Neutralität

[844] Neutralität, der völkerrechtliche Zustand, in welchem sich ein Staat befindet, welcher während eines Krieges keinem der kriegführenden Theile Beistand leistet. Der allgemeine Charakter dieses Verhältnisses beruht in dem Fortbestand aller Rechte des Friedens, gegen beide kriegführende Mächte mit Parteilosigkeit u. ohne Feindseligkeit gegen dieselben. Doch kommen hierbei Abstufungen vor, welchen verschiedene Eintheilungen der N. entsprechen. Man unterscheidet eine vollständige N., wenn der neutrale Staat gegen die kriegführenden Theile in Hinsicht auf die Kriegsverhältnisse ein durchgängig gleiches Benehmen einhält; u. eine unvollständige N., wenn der Staat durch frühere Verträge dem einen od. andern der kriegführenden Mächte zur Leistung einer partialen Kriegshülfe verpflichtet ist, u. der Gegner dabei sich beruhigt, daß der Staat innerhalb dieser Grenzen am Kriege Theil nehme, im Übrigen aber die Grenzen der N. eingehalten werden. Die N. ist ferner eine allgemeine, wenn sie auf alle Theile des Staatsgebietes, auch auf die ganze Offene See, sich erstreckt; od. eine partiale, wenn sie nur auf gewisse Theile od. Personen beschränkt ist, wie dies z.B. 1763 wegen der Österreichischen Niederlande, in neuester Zeit bei der Expedition der österreichischen Fregatte Novara vorkam. Das Recht, bis Stellung einer neutralen Macht (neutre, medius in bello) einzunehmen, versteht sich für jeden selbständigen, nicht am Kriege Theil nehmenden Staat zunächst von selbst, u. die N. bedarf daher an sich, so lange ihre Bedingungen nicht verletzt werden, keiner besonderen Festsetzung (natürliche N., Neutralité naturelle, N. simple). Sie kann aber auch durch besondere Verträge pactirt sein (Neutralité conventionelle), ja es kann die N. in Folge von Verträgen selbst eine nothwendige, auferlegte sein (N. obligatoire), wofür die auf dem Wiener Congreß garantirte immerwährende N. der Schweiz, sowie die 1831 durch die fünf Großmächte anerkannte N. des Königreichs Belgien (vgl. Arendt, Essai sur la N. de la Belgique, Brüssel 1845) Beispiele bieten. Die N. kann endlich sein eine bewaffnete, wenn der neutrale Staat eine bewaffnete Macht mit dem erklärten Vorsatz aufstellt, daß er sich derselben nöthigenfalls zur Vertheidigung seiner Neutralitätsrechte bedienen wolle; od. eine unbewaffnete.

Die Pflichten, unter deren Beobachtung allein ein Staatauf Respectirung seiner N. Anspruch machen kann, bestehen einestheils in der Nichtduldung jeder unmittelbar feindlichen Handlung einer kriegführenden Partei wider die andere innerhalb des neutralen Gebietes; anderntheils in der Unterlassung jeder positiven Begünstigung eines der kriegführenden Theile, wodurch dessen Angriffs- u. Vertheidigungssystem verstärkt wird. Der neutrale Staat darf hiernach keiner der kriegführenden Parteien Mannschaften od. Schiffe zur Disposition stellen, keine Waffenplätze, Schiffsstationen, Anlegung von Magazinen etc. gestatten, keine Subsidien zufließen lassen. Ebenso unstatthaft ist die Gestattung eines Durchmarsches, der Truppensammlung, Werbung, Rüstung od. der Zuflucht auf neutralem Boden; Begünstigungen dieser Art geben dem andern kriegführenden Theil die Berechtigung, gegen den neutralen Staat selbst kriegerische Maßregeln zu ergreifen. Dieselben Grundsätze sind auch im Ganzen für die Unterthanen des neutralen Staates bindend, welche daher Alles zu unterlassen haben,[844] was die unparteiische Stellung ihres Staates gefährden könnte; doch hat dies nicht soweit zu gehen, daß nicht einzelne Personen freiwillig sich in die Reihen der kämpfenden Parteien stellen, od. mit einer derselben Lieferungs- u. Darlehnsgeschäfte abschließen könnten, in so fern dazu nur nicht ein besonderer staatlicher Schutz von Seiten der neutralen Macht in Anspruch genommen wird. Die Rechte der neutralen Staaten bestimmen sich im Allgemeinen nach dem Princip, daß ihnen auch im Kriege diejenigen Rechte ungekränkt erhalten bleiben, welche ihnen im Friedensstande gebühren; doch hat die Rücksicht darauf, daß den kriegführenden Mächten die Befugniß nicht versagt werden kann, über Aufrechterhaltung der Bedingungen jeder N. zu wachen u. daher gegen jede Verletzung der mit der N. verbundenen Pflichten einzuschreiten, zu mehrfachen Modificationen dieses Grundsatzes geführt. Unbestritten gebührt dem neutralen Staate die Unverletzbarkeit seines Gebietes u. die ungestörte Ausübung aller Hoheitsrechte im Innern desselben. Die kriegführenden Parteien haben sich jeder Benutzung des neutralen Gebietes zu Kriegszwecken zu enthalten; wird daher das neutrale Gebiet wirklich zum Schauplatz eines Gefechtes zu Wasser od. zu Lande gemacht, so ist der neutrale Staat berechtigt, den Kampf mit Waffengewalt zu verhindern, bereits errungene Vortheile durch Freigebung der Gefangenen u. der Beute wieder auszugleichen u. vollständige Genugthuung zu fordern. Das neutrale Gebiet gilt wegen dieser Unverletzlichkeit zugleich als ein Asyl, in welches Unterthanen der kriegführenden Mächte sich zu ihrer Sicherung zurückzuziehen befugt sind; selbst der Übertritt einer flüchtigen Kriegsschaar sichert sie vor weiterer Verfolgung u. der neutrale Staat hat nur durch Entwaffnung derselben dafür zu sorgen, daß das aufgenommene Corps sich nicht von Neuem sammele u. etwa das Asyl dadurch zu einem Angriffsplatze mache. Der Verkauf rechtmäßiger Beute im neutralen Gebiet wird in der Regel für erlaubt angesehen; doch ist derselbe durch Neutralitätsconventionen od. auch durch Verordnungen des neutralen Staates, welche derselbe selbst im eigenen Interesse trifft, öfters untersagt. Im feindlichen Gebiete dürfen die kriegführenden Mächte die Unterthanen des neutralen Staates in Absicht auf ihre Person u. beweglichen Güter (namentlich auch Schiffe) nicht feindlich behandeln, sofern sie nicht zugleich als beständige Unterthanen des feindlichen Staates zu betrachten sind od. an dessen Feindseligkeiten Theil nehmen. Unbewegliche Besitzungen der Unterthanen eines neutralen Staates od. des neutralen Staates selbst im feindlichen Gebiete dagegen sind als Bestandtheile desselben der Kriegslast unterworfen.

Die meisten Controversen hat aber von jeher die Behandlung des Handels neutraler Staaten, insbesondere zur See, hervorgerufen. Keine Zweifel herrschen darüber, daß der Verkehr neutraler Mächte unter einander nicht gehindert werden darf. Nur das Recht läßt sich den kriegführenden Parteien nicht bestreiten u. wird im Falle des Krieges fortwährend geübt, daß jedes Schiff der neutralen Macht auf offener See angehalten werden darf, um sich über seine Nationalität u. darüber, daß kein Feind sich in demselben versteckt finde, auszuweisen. Das Anhalten geschieht durch ein Signal (Coup d'assurance, Semonce), die Ausweisung erfolgt, wenn das Schiff unter Convoi, d.i. unter Begleitung eines od. mehrer Kriegsschiffe des neutralen Staates, fährt, durch die auf Ehrenwort abgegebene Versicherung des commandirenden Offizieres, sonst durch Vorzeigung u. Prüfung der Schiffpapiere, der Pässe u. Muster- od. Equipagerolle, nöthigenfalls kann auch eine Durchsuchung des Schiffes erfolgen. Was dagegen den Handel neutraler Staaten mit einem der kriegführenden Mächte betrifft, so tritt a) eine wesentliche Beschränkung durch das Blockaderecht ein, wonach, wenn ein Theil des feindlichen Gebietes (Hafen, Festung etc.) von der andern kriegführenden Partei dergestalt umgeben wird, daß der Verkehr mit demselben entweder gar nicht od. nicht ohne augenscheinliche Gefahr ausgeübt werden kann, der blockirte Ort in Ansehung dritter Staaten so anzusehen ist, als ob er sich in der Gewalt der blockirenden Macht befände. Das Völkerrecht hat hieraus die Befugniß der blockirenden Macht abgeleitet, auch dritte Mächte u. deren Unterthanen von jedem Verkehr mit dem blockirten Orte auszuschließen u. Zuwiderhandlungen mit Wegnahme der Transportmittel, insbesondere der Schiffe, sammt allen darauf Befindlichen zu bestrafen. So unbestritten nun auch dies Recht der kriegführenden Theile an sich ist, so sehr ist doch der Umfang der Ausübung desselben zum wesentlichen Nachtheile der Neutralen von jeher zweifelhaft gewesen. Stets waren die Seemächte bemüht, das Recht der Blockade zu ihren Gunsten möglichst auszudehnen, wodurch zu Zeiten eine Praxis herbeigeführt worden ist, welche offenbar den Grundsätzen des natürlichen Völkerrechts zuwider ist. Man begnügte sich insbesondere nicht damit, die Folgen einer Blockade für die Neutralen beim wirklichen Vollzug der Blockade eintreten zu lassen, sondern man hat sich auch mehrfach dazu für berechtigt gehalten, bei einer blos wörtlichen Erklärung derselben (Blocus sur papier), womit dann höchstens noch die Aufstellung einiger Kreuzer u. eine Notification über den Eintritt der Blockade an die Neutralen verbunden wurde (s.u. Blockade). Der Pariser Congreß vom Jahre 1856 hat indessen dieser übermäßigen Ausdehnung des Blockaderechts durch eine Declaration vom 16. April insofern ein Ende gemacht, als von den dabei contrahirenden Mächten (Österreich, Frankreich, Großbritannien, Rußland, Preußen, Sardinien u. Türkei), denen sich auch die meisten andern europäischen Regierungen später angeschlossen haben, erklärt worden ist, daß die Blockaden, um für die Neutralen rechtsverbindlich zu sein, wirksam seien, d.h. durch eine Streitmacht aufrecht erhalten werden müssen, welche hinreicht, um den Zugang zur Küste des Feindes wirklich zu verhindern. Ebenso zweifelhaft ist immer die Frage geblieben, unter welchen Bedingungen der Blockadezustand als verletzt anzusehen sei. Jedenfalls ist dabei anzunehmen, daß der neutrale Theil schon in der Ausführung des Versuches, die Blockade zu brechen, begriffen sein muß, um die Confiscation zu rechtfertigen; vielfach hat dies die Praxis, u. namentlich die britische, so ausgedehnt, daß man es schon für eine Verletzung des. Blockaderechts erklärt hat, wenn ein neutrales Schiff nur auf dem Wege nach einem blockirten Ort betroffen wurde. b) Für verboten hat ferner der Handel der Neutralen mit Kriegscontrebande (s.d.) zu gelten. Es betrifft jedoch dies Verbot nur die Zufuhr der Kriegscontrebande durch den neutralen Staat od. dessen Unterthanen an eine kriegführende Macht, nicht auch den Verkauf[845] derselben an die feindliche Macht, wenn diese im neutralen Gebiet den Einkauf u. die Ausfuhr selbst vornimmt. Als Kriegscontrebande haben aber der Regel nach nur diejenigen Gegenstände zu gelten, welche unmittelbare Kriegsbedürfnisse sind, daher Waffen, Kriegsmunition etc. Vielfach haben jedoch besondere Verträge den Begriff der Contrebande noch weiter ausgedehnt u. namentlich auch Pferde, Lebensmittel aller Art, baare Geldsendungen, Materialien, die erst zu Kriegsinstrumenten verarbeitet werden müssen, wie Schiffsbauholz, Eisen, Kupfer etc. unter diesen Begriff gestellt. In neuester Zeit ist auch mehrfach die Behauptung aufgestellt worden, daß auch Steinkohlen unter den Begriff der Kriegscontrebande zu stellen seien. Die Folge der Betretung mit Contrebande ist, wie bei einem Blockadebruch, Wegnahme der verbotenen Gegenstände u. Confiscation derselben im Wege der Prisenjustiz. Die Transportmittel, namentlich die Schiffe, werden jedoch regelmäßig nur dann als verfallen betrachtet, wenn der Schiffsherr od. Rheder darum wußte. Der Contrebande wird übrigens als sogen. Contrebande par accident auch die freiwillige, nicht durch Kauf veranlaßte Zuführung von Kriegs- u. Transportschiffen, sowie die freiwillige Zuführung von Mannschaft od. die freiwillige Überbringung von Depeschen an eine kriegführende Partei gleichgeachtet. In Betreff solcher Artikel, welche nicht unter den strengen Begriff der Contrebande fallen, dennoch aber zur Unterstützung des Feindes dienen können, wird zuweilen wenigstens ein Verkaufsrecht (Droit de préemtion) geltend gemacht, indem dieselben zwar auch weggenommen, aber vergütet werden. c) Schon schwankend sind die Grundsätze darüber, welche Behandlung einzuhalten ist, wenn feindliches Gut mit Schiffen, welche Unterthanen neutraler Staaten angehören, versendet wird, sowie umgekehrt über die Behandlung neutralen Gutes, welches mit feindlichen Transportmitteln versendet wird. Seit dem Mittelalter haben sich darüber zwei Systeme neben einander gestellt, welche erst in neuester Zeit zu einer gewissen Ausgleichung gelangt sind. Nach dem einen stellte man die Maxime auf, daß feindliches Gut, wenn es die Gegenpartei entdeckte, auch auf neutralen Schiffen weggenommen u. confiscirt werden dürfe (frei Schiff, unfrei Gut), daß dagegen die neutrale Ladung, feindlicher Schiffe dem neutralen Eigenthümer verbleibe, falls sie nur keine Contrebande ist (unfrei Schiff, frei Gut). Das andere System geht umgekehrt dahin, daß die neutrale Flagge die ganze Ladung, mithin auch die feindliche, gegen die andere kriegführende Partei schützt, nach dem Rechtssprüchwort: frei Schiff, frei Gut od. die neutrale Flagge deckt die Waare (Le pavillon neutre couvre la cargaison), während man in Betreff der neutralen Güter auf feindlichen Schiffen den Grundsatz gelten läßt, daß jene zugleich mit den letzteren verfallen (unfrei Schiff, unfrei Gut, Le navire confisque la cargaison, La robe de l'ennemi confisque celle d'ami), od. auch in dieser Beziehung es bei dem entgegengesetzten Princip (unfrei Schiff, frei Gut) bewenden läßt. Das erste dieser Systeme findet sich bereits in dem Consolato del mare (s.u. Seerecht) in der Mitte des 13. Jahrh. aufgestellt u. herrschte bis in die Hälfte des 17. Jahrh. fast in allen Verträgen u. Seegerichten, sowie es auch von den bedeutendsten Lehrern des Völkerrechts bis um diese Zeit constant vertheidigt wurde. Seit dieser Zeit wurde indessen von einigen Staaten auch das zweite System angenommen, u. es entstand dadurch eine sehr verschiedenartige Praxis. Während die Engländer an dem alten Satze des Consolato del mare festhielten, wurde in Frankreich nicht allein der Satz aufgestellt, daß das feindliche Schiff mit allen darauf befindlichen, selbst neutralen Gütern zu confisciren sei, sondern man erklärte sogar auch jedes neutrale Schiff für verfallen, wenn es feindliche Güter geladen hatte. Hierdurch wurde der neutrale Handel während der wiederholten Seekriege im 17. u. 18. Jahrh. auf das Empfindlichste getroffen. Einen Schutz dagegen suchte man Anfangs in der Abschließung einzelner Verträge, in denen vorzüglich Frankreich den combinirten Grundsatz: frei Schiff, frei Gut u. unfrei Schiff, unfrei Gut, als eine regelmäßige vertragsmäßige Stipulation zur Geltung zu bringen trachtete, wogegen Großbritannien nur in sehr seltenen Fällen zu bewegen war, einzelnen Stationen die Freiheit der neutralen Flagge nach dem Grundsatze: frei Schiff, frei Gut, zuzugestehen. Eine etwas sicherere, allgemeinere Grundlage für bis ganzen Verhältnisse des neutralen Seehandels wurde erst wieder durch die bewaffnete N. geschaffen, welche aus Anlaß der Bedrückungen, denen der neutrale Handel im Englisch-nordamerikanischen Kriege ausgesetzt war, im Jahre 1780 auf Betrieb der Kaiserin Katharina von Rußland zu Stande kam; Rußland stellte hiernach folgende Grundsätze auf: den neutralen Schiffen gebührt freie Schifffahrt von Hafen zu Hafen u. an den Küsten der kriegführenden Staaten; feindliches Eigenthum am Bord neutraler Schiffe muß frei sein, mit Ausnahme der Kriegscontrebande; für Contrebande sind nur diejenigen Dinge zu achten, welche in vorhandenen Verträgen für solche erklärt worden sind; nur eine effective Blockade soll verbindlich sein; für die Entscheidung der Prisengerichte sollen diese Grundsätze maßgebend sein. Der russischen Erklärung traten Dänemark, Schweden, Holland, Österreich, Portugal, Neapel u. Preußen bei, u. auch Frankreich sprach sich für Annahme dieser Grundsätze günstig aus. Dagegen wollte Großbritannien dem Rechte der Confiscation feindlicher Güter am Bord neutraler Schiffe in keiner Weise entsagen, obschon die Vereinigung der neutralen Mächte mindestens die Wirkung hatte, daß die britische Praxis eine mildere wurde. Dieselben Grundsätze mit mehren erläuternden Zusätzen wurden wiederholt aufgestellt, als im Jahre 1800 die Nordischen Mächte wegen der anhaltenden Kriegsverhältnisse zwischen Großbritannien u. Frankreich zu einer zweiten bewaffneten N. schritten. Doch war die Wirksamkeit dieser Grundsätze nur eine kurze, da Großbritannien in dem 1803 erneuerten Kampfe mit Frankreich fortwährend, u. bei seiner dominirenden Seemacht nicht ohne Erfolg, bemüht war, dem Grundsatz, daß die neutrale Flagge die feindliche Waare nicht decke, Geltung zu verschaffen. Das durch Napoleon diesem entgegengesetzte Continentalsystem (s.u. Continent) hatte nur die Wtrkung, daß der Seehandel fast ganz vernichtet wurde, weshalb die Rechte der Neutralen noch weniger in Betracht kamen. Auch auf dem Wiener Congreß blieb die Gelegenheit, gemeinsame völkerrechtliche Grundsätze über den Seehandel der Neutralen in[846] Kriegszeiten festzusetzen, unbenutzt. Dagegen sind über diesen Punkt, als im Jahre 1854 der Ausbruch des Krieges zwischen Rußland u. den Westmächten den mehrerlei Fragen darüber von Neuem eine praktische Wichtigkeit beilegte, mehre wichtige Declarationen ergangen, welche in Aussicht stellen, daß für die Zukunft die früheren Härten eines Seekrieges für den Handel der Neutralen zum großen Theil beseitigt bleiben werden. Schon bei Ausbruch des Krieges vereinigten sich Frankreich u. Großbritannien zu einer gemeinsamen Declaration, worin beide Mächte, von dem Wunsche geleitet, den Krieg für diejenigen Mächte, mit denen sie in Frieden blieben, so wenig als möglich lästig zu machen u. den neutralen Handel vor aller unnöthiger Störung zu bewahren, neben dem Verzicht auf die Ausgabe von Caperbriefen (s.u. Caper), erklärten, daß neutrales Eigenthum in feindlichen Schiffen u. feindliches Eigenthum in neutralen Schiffen, Kriegscontrebande ausgenommen, der Confiscation nicht unterliegen solle. Es gab daher somit sowohl einerseits England das bisher beanspruchte Recht, feindliches Eigenthum in neutralen Schiffen zu confisciren, als auch andererseits Frankreich den bisherigen Anspruch, das in feindlichen Schiffen vorgefundene neutrale Eigenthum zu condemniren, auf. In gleicher Weise schloß Rußland mit den Vereinigten Staaten am 22. Juli 1854 einen Vertrag, nach welchem (abgesehen von dem Rechte auf Ausgabe von Caperbriefen) in gleicher Weise die Grundsätze: frei Schiff, frei Gut, u.: unfrei Schiff, frei Gut, ausdrücklich als für alle Zeiten geltend festgestellt wurden. Die nämlichen Grundsätze machte sich aber auch nach dem Schlusse des Krieges der Pariser Congreß durch eine Declaration vom 16. April 1856 zu eigen, u. es haben dieselben, nachdem der Declaration in diesen Punkten außer den am Congresse betheiligten Mächten auch alle andern europäischen Mächte, sowie die Vereinigten Staaten beigetreten sind, gegenwärtig als die Grundlage für den Handelsverkehr neutraler Staaten zur See zu gelten. Vgl. Schmidlin, De juribus et obligationibus gentium mediarum in bello, Stuttg. 1780; Galiani, Dei doveri dei principi guerregianti verso i neutrali, Neapel 1782 (deutsch von Cäsar, Lpz. 1790); Samhaber, Abhandlungen über einige Rechte u. Verbindlichkeiten neutraler Nationen in Kriegszeiten, Würzb. 1791; Busch, Über das Bestreben der Völker einander in ihrem Seehandel recht wehe zu thun, Hamb. 1800; Schlegel, Sur la visite des bâtimens neutres, Kopenh. 1800; (Biedermann), Manuel diplomatique sur le dernier état de la controverse concernant les droits des neutres, Lpz. 1814. Vgl. noch die Artikel Blockade, Caper, Contrebande, Seehandel u. Seerecht.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 844-847.
Lizenz:
Faksimiles:
844 | 845 | 846 | 847
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Wolken. (Nephelai)

Die Wolken. (Nephelai)

Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon