Deutscher König

[882] Deutscher König u. Kaiser. Das deutsche od. ursprünglich ostfränkische Königthum hat seinen Ursprung in dem Vertrage von Verdun (843), welcher Ludwig den Deutschen in Besitz des östlichen Theiles der Monarchie Karls des Großen setzte (s. Deutschland [Gesch.] II. u. III.). Ihr Thronrecht empfingen die ostfränkischen Königetheils durch Abstammung, theils durch die Wahl der Reichsfürsten, doch so, daß das dynastische Princip Anfangsein entschiedenes Übergewicht über das Princip der Fürstenwahl behauptete. Nach dem Erlöschen des Karolingischen Stammes auf deutschem Throne mit Ludwig dem Kinde, 911, hielten Sachsen u. Franken an der Reichseinheit fest, während Lothringen in den Karolingern auf westfränkischem Throne seine legitimen Oberherren anerkannte. Nach Konrads I. Tode,[882] 919, blieb die Königskroneim Sächsischen Hause, welches derselben nach Innen u. Außen neue Macht u. neues Ansehen verlieh, erblich, u. auch später nahmen die Reichsfürsten bei fast allen Kaiserwahlen vorzugsweise auf die erbliche Nachfolge Rücksicht. Otto I. verband mit dem deutschen Königthum zuerst wieder 964 das römische Kaiserthum; letzteres bildete einen mehr formalen u. äußerlichen, als inneren Gegensatz zu ersterem. Man dachte das Kaiserthum als ein einziges untheilbares, dessen Wesen ein vornehmlich christlich-religiöses war, in so fern der Kaiser als der Schutz u. Schirm des Christenthums, als der Verbreiter des Christlichen Glaubens unter den das Reich bedrohenden Heiden, in gewissem Sinne also als das weltliche Oberhaupt der Christenheit angesehen wurde. Der D. K. konnte als solcher keine Vorrechte vor den übrigen ausländischen Königen in Anspruch nehmen, aber als römischer Kaiser deutscher Nation umgab ihn ein Nimbus, der auch selbst bis in die späteste Zeit, wo schon das Königthum zu einem Schatten der ehemaligen Größe herabgesunken war, durch äußere Zeichen der Ehrerbietung von gleichmächtigen Monarchen respectirt wurde. Die Kaiserkrone verlieh der Papst, das sichtbare Oberhaupt der Kirche, die Königskrone empfing der König aus den Händen der Reichsfürsten. Erst seit Otto III. wurde die Bezeichnung D. K. gebräuchlich. Die Grenzen der Macht, welche mit dem deutschen Königthume verknüpft waren, sind zu keiner Zeit, so lange die Reichseinheit in der That u. nicht blos auf dem Papiere bestand, genau u. scharf bestimmt worden. Der häufige Dynastienwechsel hinderte eine klare u. entschiedene Ausprägung der königlichen Autoritätsrechte, deren allgemeine Grundzüge je nach der individuellen Auffassung jedes einzelnen Königs, nach seiner Macht u. seinen Fähigkeiten, bald zu Gunsten der königlichen Herrschaft ausgedehnt, bald zu Gunsten der reichsfürstlichen Macht beengt wurden. Der König sollte ein Schirmherr der Kirche sein, für Frieden u. Gerechtigkeit Sorge tragen, seine Unterthanen u. namentlich die Wittwen u. Waisen in ihren Rechten schützen u. ihnen Hülfe gewähren. Als oberster Kriegsherr stand es ihm zu, das Aufgebot zur Heeresfolge zu erlassen, über Krieg u. Frieden zu entscheiden u. das Reich gegen Außen mit seiner Person zu vertreten; bei dem König war die oberste Gerichtsgewalt, u. bis zur Mitte des 13. Jahrh. galt der Satz, es könne kein Richter unter Königsbann richten, er habe denn den Bann zuvor aus des Königs Hand empfangen. Das Hofgericht war die höchste Instanz für Alle, welche Recht suchten, ja es konnte mit Übergehung der landesherrlichen Gerichte direct um das Urtheil angegangen werden. Als Schützer der Kirche stand es dem Könige zu, für Ordnung u. Gebühr im Kirchenregiment zu sorgen, auch die geistlichen Würden u. Ämter zu besetzen. Die Einkünfte des Königs flossen theils aus Domänen (s.d.), theils aus den Erträgnissen der Gerichtsbarkeit, den Tributen unterworfener Völker u. den nicht unbedeutenden von Alters her üblichen Ehrengeschenken. Mit solchen Rechten u. Befugnissen ausgerüstet, stand das Königthum anfänglich mit der großen Masse der Unterthanen in einer nahen Beziehung, welche zur Zeit der Karolinger durch umherreisende königliche Sendboten, später dadurch gepflegt wurden, daß die Könige selbst die verschiedenen Landestheile besuchten u. so das Interesse des Volkes für die Person des Herrschers wach erhielten. Allmälig aber drängten sich zwischen den König u. das Volk geistliche u. weltliche Herren, welche die öffentliche Gewalt über einzelne Landesstrecken an sich zu bringen wußten; auch die königlichen Beamten, vorzugsweise die Grafen, verwandelten nach u. nach die ihnen vom Könige verliehene Amtsgewalt in ein Recht, welches in den Familien erblich wurde. Die Herzogthümer des Reiches verloren mehr u. mehr den Charakter von Lehen, u. je fester ein herzoglicher Stamm durch ununterbrochene Erbfolge wurzelte, um so energischer suchten die Nachkommen ihr historisches Recht gegenüber der Lehnshoheit geltend zu machen. Der häufige Wechsel der Dynastie auf dem Königsthrone, mehr aber noch das Festhalten der Könige an der römischen Kaiserwürde u. der damit zusammenhängende Streit der Kaiser mit den Päpsten, war der Machtentwickelung der einzelnen Fürsten u. Herren in hohem Grade förderlich. Seit Heinrich IV. wurde die Aufmerksamkeit der deutschen Könige mehr u. mehr von den Angelegenheiten des Reiches abgelenkt; um die Mittel zu den Römerzügen (s.d.), durch welche sie vom Papst die Würde als römische Kaiser erhielten (während sie bis dahin nur römische Könige hießen), zu gewinnen, sahen sich die Könige zu immer größeren Concessionen an die mächtigen Reichsfürsten genöthigt. Zwar gewannen im Laufe der Zeit auf die Gestaltung der politischen Zustände Deutschlands neue Elemente Wichtigkeit u. Bedeutung, deren Wesen vornehmlich dazu angethan war, die. Würde u. das Ansehen des Königthums wieder aufzurichten; der Bürgerstand errang durch die Städtebündnisse eine feste Stellung gegenüber den Fürsten u. Herren, u. der niedere Adel suchte zu gleicher Zeit durch Verbindungen unter sich od. mit den Städten einen Halt zu gewinnen, um seine Unabhängigkeit zu behaupten; in den Städten u. in dem größten Theile der Ritterschaft lebte noch ein starkes Nationalgefühl, beide hatten mit dem Könige einen gemeinsamen Kampf gegen die Reichsfürsten zu bestehen, waren also die natürlichen Verbündeten des Königsthums; auch der Bauernstand war fast durchgehends königlich gesinnt, u. die Reichsunmittelbarkeit, in deren Besitz sich manche Städte, einzelne Ritter u. Landgemeinden befanden, galt als ein schätzenswerthes Vorrecht. Aber das Königthum war schon zu sehr geschwächt, um an diesen Elementen eine ausreichende Stütze finden zu können. Nachdem es glücklich die Macht der Herzogthümer mit Hülfe der anderen Reichsfürsten gebrochen hatte, waren ihm diese selbst über den Kopf gewachsen; um ihre Sonderpolitik verfolgen zu können, wählten die Kurfürsten meist kleinere Herren, die an ihren Stammgütern keinen Rückhalt hatten, zu Königen Diese hingegen suchten das Königthum zu benutzen, um ihre Hausmacht zu erweitern, da sie wohl erkennen mußten, daß ohne territoriale Grundlage die Königskrone ein fast bedeutungsloses Zeichen war. Solche Politik trieb das Haus Habsburg mit glücklichem Erfolge, freilich auf Kosten des deutschen Königthums, welches, in immer größere Abhängigkeit von den Reichstagen gerathen, diesen factisch die Regierung des Reichs überlassen mußte. Formell geschah dies erst 1495, wo das Reich nach dem bundesstaatlichen Princip reorganisirt u. ein von dem Könige u. den Reichsständen gemeinsam zu besetzendes [883] Reichskammergericht eingesetzt wurde; 1500 folgte die Eintheilung des Reichs in 6 Kreise u. vom Beginn des 16. Jahrh. bis zur Auflösung des Deutschen Reichs bestanden im Wesentlichen dieselben Verfassungsformen, welche dem deutschen Königthum, namentlich seit der religiösen Spaltung des Reichs, jede Entwickelung zu selbständiger Macht abschnitten; 1452 war die letzte Kaiserkrönung in Rom (Friedrich III.); seit 1507 nannten sich die deutschen Könige erwählte römische Kaiser (ohne sich in Rom krönen zu lassen), u. 1806 legte Franz II. die deutsche Königskrone nieder.

Früher, nach Aussterben der Karolinger, waren die deutschen Könige durch sämmtliche deutsche Fürsten gewählt worden; in der Mitte des 13. Jahrh. wurden die größeren Fürsten u. alle Herzöge von Sachsen, Baiern (Pfalz), Brandenburg, sowie die Erzbischöfe von Mainz, Trier u. Köln zu Kurfürsten creirt, um die Kaiser zu wählen. Dennoch nahmen auch andere Fürsten an der Wahl Theil, bis Heinrich VII. 1308 allein von Kurfürsten gewählt wurde, Über die Eigenschaft eines Deutschen Kaisers war nur sehr wenig fest bestimmt; die Goldene Bulle sagt nur, daß er gerecht, fromm u. nützlich sein solle, dennoch schloß man aus der Analogie anderer Gesetze u. aus dem Herkommen, daß nur ein Mann Kaiser sein könne, der ehelicher Geburt sei, ein Deutscher, von hohem Adel (wenigstens Graf) u. mindestens 18 Jahr alt sein müsse, kein Geistlicher u. kein Ungläubiger sein dürfe. Doch waren diese Bedingungen fast sämmtlich bestritten, u. es gab von allen, die letztere ausgenommen, in der deutschen Geschichte Ausnahmen. Zur Kaiserwahl wurden seit der Goldenen Bulle (1356) alle Kurfürsten durch den Kurfürsten von Mainz, als Reichserzkanzler, in einer Reichsstadt (zuletzt meist Frankfurt) zusammen berufen; war das Kurfürstenthum Mainz vacant, od. zögerte der Kurfürst von Mainz zu lange mit der Einberufung, so hatten Köln u. Trier das Recht, die Kurfürsten zu berufen, od. die Kurfürsten kamen ohne Berufung zusammen. Den Wahlort mußten sämmtliche Fremde für die Zeit der Wahl meiden; die Bürgerschaft trat am Wahltage ins Gewehr, die Kurfürsten zogen in purpurnen Hermelinmänteln mit ähnlichen Mützen zu Pferd in die Kirche u. jeder weltliche Kurfürst ließ ein Schwert in rothsammetner, jeder geistliche eins dergleichen in silberner Scheide vor sich hertragen. War der Kurfürst durch einen Gesandten repräsentirt, so fiel diese Festtracht u. das Vortragen des Schwertes weg. In der Kirche schworen die Kurfürsten, nur nach bester Überzeugung zu wählen, u. begannen die Wahl, die meist in wenigen Stunden vollendet war. Jedoch bestimmte die Goldene Bulle, daß die Kurfürsten, wenn sie binnen 30 Tagen nicht einig werden könnten, mit Wasser u. Brod gespeist werden sollten. Nach vollendeter Wahl wurde dem neuen Kaiser die Wahlcapitulation (worin theils die Rechte des Kaisers festgestellt, theils den Reichsständen die Bewahrung ihrer Rechte zugesichert, auch Rechte u. Freiheiten der Unterthanen garantirt wurden) zur Unterschrift vorgelegt, u. nachdem er sie unterschrieben, derselbe dem Volke auf einem eigen dazu erbauten Gerüst vorgestellt. Rach einigen Monaten erfolgte die Kaiserkrönung (s. u. Krönung). Ansehen u. Einkünfte (s. oben) waren zuletzt sehr beschränkt. Der Kaiser hatte in der letzten Zeit die sogenannte Urbarsteuer von einigen Reichsstädten, im Ganzen 10,784 Fl. 32 Xr., den jährlichen Opferpfennig der frankfurter (3000 Fl.) u. wormser Juden (100 Fl.) regelmäßig einzunehmen; außerdem erhielt er bei seiner Krönung ein Geschenk von der Stadt Frankfurt, mehrere andere außerordentliche Geschenke, Charitativsubsidien (s.d.) der Reichsritterschaft im Fall eines Krieges, Lehngelder bei Belehnungen, die er dem Reichshofrath überließ etc. Residenzen des Deutschen Kaisers waren in ältester Zeit mehrere in dem Reiche zerstreute Pfalzen, u. die Kaiser zogen in den Reichsstädten umher; als jedoch später die Pfalzen als eigenthümlicher Besitz an einzelne Reichsfürsten vergeben wurden, residirten die Kaiser in ihren Erbländern.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 882-884.
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