Braunschweig [2]

[359] Braunschweig (hierzu der Stadtplan), Haupt- und Residenzstadt des Herzogtums Braunschweig, an der Oker, 63 m ü. M., Knotenpunkt der preuß. Staatsbahnlinien Eilsleben-Helmstedt-B., B.-Jerxheim und andrer Linien, ist eine interessante, ihr altdeutsches Bild im Innern treu bewahrende Stadt. Die hauptsächlichsten Straßen und Plätze innerhalb der frühern Ringmauern sind: der Bohlweg, Steinweg, der Burg-, Ruhsäulchen-, Schloß- und Friedrich-Wilhelmsplatz, der Altstadtmarkt mit altem, gotischem Brunnen (s. Tafel »Brunnen«, Fig. 3), der Kohlmarkt und der Hagenmarkt, letzterer mit dem von Breymann entworfenen und von Howaldt in Bronze gegossenen Brunnenstandbild Heinrichs des Löwen.

Wappen der Stadt Braunschweig.
Wappen der Stadt Braunschweig.

Unter den neuen Stadtteilen ist besonders der zwischen dem Hoftheater und dem Stadtpark liegende, von der 30 m breiten Kaiser-Wilhelmstraße durchzogene bemerkenswert. Unter den Kirchen behauptet der 1173 von Heinrich dem Löwen im Rundbogenstil gegründete, 1346 und 1469 erweiterte Dom den obersten Rang. In seinem Innern sind die Wandmalereien, das aus dem Anfang des 13. Jahrh. stammende Grabmal Heinrichs des Löwen und seiner Gemahlin und die Krypte mit dem Erbbegräbnis der Braunschweiger Welfen von besonderm Interesse. Neben dem Dom liegt die nach dem Brande von 1873 wiederhergestellte Burg Dankwarderode. Die Mitte des Burgplatzes ziert die 1166 errichtete Rugesäule mit einem Bronzelöwen, das Wahrzeichen der Stadt. Andre kirchliche Bauwerke sind: die Magnikirche, 1031 gegründet, die Katharinenkirche, 1172 von Heinrich dem Löwen begonnen, mit interessantem Turm; die Martinikirche, um 1190 erbaut, mit romanischen Türmen, reichen, aus dem 14. Jahrh. stammenden Seitenportalen, der prächtigen Annenkapelle (von 1434) und einer schönen Kanzel; die Brüderkirche mit dem 1345 begonnenen, erhabenen Chor und prachtvollem Hochaltar, einem Schnitzwerk aus dem Ende des 14. Jahrh., vor derselben das neuerrichtete Denkmal des Reformators Bugenhagen (modelliert von Prof. Echtermeyer); die Andreaskirche mit einem 92 m hohen Turm (begonnen 1200, vollendet 1532); die Petri- und Michaeliskirche; die jetzt als Zeughaus benutzte Paulinerkirche (von 1343), mit wohlerhaltenen Kreuzgängen; die in eine Ausstellungshalle umgewandelte Ägidienkirche (1278 bis 1434), ein edler Hallenbau, der als einziger mit Triforien und Strebebogen im Chor ausgestattet ist. Erwähnenswert ist auch der romanische Kapitelsaal des Klosters St. Ägidien, 1115 von der Tochter Kaiser Lothars erbaut. Aus jüngerer Zeit stammen die reformierte und die katholische Kirche sowie die Synagoge. Im Bau begriffen sind (1902) die Johannis-, Pauli- und Garnisonkirche. Unter den öffentlichen Profanbauten steht das auf der Nordseite von Parkanlagen umgebene, 1831–36 nach Ottmers Plan ausgeführte und nach dem Brande von 1865–69 wieder errichtete Residenzschloß mit der von Howaldt nach Rietschels Entwurf in Kupfer getriebenen Quadriga der Brunonia und den Reiterstandbildern der Herzöge Karl Wilhelm Ferdinand (gest. 1806) und Friedrich Wilhelm (gest. 1815). Ein Juwel der Gotik des 14. und 15. Jahrh. ist das Altstadt-Rathaus (s. Tafel »Architektur IX«, Fig. 5), vor demselben der[359] schon oben erwähnte, in Blei gegossene gotische Brunnen von 1408. Ferner sind zu nennen: das Neustadt-Rathaus; die »alte Wage«, ein interessanter Fachwerkbau von 1534; das Gewandhaus (13. Jahrh.) mit reicher Ostfassade im Renaissancestil; das 1536 erbaute, durch reiche und merkwürdige Holzschnitzereien verzierte sogen. Huneborstelsche Haus, jetzt restauriert und der Handwerkskammer überwiesen. Unter den zahlreichen Neubauten sind erwähnenswert: das neue, 1895–1900 nach Winters Plan errichtete Rathaus und das Finanzgebäude, beide im frühgotischen Stil. Als historisch merkwürdige Gebäude sind auch Lessings Sterbehaus (auf dem Ägidienmarkt) und K. F. Gauß' Geburtshaus (in der Wilhelmstraße) zu nennen. Eine Zierde der Stadt bilden die öffentlichen Promenaden und Gärten, von denen die auf den ehemaligen Festungswerken angelegten Wallpromenaden die Innenstadt in einer Länge von 5 km einschließen, und mit denen der herzogliche Park mit dem Hoftheater und dem Denkmal des Liederkomponisten Franz Abt, die Inselpromenade, der Gaußberg, mit dem Denkmal des Astronomen Gauß am Fuße desselben, der Eisenbahnpark mit dem angrenzenden Bürgerpark, der Siegesplatz mit dem Kriegerdenkmal, der Lessingplatz mit dem von Rietschel modellierten Denkmal des Dichters (s. Tafel »Bildhauerkunst XVI«, Fig. 4), der Hollandtsche Park, der eine weite Umschau gewährende Windmühlenberg und der Monumentsplatz mit 23 m hohem eisernen Obelisken (1822 zu Ehren der Herzöge Karl Wilhelm Ferdinand und Friedrich Wilhelm nach Krahes Entwurf errichtet) in unmittelbarer Verbindung stehen. – Die Zahl der Einwohner belief sich 1900 mit der Garnison (ein Infanterieregiment Nr. 92 und ein Husarenregiment Nr. 17) auf 128,226 Seelen, davon 9000 Katholiken und 900 Juden. Die Industrie der Stadt ist sehr ansehnlich. Besonders bedeutend sind die Maschinenbauanstalten, die Eisenbahn-Signalbauanstalt, die Dampfkessel-, Gasometer-, Geldschrank-, Nähmaschinen- und Blechwarenfabrikation, die Jutespinnerei, Buchdruckerei, Schriftgießerei, die Konserven-, Pianoforte-, Zucker-, Schokoladen-, Wurstwaren-, Zement- und chemischen Fabriken, die Honigkuchenbäckerei, Bierbrauerei (»Braunschweiger Mumme«) etc. Nicht weniger bedeutend ist der Handel. Infolge seiner Lage war B. schon früh im Besitz eines großen Speditionshandels. Die beiden früher vielbesuchten Messen der Stadt sind jetzt nur von geringer Bedeutung. Hervorragend ist der Buchhandel. Zur Unterstützung des Handels dienen unter anderm die Handelskammer, die Reichsbankstelle (Umsatz 1901: 984,5 Mill. Mk.), die Braunschweiger Bank und andre Geldinstitute. Den Verkehr in der Stadt und mit der Umgegend, unter anderm auch mit Wolfenbüttel, vermitteln sechs elektrische Bahnlinien. Von Zeitungen erscheinen dort: »Die Braunschweiger Anzeigen« (amtl. Blatt), die »Braunschweiger Landeszeitung«, die »Neuesten Nachrichten«, der »Braunschweiger Stadtanzeiger« etc. Für Wissenschaft und Kunst ist durch Sammlungen und Anstalten reichlich gesorgt. Das herzogliche Museum bewahrt einen reichen Schatz von Antiken, mittelalterlichen Kunstschätzen, Kupferstichen, Handzeichnungen und Gemälden der niederländischen und deutschen Schule sowie eine bedeutende Fayencesammlung. Bekannt ist das 1630 bei Mantua erbeutete wertvolle Onyxgefäß, das von Herzog Karl 1830 nach Genf gebracht, von dieser Stadt geerbt, aber 1874 wieder zurückgegeben wurde. Ferner befinden sich in B. ein Städtisches Museum (seit 1902 in einem prachtvollen Neubau), ein Vaterländisches Museum, ein naturhistorisches Museum, ein mineralogisches Kabinett, ein botanischer Garten, eine Landesbaumschule, eine forstliche Versuchsanstalt sowie die Bibliothek der Carolo-Wilhelmina, ferner eine städtische, verbunden mit dem städtischen Archiv. Einen hervorragenden Rang nimmt das dortige Hoftheater ein. An Bildungsanstalten bestehen in B. die technische Hochschule (Carolo-Wilhelmina, Winterhalbjahr 1902/1903: 352 Studierende), 2 Gymnasien, davon eins mit Realgymnasium, eine Oberrealschule, eine höhere Privatlehranstalt, ein Lehrer- und ein Lehrerinnenseminar, eine Taubstummen- und eine Blindenanstalt, eine Kindergärtnerinnenlehranstalt, eine Drogistenakademie, eine Schule für Zuckerindustrie, eine landwirtschaftliche Lehranstalt, eine Lehrmolkerei etc. Vortrefflich sind die Wohltätigkeitsanstalten, unter denen hervorzuheben sind: das große Waisenhaus, das Rettungshaus, 2 protestantische Frauenklöster (Ägidien- und Kreuzkloster), die Stifter St. Blasii (1173 von Heinrich dem Löwen gegründet) und St. Cyriaci sowie zahlreiche, der Altersversorgung und der Krankenpflege dienende Anstalten und Stifter. Unter den sonstigen Anstalten sind bemerkenswert: die staatliche Feuerversicherungsanstalt für das Land, die allgemeine Anstalt für Lebens- und Rentenversicherung, die Klassenlotterie u. a. B. ist (mit Ausnahme des Konsistoriums, das sich in Wolfenbüttel befindet), Sitz der höchsten Staatsbehörden: des Ministeriums, Finanzkollegiums, der Kammer, Zoll- und Steuerdirektion, Landesökonomiekommission etc., ferner eines Oberlandes- und eines Landgerichts, einer Oberpostdirektion und des Stabes der 40. Infanteriebrigade. Die städtischen Behörden zählen 9 Magistratsmitglieder und 36 Stadtverordnete. Im Stadthaushalt beliefen sich (1900/1901) die Einnahmen auf 3,49, die Ausgaben auf 3,39 Mill. Mk. Das Gesamtvermögen der Stadt betrug 1899: 34 Mill. Mk., denen 23 Mill. Mk. Schulden gegenüberstehen. – In der Umgebung sind bemerkenswert: die Lustschlösser Alt- und Neu-Richmond mit schönen Parkanlagen; das Schuldenkmal, 1837 über den Gebeinen der 1809 hier erschossenen 14 Schillschen Krieger und unweit davon der Magnikirchhof mit der Grabstätte Lessings; der Stadtpark und der neuentstandene Prinzenpark mit dem Nußberg, auf dem sich das Denkmal Alsermanns, des Führers der braunschweigischen Truppen in den Freiheitskriegen, erhebt; das idyllisch gelegene ehemalige Cistercienserkloster Riddagshausen mit schöner Kirche etc. – Zum Landgerichtsbezirk B. gehören die 24 Amtsgerichte zu Blankenburg, B., Eschershausen, Gandersheim, Greene, Harzburg, Hasselfelde, Helmstedt, Holzminden, Kalvörde, Königslutter, Lutter a. B., Ottenstein, Riddagshausen i. B., Salder, Schöningen, Schöppenstedt, Seesen, Stadtoldendorf, Thedinghausen, Vechelde, Vorsfelde, Walkenried und Wolfenbüttel.

Geschichte. Nach der Sage wurde B. 861 von Bruno, dem Sohn des Herzogs Ludolf von Sachsen, gegründet und nach ihm Brunswich (vom althochdeutschen wich, »Flecken«) genannt. Ein Graf Tanquard gründete nach derselben Sage Dankwarderode (vgl. Heinemann, Die Burg Dankwarderode, Braunschw. 1880). In Urkunden erscheint die Villa Brunswich zuerst 1031. Bis zum Tode der Gräfin Gertrud (1117) blieb sie im Besitz der Brunonen, kam dann durch Heirat an König Lothar und von ihm an das Haus der Welfen (1137). Heinrich der Löwe erhob um 1150 B. zur Stadt, befestigte es und erbaute den Dom. Ihre Treue gegen Heinrich den Löwen bewährte[360] die Stadt 1189 und 1192, indem sie König Heinrich VI. und dann den Bischöfen von Hildesheim und Halberstadt Widerstand leistete. Ebenso wurde sie 1227 von einem Reichsheer vergeblich belagert. Die Freiheiten, die der Herzog Otto das Kind 1227 der Stadt verlieh, förderten ihre Macht ungemein, ebenso der Beitritt zur Hansa. B. wurde eine hansische Quartierstadt, doch hat es die Rechte einer Reichsstadt nie erlangen können. 1374 kam es zu einem blutigen Aufstande gegen den aus den Geschlechtern gebildeten Rat, deshalb wurde B. aus dem Hansabund ausgeschlossen und erlangte 1380 seine Aufnahme unter demütigenden Bedingungen. Doch gab die Verfassung von 1380 den Gilden und der Bürgerschaft Anteil an der Verwaltung. Mit Unterstützung Bugenhagens wurde 1528 die Reformation hier durchgeführt, und 1531 trat die Stadt dem Schmalkaldischen Bund bei. Mit Waffengewalt wahrte sie 1542 und 1550 das neue Bekenntnis gegen Herzog Heinrich den jüngern und unterwarf sich 1553 erst, als dieser die Religionsveränderung anerkannte. Nach dem Verfall der Hansa hatte ihr Handel durch die Messen neuen Aufschwung genommen. Doch mißlangen auch im 17. Jahrh. alle Versuche der Stadt, sich der Hoheit der Herzöge zu entziehen; 1671 wurde sie von dem Celleschen Feldmarschall Georg Friedrich von Waldeck zur Übergabe gezwungen. Sie nahm eine herzogliche Besatzung auf, und die wichtigsten Befugnisse des frühern Rates gingen an herzogliche Behörden über. Residenz der braunschweigischen Fürsten wurde B. wieder 1753. 1806–1813 gehörte es zum Königreich Westfalen. 1834 erhielt B. durch die Städteordnung die Selbstverwaltung. Vgl. Schrödern. Aßmann, Die Stadt B. (Braunschw. 1841); Knoll, B. und Umgebung (das. 1882); Führer durch B. von Steinacker, Böhm u. a.; B. im J. 1897 (Festschrift zur Naturforscherversammlung, Braunschw. 1897); Sack, Kurze Geschichte der Stadt B. (das. 1861); Heusinger, Geschichte der Residenz B. 1806–1831 (das. 1861); Dürre, Geschichte der Stadt B. im Mittelalter (Wolfenb. 1875); Hänselmann, Das Schichtbuch. Geschichten von Ungehorsam und Aufruhr in B. 1292–1514 (Braunschw. 1886); Hohnstein, B. am Ende des Mittelalters (das. 1886); Bd. 6 und 16 der »Chroniken der deutschen Städte« (Leipz. 1868–80); »Urkundenbuch der Stadt B.« (hrsg. von Hänselmann, Braunschw. 1862 bis 1900, Bd. 1 u. 2 in 6 Abtlgn.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 359-361.
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