[354] Marseille (spr. -ßǟj', hierzu der Stadtplan), Stadt im südlichen Frankreich, Hauptort des Departements der Rhonemündungen, erste Seehandelsstadt Frankreichs und der ganzen Mittelmeerküste, liegt unter 13°17' nördl. Br. und 5°22' östl. L. und ist amphitheatralisch auf felsigem Terrain in der Form eines Hufeisens um den alten Hafen herumgebaut.
Die Lage von M. ist wie zur Entwickelung einer großen Handelsstadt geschaffen. Der treffliche, leicht zu verteidigende Hafen liegt nahe der Rhonemündung, doch vor den Anschwemmungen des Flusses geschützt und bildet das natürliche Aus- und Eingangstor des ganzen Rhonebeckens nach dem Mittelmeer hin, den Vermittelungspunkt zwischen Frankreich und Westeuropa einerseits, den Gestadeländern des Mittelmeers und dem Orient anderseits. Das Klima ist mild, jedoch starken Schwankungen, namentlich durch den heftigen Nordwestwind (Mistral), ausgesetzt. Die mittlere Temperatur des Jahres beträgt 14,3, die des Sommers 21,4, des Winters 7,1°.
[Stadtteile, Straßen etc.] M. besteht aus der Altstadt auf der östlichen und nördlichen Seite des Hafens mit engen, winkligen Straßen, und der dieselbe umschließenden, breit und regelmäßig angelegten Neustadt. Zwei Hauptstraßenzüge, teilweise mit Bäumen bepflanzt, kreuzen sich im rechten Winkel; der eine zieht in einer Länge von 5 km von NNW. nach SSO. und führt die Namen Boulevard de Paris, Rue d'Aix, Cours Belzunce, Cours St.-Louis, Rue de Rome und Le Prado; der andre erstreckt sich gleichfalls unter wechselndem Namen als Rue Canebiere, Rue Noailles, die Allées de Meilhan und Boulevard de la Madeleine vom alten Hafen 4 km weit nordöstlich bis zum Zoologischen Garten. Die drei ersten Teile dieser zweiten Verkehrsader sind die schönsten und belebtesten Straßen von M.; insbes. zeichnet sich die Canebière durch ihre breite Anlage, die schönen Häuser und Läden und ihren lebhaften Verkehr aus (»Si I'aris avait une Canebière, Paris serait une petite M.«, sagen die Marseiller). Andre schöne Straßen von M. sind: die Rue de la République, die vom Endpunkte der Canebière am alten Hafen nordwestlich durch die alte Stadt zu den Docks am neuen Hafen führt, der Cours Pierre Puget im südlichen Stadtteil, der Cours des Capucines, der Cours du Chapitre und der Boulevard de Longchamp, die zum Zoologischen Garten führen. Die bedeutendsten Plätze sind die Place St.-Michel, Place d'Aix und Place Castellane, die letztern beiden in dem oben zuerst genannten großen Straßenzuge gelegen. Schöne öffentliche Anlagen sind der Zoologische Garten und die Promenade Pierre Puget. Unter den Promenaden außerhalb der eigentlichen Stadt ist vor allem der Prado zu erwähnen, der, 4 km lang, mit schönen Alleen bepflanzt und von Villen umsäumt, von der Place Castellane südlich bis zu dem Gartenetablissement des Château des Fleurs, dann, südwestlich umbiegend, zum Meere führt. An seinem Ende befindet[354] sich der Park des Château Borély und der Pferderennplatz. Von hier zieht sich längs der felsigen, durch kleine Buchten gegliederten Küste in einer Ausdehnung von 7 km der Chemin de la Corniche, mit prachtvoller Aussicht, nördlich zur Stadt hin. An diesem Teile der Küste befinden sich mehrere Seebadeanstalten. An Denkmälern besitzt M. die Statue des Bischofs Belzunce, der sich während der Pest 1720 verdient gemacht hat, eine Statue Berryers, eine Büste von Lamartine, eine schöne Säule der unbefleckten Empfängnis (von 1858), eine Säule mit der Büste Pierre Pugets, den Triumphbogen (von 182532) auf der Place d'Aix mit Skulpturen von David d'Angers und Ramey, endlich das Denkmal der 1870 Gefallenen (von 1894) am Vereinigungspunkte der Allées des Capucines und de Meilhan. Eine wichtige öffentliche Unternehmung von M. ist die große Wasserleitung, die der Stadt das Wasser der Durance aus einer Entfernung von 84 km, wovon 21 km unterirdisch, zuführt. Sie liefert im Winter 5,7, im Sommer 10 cbm Wasser in der Sekunde und speist 600 öffentliche Auslaufbrunnen in der Stadt und 1700 Bewässerungsstationen außerhalb derselben. Die Baukosten betrugen 50 Mill. Frank. Die weitere umgebung der Stadt ist gut angebaut und mit Gärten und Weinbergen sowie mit zahlreichen Landhäusern (»Ba stides«) bedeckt.
[Bauwerke.] An hervorragenden öffentlichen Gebäuden, namentlich aus früherer Zeit, ist M. nicht sehr reich. Doch sind unter den Kirchen zu erwähnen: die neue Kathedrale (auf 9 m hoher Plattform am Kai de la Joliette 185893 erbaut), eine Basilika in neubyzantinischem Stil, mit mehreren Kuppeln, in der innern Einrichtung noch nicht vollendet, und die Kirche Notre-Dame de la Garde, auf dem gleichnamigen, von einem Fort gekrönten Hügel an der Stelle einer aus dem Jahre 1214 stammenden Kapelle 185364 in romanisch-byzantinischem Stil erbaut, mit schöner Kuppel und einem 45 m hohen Turm, der eine 9 m hohe vergoldete Marienstatue trägt und eine herrliche Rundsicht gewährt. Bemerkenswerte Kirchen sind ferner: Notre-Dame du Mont Carmel (von 1255); die alte, wiederholt (zuletzt 1279) umgebaute Kirche St.-Victor, mit Krypte; die moderne Kirche St.-Joseph und die neue gotische Kirche St.-Vincent. Auch die protestantische Kirche ist ein hübsches modernes Gotteshaus. Andre bemerkenswerte Bauwerke sind: das Stadthaus aus dem 17. Jahrh.; der Justizpalast, 185862 erbaut, mit schönem Saal; der neue bischöfliche Palast; das Präfekturgebäude (186167 erbaut) mit reichgeschmückter Fassade; die Börse (185260 erbaut) mit reicher ornamentaler Verzierung; das große Theater (von 1786), im Innern neuerlich restauriert; das auf der Anhöhe am Südeingänge des alten Hafens malerisch gelegene, ehemals kaiserliche Château du Pharo; ferner das prächtige, im Renaissancestil erbaute Palais de Longchamp am Ostende des gleichnamigen Boulevards (18621870 errichtet), mit zwei Flügeln, in denen das naturhistorische und das Kunstmuseum untergebracht sind, und einem Mittelbau mit schöner Fontaine; endlich der Neubau der Kunstschule, das Gesundheitsamt (Consigne), das große Schlachthaus, die Markt- und die Fischhallen.
[Bevölkerung] M., dessen Bevölkerung 1801 erst 90,500 und 1856: 233,807 Seelen betrug, hat (1901) 412,868 (als Gemeinde 491,161) Einw. und ist somit nach Paris die bevölkertste Stadt in Frankreich. Unter der Bevölkerung von M. befinden sich über 80,000 Ausländer, meist Italiener, die namentlich als Fabrik- und Hafenarbeiter Verwendung finden. Die Hauptbeschäftigung der Bewohner bilden Handel und Schiffahrt; doch ist M. auch der Sitz einer bedeutenden Industrie. Der wichtigste Gewerbezweig ist die Seifenfabrikation, die im 16. Jahrh. von Savona und Genua hierher verpflanzt worden ist. Dieselbe beschäftigt in der Stadt und Umgebung 90 Etablissements mit gegen 15,000 Arbeitern und produziert jährlich Seife im Werte von 53 Mill. Fr. Als Hilfsgewerbe dient der Seifenfabrikation die Produktion von vegetabilischem Öl (in 35 Fabriken mit 4000 Arbeitern, die namentlich Sesam und Erdnüsse verarbeiten, Produktion 1902: 1,747,600 dz) und von Soda. Bedeutende Industriezweige sind weiter: die Zuckerraffinerie (3 Etablissements mit 2000 Arbeitern); die metallurgische Industrie (ein großes Etablissement mit 3 Hochöfen zu St.-Louis, außerdem 7 kleinere Eisengießereien, 3 Fabriken für Flaschenkapseln, mehrere Etablissements für Zinn- und Bleiwaren); der Maschinen- und Schiffbau (3 große Etablissements mit 3000 Arbeitern); die Lederfabrikation, früher in noch höherer Blüte (jetzt 25 Gerbereien mit 1350 Arbeitern); die Wollwäscherei; die Behandlung und Präparierung von Weinen zur Ausfuhr; die Fabrikation von Stearinkerzen (Fabrik von Felix Fournier u. Komp., jährliche Produktion 16,000 T.), Mehl (1903: 153 Mühlen mit 1500 Arbeitern und einer Leistungsfähigkeit von 89 Mill. dz Getreide, wovon 1,4 Mill. dz Mehl zur Ausfuhr kamen), Teigwaren (56 Fabriken mit 500 Arbeitern), Bier (2 Brauereien mit 75,000 hl Produktion), Konserven, Salzfleisch, Konditorwaren, Tabak (1700 Arbeiter), Zündhölzern, Weinstein, Stärke, Juwelierarbeiten, Stöpseln, Fässern, Seilerwaren, Sack- und Segelleinwand, Ziegeln und Steinfliesen. Von Bedeutung ist auch die Küstenfischerei, die 1901 mit 741 Booten betrieben wurde. Der Ertrag belief sich auf 1,188,600 kg Fische im Werte von 1,063,000 Fr.
[Handel und Schiffahrt.] Seine Größe und Bedeutung verdankt jedoch M. in erster Reihe seinem Handel und seiner Schiffahrt, die sich beide in den großartigen Hafenanlagen konzentrieren. Die Stadt besitzt zwei Häfen: den alten Hafen, ein von der Natur gebildetes, gegen Winde gut geschütztes Becken von 28 Hektar Fläche, 5,5 m Tiefe und einer Kaientwickelung von 2525 m, der hauptsächlich der Segelschiffahrt dient, und den neuen, seit 1844 mit einem Kostenaufwand von 119 Mill. Fr. nordwestlich vom alten Hafen angelegten großartigen Kunsthafen, der durch einen 3593 m langen Wellenbrecher gegen die hohe See geschützt ist. Die neuen Hafenanlagen umfassen: den südlichen Vorhafen (9 Hektar), das Bassin la Joliette (22,7 Hektar), das für die französischen Passagierdampfer bestimmt ist, die Bassins Lazaret und Arenc (18 Hektar), hauptsächlich für die Schiffe langer Fahrt, mit den großen Magazinen und Entrepots der Dockgesellschaft, das Bassin de la Gare Maritime (18 Hektar), namentlich für die Getreideeinfuhr, mit den Hangars der Handelskammer, das Bassin National (41 Hektar), besonders für die Kohlen- und Vieheinfuhr und die fremden Kriegsschiffe. Hieran schließt sich endlich der nördliche Vorhafen (34,6 Hektar); doch wird hier gegenwärtig noch ein neues Bassin, Pinède, und ein Bassin für abgetakelte Schiffe (15 Hektar) gebaut. Mit Einschluß zweier kleinerer Bassins hat der Hafen von M., ohne den nördlichen Vorhafen, eine Fläche von 154 Hektar und eine Kaientwickelung von 13,167 m. Die Tiefe beträgt[355] im neuen Hafen 1015 m. Außer den Hafenbassins besitzt M. ein Trockendockbassin und ein schwimmendes Dock, ein Bassin für Reparaturen, dann ausgedehnte Magazine, die mit Schienengleisen, Kranen, Elevatoren etc. versehen sind. Von neuen Projekten ist das wichtigste die Herstellung eines Kanals von M. zur Rhone, der in einer Länge von 54 km mit einem Kostenaufwand von 71 Mill. Fr. gebaut werden soll. Befestigungswerke des Hafens bilden die Forts St.-Jean am nördlichen und St.-Nicolas am südlichen Eingang des alten Hafens, dann weiter südlich das Fort auf dem von der Kirche Notre-Dame de la Garde gekrönten Hügel. Vor dem Hafen von M. breitet sich die Reede, südlich vom Kap Croisette, nordwestlich vom Kap Couronne begrenzt, mit den kleinen Inseln Ratonneau und Pomegues, der Klippe Canoubier und dem Felseneiland If (s. d.) aus. Durch Verbindung der Inseln Ratonneau und Pomègues mittels eines Dammes ist der Port du Frioul hergestellt worden, der als Quarantänehafen von M. dient. Die Reede von M. ist durch 16 Leuchtfeuer bezeichnet, darunter eine Leuchte erster Ordnung auf der 18 km südwestlich von M. gelegenen kleinen Felseninsel Planier. Vom Hafen gehen Schiffahrtsverbindungen nach den verschiedensten Richtungen aus. Die wichtigste Schiffahrtsgesellschaft, die Messageries Maritimes, unterhält Linien nach Havre, London, der Türkei, Syrien, Ägypten, Algerien, Spanien, nach dem Schwarzen Meer, Ostindien, China, Japan, Ostafrika und Australien. Außerdem bestehen noch zahlreiche andre Gesellschaften für verschiedene Schifffahrtskurse. Die Verbindung mit Hamburg wird durch die Schiffe der deutschen Ostafrikalinie, der Deutsch-Australischen Gesellschaft und von Rob. Sloman u. Komp. hergestellt. In Verbindung mit den Seekommunikationen steht als Landverkehrsweg die Eisenbahn von Paris über Ly an nach M. und weiter über Toulon und Nizza nach Italien, die Linien M.-Aix, M.-Cette-Portbou (nach Spanien) und die Marseiller Verbindungsbahn. Die Ergebnisse der Schiffahrt von M. waren 1901 folgende: Im internationalen Verkehr sind im ganzen 4152 beladene Schiffe mit einem Tonnengehalt von 4,865,861 Ton. (darunter 3646 Dampfer von 4,752, 116 T.) eingelaufen und 3796 beladene Schiffe von 4,339,597 T. (darunter 3431 Dampfer von 4,224,525 T.) ausgelaufen. Davon trugen 2153 ein- und 2303 ausgelaufene Schiffe (mit 2,034,170, resp. 2,148,244 T.) die französische Flagge. Der Herkunft und dem Ziele nach kam der Hauptanteil auf Algerien, Großbritannien, Ostindien, Rußland, Italien, die Türkei, die Vereinigten Staaten von Nordamerika und Japan. Zu den obigen Ziffern kommen aber noch die Küstenfahrer, mit deren Einschluß sich der Gesamtverkehr 1901 auf 8226 eingelaufene Schiffe von 6,477,726 T. und 8576 ausgelaufene Schiffe von 6,609,372 T. belief. Die Handelsmarine von M. bestand zu Anfang 1901 aus 852 Schiffen mit einem Tonnengehalt von 291,471 T. (darunter 332 Dampfer von 263,073 T.). Der Warenverkehr mit dem Auslande belief sich 1902 in der Einfuhr auf 3,158,200 Ton. im Werte von 1199 Mill. Fr., in der Ausfuhr auf 2,066,500 T. im Werte von 950 Mill. Fr., zusammen auf 5,224,700 T. im Werte von 2149 Mill. Fr. Die erhobenen Zölle betrugen 42,5 Mill. Fr. Die Hauptartikel der Ein fuhr (im Spezialhandel) sind dem Werte nach (in Millionen Frank): Seide (215), Ölfrüchte (123), Getreide und Mehl (67), Wolle (50), Häute und Felle (48), Vieh (42), Olivenöl (28), Kartoffeln und getrocknete Gemüse (15), Wein (15), Kleie (14), Reis (14), Blei (14), Rohbaumwolle (14), Tafelfrüchte (14), Nutzholz (11), ferner Steinkohlen, Kaffee, Rohzucker, Seidengewebe, Hanf, chemische Produkte etc.; die der Ausfuhr: Baumwollwaren (45), Seidenwaren (40), rohe Häute und Felle (25), präparierte Häute (25), Wein (25), Chemikalien (22), Olivenöl (20), Eisenwaren (17), Kleider und Wäsche (15), Zucker (15), Wollwaren (15), Tischler- und Spielwaren etc. (15), Papierwaren (13), Glaswaren (13), Ölkuchen (12), Wolle (11), Lederwaren (11), ferner Seide, Maschinen, Baumaterialien, Getreide, Früchte, Waffen, Fische etc. Hierzu kommt noch der Auslandsverkehr in Edelmetallen, der sich in der Einfuhr auf 36,4, in der Ausfuhr auf 82,1 Mill. Fr. belief. Ferner wurde durch die Küstenschiffahrt ein Warenverkehr 1901 von 516,000 Ton. in der Einfuhr und von 476,000 T. in der Ausfuhr vermittelt, wobei Wein, Holz, Salz, Kohle, Zink, Eisen und Stahl, chemische Produkte, Zucker, Baumaterialien die wichtigsten Einfuhr-, Getreide und Mehl, Seife, Wein, Zucker, Metalle, Schwefel, Öl und Ölkuchen, Kohle und Baumaterialien die wichtigsten Ausfuhrartikel waren. Die mit der Eisenbahn angekommenen und abgegangenen Güter beliefen sich 1901 auf 3,495,000 Ton. Die Zahl der im Hafen von M. ein- und ausgeschifften Personen beträgt jährlich ca. 400,000. Für die Vermittelung der Handels- und Schiffahrtsgeschäfte dienen außer der Filiale der Bank von Frankreich (Umsatz 1902 ca. 1400 Mill. Fr.) und der Börse sowie den Schiffahrtsgesellschaften eine große Zahl von Banken, Kreditinstituten und Seeversicherungsgesellschaften. Dem städtischen Verkehr von M. dienen Straßenbahnen, Omnibusse und Dampfboote.
[Öffentliche Anstalten.] Von Wohltätigkeitsanstalten gibt es 4 Spitäler, ein Irrenhaus, zahlreiche Waisenhäuser und humanitäre Verei ne. An Unterrichtsanstalten besitzt M. eine Fakultät für mathematische und Naturwissenschaften (1901: 163 Studierende), eine Schule für Medizin und Pharmazie (368 Hörer), eine Schule für das höhere Lehrfach, eine freie juristische Fakultät, ein großes und ein kleines Seminar, ein Lyzeum mit Lehrkanzeln für arabische und neugriechische Sprache, eine Schule der schönen Künste, ein Mädchenlyzeum, ein Musikkonservatorium, eine höhere Handelsschule, eine hydrographische Schule und eine Schule für Schiffsjungen und Matrosen, ein Blinden- und Taubstummeninstitut für beide Geschlechter, 21 freie Mittel- und zahlreiche Primärschulen. Zu den Bildungsanstalten gehören außerdem eine Bibliothek mit 100,000 Bänden und 1400 Manuskripten, mit der ein Münzkabinett (mehr als 10,000 Medaillen enthaltend) sowie ein reiches städtisches Archiv verbunden sind; ein archäologisches Museum (im Schloß Borély), das hauptsächlich Funde aus der Umgebung enthält; ferner ein Kunst- und ein naturhistorisches Museum (beide im Palais de Longchamp untergebracht); ein zoologischer und botanischer Garten, eine Sternwarte, ein maritim-zoologisches Laboratorium und mehrere Theater (darunter Grand-Théâtre und Gymnase). Die Stadt besitzt auch eine Akademie der Wissenschaften und Künste, Gesellschaften für Agrikultur, Gartenbau, Geographie, Statistik und Medizin. M. ist der Sitz des Präfekten, eines Tribunals, eines Handelsgerichts, eines Bischofs, des Kommandos des 15. Armeekorps, ferner einer Ackerbau- und einer Handelskammer (der ältesten in Frankreich, 1599 gegründet), einer Filiale der Bank von Frankreich, einer Börse u. zahlreicher Konsuln fremder Staaten, darunter auch eines deutschen Berufskonsuls. [356] [Geschichte.] M. ist eine der ältesten Städte Europas und wurde um 600 v. Chr. von Phokäern aus Kleinasien im Gebiet der Salyer gegründet. Es hieß griechisch Massalia, lateinisch Massilia und war ein aristokratischer Freistaat mit blühendem Handel. Griechische Kunst und Wissenschaft wurden eifrig gepflegt, und die griechische Sprache herrschte noch bis 300 n. Chr. Die Stadt hielt in den Punischen Kriegen zu Rom und ward hierfür durch das Gebiet der Salluvier belohnt. Im J. 49 v. Chr. wurde die Stadt nach hartnäckiger Verteidigung von Cäsar erobert. Zur Zeit der Völkerwanderung wurde sie eine Beute der verschiedenen Frankreich erobernden Völkerschaften, der Burgunder, der West- und der Ostgoten. Dann gehörte M. zum fränkischen Reich, kam an Burgund und Arelat, wurde aber unter Ludwig dem Blinden (889903) von den Sarazenen zerstört. Unter Konrad dem Friedfertigen von Burgund wiederhergestellt, ward es besondern Statthaltern unterstellt, die sich gegen Ende des 10. Jahrh. unter dem Titel Vicomtes von M. unabhängig machten. Die Bürger kauften die Vicomté nach und nach an sich, und M. wurde 1214 eine Republik. Als aber darauf Karl von Anjou, Ludwigs IX. von Frankreich Bruder, Graf von Provence wurde, unterwarf er sich M. 1423 eroberte und verwüstete Alfons V. von Aragonien die Stadt. René, Graf von Provence, baute sie wieder auf; 1481 ward sie der Krone Frankreichs einverleibt. Sie verteidigte sich 1524 tapfer gegen den Connétable Karl von Bourbon und 1536 gegen Kaiser Karl V. Auf der Seite der katholischen Liga stehend, war sie die hartnäckigste unter allen französischen Städten. Ludwig XIV. beraubte die Stadt 1660 ihrer Freiheiten. 1720 und 1721 litt sie sehr durch die Pest, die sich von einem Schiff aus in der Stadt verbreitete; es sollen damals 60,000 Menschen gestorben sein. In der ersten französischen Revolution war M. durchaus republikanisch gesinnt. Die Hefe des Volkes und losgelassene Galeerensklaven bildeten jene Marseiller Föderierten, die 1792 in Paris viele Greueltaten vollbrachten. 1793 erhob sich M. für die Girondisten, wurde aber mit Gewalt dem Schreckensregiment unterworfen. Der Handel der Stadt hat in neuerer Zeit, besonders seit der Eroberung Algiers und der Vollendung des Suezkanals, einen großartigen Aufschwung genommen. Am 23. März 1871 kam es in M. auch zur Errichtung einer Kommune, die aber 4. April gestürzt wurde. M. ist der Geburtsort des Pytheas und Petronius sowie von A. Thiers. Vgl Brückner, Historia rei publicae Massiliae (Götting. 1826); Teissier, M. an moyen-âge (Mars. 1891) und M. à travers les âges (das. 1899); Castanier, Les origines historiques de M. et de la Provence (das. 1896); »Ports maritimes de la France«, Bd. 7 (Par. 1898, mit Atlas); Mabilly, La ville de M. an moyen-âge (Mars. 1905); Camau, M. au XX. siècle, tableau historique et statistique (Par. 1905); Joanne, M. et ses environs (das. 1904).
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