Schon einige Zeit früher blühte, von Cornelius, später von Kaulbach geleitet, die Münchener Schule auf. Von beiden zweigten sich ab die Schulen zu Berlin (Begas, Schrader), zu Dresden (Hübner, Bendemann), zu Frankfurt (Ph. Veit), zu Karlsruhe (Schirmer, Lessing), zu Prag (Ruben) etc. Auch in Bezugauf Kunstkritik u. Kunstgeschichte nimmt Deutschland gegenwärtig einen hohen Rang ein, u. gründliche Forscher wie Schnaase, Kugler, Lübke, Springer, Förster, Heider, Wichmann u. A. haben dieses Feld des Wissens in den letzten Jahrzehnten mit vorzüglichen Arbeiten bereichert.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 884-885.
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