Halle [2]

[656] Halle, 1) (H. an der Saale, hierzu der Stadtplan mit Registerblatt), Stadt (Stadtkreis) im preuß. Regbez. Merseburg, am Bahnhof 110, Marktplatz 75 m ü. M., liegt an der Saale, die hier zahlreiche Arme bildet, und besteht aus der eigentlichen oder alten Stadt am rechten Saalufer mit fünf Vorstädten und den zwei ehemaligen Nebenstädten Glaucha im S. und Neumarkt im N. Neue Stadtteile, besonders im S., SO., O. und N., sind seit einigen Jahrzehnten entstanden und von dem alten Kern der Stadt durch Anlagen und Promenaden geschieden.

Wappen von Halle an der Saale.
Wappen von Halle an der Saale.

Das Zentrum der eigentlichen Stadt bildet der imposante Marktplatz, den an der Südostseite das altertümliche, 1883 renovierte Rathaus, an der Südseite das neu erbaute Ratskellergebäude, an der Westseite die große Marienkirche mit zwei durch eine Brücke verbundenen Kuppeltürmen und reichen Netzgewölben (1529–54 mit teilweiser Benutzung einer ältern Kirche erbaut) schmücken, während in der Mitte sich der 84 m hohe Rote Turm (davor eine Rolandstatue), der Siegesbrunnen und das 1859 errichtete Erzbild Händels (von Heidel modelliert) befinden. Im W. vom Markt liegt die Halle oder das Tal, wo sich die Salinen befanden (s. unten). Weiter südlich steht die gotische St. Moritzkirche (aus dem 12. Jahrh.), mit trefflichen Holzschnitzwerken und Skulpturen. Der Dom, nordwestlich vom Markt, erst im 16. Jahrh. vom Kardinal Albrecht ausgeführt, befindet sich seit 1689 im Besitz der reformierten Gemeinde. Im ganzen zählt H. elf Kirchen (darunter zwei katholische) und eine Synagoge. Sonstige sehenswerte Gebäude sind: die 1484–1518 erbaute Moritzburg, früher Zitadelle und Residenz der Erzbischöfe von Magdeburg, im Dreißigjährigen Kriege durch Brand zerstört, gegenwärtig teilweise noch zu militärischen Zwecken dienend, im ganzen aber eine großartige Ruine, an der Nordwestecke der Stadt; ferner die Residenz mit verschiedenen Sammlungen, das Universitätsgebäude (von 1834) im NO. der Stadt, das Provinzialgefängnis, das Gebäude des Stadtgymnasiums, die Diakonissenanstalt, das Martinsstift, die Gebäude der Oberpostdirektion, des Landgerichts und des Oberbergamts, die Neubauten der Universität, besonders die medizinischen Institute, die einen vollständigen, mit Parkanlagen geschmückten Stadtteil bilden (Anatomie, pathologisches und physiologisches Institut, chirurgische, medizinische, gynäkologische, Augen- und Ohrenklinik etc.), die Universitätsbibliothek, die Lehr- und Verwaltungsgebäude des landwirtschaftlichen Instituts, die Versuchsstation des Landwirtschaftlichen Zentralvereins der Provinz Sachsen, das neue Justizgebäude, der Schlacht- und Viehhof (s. Tafel »Schlacht- und Viehhöfe III«, Fig. 10), das Theater (vgl. Staude, Das Stadttheater zu H., 1886). Von Denkmälern sind zu nennen: das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. (entworfen von Bruno Schmitz), das Kriegerdenkmal und die Denkmäler des Chirurgen v. Volkmann und des Komponisten Robert Franz. Die Zahl der Einwohner beträgt nach Eingemeindung anliegender Orte, besonders von dem mit H. längst schon zusammenhängenden Giebichenstein, (1900) mit der Garnison (2 Bat. Infanterie Nr. 36 und ein Feldartillerieregiment Nr. 75) 156,609 Seelen, davon 147,713 Evangelische, 6816 Katholiken und 1258 Juden. Die Industrie der Stadt ist bedeutend; am ältesten sind die Salzgewinnung, Bierbrauerei und Weizenstärkefabrikation. Die Salzwerke Halles, eins im »Tal« oder in der »Halle«, das andre außerhalb der Stadt auf einer Saalinsel, von denen jenes im uralten Besitz der Pfännerschaft von den Halloren (s. d.) bearbeitet wurde, sind jetzt vereinigt und liefern jährlich gegen 8500 Ton. Siedesalz. Die Sole im Tal ist so stark, daß sie das Gradieren entbehrlich macht. Das damit verbundene Solbad wurde von Reil gegründet. Am reichsten an festen Bestandteilen sind der deutsche und der Gutjahrbrunnen, die, in dee sogen. Halle belegen, durch einen langen Rohrstrang ihre Sole nach dem 1868 durch Vertrag in das Eigentum der Pfännerschaft übergegangenen, bisher königlichen Siedewerk abgeben, während der Betrieb in der Halle selbst gänzlich eingestellt ist. Außer der Sole ist noch eine erdig-salinische Eisenquelle vorhanden. Außerdem hat H. eine Zuckerraffinerie, zahlreiche Maschinenfabriken, Metallbearbeitungsanstalten, Fabriken für Sprit, Malz, Schokolade, Kakao, Zement, Papier- und Luffawaren, Zichorie, Mineralöl, [656] Wagenschmiere, Maschinenöl, Kutschen, Honigkuchen, Zuckerwaren und Spielkarten; ferner Färberei, Buchdruckerei und Bergbau auf Braunkohlen. Entsprechend der Industrie, ist auch der Handel bedeutend. Unterstützt wird derselbe durch eine Handelskammer, mehrere öffentliche Bankanstalten sowie durch eine Reichsbankstelle (Umsatz 1903: 1767 Mill. Mk.). Hervorragend ist die Ausfuhr, besonders von Maschinen nach überseeischen Ländern und von Rohzucker, Mineralöl und Paraffin. Einen bedeutenden Handelsartikel bilden auch Baumaterialien, Mühlenfabrikate und Getreide (Saalgerste). Für den Buchhandel sind eine große Zahl von Firmen tätig, darunter viele Verlagsgeschäfte; die v. Casteinsche Bibelanstalt ist Zentralrevisionsstelle der Lutherbibel und hat einen jährlichen Umsatz von 50–60,000 Exemplaren. H. ist Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Berlin-Weißenfels, Leipzig-H., H.-Blankenheim, H.-Kottbus, H.-Wittenberge und H.-Zellerfeld sowie der Kleinbahn H.-Hettstedt und der elektrischen Bahn H.-Merseburg. Den Verkehr in der Stadt vermitteln zwei elektrische Straßenbahnen. Eine neue Verkehrsader ist seit 1884 durch Ausdehnung der Kettenschiffahrt auf der Saale bis H. eröffnet. Die Zahl der Bildungsanstalten ist groß. Die Universität zählte im Sommersemester 1904: 145 Dozenten und 1780 Studierende (dazu 135 Hörer und 25 Hörerinnen). Die Bibliothek enthält über 178,000 Bände und gegen 800 Handschriften; ebenfalls reich ausgestattet sind das archäologische Institut und andre Institute. Die Franckeschen Stiftungen (s. Francke 1) zählen nicht weniger als acht verschiedene Schulen, darunter eine Lateinschule (Gymnasium), eine Oberrealschule, höhere Töchterschule mit Lehrerinnenseminar etc. Außerdem befinden sich in H. ein städtisches Gymnasium, eine Oberrealschule, Taubstummenanstalt, Blindenanstalt, Diakonissenanstalt, Provinzialmuseum, eine Sammlung für Kunst und Kunstgewerbe, Vereine für Wissenschaft und künstlerische Zwecke, die historische Kommission für die Provinz Sachsen, ein Zoologischer Garten, Provinzialgefängnis, Irrenanstalt (in dem 2 km von der Stadt gelegenen Nietleben) etc. H. ist Sitz eines Landgerichts, eines Oberberg- und eines Hauptsteueramtes, einer Eisenbahn- und einer Oberpostdirektion, der Landschaft der Provinz Sachsen, einer Landwirtschaftskammer, des Landratsamtes für den Saalkreis sowie des Stabes der 8. Division, der 8. Kavallerie-, der 15. Infanterie- und der 8. Feldartilleriebrigade. Die städtischen Behörden zählen 17 Magistratsmitglieder und 54 Stadtverordnete. Zum Landgerichtsbezirk H. gehören die 18 Amtsgerichte zu: Alsleben, Bitterfeld, Delitzsch, Eisleben, Ermsleben, Gerbstedt, Gräfenhainichen, H., Hettstedt, Könnern, Lauchstädt, Löbejün, Mansfeld, Merseburg, Schkeuditz, Wettin, Wippra und Zörbig. Die Umgegend von H. bietet nur im N. Interesse, wo sich an den Ufern der Saale hohe, steil abfallende Porphyrhügel erheben und z. T. recht schöne Landschaftsbilder zeigen. In einem Seitental, dicht beim Stadtteil Giebichenstein, liegt das Solbad Wittekind, gegenüber, am linken Saalufer, das jetzt eingemeindete Dorf Kröllwitz mit der vielbesuchten Bergschenke, weiter abwärts das ebenfalls zu H. gehörige Dorf Trotha. Auch bieten die unmittelbar an H. sich anschließenden Saalinseln: Peißnitz (Nachtigalleninsel) und die Rabeninsel, reizende Spaziergänge. Beliebtes Ziel eines weitern Ausflugs ist der Petersberg (s. d.).

Geschichte. Die Hallischen Salzquellen waren schon in ältester Zeit bekannt, und infolge davon entstand in H. wohl schon früh ein wichtiger Handelsplatz, der auch eine Burg besaß. Doch wird H. urkundlich nicht vor 1064 erwähnt, und seine zusammenhängende Geschichte beginnt erst 1116 mit der Gründung des Klosters Neuwerk. Die städtische Aristokratie der Salzjunker oder Pfänner, die sich aus dem Betrieb der Salzwerke bildete, mußte aus Rücksicht auf den Territorialherrn, den Erzbischof von Magdeburg, auf dessen Kosten sie ihre Macht erweiterte, der Gemeinde Zugeständnisse machen und den Kompromiß von 1427 schließen. Durch die neue Talordnung von 1475 wurde die Gewalt des alten Pfännertums gebrochen, und 1478 eroberte der Erzbischof von Magdeburg, Ernst von Sachsen, die Stadt und erbaute seit 1484 die Moritzburg, die aber im Dreißigjährigen Kriege wieder zerstört wurde. Unter den Augen Albrechts V., Erzbischofs von Mainz und Magdeburg, der hier residierte, ward die Reformation in H. eingeführt und 1541 als erster lutherischer Superintendent Justus Jonas berufen. Der Erzbischof Albrecht verlegte seine Residenz von H. weg und löste das Domstift auf. Nach der Schlacht bei Mühlberg unterwarf sich hier 19. Juni 1547 im Residenzschloß des Erzbischofs der Landgraf Philipp von Hessen dem Kaiser. Nach dem Siege der Reformation kam die Stadt unter die Herrschaft der hohenzollernschen Administratoren von Magdeburg, die in H. ihre Residenz aufschlugen. Während des Dreißigjährigen Krieges fiel H. 1635 an das Haus Sachsen. Durch den Westfälischen Frieden wurde es dagegen dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg zugeteilt; indes kam es erst 1680 tatsächlich in brandenburgischen Besitz. Am 12. Juli 1694 eröffnete Kurfürst Friedrich III. die Universität. Hier siegten 17. Okt. 1806 die Franzosen unter Bernadotte über die Preußen unter Prinz Eugen von Württemberg; im Frieden von Tilsit ward H. dem Königreich Westfalen einverleibt. Im April 1813 von den Preußen unter Kleist besetzt, mußte es trotz des erfolgreichen Gefechts bei Merseburg (29. April) den vordringenden Franzosen überlassen werden. Vor der Leipziger Schlacht erhielt H. eine starke preußische Besatzung und ist seitdem im Besitz Preußens geblieben. Vgl. Dreyhaupt, Ausführliche Beschreibung des Saalkreises (Halle 1755, 2 Bde.), im Auszug von Stiebritz (das. 1771–73, 2 Bde.), fortgesetzt von Eckstein u. d. T. »Chronik der Stadt H.« (das. 1842–44); v. Hagen, Die Stadt H. historisch-topographisch-statistisch dargestellt (das. 1866–67, 2 Bde.; mit 5 Ergänzungsheften 1868–80); Staude, Hüllmann und v. Fritsch, Die Stadt H. im J. 1891. Festschrift zur Naturforscherversammlung (das. 1891); Genzmer und Förtsch, Führer durch H. und seine staatlichen und städtischen Einrichtungen (neue Aufl., das. 1904); Hertzberg, Geschichte der Stadt H. (das. 1889–92, 3 Bde.); Schönermark, Die Stadt H. (»Beschreibende Darstellung der ältern Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen«, neue Folge, 1. Bd., das. 1884–88); Kawerau, Kulturbilder aus dem Zeitalter der Aufklärung, Bd. 2: Aus Halles Literaturleben (das. 1888); Schrader, Geschichte der Friedrichs-Universität zu H. (Berl. 1894, 2 Tle.); König, Geschichte der Studentenschaften auf der Universität H. (Halle 1894); Stein (Nietschmann), Die Stadt H. in Bildern aus ihrer geschichtlichen Vergangenheit (das. 1901); Allendorf, Das Finanzwesen der Stadt H. (Jena 1903).

2) H. in Westfalen, Kreisstadt im preuß. Regbez. Minden, am Teutoburger Wald und an der Staatsbahnlinie Brackwede-Osnabrück, hat eine evang.[657] Kirche, höhere Knabenschule, Amtsgericht, Elektrizitätswerk, Fabrikation von Tabak und Zigarren, Branntweinbrennerei, Bindfaden- und Fleischwarenfabrikation, Gerberei, Lumpensortiererei, Kalkbrennerei und (1900) 1803 meist evang. Einwohner. Der Ort, der zur Grafschaft Ravensberg gehörte und 1614 an die Hohenzollern kam, erhielt erst 1719 Stadtrechte.

3) Stadt in Belgien, s. Hal.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 656-658.
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