Kartoffel

[688] Kartoffel (Erdapfel, Erdbirne, Grundbirne, Potacke, Solanum tuberosum L., s. Tafel »Nahrungspflanzen I«, Fig. 9), ein ausdauerndes Knollengewächs aus der Familie der Solanazeen, mit 0,6–1,3 m hohem, krautigem, ästigem, kurzhaarigem Stengel, unterbrochen unpaarig fiederteiligen Blättern mit 7–11 eiförmigen, zugespitzten, am Grunde schiefen und herzförmigen, unterseits graukurzhaarigen Blättchen, in langgestielten Trugdolden stehenden Blüten mit weißen, lila oder violetten Blumenkronen, gelben Staubbeuteln und kugeligen Beeren. S. tuberosum ist sehr formenreich, und da es überdies mehrere ihm sehr ähnliche Arten gibt, so gehen die Meinungen über die Herkunft der kultivierten Pflanze etwas auseinander.

Anbau, Sorten, Ernte.

Die K. wird überall auf der bewohnten Erde angebaut, sie gedeiht in Deutschland bis 1000 m ü. M. und geht in Europa bis 70° nördl. Br., im Kanton Bern bis 1400 m ü. M. Sie wird in mehr als 1000, oft mit verschiedensten willkürlichen Namen bezeichneten Spielarten kultiviert, die nach der Reifezeit in Früh-, Mittelfrüh- und Spätkartoffeln, nach der Verwendung in Speise- (Koch-, Salat-, Delikateß-, Dörr-), Futter- und Fabrikkartoffeln unterschieden werden. Weiter sind zur Unterscheidung der Sorten maßgebend: die Form der Knolle (lang, oval, rund), die Tiefe der Augen, die Form des Längenquerschnitts, die Größe der Knolle, die Färbung der Knollenschale und des Fleisches, die Beschaffenheit der Schale, die Form der Stolonenbildung,[688] der Wuchs des Krautes, dessen Hohe und Färbung, die Färbung der Blüte etc. In wirtschaftlicher Hinsicht entscheidet über den Wert der Kartoffelsorten die Eignung für bestimmte Bodenarten, die Widerstandsfähigkeit gegen die Kartoffelkrankheit und insbesondere der Knollenertrag und Stärkemehlgehalt (Stärkewert = Stärke+Zucker); beide sind im allgemeinen am höchsten bei spätreifenden, am geringsten bei frühreifenden Sorten. Die Knolle ein und derselben Sorte ist meist um so stärkereicher, je größer sie ist. Die Knollen der wildwachsenden oder der aus Samen gezogenen K. besitzen höchstens Pflaumen große; erst durch die Kultur, besonders die Vermehrung durch Knollen oder Knollenteile, durch die Boden-, weniger durch die Klimaverschiedenheit nehmen sie unter auffallender Vergrößerung mannigfaltigste Form, Farbe und Beschaffenheit an und ändern sich der Ertrag und Stärkemehlgehalt der Knollen. Die K. gedeiht am besten in tiefgründigem, leichtem oder mit dem Boden in warmer, sonniger Lage. Auf bindigem feuchten Lehm- und Tonboden oder auf nassem Moorboden verringert sich der Stärkegehalt und Massenertrag ganz bedeutend. In der Fruchtfolge verträgt die K. jeden Standort, sofern durch Stallmistdüngung für genügenden Vorrat leicht aufnehmbarer Pflanzennährstoffe gesorgt worden ist. Sie gedeiht auch auf frischaufgebrochenem Wiesen- und Waldboden. Sie hinterläßt den Boden in sehr lockerm, günstigem, aber oft etwas zu trocknem Zustande. Stickstoffdüngung, die den Stärkemehlgehalt verringert und die Krautentwickelung begünstigt, ist nur für Futterkartoffeln angezeigt. Direkte Kali- und Kochsalzdüngung schaden dem Kartoffelertrag und erniedrigen besonders bei später Anwendung durch Reiseverzögerung den Gehalt an Stärkemehl, weshalb man bei dem großen Kalidüngerbedürfnis der K. den Vorfrüchten starke Kalidüngung gibt. Besonders empfiehlt sich Phosphorsäuredüngung.

Die Saatkartoffeln wählt man im Herbst aus und lagert die gesunden Knollen von mäßiger Größe und mittlerer Augenzahl sehr sorgfältig. Mit der Wahl der Sorten, je nach deren Verwendung zu Futter, Brennerei-, Stärkefabrikation, menschlicher Nahrung, muß man vorsichtig sein, weil Boden und Klima einen sehr großen Einfluß auf das Gedeihen der Sorte ausüben und die Erfolge, die irgendwo erzielt worden sind, an andern Orten sich durchaus nicht erreichen lassen. Wertvolle Speisekartoffeln sind unter anderm: Richters Imperator, Saxonia, Biskuit, Early Rose, Schneeflocke, lange Sechswochen, lange Johannis, Magnum bonum, Patersons weiße Nieren etc.; für Spiritus- und Stärkefabrikation geeignet sind: weiß- und gelbfleischige sächsische Zwiebel, Dabersche, rote Fürstenwalder oder Märkische, Professor Delbrück, Professor Märcker, Seed oder Gleason, Redskin Flour Ball, Rio Frio etc. Große Knollen können durch Teilen in Stücke mit möglichst gleichviel Augen für die Saat besser verwertet oder vermehrt werden; am wirtschaftlichsten ist das Auslegen von mittelgroßen, 50–100 g schweren Knollen mit 6–10 Augen; dieselben werden mit einer Kartoffelsortiermaschine ausgeschieden. Über Beizen der Saatknollen vgl. Kartoffelkrankheit. Legt man die Knollen, wie bei Frühkartoffeln, schon im März, so muß man sie durch Tieferlegen in den Boden vor Spätfrosten schützen. Gewöhnlich wird das Kartoffellegen nach der Sommergetreidesaat vorgenommen. Verzögert sich bei großen Anbauflächen das Auslegen bis Ende Mai oder Anfang Juni, so kann man nur wieder Frühkartoffeln setzen. Die Kartoffeln werden in 60 cm weiten Reihen mit 30–50 cm Pflanzenabstand in der Reihe auf 10–16 cm Tiefe in den Boden gelegt und zwar entweder nach der zweiten, dritten Pflugfurche oder dem Kartoffelfurchenzieher, dem Häufelpflug oder am besten nach einer Pflanzloch- oder Pflanzgrubenmaschine. Kartoffellegemaschinen haben bisher wenig Eingang gefunden. Näheres s. Kartoffelpflanz- und Erntemaschinen. An Saatgut sind je nach den Umständen 13–32 hl Knollen auf das Hektar erforderlich.

Nach der Saat sind die Kartoffelfelder zu übereggen, um das Hervortreten der Keimtriebe zu erleichtern. Weiterhin wird der Boden zwischen den Kartoffelreihen nach Bedarf 2–3mal mit der Hand- oder Gespannhacke bearbeitet, um das Unkraut zu vertilgen und die Entwickelung von Wurzeln und Stolonen in der gelockerten Erde zu befördern. Nach dem Hacken wird mit der Hand, dem Häufelpflug oder dem Kammformer angehäufelt. In trocknem Boden und bei zu später Ausführung unterbleibt jedoch besser das Anhäufeln, weil es den Boden austrocknet und die Bildung zahlreicher zu kleiner Knollen begünstigt. Am häufigsten und verheerendsten schädigt die K. der Kartoffelpilz (Phytophthora infestans de Bary), der die Ursache der als Zellen- oder Krautfäule bekannten Kartoffelkrankheit (s. d.) ist und gegen die sich am wirksamsten das 2–3malige zeitgemäße Bespritzen der Kartoffelpflanze mit Kupfervitriolkalklösung mit Peronosporaspritzen erweist. Außerdem werden die Kartoffeln von zahlreichen andern Pflanzenkrankheiten, die durch Pilze und, wie die Naßfäule, durch Bakterien hervorgerufen werden, sowie von zahlreichen schädlichen Tieren heimgesucht. Unter letztern ist der Kolorado- oder Kartoffelkäfer (s. Kartoffelkäfer) in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Nordamerika geradezu verheerend aufgetreten. Die Vegetationsdauer beträgt bei Frühkartoffeln 70–90, bei Spätkartoffeln 150–180 Tage.

Die Ernte wird nach dem Gelb- und Welkwerden des Krautes bei Frühkartoffeln im Juli und August, bei mittelfrühen Anfang bis Ende September, bei Spät- (Dauer-) Kartoffeln im Oktober vorgenommen, und zwar durch Ausnehmen der Knollen mit der Haue, dem Spaten, Karst und der Mistgabel und im Großbetrieb mit dem Pflug, Häufelpflug, Kartoffelaushebepflug oder den Kartoffelaushebemaschinen. Unter ungünstigen Verhältnissen erntet man nach Krafft kaum 43–120 dz (55–150 hl) auf das Hektar. Durchschnittserträge sind 130–180 dz (170 bis 230 hl), besonders günstige Erträge 200–400 dz (250–370 hl) auf das Hektar. Der Stärkeertrag erreicht je nach Stärkemehlgehalt und Knollenmenge 11–70 dz auf das Hektar. Das Hektolitergewicht der Knollen beträgt 72–78–82 kg. Das abgetrocknete Kraut, 9–20–100 dz auf das Hektar, wird eingeackert oder zu Streuzwecken gesammelt.

Man bewahrt die Kartoffeln in trocknen, kühlen Kellern und, wenn diese nicht ausreichen, in langen, mit Erde beworfenen Mieten (Einmieten, s. Mieten; vgl. das Flugblatt Nr. 15 des kaiserl. Gesundheitsamtes: Über das Einmieten der Kartoffeln, 1902). Gleich nach der Ernte reisen die Kartoffeln noch nach; dieser Prozeß ist von Wärmeentwickelung begleitet, und man muß daher für Ableitung der Wärme sorgen; ist die Lebenstätigkeit zur Ruhe gekommen, so hat die Aufbewahrung keine Schwierigkeit, bis im Frühjahr die Lebenstätigkeit von neuem erwacht. Dies geschieht um so später, je kühler und trockner die Kartoffeln[689] lagern; sie halten sich deshalb im Frühjahr auf einem lustigen Boden viel länger, ohne zu keimen, als im Keller, und wenn sie auch einschrumpfen, so werden sie doch durch Einlegen in Wasser leicht wieder glatt und frisch.

Chemische Bestandteile. Gehaltsbestimmung.

Die Kartoffeln enthalten in ihren großen, dünnwandigen Zellen als wichtigsten Bestandteil Stärkemehl; im Zellsaft sind geringe Mengen eiweißartiger Körper und andre stickstoffhaltige Substanzen, wie Peptone, Xanthinkörper, Asparagin, Leucin, Tyrosin, ferner Gummi, Zitronensäure, Salze etc., gelöst; außerdem findet sich ein Körper, der sich an der Luft schnell dunkel färbt, und Solanin. Dies giftige Alkaloid ist in der ganzen Pflanze, am reichlichsten in den Beeren, weniger im Kraut und nur in sehr geringer Menge in den Knollen enthalten; viel reicher an Solanin sind die Keime, welche die Kartoffeln außerhalb des Bodens treiben. Die Kartoffelschale besteht aus Korkgewebe; die eiweißartigen Körper finden sich hauptsächlich in den Zellschichten, die unmittelbar unter der Schale liegen. Die Schwankungen in der chemischen Zusammensetzung der Kartoffeln beziehen sich hauptsächlich auf den Wassergehalt, der in der Regel 70–75 Proz. beträgt, aber zwischen 65 und 80 Proz. schwankt. Sehr wässerige Kartoffeln erhält man besonders auf schwerem Boden in nassen Jahren und auf nassem Moorboden, während sich auf leichtem, mäßig gedüngtem das meiste Stärkemehl entwickelt. Je reifer die Kartoffeln sind, desto geringer ist ihr Gehalt an Wasser; Kartoffeln enthalten:

Tabelle

Die stickstoffhaltige Substanz besteht keineswegs nur aus eiweißartigen Körpern, vielmehr zum großen Teil aus Amidosubstanzen etc. (s. oben). Man kann annehmen, daß vom Gesamtstickstoff nur etwa 44–65 Proz. auf. Eiweißstoffe entfallen. Die Asche besteht über die Hälfte aus Kali und enthält außerdem viel Phosphorsäure.

Da die festen Bestandteile der K. (die Trockensubstanz) ein größeres spezifisches Gewicht haben als Wasser, so ist im allgemeinen der Gehalt der Kartoffeln an Trockensubstanz um so größer, je höheres spezifisches Gewicht sie besitzen, und da das Stärkemehl den sehr überwiegenden Teil der festen Bestandteile ausmacht, so entspricht im allgemeinen auch ein größeres spezifisches Gewicht der Kartoffeln einem größern Stärkemehlgehalt. Zur Bestimmung des letztern genügt deshalb für die Zwecke der Praxis die Ermittelung des spezifischen Gewichts der Kartoffeln. Dies kann mit Hilfe einer gesättigten und filtrierten Kochsalzlösung (1 Teil Salz, 3 Teile Wasser) geschehen, indem man die sorgfältig gereinigten und angefeuchteten Kartoffeln in Wasser wirft und von der Kochsalzlösung so lange hinzufügt, bis die in reinem Wasser untersinkenden Kartoffeln an jeder beliebigen Stelle in der Flüssigkeit schweben. Man bestimmt dann mittels eines Aräometers das spezifische Gewicht des mit der Salzlösung gemischten Wassers (wobei sich die Temperatur desselben nicht ändern darf) und findet in nachstehender Tabelle (nach Märcker) den entsprechenden Gehalt an Trockensubstanz und Stärkemehl. Vgl. Schertler, Anwendung des spezifischen Gewichts als Mittel zur Wertbestimmung der Kartoffeln, Zerealien etc. (Wien 1873).

Tabelle

Um genaue Resultate zu erhalten, muß man etwa 30–40 Kartoffeln einzeln untersuchen, kann aber auch sämtliche Kartoffeln zusammen in ein geräumiges Gefäß mit Wasser bringen und soviel Salzlösung zusetzen, bis die Mehrzahl der Kartoffeln in der Flüssigkeit schwebt. Das spezifische Gewicht der Flüssigkeit ist dann sehr annähernd das mittlere spezifische Gewicht der Kartoffeln. Zuverlässigere Resultate erhält man durch direkte Bestimmung des spezifischen Gewichts, wozu zweckmäßig die Fescasche Wage (Kartoffelprober; s. Abbild., S. 691) benutzt wird. Man stellt dieselbe auf, wie in der Figur angegeben, füllt das Gefäß a mit Wasser, bis dies durch das Röhrchen b abläuft, hängt dann den Drahtkorb g bei c von der Schale f ab, staucht ihn wiederholt auf den Boden des Wassergefäßes, damit alle Luftbläschen entfernt werden, und tariert dann die Wage durch Gewichte, die man auf die Schale d legt. Nun setzt man ein Gewicht von 5 kg auf die Schale e, füllt Kartoffeln, die vorher sorgfältig mit einer trocknen Bürste gereinigt sind, in die Schale f bis zum Einstehen der Wage (wobei vielleicht die letzte K. zu durchschneiden ist), bringt dann die Kartoffeln, ohne die Gewichte d und e zu entfernen, in den Drahtkorb g und setzt endlich so viele Gewichte in die Schale f, bis die Wage wieder richtig einspielt. Diese Gewichte (P) repräsentieren die Menge Wasser, die durch die Kartoffeln verdrängt[690] wird. Das spezifische Gewicht der Kartoffeln ergibt sich aus der Division des Gewichts derselben durch dasjenige des verdrängten Wassers, ist also = 5/P. Vor dem Wägen der Kartoffeln unter Wasser befeuchtet man dieselben, damit sich keine Luftbläschen bilden; auf Wasser schwimmende Kartoffeln legt man unter schwerere, und sämtliche Kartoffeln müssen vom Wasser bedeckt werden. Wasser und Kartoffeln müssen Zimmertemperatur haben, und der Drahtkorb darf nirgends die Wand des Wassergefäßes berühren.

Die Kartoffeln verlieren beim Aufbewahren durch Austrocknen 10–12 Proz., und entsprechend nimmt ihr Stärkemehlgehalt etwa bis November zu; er bleibt dann bis März stationär, vermindert sich nun aber beträchtlich, indem viel Stärkemehl in Dextrin übergeht (wobei die Kartoffeln schliffig werden). Der Nahrungswert der Kartoffeln leidet zwar darunter nicht, wohl aber der Geschmack, und mit der Bildung der Keime entsteht unter allen Umständen Verlust an verwertbarer Substanz. Vom ursprünglichen Stärkemehlgehalt sächsischer Zwiebelkartoffeln waren Anfang Juni des folgenden Jahres noch vorhanden: bei helltrockenkühler Aufbewahrung 87,8 Proz., bei helltrockenwarmer 59, bei hellfeuchtkühler 65, bei hellfeuchtwarmer 50,8, bei dunkeltrockenkühler 60,4, bei dunkeltrockenwarmer 63,9, bei dunkelfeuchtkühler 64,6, bei dunkelfeuchtwarmer 54,4 Proz. In der lebenden Knolle wird das Stärkemehl allmählich durch die Atmung des Protoplasmas verbraucht und zwar, nachdem es zunächst durch ein diastatisches Ferment in Dextrin und Zucker verwandelt worden ist. Bei mittlerer Temperatur halten sich Bildung und Verbrauch des Zuckers das Gleichgewicht.

Fescas Kartoffelwage.
Fescas Kartoffelwage.

In der Kälte aber wird der Verbrauch des Zuckers bedeutend mehr beschränkt als seine Bildung, und daher werden Kartoffeln bei längerer Einwirkung niederer Temperatur süß. Mit dem Gefrieren hat dies Süßwerden nichts zu tun, es beginnt vielmehr schon weit über dem Gefrierpunkt, und wenn Kartoffeln schnell auf weniger als -3° abgekühlt werden, so gefrieren sie, ohne süß zu werden. Süß gewordene Kartoffeln verlieren ihren Zuckergehalt (über 2,5 Proz.) bei längerm Aufbewahren in einem wärmern Raum. Sie sind noch völlig brauchbar, auch keimfähig, ebenso sind gefrorne Kartoffeln zu technischen Zwecken noch brauchbar, müssen aber schnell verarbeitet werden, weil sie nach dem Tauen leicht faulen. Zur längern Erhaltung der Kartoffeln ist vorgeschlagen worden, sie 10 bis 15 Minuten in eine siedende Lösung von 1 Teil Kochsalz in 10 Teilen Wasser zu tauchen, dann möglichst schnell an der Luft zu trocknen und an einen lustigen, nicht feuchten Ort zu bringen.

Verwendung, Produktion und Handel.

Die Kartoffeln finden mannigfache Verwendung als Nahrungsmittel für Menschen und Tiere, in der Technik besonders zur Spiritusfabrikation und zur Gewinnung von Stärkemehl, aber auch in der Bierbrauerei, zur Darstellung von Stärkezucker, Stärkesirup, dann als Zusatz zum Brot etc.; zerriebene rohe Kartoffeln sind ein treffliches Mittel gegen Skorbut und äußerlich bei Verbrennungen. Das Kraut wird als Futter benutzt; man hat es auch zur Papierfabrikation, als Tabaksurrogat und Arzneimittel empfohlen. Der Wert der Kartoffeln als Nahrungsmittel beruht fast ausschließlich auf ihrem Gehalt an Stärkemehl, und es besitzen in dieser Hinsicht 3109 g Kartoffeln denselben Wert wie 1162 g Weizenbrot (Kostmaß eines arbeitenden Mannes für einen Tag); wenn aber ein arbeitender Mann die für ihn täglich erforderliche Menge eiweißartiger Körper (die er sich in 614 g Ochsenfleisch verschafft) in Gestalt von Kartoffeln decken sollte, so müßte er in runder Zahl 10 kg Kartoffeln genießen, und da dies unmöglich ist, so erhellt, wie beschaffen die Ernährung derjenigen Leute ist, die sich überwiegend mit Kartoffeln sättigen müssen. Der Instinkt, der die Auswahl der Nahrungsmittel regelt, bewirkt einen verhältnismäßig geringen Verbrauch von Kartoffeln auf der Tafel des Wohlhabenden; wo aber Armut die Beschaffung von Fleisch und Brot unmöglich macht, wo, wie in Irland, im Erzgebirge und in einem Teil Schlesiens, die Bevölkerung auf den fast ausschließlichen Genuß von Kartoffeln hingewiesen ist, da beweisen die abnorm große Sterblichkeit und die zahlreichen Krankheiten die Folgen dieser Ernährungsweise. Großen Wert besitzt die K. als Viehfutter (s. Futter und Fütterung).

Zur Benutzung der Kartoffeln im großen werden dieselben in Waschmaschinen (s. Kartoffelwaschmaschine) gewaschen. Zum Schälen der Kartoffeln sind mehrere Maschinen konstruiert worden (s. Kartoffelschälmaschine). Das Kochen der Kartoffeln im großen geschieht jetzt stets mit Dampf in aufrecht stehenden Fässern, in denen sich über dem Boden ein zweiter, siebartig durchlöcherter befindet. Man läßt den Dampf in der halben Höhe des Fasses eintreten und sorgt für Abfluß des anfangs verdichteten Wassers. Die Gare erkennt man mit Hilfe eines eisernen Stabes, der durch ein kleines Loch eingeführt werden kann. Wenn er keinen Widerstand findet, sind die Kartoffeln gar. Beim Kochen der Kartoffeln zerplatzen die Stärkekörner, und die innere Substanz derselben saugt den flüssigen Inhalt der Zellen auf und bildet mit den zugleich zerstörten Zellwandungen eine ziemlich feste Masse, die sich zu einem lockern Mehl zerdrücken läßt. Das Eiweiß des Zellsaftes gerinnt beim Kochen und bindet gleichfalls Wasser. Die mehr oder weniger mehlige Beschaffenheit der Kartoffeln hängt von dem Verhältnis zwischen Stärkemehl und Wasser ab; ist die K. reich an Stärkemehl, so wird das Wasser vollständig aufgesogen, und es entsteht eine scheinbar sehr trockne Masse; fehlt es an Stärkemehl, so bleibt Wasser ungebunden, und die Kartoffeln sind wässerig. Das Gewicht der Kartoffeln verändert sich beim Kochen nur wenig.

Der Kartoffelbau wurde neuerdings fast überall bedeutend ausgedehnt. Die Produktion betrug:[691]

Tabelle

Gegenwärtig schätzt man die Produktion in Europa und den Vereinigten Staaten auf etwa 200 Mill. Ton.

In Deutschland stieg die Anbaufläche von 2,765,547 Hektar in 1882 auf 2,922,766 Hektar in 1891, die Ernte betrug im Durchschnitt dieser 10 Jahre 23,600 Mill. kg, also auf das Hektar 8123 kg.

Tabelle

Der Handel mit Kartoffeln schwankt sehr stark, weil insbes. die K. als Ersatznahrungsmittel auch vom Getreidemarkt abhängig ist. In Deutschland betrug:

Tabelle

Der Anbau der K. (s. die Karten »Landwirtschaft in Deutschland« und »in Österreich-Ungarn«) ist am stärksten in den dicht bevölkerten Gegenden am Rhein, Main, der Mosel, am Neckar, in den Industriebezirken von Bielefeld und Herford, in Mitteldeutschland vom Erzgebirge, die Elbe und Saale hinunter, in Schlesien und im südlichen Teil der Provinz Posen, im Tal der untern Oder, der Weichsel und Memel. Hier richtet sich der Anbau wesentlich nach der Einwohnerzahl. Außerdem aber wird die K. besonders in Gegenden mit leichtem Sandboden oder mit ungünstigen Verkehrsmitteln hauptsächlich für die Spiritusbrennerei angebaut; so in den Gebieten zwischen Oder, Warthe, Weichsel und Ostsee. Gewaltige Flächen leichten Bodens sind gar nicht anders einer intensiven Kultur zu erschließen als durch Kartoffel bau und die sich daran knüpfende Spiritusbrennerei. Durch die Tiefkultur des Bodens, die der Kartoffelbau voraussetzt, und die massenhaften, teils unmittelbar als Dünger, teils als nahrhaftes Viehfutter verwendbaren Rückstände und Abfälle der Brennerei wird die Ertragsfähigkeit der sonst nur wenig lohnenden leichten Böden derart gesteigert, daß sich eine blühende Landwirtschaft entwickeln kann, wo das Land früher seinen Mann nur kärglich ernährte. Von den 26,25 Mill. Hektar Ackerland des Deutschen Reiches wurde 1901 ein volles Achtel mit Kartoffeln bestellt. Während 1900 Großbritannien und Irland 12,4 Hektar auf 10,000 Einw. mit Kartoffeln bebaute, die Vereinigten Staaten. 13,8, Ungarn 30,6, Rußland 33, Frankreich 39,4, Österreich 44,8 Hektar, kamen in Deutschland 64,3 Hektar Kartoffeln auf 10,000 Menschen. Die Ackerfläche, die in Deutschland mit Kartoffeln bebaut wurde, und der Ertrag vom Hektar sind in den letzten 20 Jahren ganz bedeutend gestiegen, der Verbrauch der Eßkartoffeln steigt aber nur entsprechend der Zunahme der Bevölkerung, auch der Verbrauch an Futterkartoffeln genügt bei weitem nicht, die Mehrproduktion aufzunehmen, und deshalb ist man in den letzten Jahren eifrig bemüht gewesen, die Verwendbarkeit der K. zu erhöhen. Dies kann am wirksamsten geschehen durch das Trocknen, das eine gleichförmige Verwendung für das ganze Jahr sichert, und durch eine erweiterte Benutzung des Spiritus in der Technik, namentlich als Leuchtmaterial und als Brennmaterial zum Betrieb von Motoren.

Kulturgeschichtliches.

Die Heimat der K. ist verschieden anzugeben, je nachdem man die Art Solanum tuberosum weiter oder enger begrenzt. Gewöhnlich bezeichnet man als Heimat Chile und Peru, wo sie noch heute wild wachsend (mit wohlriechenden Blüten, aber kleinen, ungenießbaren Knollen) angetroffen wird. Baker faßt den Begriff der Art weiter und zählt noch Ecuador, Kolumbien, Costarica, Mexiko und die südwestlichen Staaten von Nordamerika zu deren Verbreitungsbezirk. Die K. war schon vor der Entdeckung Amerikas durch die Europäer Kulturpflanze und scheint durch die Inka weite Verbreitung gefunden zu haben. Garcilaso und Peter Martyr erwähnen sie bereits, und durch den Sklavenhändler Hawkins soll sie bald nach 1565 nach Irland gebracht worden sein. Jedenfalls aber fand damals die K. in Irland keine Beachtung. Zwischen 1560 und 1570 kam sie durch die Spanier nach Italien und Burgund, und in letzterm Lande soll sie 1588 angebaut worden sein. In Italien nannte man sie wegen ihrer Ähnlichkeit mit den Trüffeln Tartufoli, woraus der deutsche Name K. (zu Anfang des 17. Jahrh. noch Tartuffel) entstand. Zum zweitenmal kam die K. dann durch Walter Raleigh 1584 nach Irland und zwar aus Virginia, wohin sie vielleicht durch die Engländer verpflanzt worden war. Franz Drake gebührt wahrscheinlich nur das Verdienst, die Kartoffeln in Europa bekannter gemacht zu haben. Durch ihn erhielt der Botaniker Gerard Samenkartoffeln, die er 1596 in London im Garten kultivierte. 1610 brachte Raleigh die K. wieder nach Irland, und 1663 suchte die Royal Society den Anbau dort zu befördern, um der Hungersnot vorzubeugen; trotzdem wurde die K. in England erst um die Mitte des 18. Jahrh. allgemeiner bekannt. In Deutschland pflanzte Cl usi us die K. 1588 in Wien und Frankfurt als botanische Seltenheit, und Kaspar Bauhin gab ihr 1590 den Namen Solanum tuberosum. Nach Clusius soll man damals in Italien die Schweine mit Kartoffeln gefüttert haben. In Frankreich kam die K. noch 1616 als Seltenheit auf die königliche Tafel, 1630 scheint sie in Lothringen und im Lyonnais an gebaut worden zu sein; aber erst durch Parmentier, der sie in Deutschland kennen gelernt hatte, fand sie bald nach 1770 weitere Verbreitung. Die Hungersnöte von 1793 und 1817 vollendeten die allgemeine Ausbreitung ihrer Kultur. In Deutschland trug der Dreißigjährige Krieg viel zur Verbreitung der K. bei, 1648 war sie in Bieberau[692] (Hessen-Darmstadt) bekannt; aber erst um 1716 baute man sie bei Bamberg, Bayreuth und in Baden auf Äckern. Um die Mitte des 17. Jahrh. finden wir die K. auch in Sachsen (Vogtland), Westfalen, Niedersachsen und Braunschweig; um 1740 verbreitete sie sich bei Leipzig und nicht viel früher durch eingewanderte Pfälzer in Preußen. Der Siebenjährige Krieg zeigte den Nutzen der K., ohne welche die Not und das Elend im Mißjahr 1770 noch viel größer geworden wären. Friedrich II. verbreitete den Kartoffelbau in Pommern und Schlesien durch Gewaltmaßregeln, während sie in Mecklenburg schon seit 1708 durch einen aus England zurückkehrenden Offizier bekannt geworden war. Um 1770 fand der Kartoffelbau größere Verbreitung in Böhmen und Ungarn; um 1730 wurde sie bei Bern kultiviert, und nach Schweden kam sie 1726. Auch in Island wird die K. gebaut. Die russische Regierung ermunterte das Volk noch 1844 durch Aussetzung von Prämien zum Kartoffelbau; in Griechenland verbreitete sich derselbe erst durch die Bayern. Die Engländer verpflanzten die K. nach dem Kao, nach Indien, Australien, Tasmania, Neuseeland etc.; auch im nördlichen China ist die Kartoffelkultur verbreitet. Der Ausdehnung des Kartoffelbaues standen vielfach Vorurteile entgegen, aber auch der einmal übliche landwirtschaftliche Betrieb gestattete nicht überall die sofortige Aufnahme der neuen Kulturpflanze. Um 1760 war die K. in den meisten deutschen Ländern eine bekannte Frucht; doch konnte sie nur auf Gütern, die Hutfreiheit hatten, in willkürlicher Ausdehnung gebaut werden, während andre Landwirte ihre Kultur auf gartenberechtigte Grundstücke einschränken mußten. Erst nach Abschaffung der reinen Brache, am Rhein in den 70er, in Thüringen und Sachsen in den 80er Jahren des 18. Jahrh., begann ihr Anbau im großen, der im 19. Jahrh. einen so bedeutenden Einfluß auf den landwirtschaftlichen Betrieb ausgeübt hat. Nach den Befreiungskriegen, als die wohlfeile Zeit eintrat, lernte man die umfangreiche Verwertung der K. Damals erst begann ihre Benutzung zur Darstellung von Spiritus u. zum Futter für Schafe, und auf den Gütern, wo die Brennereien u. Schäfereien den Hauptgewinn abwarfen, ward die Kartoffelkultur bald über Gebühr ausgedehnt. Auch in England und Belgien verlockten die hohen Gewinne zu einem gleichen Verfahren, und als dann 1843 die Kartoffelkrankheit auftrat, übte dieselbe einen mächtigen Einfluß aus. Seitdem ist die Kartoffelkultur tu neue Balmen eingelenkt, besetzt aber auch gegenwärtig ein außerordentlich großes Terrain. Vgl. Busch, Der Kartoffelbau (4. Aufl., Berl. 1888), die Schriften von Werner (4. Aufl., das. 1902), Giersberg (Leipz. 1879), Ulrich (Stuttg. 1903), Böttner (4. Aufl., Frankf. a. O. 1905); »Die Kartoffeln und ihre Kultur« (Kartoffelausstellung in Altenburg, Berl. 1876); Rodiczky, Die Biographie der K. (Wien 1878); Franz, Die K. als Saatgut (Berl. 1878);: Märcker, Die zweckmäßigste Anwendung der künstlichen Düngemittel für Kartoffeln (das. 1880); Morgenthaler, Die Feinde der K. und ihre Bekämpfung (Aarau 1892); E. Roze, Histoire de la pomme de terre (Par. 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 688-693.
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