Englische Sprache

[761] Englische Sprache. I. Geschichte. Die E. S. ist eine aus der Verschmelzung des Französisch-Normännischen mit dem Angelsächsischen hervorgegangene Mischsprache, deren Geschichte sich ganz naturgemäß in drei große Zeiträume gliedert; a) der 1. Zeitraum begreift die Entstehung u. den Bildungsproceß der Sprache (1066–1350) u. wird von den englischen Philologen wiederum in zwei Abschnitte eingetheilt, nämlich in das Halbsächsische, von 1066–1250, in welchem u. A. Layamons Brut d'Angleterre, die sächsische Chronik u. das Ormulum abgefaßt sind; u. in das Früh- u. Alt-Englische, von 1250–1350, worin die Chronik Roberts von Gloucester, das Leben u. Märtyrerthum Thomas Beckets u. anderes erhalten sind; b) der 2. Zeitraum (1350–1550) beginnt mit der Erhebung der neugebildeten Sprache zur Hof- u. Landessprache durch Eduard III. i. J. 1362 u. mit ihrer Anwendung als Schriftsprache durch G. Chaucer (1324–1400). Die Sprache, welche in dieser Stufe ihrer Entwickelung als Mittel-Englisch bezeichnet wird, klärte sich immer mehr ab u. gewann Bestimmtheit u. Sicherheit im grammatischen Bau. Sie streifte immer entschiedener den mundartlichen Charakter ab u. gestaltete sich, obwohl gehemmt durch die Bürgerkriege des 15. u. die Reformationskämpfe des 16. Jahrh., zur Gesammtsprache des ganzen englischen Volkes. Erst unter der Regierung der Königin Elisabeth (1558–1603) erfolgte durch die großen Dichter Spenser, Shakspeare, B. Jonson etc., sowie durch die Prosaiker Roger, Ascham, Sidney, W. Raleigh u. A. die völlige Niedersetzung der Sprache, u. von da ab beginnt c) der 3. Zeitraum, der des Neu-Englischen.[761] Seitdem sind keine wesentlichen Veränderungen in der Sprache vorgegangen; allerdings haben viele Wörter u. Wendungen ihre Aussprache u. Bedeutung geändert od. sind gänzlich außer Gebrauch gekommen, u. viele andere sind dafür in die Sprache aufgenommen worden; auch ist die Rechtschreibung vielfach auf festere u. übereinstimmendere Regeln gebracht worden, aber Lautlehre u. Wortfügung, Accentuation, Formen- u. Satzlehre sind in ihrem Wesen unverändert geblieben.

II. Bestandtheile. Ihrer glücklichen Mischung verdankt die E. S. ihren Reichthum, ihre logische Klarheit u. Schärfe, wie ihre trauliche Herzlichkeit, ihre Kürze u. Gedrängtheit (die sich vorzüglich bei metrischen Übersetzungen bemerkbar machen), ihre Einfachheit in Wortfügung u. Formenlehre, überhaupt alle die Eigenschaften, welche sie zu längster Dauer u. allgemeinster Verbreitung zu befähigen u. zu bestimmen scheinen. Der Kern der Sprache ist u. bleibt deutsch; deutsch ist die Betonung, die gerade in der E-n S. zur unbedingtesten Herrschaft gelangt ist, die Für-, Zahl-, Hülfszeit-, Verhältniß- u. Bindewörter; die Ausdrücke des Familienlebens, der Land- u. Hauswirthschaft u. des Seewesens. Französisch dagegen ist die Wortstellung; die im Hof- u. Staatswesen gäng u. gäben Wörter, die Titel u. Würden, die Bezeichnungen der Künste u. Wissenschaften, wie überhaupt die abgezogenen Begriffe. In der Volkssprache, wie in der Sprache der Dichtung, überwiegt der deutsche Bestandtheil bei weitem, während in der wissenschaftlichen Sprache u. im Zeitungsstyle der französische vorherrschend ist. Man kann überhaupt englisch schreiben, ohne sich eines Wortes französischer Abkunft zu bedienen, während es unmöglich ist, aus dem französischen Elemente allein auch nur einen Satz zu bilden. Thommerei (Sur la fusion du Franco-Normand et de l'Anglo-Saxon, Par. 1841) gibt die Zahl der angelsächsischen Wörter im Englischen auf 12,000, die der französischen auf 8500, die der lateinisch-französischen auf 13,500 u. die der aus dem Lateinischen unmittelbar entnommenen auf 4500 an. Nach anderen Berechnungen beträgt der sächsische Bestandtheil etwa fünf Achtel des gesammten Sprachschatzes; die übrigen mit der E. S. verquicktensprachlichen Elemente, das celtische, dänische u. griechische, kommen wenig in Betracht. Das erstere ist zwar vielleicht zahlreicher u. in etymologischer Beziehung wichtiger als man gew öhnlich glaubt, ist jedoch ganz ohne Einfluß auf die Lautverhältnisse, auf Forien- u. Satzbildung geblieben; Vgl. Richard Garnett, On the languages and dialects of the British Islands, in den Proceedings of the philological Society, Bd. 1 u. 2, Lond. 1844 u. 1846.

III. Verbreitung. Mit dem englischen Volke hat auch die E. S. in den letzten Jahrhunderten eine fast beispiellose Verbreitung gefunden. Während das Mutterland England, ohne die Schwesterreiche Schottland u. Irland, im Jahr 1722 erst 6 Millionen Einwohner zählte, wird es gegenwärtig von über 16 Mill. Menschen bewohnt. In Amerika, Asien, Afrika u. Australien hat sich überall mit den Engländern auch ihre Sprache angesiedelt u. festen Fuß gefaßt, u. es läßt sich, freilich nur annäherungsweise, annehmen, daß sie gegenwärtig von 40–50 Mill. Menschen als Muttersprache gesprochen wird, eine Zahl, die sich in nicht zu ferner Zeit vielleicht auf das Doppelte zu steigern verspricht. Außerdem wird sie noch von einer nicht viel geringeren Anzahl erlernt u. verstanden. In allen Ländern der Welt werden englische Bücher gedruckt; fast in allen Ländern (sogar auf den Inseln des Stillen Meeres) erscheinen englische Zeitungen; dabei bewahrt die E. S. auch unter den verschiedensten Himmelsstrichen eine solche Reinheit, daß die Colonien auch zur klassischen Literatur des Mutterlandes bereits ihre Beisteuern darzubringen beginnen. Die E. S. besitzt überhaupt eine ungemeine Zähigkeit, Geschlossenheit u. Gewalt über den Menschen; von allen Sprachen verlernt sie sich vielleicht am schwersten.

IV. Dialekte. Die Dialekte des eigentlichen Englands zerfallen in 4 Gruppen: a) die Dialekte der Binnengrafschaften (Huntingdonshire, Rutland, Theile von Cambridgeshire, Warwickshire, Oxfordshire etc., ungefähr das alte Mercia); sie stehen der Schriftsprache am nächsten, od. vielmehr die Schriftsprache ist aus ihnen hervorgegangen; b) die südliche (südwestliche) Gruppe begreift die Grafschaften Wiltshire, Somersetshire (J. O. Halliwell, Collection of pieces in the dialect of Zummerzet, Lond. 1843); Devonshire (A Devonshire dialogue, 4 Bde., ebd. 1839); An Exmoor Scolding, ebd. 18391; Cornwall (Specimens of the Cornish provincial dialect by Uncle Jan Trenoodle, ebd. 1846 etc.); c) die nördliche od. northumbrische Gruppe; dahin gehören Lancashire (Tim Bobbin, A view of the Lancashire dialect, 6. Aufl., Manchester 1757; William Gaskell, Two lectures on the Lancashire dialect); Westmoreland, Cumberland (Dialogues, Poems, Songs and Ballad by various writers in the Westmoreland and Cumberland dialects, Lond. 1839); Yorkshire etc.; d) die östliche Gruppe umfaßt Essex, Suffolk u. Norfolk (Ostangeln); vgl. Charles Clark, John Noakes u. Mary Styles, a poem with a glossa ry; E. Moor, Suffolk words and phrases, Woodbridge 1823; Forby, The vocabulary of East Anglia. Lond. 1830. Die zweite u. dritte Gruppe haben das eigenthümlichste Gepräge u. weichen am meisten von der Schriftsprache ab; sie wurden daher schon von den Dramatikern der Elisabethanischen Zeit häufig zur Schilderung komischer Provinzigten angewendet. Über die Dialekte im Allgemeinen vgl. Grose, Provincial glossary, Lond. 1811; Holloway, General dictionary of provincialisms u. hauptsächlich J. O. Halliwell, Dictionary of archaisms and provincialisms, ebd. 1846. Der wichtigste Dialekt von allen fällt außerhalb des eigentlichen Englands; es ist der des schottischen Niederlandes, der nicht nur vom Ende des 15. Jahrh. bis zur Vereinigung der schottischen u. englischen Kronen die Geschäfts- u. Landessprache Schottlands war, sondern in welchem sich auch ein reiches u. eigenthümliches Schriftenthum entwickelt hat. Die schottischen Volksdichter, Burns an der Spitze, haben sich sämmtlich dieser Mundart bedient, die sich durch eine gewisse breite Gemüthlichkeit vortrefflich für eine volksthümliche Liederdichtung eignet. In Bezug auf das Lautsystem bildet das Schottische gewissermaßen ein Mittelglied zwischen dem Englischen u. dem Deutschen. (Vgl. Jamieson, Etymological dictionary of the Scottish language, Edinb. 1808; Supplements, ebd. 1825).[762] In Irland haben sich keine Mundarten der E. S. erzeugen können, weil der größte Theil des gemeinen Volkes bis auf den heutigen Tag am Irischen festgehalten hat; übrigens sprechen die Irländer das Englische mit einem eigenthümlichen singenden Aceente, Brogue genannt, weßwegen sie vielfachen Spott erdulden müssen. Auch in Amerika gibt es keine Mundarten; das amerikanische Englisch ist zwar mit vielen, theils von den Indianern, theils von den Eingewanderten anderer Nationalitäten entlehnten Wörtern versetzt u. reich an eigenthümlichen Wendungen (Amerikanismen), entspricht aber im Übrigen der englischen Schriftsprache. (Bartlett, Dictionary off Americanisms, New-York 1848). Charakteristisch ist das Neger-Englisch, das allerdings durch häufige Anwendung in komischen Volksliedern, so wie in Sitten- u. Lebensschilderungen sich zu einer gewissen dialektischen Geltung erhoben hat. (Helig van der Vegt, Proeve ee ner handleiding om het Negerengelsch, Amsterd. 1844).

V. Sprachlehre; a) Aussprache. Bei den Ausländern ist das Englische namentlich wegen der Schwierigkeit seiner Aussprache verschrieen, u. in der That gibt es wohl kaum eine Sprache, in der die Aussprache einestheils so wenig in Einklang mit der Schreibung, anderntheils so schwierig auf durchgreifende Regeln zurückzuführen ist. Dem ersteren Übelstande hat in neuester Zeit Isac Pitman aus Bath durch die von ihm erfundene Phonographie (s. d) od. Phonotypie abzuhelfen gesucht, welche jedoch, da sie die Etymologie gänzlich unberücksichtigt läßt u. so den geschichtlichen Zusammenhgng der Sprache zerreißt, nur als eine sprachliche Seltenheit betrachtet werden kann. Die zweite Schwierigkeit, nämlich die Regellosigkeit, hat sich den Engländern selbst so fühlbar gemacht, daß sie eine ganze Reihe von Rechtsprechlehren u. Wörterbüchern der Aussprache (Prononncing Dictionaries) hervorgerufen hat, deren Verfasser man unter dem Namen der Orthoëpisten begreift. Hervorzuheben sind unter ihnen J. Elphinstone, Principles of the English language (1764); R. Nares (Elements of Orthoepy); Thomas Sheridan (Dictionary, 1784); Kenrick, William Perry u. A., vor allen aber das oft aufgelegte klassische Critical Prononncing Dictionary von John Walker (deutsche Ausgabe von Fleischer, Lpz. 1826). Bei vielen Abweichungen im Einzelnen sind die Orthoëpisten über gewisse Bezeichnungen überein gekommen, durch welche die Aussprache der einzelnen Laute angegeben wird. Die Vocale z.B. werden beziffert; so werden vier verschiedene Laute des a, zwei e, zwei i, vier o, drei u etc. unterschieden. Von den Consonanten ist der Zischlaut th der schwierigste; er hat einen scharfen u. einen sanften Laut, für welche das angelsächsische Alphabet zwei verschiedene Buchstaben besaß (þ u. đ); sh lautet wie sch, ch wie tsch, sch wie sk; anlautendes k vor n u. anlautendes w vor r können die Engländer nicht aussprechen: das l ist nicht ein Zungen-, sondern ein Kehllaut; r nach einem Vocale ist ungemein weich u. löst sich fast selbst in einen Vocal auf; s ist in der Regel scharf, z dagegen wird wie ein weiches s gesprochen. Übrigens übt die Mode einen nicht unbedeutenden Einfluß auf die englische Aussprache aus; ganz einfache Wörter wie Rome, drama, Amen, neither etc. sind zu verschiedenen Zeiten ganz verschieden ausgesprochen worden u. werden es theilweise noch. Vgl. Buschmann, Lehrbuch der englischen Aussprache, Berl. 1832, u. Voigtmann, Vollständiges Wörterbuch der englischen Aussprache. b) Formenlehre. Dic E. S. hat alle Flexionen auf das geringste Maß zurückgeführt. Von der Beugung der Hauptwörter ist nur in dem Pluralzeichen s. u. dem sogenannten angelsächsischen Genitive eine Spur zurückgeblieben; Artikel- u. Eigenschaftswörter werden gar nicht declinirt, die letzteren jedoch in zweifacher Weise (deutsch u. französisch) gesteigert. Die Geschlechtsregeln sind einfach u. durchaus naturgemäß.; die Conjugation hat nur Einen Modus u. zwei Zeiten (Praesens u. Imperfectum), alle übrigen werden durch Hülfszeitwörter gebildet. Die schwache Conjugation ist, wie im Deutschen, die herrschende geworden u. die Überreste der starken werden gewöhnlich fälschlich als unregelmäßige Zeitwörter bezeichnet.

VI. Hülfsmittel. Die ältesten Grammatiken der E. S. waren lateinisch abgefaßt (Colet, Lilly); die erste englisch geschriebene ist die von William Bullokar (Bref Grammar for English, 1586). Von späteren sind die hervorragendsten die von Ben Jonson, Samuel Johnson (1706), Robert Lowth (1762), Thomas Sheridan (Elements of English Grammar, 1786), sowie die von den Amerikanern Lindley Murray u. Noah Webster Die Ergebnisse der Grimmschen Forschungen sind für die E. S. zusammengestellt von Ph. G. Latham (The English language4 Aufl., Lond. 1855. 2 Bde.) u. von Ed. Fiedler (Wissenschaftliche Grammatik der E. S., Zerbst 1850, 1. Bd.). Die bedeutendsten deutsch-englischen Grammatiken sind die von Wagner, Wachsmuth, Hügel, Fölsing, Heussi etc. Für die Geschichte der Sprache sind die beiden Schriften von Chenevix Trench, On the study of words u. English past and present empfehlenswerth; die beste Synonymik ist die von George Crabb (English Synonymes explained in Alphabetical Order, deutsche Ausg. Lpz. 18319). Unter den Wörterbüchern nehmen den ersten Rang ein die von Samuel Johnson (1755, neu herausgeg. von Todd, Lond. 1818, 4 Bde.), von Richardson (Lond. 1835) u. von Noah Webster (herausgeg. von Goodrich). Für die Elisabethanische Zeit Nares Glossary (deutsche Ausg., Strals. 1825, neu gebietet von J. O. Halliwell, Lond. 1858). Die wichtigsten deutschen Wörterbücher der E-n S. sind die von Grieb, Hilpert, Flügel, Thieme, Lucas, Kaltschmidt etc. Von den Handbüchern (Chrestomathieen) ist das Ideler u. Noltesche noch immer das beste.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 761-763.
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