Zeus [1]

[595] Zeus (bedeutet ursprünglich den Gott schlechthin), der oberste der olympischen Götter, Vater der Götter u. Menschen u. seinem Wesen nach sowohl der segnende als der schreckliche Himmelsgott; er war der Sohn des Kronos u. der Rhea (daher seine Beinamen Kronion, Kronides) u. Gemahl seiner Schwester Here. Nachdem er seinen Vater Kronos u. mit Hülfe seiner Brüder Poseidon u. Hades (Pluto) die Titanen gestürzt hatte, behielt er die Herrschaft über den Himmel (s. Griechische Mythologie III.) u. wurde der König der Götter. Er thront auf dem schneebedeckten, die Wollen überragenden Berge Olympos in Thessalien, welchen die spätere Mythe bis zum Himmel erweiterte. Von da blitzt u. donnert er, indem er die Ägis (d.i. die sich entladende Wetterwolke) schüttelt (daher Z. Aigiochos), sammelt die Wolken, sendet Sturm u. Regen (daher seine Beinamen Hypsibremetes, Erigdupos, Terpikeraunos, Nephelegeretes, Hyetios), aber auch heiteres Wetter, überhaupt ist er es, von welchem die Ordnung in der Natur, der Wechsel der Jahreszeiten etc. ausgeht. Z. wurde in Griechenland allgemein als höchster Nationalgott angesehen u. verehrt, bes. glänzend war sein Hauptfest in Olympia (daher Z. Olympios), wo ihm zu Ehren im zweiten Monat jedes fünften Jahres die Olympischen Spiele gefeiert wurden. Eine uralte Stätte seines Cultus war Dodona (woher er Z. Dodonaios hieß), dort sollte er in seiner Jugend von der Ziege od. Nymphe Amalthea ernährt worden sein, wurde als der regnende u. dadurch Fruchtbarkeit spendende Gott mit seiner Gemahlin Dione verehrt u. verkündigte in dem dortigen berühmten Orakel seinen Willen. Er wurde fast überall auf den höchsten Bergen verehrt (daher Z. Hypatos, Hypsistos, Aitherios), welche als uralte Stätten dieses Dienstes zugleich die ältesten Mittelpunkte der Sagenbildung über ihn wurden, z.B. der Berg bei Dodona, der Berg auf der Insel Ägina, der Berg Apesas bei Nemea, der Kyllene in Arkadien, wo er mit der Wolkengöttin Maja den Regengott Hermes zeugte, der Ithome in Messene (daher Z. Ithomatas), der Taygetos in Lakonika, wo Leda von ihm die Dioskuren u. die Helena geboren hatte, der Lykäische Berg an der arkadisch-messenischen Grenze (daher Z. Lykaios), wo Lykaon, Sohn des Pelasgos, den Cultus des Z. eingeführt haben sollte, das Atabyrische Gebirge auf Rhodos, der Tmolos in Lydien, der Ida in Troas (daher Z. Idaios), wo er von der Adrasteia (d.i. Rhea) geboren worden sein sollte. In Attika wurde Z. als der freundliche u. zürnende Himmelsgott verehrt, Kekrops hatte ihm dort auf der Burg von Athen (daher Z. Poliens) den ersten Altar errichtet, u. es wurden ihm die Feste der Diasien im Frühjahre, der Buphonien od. Dipolien im Sommer u. der Mämakterien im Winter gefeiert. Der kretische u. kleinasiatische Zeusdienst wurde von der asiatischen Religion der Rhea Kybele u. von phönicischen Vorstellungen beeinflußt. Auf Kreta soll Z. geboren u. von seiner Mutter in der Idäischen Höhle verborgen, von den Nymphen mit Milch u. Honig ernährt, von den Kureten geschützt worden sein. Doch waren später auch hierher die Erzählungen von der Ziege Amalthea u. von den Ambrosia bringenden Tauben gewandert u. wurden als hier einheimisch erzählt. Weiter erzählte die kretische Sage von dem Kampfe des Z. mit Kronos, seiner Herrschaft über Kreta u. die umliegenden Inseln, in welcher ihn seine Söhne Minos u. Rhadamanthys vertraten, welche nebst dem Sarpedon er als Z. Asterios (d.h. der Herr des gestirnten Himmels u. der Sonne), dessen Symbol der schimmernd weiße Stier war, dort mit der Europa (d.i. der Mond) gezeugt hatte, endlich von seinem Tode u. Grabe, welches letztere man zeigte. Den Sagen von den zahlreichen ehelichen u. erotischen Verbindungen des Z. liegt allen die Vorstellung von dem befruchtenden Naß des Himmels zu Grunde, ihre große Anzahl erklärt sich durch die Entstehung des griechischen Göttersystems aus verschiedenen Religionskreisen, durch die große Anzahl der landschaftlichen Sagen u. der edlen Geschlechter, welche ihre Abstammung auf Z. zurückführen wollten. Indem aber bei diesen Fabeln mit der Zeit nur die erotische Seite hervorgehoben wurde, erschienen sie entweder anstößig od. wurden in das Bereich der Komik herabgezogen. Unter den Göttern zeugte er mit Here den Ares, Hephästos u. die Hebe, mit Leto den Apollon u. die Artemis, mit Maja den Hermes, mit Demeter die Persephone, mit Dione die Aphrodite, mit Semele den Dionysos, mit Themis die Horen u. Mören, mit Eurynome die Chariten, mit Mnemosyne die Musen; Athene ging aus seinem Haupte hervor, nachdem er seine Gemahlin Metis verschlungen hatte. Unter den Heroen werden als seine Kinder genannt: Herakles von Alkmene, Persens von Danae, die Dioskuren (Kastor u. Polydeukes) u. Helena von Leda, Minos, Rhadamanthys u. Sarpedon von Europa. Aber in dem häuslichen u. öffentlichen Zeusdienste wurden weit mehr die religiösen u. sittlichen Momente hervorgehoben u. gaben die mannigfaltigsten Motive zur Frömmigkeit u. Gerechtigkeit. Wie er die ungeheuerlichen Titanen u. Giganten niedergeworfen hatte, um eine bessere Ordnung herzustellen, so galt er als Vorbild der von den Griechen so sehr gepflegten körperlichen Rüstigkeit u. Streitbarkeit, hatte die Kampfspiele eingesetzt, stand denselben selbst vor u. verlieh den[595] Sieg. Ferner wurde alle Gabe der Weissagung auf Z. zurückgeführt, denn er weiß nicht nur Alles, was in der Gegenwart geschieht, sondern auch alles Zukünftige, u. als Weltherrscher lenkt u. verkündigt er die Gesetze der Welt, welche in Themis, seiner Gemahlin, personificirt sind. Er gibt seinen Willen kund durch Blitz u. Donner u. andere Lusterscheinungen, durch den Adler, durch Träume, durch verschiedene Anzeichen (daher Z. Panomphaios). Berühmte Orakel des Z. waren zu Dodona, das Ammonium in Libyen (daher Z. Ammon, s.u. Amun), zu Olympia. Eine wichtige Seite des Zeuscultus beruhte auch in der Vorstellung von den Reinigungen u. Sühnungen, welche durch diesen Gott bewirkt wurden (daher Z. Katharsios), sowohl im Naturleben dadurch, daß er den Schiffern günstige Fahrwinde, den Thalbewohnern erfrischenden Thau u. kühlende Winde sendet, als auch ganz bes. im menschlichen Leben, wo er als der Gott des Lichtes u. der ätherischen Klarheit (daher Z. Lykaios, Aitherios) die Finsterniß haßt u. als höchster Weltordner u. Gesetzgeber die durch Verbrechen u. Leidenschaften gestörte Ordnung wieder herzustellen bemüht ist. Wie von ihm die zum Verbrechen führende Sinnesverwirrung kommt, so wird er auch dargestellt als Abwender des Bösen (Z. Alexikakos, Apotropaios), als Rächer der Blutschuld (Z. Aliterios, Alastor, Palamnaios), als Zuflucht des bußfertigen Verbrechers (Z. Prostropaios, Hikesios, Phyxios). Als solcher kommt er auch in den Sagen von Ixion, von Athamas u. den Athamantiden, den Danaiden u.a. vor. Überhaupt tritt Z. als Vater der Götter u. Menschen in Verbindung mit allen möglichen Seiten des Familien-, des socialen u. des Staatslebens. Am Altare des Z. waltet in den Häusern u. Königsburgen der Hausherr als Priester des Hauses. Freundlich u. mild erscheint der Gott als das patriarchalische Oberhaupt der Familien u. Stämme, als Richter, als Patron der Familie (Z. Herkeios, Ephestios), als Schützer des Familienrechtes, als Schirmer des ehelichen Lebens (Z. Zygios, Gamelios), als Geber des häuslichen Reichthums (Z. Plusios, Ktesios), als Vorsteher der Geschlechter (Z. Genethilos), Phratrien (Z. Phratrios) u. Stämme (z.B. Z. Hellanios u. Panhellenios), als Freund des heiteren Wohllebens u. der Geselligkeit (Z. Philios, Hetairios, Charmon), als König, welcher seine königliche Würde u. Macht den menschlichen Herrschern mittheilt, weshalb er als Vater od. Beschützer der sagenzeitlichen Könige Minos, Äakos, Tantalos u.a. gedacht, in der historischen Zeit z.B. von den beiden Königen in Sparta als seinen Priestern mit Opfern verehrt u. selbst bei der spätern Volksherrschaft noch als höchster Schirmherr der Burgen (Z. Polieus) u. der Raths- u. Volksversammlungen (Z. Bulaios, Agoraios) angesehen wurde. Deshalb sind ihm auch Eid u. Treue (daher Z. Horkios, Pistios), die Unverletzlichkeit der Grenzen u. des Eigenthums, das Recht der Gastfreunde (Z. Xenios) u. der Schutzflehenden geheiligt. Überhaupt behütet Z. überall das Leben der Menschen, sendet Gutes u. Böses aus den beiden Gefäßen, welche in seinem Hause stehen, nach seinem Willen, führt aber Alles aufs Beste hinaus (Z. Teleios) u. ist Retter in Allem (Z. Soter), so daß man sich in jeder Noth an ihn wenden kann. Auch stammt im Allgemeinen alles Vollkommene, Gute, Edle u. in seiner Art Vorzügliche von ihm her. Heilig waren ihm der Adler, welcher in den Äther bis zu den Quellen des Lichts sich emporschwingt u. von dort wie ein Blitz auf seine Beute niederfährt, die Eiche, die Bergeshöhen. Seine Attribute waren Blitz, Adler, Scepter, Ägis, Eichenlaub, Opferschale, die Siegesgöttin Nike. Unter den Zeusbildern ist das berühmteste die von Phidias für den Tempel zu Olympia gearbeitete sitzende Statue des Z., s.u. Olympia. Es gab auch stehende Zeusbilder (darunter die berühmte colossale, 40 Ellen hohe Statue in Tarent von Lysippos), od. Statuen, welche den Gott als Kind, als Knabe, als Jüngling darstellten, eine große Anzahl Bildwerke, welche einzelne Acte aus seiner Geschichte hervorhoben od. ihn mit andern Göttern zusammenstellten, mit Here, Athene, Herakles, den Mören, Chariten, Horen, Musen, in der Götterversammlung od. in Götterzügen.

Der römische Jupiter stimmt mit dem griechischen Z. in seinem Wesen überein. Er war der höchste u. beste der Götter (Jupiter Optimus Maximus), vor allem der oberste Gott u. Beschützer des Römischen Staates, in Rom auf dem Capitol sein größtes Heiligthum (daher J. Capitolinus), wo ihm die Jünglinge, wenn sie Bürger wurden, die Consuln bei Übernahme ihres Amtes, die Feldherrn beim Ausziehen in den Krieg u. bei der ehrenvollen Heimkehr opferten, u. zwar letztere ihm als J. Feretrius die Spolia opima, welche sie dem feindlichen Heerführer abgenommen hatten. In Rom wurden ihm zu Ehren die Capitolinischen Spiele gefeiert u. auf dem Albanerberge die Feriae Latinae, weil er Beschützer des Latinerbundes war (J. Latiaris). In diesem altitalischen Culte scheint er ohne Gemahlin gedacht gewesen zu sein, erst durch den Einfluß der griechischen Mythologie wurden ihm Juno als Gemahlin u. Minerva als Tochter zugetheilt. Wie bei den Griechen war er auch bei den Römern Beherrscher des Himmels, von dem alle himmlischen Erscheinungen herkommen (daher J. Fulminator, Tonitrualis, Pluvius, Serenator u.a.), ebenso waltet er über den Verlauf des Jahres, weshalb ihm die Iden jedes Monats heilig waren, er wahrt den Fortgang u. das Gedeihen jedes rechtmäßigen Unternehmens, bes. auch der landwirthschaftlichen Arbeiten, weshalb ihm die Landleute bei der Aussaat, der Ernte, der Weinlese Feste feierten, er lenkt die menschlichen Schicksale u. schützt die Ehe, den Eid, das Gast- u. Völkerrecht.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 595-596.
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