Kirche

[601] Kirche wird im umfassendsten Sinne die ganze Christenheit als die geistige Gemeinschaft zum christlichen Glauben und Leben genannt. Ihr Wesen hat sie demnach im Christenthume selbst, dessen höchster und letzter Zweck in ihr und durch sie erfüllt werden soll, und damit unterscheidet sie sich zugleich vom Staate, der nicht das geistige Interesse der Religion, des Menschen ewiges Seelenheil, sondern das Interesse der höchsten irdischen Wohlfahrt bezweckt. Je nachdem das Christenthum als die wirklich vorhandene mangelhafte Äußerung des christlichen Sinnes und Wandels, oder als die durch Christus geoffenbarte religiös-sittliche Vollendung des Lebens gedacht wird, je nachdem gestaltet sich der Begriff der Kirche historisch und idealisch als Gemeinschaft der erst zu erstrebenden und deshalb nur unvollkommen vorhandenen, oder der schon errungenen und in der Kirche bereits aufgegangenen christlich-religiösen Weltordnung. Hindeutungen auf dieselbe finden sich im N. T. in den bildlichen Ausdrücken: Himmelreich, Reich Gottes, Reich Christi, Tempel Gottes, Leib Christi. So stützt sich die christliche Kirche auf die Gemeinschaft der Christen, und das gemeinsame Band ihrer Glieder ist das Christenthum. Daher sind die Bekenner jeder andern Religion nicht auch die Glieder einer nach ihr genannten Kirche. Die Kirche stellt das Interesse der Religion und des religiösen Menschen höher als irgend ein Interesse, welches der endliche und sinnliche Mensch unter allen andern Verhältnissen des Lebens hat. Zu dieser Idee führte zuerst das Christenthum die Menschheit, weshalb sich auch weder bei den Griechen und Römern, wo die Religion im Staate, noch bei den Juden und Mohammedanern, wo der Staat in der Religion aufging, die Idee einer Kirche findet und man deshalb wol von einer jüd. und mohammed. Religion, nicht aber von einer Kirche beider spricht. – Der Stifter der Kirche war Jesus Christus. Denn obgleich er sich während seines Wirkens, nebst den um sich versammelten Schülern und Freunden, von der Gemeinschaft der Juden nicht trennte, so mußten doch seine eigenthümlichen und von dem Judaismus wesentlich verschiedenen Lehren zu einer solchen Trennung führen. Auch zeigt es der bei seinem Abschiede an seine Jünger gerichtete Auftrag, auszugehen in alle Welt und die Heiden zu lehren, sowie die zwei von ihm angeordneten Religionshandlungen, die Taufe und das Abendmahl, welche Unterscheidungszeichen seiner Bekenner sein sollten, daß die Stiftung der Kirche in seinem Plane lag. Äußerlich trat dieselbe zuerst hervor, als die Apostel voll des h. Geistes am Pfingstfeste sich von der Gemeinschaft der Synagoge trennten und die Verfassung derselben sich zum Muster nehmend, die erste christliche Gemeinde zu Jerusalem gründeten. Die weitere Ausbreitung der Kirche, ihren Kampf mit der Welt bis zu ihrer gesetzlichen Anerkennung vom Staate, ihr in verschiedenen Zeiten verschiedenes Verhältniß zu demselben, die Ausbildung ihrer Verfassung, die ihr Inneres umgestaltenden Streitigkeiten, das Aufsteigen und das Sinken ihrer Macht, ihren Fluch und ihren Segen, ihren Einfluß auf Bildung und Gesittung, auf Gesetz und Recht, auf Völkerwohl und Menschenglück, beschreibt die Kirchengeschichte, eine sehr umfassende, aber lehrreiche und fruchtbare Wissenschaft.

Einen geringern Umfang hat das Wort Kirche, wenn es nur von einem Theile der Christenheit gebraucht wird, welcher sich durch eigenthümliche Lehren, Verfassungen und Gebräuche von andern Christen unterscheidet. So gibt es eine griech., röm. und protestantische Kirche, welche letztere sich wieder in die lutherische und reformirte theilt, und jeder werden gewisse Sekten, die sich von der Kirchengemeinschaft trennten, zugeordnet, die aber insgesammt nur die eine Kirche Christi ausmachen, da sie durch den Glauben an diesen miteinander verbunden sind und alle Kirchen und Sekten ihren Bekennern und Anhängern christliches Wohlwollen und christliche Liebe empfehlen. Eine Theil- oder Particularkirche wird übrigens, nach dem einmal angenommenen Sprachgebrauche nur dann eine Kirche genannt, wenn sie durch die öffentliche Anerkennung des Staats ein gesetzliches Dasein gewonnen hat. Religiöse Parteien, welche nicht zu einem Körper zusammentreten, werden nicht als Kirchen, sondern als Separatisten oder Sekten betrachtet. Die Kirche, welche sich in Gebräuchen und Verfassung von der herrschenden Kirche trennt, heißt schismatisch; wenn sie aber in wesentlichen Lehren von [601] dieser abweicht, so wird sie ketzerisch. In den frühesten Zeiten des Christenthums fand eine solche Zerrissenheit der Kirche Christi nicht statt. Man kannte nur die eine katholische, d.h. allgemeine Kirche, darum so genannt, weil sie auf durchgängiger Übereinstimmung, einer Allgemeinheit des Glaubens und der Lehre beruhte. Und da die allgemeine Geltung der Glaubenslehren, vorbereitet durch die enge Verbindung der ältesten christlichen Gemeinden, durchgeführt später auf den Concilien, zugleich als Maßstab ihrer christlichen Beschaffenheit angesehen wurde, so hieß katholische Kirche auch so viel, als alleinwahre, alleinseligmachende Kirche, außer welcher kein Heil zu erwarten ist, wie dies schon im 3. Jahrh. namentlich von Cyprian gelehrt wurde. In der Folge trennte sich jedoch die morgenländische Christenheit von der abendländischen, theils, weil der Bildungszustand beider ein verschiedener war, theils, weil mit dem Untergange der griech. Herrschaft in Italien das Band der Kirchengemeinschaft immer lockerer wurde. Während des Bilderstreites trat der Gegensatz des Abendlandes zum Morgenlande immer schroffer hervor, bis endlich dogmatische Zwistigkeiten im 11. Jahrh. die Trennung entschieden. Die morgenländische Christenheit, deren Oberhaupt der Patriarch von Konstantinopel war, bildete von jetzt an die rechtgläubige griech. Kirche (s.d.), wogegen die abendländische Christenheit, unter ihrem gemeinsamen Oberhaupte, dem Papste, fortfuhr, sich als die katholische Kirche zu betrachten. Aber auch in ihr war die durchgängige Gemeinschaft ihrer Glieder nicht von Dauer. Im 16. Jahrh. riß sich durch die Reformation ein Theil derselben von der Verbindung mit dem Papste los und nahm, die bis dahin geltenden Lehren zum großen Theil verwerfend, einen neuen Lehrbegriff an. So entstand die protestantische Kirche, die auf das Wort Gottes in der Schrift gegründet ist, kein sichtbares Oberhaupt, kein heiliges Priesterthum hat und den äußerlichen Cultus hinter den selbständigen, religiösen Glauben zurücktreten läßt. Auch sie will sich in einem gewissen Sinne als die alleinseligmachende Kirche, außer der kein Heil ist, betrachtet wissen, doch mit dem Unterschiede, daß dasselbe nicht in der äußerlichen Kirchengemeinschaft unter dem Papste und den Bischöfen, sondern in der Gemeinschaft der wahrhaft Gläubigen, die den seligmachenden Glauben mithin in sich tragen, gewonnen wird. Sie besteht aus den zwei Schwesterkirchen, der lutherischen und reformirten Kirche, die nur in einigen außerwesentlichen Punkten voneinander abweichen, und in manchen deutschen Ländern auch unter dem Namen der evangelischen Kirche völlig vereinigt worden sind. So sehr auch der Protestantismus (s.d.) dem Katholicismus (s.d.) entgegensteht, so haben doch die Grundsätze der Duldung unter den Katholiken wie unter den Protestanten Eingang gefunden. – Eine noch engere Bedeutung hat das Wort Kirche, wenn man drittens darunter die Christen eines Landes versteht und von einer deutschen Kirche, einer engl. Kirche und einer gallikanischen Kirche redet.

In einer vierten Bedeutung bezeichnet ferner Kirche den Ort oder das Gebäude, in welchem sich eine christliche Gemeinde zum Gottesdienste versammelt, und in dieser Bedeutung unterscheidet man eine Kirche von einem Tempel, wo Heiden, von einer Synagoge, wo Juden und von einer Moschee, wo Mohammedaner ihren öffentlichen Gottesdienst halten. In den ersten christlichen Jahrhunderten konnten die Christen ihre gottesdienstlichen Versammlungen nur in Privathäusern halten, und zur Zeit der Verfolgung geschah dies auch in einsamen Gegenden und Höhlen. Doch findet es sich, daß sie bereits im 3. Jahrh., wo die Verfolgungen am heftigsten waren, Kirchen besaßen, die sie Bethäuser und Gotteshäuser nannten. Seit dem 4. Jahrh. wetteiferten die christlichen Kaiser, ihre Verehrung gegen das Christenthum durch die Erbauung großer und prächtiger Kirchen an den Tag zu legen, was namentlich von Konstantin, Theodosius und Justinian geschah, welcher Letztere den Bau der großen Sophienkirche in Konstantinopel unternahm, die Zierde aller Kirchen im Alterthume; auch wurden viele heidnische Tempel in christliche Kirchen verwandelt. Die neuerbauten Kirchen waren meistentheils in der Kreuzesform gegen Morgen erbaut und nach dem unverkennbaren Vorbilde des h. Tempels zu Jerusalem. Bei dem Eingange war der mit Säulengängen versehene Vorhof, in welchem sich die Büßenden aufhielten und die Brüder beim Eintritte in das Gotteshaus um ihr Gebet baten. Auch befand sich hier ein Wasserbehältniß, weil man sich nach jüd. Sitte vor dem Eintritte in das Gotteshaus die Hände zu waschen pflegte. Von dem Vorhofe kam man in den ersten Haupttheil der Kirche, Vorderschiff genannt, der für die Katechumenen bestimmt war. Aus ihm gelangte man durch eine große und prächtige Thür in das Schiff, den zweiten Haupttheil der Kirche, wo sich die Gläubigen versammelten. Den dritten, durch ein Gitter abgesonderten Haupttheil der Kirche nahm das Heilige oder der Chorus ein, den die Geistlichkeit ausschließlich inne hatte. Verzierungen der Kirchen durch Bildwerke gab es in den ersten Zeiten des Christenthums durchaus nicht, ja sie waren nicht einmal gestattet. Dagegen pflegte man wol Stellen aus der h. Schrift an die Wände zu zeichnen, oder die Wände mit Blumen und Zweigen auszuschmücken. Eingeweiht wurden die Kirchen durch einen feierlichen Gottesdienst, verbunden mit der Feier des Abendmahls, mit dem Aussprechen von Dankgebeten, mit Austheilungen von Almosen und Geschenken an die Kirche. Wie im Mittelalter der Einfluß der Kirche der vorherrschende war, so hat sich der kirchliche Geist desselben namentlich im Bauen der Kirchen verherrlicht. Die berühmtesten Kirchen sind gegenwärtig die Peterskirche zu Rom, die Paulskirche zu London, die Kirche Notredame zu Paris, die Stephanskirche zu Wien, die Jakobskirche zu Petersburg, der Münster zu Strasburg und der Dom zu Köln. Eingetheilt werden die Kirchen bisweilen in Kathedral-, Collegial- und Parochialkirchen. Die erstern sind solche, bei welchen ein Bischof seinen Sitz hat. Collegialkirchen heißen die Kirchen, an welchen kein Bischof residirt und Parochialkirchen sind die Kirchen, welche entfernt von den Kathedralkirchen in Flecken und Dörfern liegen, daher von dem Bischofe das Recht erhalten, durch besondere Geistliche ihre Angelegenheiten besorgen zu lassen. Noch darf nicht unbemerkt bleiben, daß die Rabbinen der Juden, aus Haß gegen die Christen, eine christliche Kirche ein Haus der Abgötterei, ein Haus des Götzendienstes, ein Haus der Thorheit oder des Gespötts nennen. Und nach Anleitung des Talmud soll ein Israelit, wenn er eine Kirche sieht, sagen: »Der Herr wird das Haus der Hoffärtigen verwüsten.«

In einer fünften Bedeutung endlich heißt Kirche die Versammlung der Gemeinde eines Orts zur Ausübung des [602] öffentlichen Gottesdienstes, in welcher Bedeutung man das Wort nimmt, wenn man sagt, daß an diesem oder jenem Tage Kirche gehalten werde. Was den Ursprung des Worts Kirche betrifft, so ist es wahrscheinlicher, denselben entweder von dem griech. Worte Kyriakon, welches »das Haus des Herrn« bezeichnet, oder dem gleichfalls griech. Kyrie, womit der beim Anfange des Gottesdienstes abzusingende Hymnus begann, und das der neubekehrte Deutsche bei seinem Eintritte in das Gotteshaus zuerst gehört haben soll, abzuleiten, als von dem deutschen Worte köhren oder kühren, das dem im Lateinischen für Kirche üblichen ecclesia entsprechend, den Begriff der Auswahl oder des auserwählten Volks geben würde.

Da die Kirche, indem sie dem Menschen den Weg zum Heil eröffnet, zugleich ein Verein zur Ausübung der Religion mit einem gesellschaftlich geordneten Verhältniß ist, so findet zwischen ihr selbst und dem Staate ein rechtliches Verhältniß statt, das nach dem Grundsatze der Abhängigkeit dieses von jener oder umgekehrt, oder der Gleichheit beider, als ein dreifaches gedacht werden kann und ebenso in der Wirklichkeit in verschiedenem Maße ausgebildet vorgefunden wird. Gewöhnlich nennt man die Grundansichten, worauf die getheilten Meinungen hierüber zurückgeführt werden, Systeme und unterscheidet darnach das hierarchische System, das Territorialsystem und das Collegialsystem, die jedoch mit verschiedenen Abänderungen auch zu neuen Systemen ausgebildet worden sind. Das hierarchische System sieht die unter einem gemeinsamen Oberhaupte vereinigte Gesammtheit höherer und niederer Geistlichen für die von Gott bevollmächtigten Regierer und Lenker der Kirche an und fodert deshalb die Unterwürfigkeit christlicher Staaten unter die Kirche oder die sie beherrschende Hierarchie. Dieses System wurde von jeher in der katholischen Kirche festgehalten und da sich die Staaten unter ihrem Einflusse entwickelten, in einem hohen Grade geltend gemacht, hat aber in neuerer Zeit bei der Ohnmacht der röm. Kirche und der Übermacht der Staaten seine frühere Bedeutung und Herrlichkeit verloren. Das Territorialsystem unterwirft die Kirche dem Staate, indem es lehrt, daß das Landesoberhaupt zugleich der Oberbischof der Kirche sei und ihm das Recht zugestanden werden müsse, kirchliche Einrichtungen und Anordnungen zu treffen. Dieses System wurde schon von Konstantin nach seinem Übertritte zum Christenthume geltend gemacht. Aufs Neue erschien es wieder und scharf entwickelt in der Zeit nach der Reformation in der protestantischen Kirche, die unter fürstl. Schutze aufwuchs und gedieh, aber sich dadurch zugleich ihrer Selbständigkeit an die landesherrlichen Oberherren begab. Das Collegialsystem, auf den milden Grundsatz »Jedem das Seine« gestützt und in neuerer Zeit vielfach vertheidigt, lehrt, daß Staat und Kirche, gleich Bruder und Schwester, da sie nur Einen Hauptzweck verfolgen und sich wechselseitig unentbehrlich sind, freundlich nebeneinander stehen und als zwei verschiedene Institute unter einem gemeinsamen Oberhaupte, dem Fürsten, vereinigt sein sollen. Hierbei muß jedoch vorausgesetzt werden, daß das Oberhaupt der Kirche eines Landes auch ein Mitglied derselben und nicht einer fremden Confession zugethan sei.

Das Kirchenjahr hat seinen Namen daher, weil die gottesdienstlichen Festtage nach demselben eingerichtet sind. Ungeachtet das Fest der Geburt Christi in der Ordnung als das erste Fest betrachtet wurde, so beginnt doch das Kirchenjahr nicht den 25. Dec., sondern in Deutschland und in den meisten katholischen und protestantischen Ländern mit dem ersten Adventsonntage. Der Grund davon liegt darin, daß man sich auf das durch die Geburt Christi ausgezeichnete Weihnachtsfest ebenso vorbereiten zu müssen glaubte, wie man sich auf das Osterfest durch verschiedene vorhergehende Wochen oder durch die sogenannten Fasten vorbereitete. In England fängt das Kirchenjahr mit dem Feste der Verkündigung Mariä, den 25. März, als mit dem Tage an, an welchem die Entstehung der menschlichen Natur Jesu Christi in dem Leibe seiner Mutter begonnen habe.

Das von der höchsten kirchlichen Behörde eines Landes festgesetzte Buch, welches die bei der Sonn-und Festtagsfeier, bei der Taufe, dem Abendmahle, der Trauung und andern kirchlichen Handlungen zu brauchenden Formulare enthält, heißt die Kirchenagende. Da jedoch der Prediger zur wirksamen Verwaltung auch der h. Gebräuche und Handlungen der eignen freien Geistesthätigkeit, nach dem Ermessen der jedesmaligen Umstände und der Persönlichkeit seiner Zuhörer nicht entbehren soll, so können ihm die Agenden nur eine Anweisung zu seinen Amtsverrichtungen sein und ihn nöthigenfalls unterstützen, wo ihm eine Vorbereitung auf sein Geschäft nicht möglich ist. Als seit 1821 in Preußen die berliner Domagende eingeführt werden sollte, die den Zweck hatte, die beiden evangelischen Kirchen einander zu nähern, den Gottesdienst zu vereinfachen und der Gemeinde durch die Antiphonien (Wechselgesang) eine größere Theilnahme an der Liturgie zu geben, so konnte dies nur nach und nach und zum Theil nach großem Widerstande geschehen, da streng lutherisch gesinnte Gemeinden die Annahme derselben als eine Verunstaltung ihres protestantischen Gottesdienstes ansahen. Verändert erschien sie in einer neuen, nach dem Gutachten einer geistlichen Commission abgefaßten Ausgabe am 19. Aug. 1829 unter dem Titel: »Agende für die evangelische Kirche in den königl. preuß. Staaten«. – Den Namen Kirchendiener erhalten alle Diejenigen, deren kirchliche Verrichtungen die Religionsübung nicht unmittelbar zum Zweck haben, sondern in gewissen von dem eigentlichen Gottesdienste unabhängigen äußerlichen Dienstleistungen und Nebenhandlungen bestehen. Hierher gehören nicht nur die den Geistlichen bei der Verwaltung ihres Amts dienstpflichtigen Küster oder Kirchner, sondern auch die Cantoren, Organisten, Cymbalträger, Glöckner u.s.w.; ferner die Kirchenvorsteher und Kirchenväter, denen die Sorge für das weltliche Interesse der Kirche, die Verwaltung und Erhaltung des Kirchenvermögens übertragen ist. Den Kirchendienst verrichten gegenwärtig auch in der katholischen Kirche Laien, vor dem 7. Jahrh. aber wurde derselbe nur von Personen verrichtet, welche die höchste von den vier kleinen Weihen erhalten hatten und Akoluthen oder Akolythen hießen. Die Kirchendiener sind von den Kirchenbeamten, den wirklichen Geistlichen, zu unterscheiden, deren Amsantritt eine feierliche Weihe vorangegangen ist. Sie werden von den geistlichen Obern eingesetzt und genießen verschiedene mit dem geistlichen Stande verbundene Vorzüge, die jedoch von den Landesgesetzen bald mehr bald weniger beschränkt werden. – Jeder District, dessen Bewohner sich zum gemeinschaftlichen Gottesdienste [603] unter einem Pfarrer vereinigt haben, mag derselbe nun aus einer oder mehren Ortschaften bestehen, bildet einen Kirchensprengel, ein Kirchspiel oder eine Kirchfahrt. – Unter Kirchengut versteht man das der Kirche zugehörige Eigenthum, das ihr zur Bestreitung der für ihre Zwecke erfoderlichen Kosten dient, mag nun dasselbe in Grundbesitz oder beweglichem Vermögen, in Abgaben oder nutzbaren Diensten und Rechten bestehen. Das Recht der Kirche, Eigenthum zu erwerben, beruht auf der Anerkennung derselben als juristische Person durch den Staat, und da sie kein zufälliges Bestehen hat und dieses ohne einen äußern Aufwand nicht gedacht werden kann, so ist ihr Besitz und Eigenthum nöthig. Zwar das unermeßlich reiche Kirchengut, was die Kirche in Zeiten an sich brachte, wo es ein Geringes galt, dem Antheile an den geistlichen und ewigen Gütern der Kirche das zeitliche und irdische Besitzthum aufzuopfern und wo man namentlich Vermächtnisse an die Kirche als förderlich zur Seligkeit betrachtete, besitzt sie jetzt nicht mehr. Wie sie selbst den nachtheiligen Einfluß, der ihr und dem Nationalwohlstande der Länder aus dem übermäßigen Reichthume erwuchs, nicht vermeiden konnte, so vermochte sie auch nicht die Säcularisirung eines großen Theils ihrer Güter oder die Verwandlung des kirchlichen Eigenthums in Staatseigenthum von Seiten des Staats zu hindern. Wo einzelne Kirchen des Kirchenvermögens gänzlich entbehren, da müssen die einzelnen Glieder der Kirche die Verwaltungskosten decken.

Die Kirchenverfassung oder das Kirchenregiment heißt die äußere Ordnung, auf welche die Leitung der kirchlichen Angelegenheiten bei der Ausübung der Kirchengewalt gegründet ist. In der katholischen wie in der protestantischen Kirche erscheint sie in dem untergeordneten Verhältnisse der niedern zu den höhern Kirchenbeamten oder kirchlichen Behörden, so z.B. in jener der Pfarrer, Bischöfe, Erzbischöfe, Kirchenversammlungen zu dem Papste, als dem allgemeinen Oberhaupte; in dieser der Pfarrer und Superintendenten zu den Consistorien, Synoden, Bischöfen, geistlichen Ministerien u.s.w.

Der Inbegriff der Rechte, die der Kirche als einer religiös-sittlichen Gesellschaft zustehen und vermöge welcher sie die für ihren Zweck nöthigen Einrichtungen treffen und in Ausübung bringen kann, ist die Kirchengewalt oder (katholisch) Gewalt der Schlüssel, indem nach einer jüd. Vorstellung durch die Schlüssel die göttliche Macht symbolisch bezeichnet wurde. Ihre jedesmalige Bestimmung erhalten diese Rechte aber wiederum theils von der Beschaffenheit des Lehrbegriffs einer Kirche selbst, theils von ihrem angenommenen Verhältnisse zum Staate. In der katholischen wie in der protestantischen Kirche ist der Unterschied zwischen einer innern und äußern Kirchengewalt festgestellt, indem jene (potestas ordinis oder ministerii) die Austheilung der geistlichen Güter der Kirche, diese (potestas jurisdictionis) die Handhabung der äußern Ordnung in der Gemeinde und unter den kirchlichen Beamten umfaßt. Zu der erstern gehören namentlich die Rechte, daß die Kirche unabhängig von dem Einflusse des Staats, insofern dadurch die bürgerliche Ordnung nicht gefährdet wird, über Glauben, Lehre und Kirchengebräuche bestimmen und verfügen, daß sie sich selbst regieren, daß sie ferner die Männer, die das Wort Gottes lehren und die Sacramente verwalten sollen, wählen, berufen und weihen kann. In der katholischen Kirche ist diese Gewalt in den sieben Weihen enthalten, durch die sie auf die Stufenfolge geistlicher Amts- und Würdeträger als eine wahre Herrschaft über den Glauben der Kirche übertragen wird, in der protestantischen Kirche hingegen, wo der geistliche Stand zur Verkündigung des Evangeliums und zur Ausspendung der Sacramente bestimmt ist, wird sie eigentlicher ein Dienst des göttlichen Worts (ministerium verbi divini) genannt, da es der Beruf der Kirchenlehrer zwar ist, über die Lehre zu urtheilen und irrige Lehre zu verwerfen, aber ihr Urtheil erst durch die Zustimmung der Kirche zur kirchlichen Lehre wird und von der Prüfung des Glaubens auch fromme und unterrichtete Laien nicht ausgeschlossen sind. Die Gewalt der Jurisdiction hat zum Gegenstande der Thätigkeit alle äußerlichen kirchlichen Angelegenheiten. Sie erstreckt sich daher auf die Lehre und die gottesdienstlichen Handlungen nur insoweit diese ein Gegenstand blos disciplinarischer Anordnung werden können, wie bei der Besetzung, bei der Beaufsichtigung des Lehramts, der Vorsorge für Beobachtung der Liturgie, für gehörige Verwaltung der Sacramente u.s.w.; dieser Theil der Kirchengewalt ist dem Einflusse der weltlichen Regierung vorzüglich ausgesetzt. – Kirchengesetze heißen die Verordnungen für kirchliche Angelegenheiten. (S. Kanonisches Recht.) Die kirchliche Gesetzgebung geht ebensowol von der Kirche als vom Staate aus. Der Antheil beider wird durch die Natur und Grenzen der Kirchengewalt und des kirchlichen Majestätsrechts bestimmt. Da die Religion Pflichten auflegt, diese aber mit einer für das bürgerliche Leben folgenreichen Handlungsweise verbunden sind, so können von der Kirche auch in rein kirchlichen Angelegenheiten, wie sie Glauben, Lehre und Kirchengebräuche betreffen, ohne Zustimmung und Genehmigung des Staats keine Gesetze gegeben werden. Man nennt dieselbe das placet regium, das auch in katholischen Ländern der Bekanntmachung einer päpstlichen Bulle oder anderer kirchlicher Verordnungen vorausgegangen sein muß. In den deutschen protestantischen Ländern geht die kirchliche Gesetzgebung zu gleicher Zeit von der Kirche und dem Staate aus, da die Werkzeuge derselben, die höhern kirchlichen Beamten, zugleich landesherrliche sind. – Kirchenstrafe wird eine Strafe genannt, welche von den Dienern der Kirche, denen die gesetzausübende Gewalt zukommt, über die Gemeindeglieder oder Gemeinden verhängt wird, welche die Verordnungen oder Gesetze der Kirche übertreten haben. Solche Strafen sind Kirchenbußen (s. Buße), der große und kleine Kirchenbann (s. Bann), die Beraubung eines christlichen Begräbnisses, ja, in der röm. Kirche, Verlust selbst aller bürgerlichen Rechte und Todesstrafe. (Vgl. Inquisition.) – Kirchenfrevel ist eine Handlung, durch welche die der Kirche schuldige Ehrfurcht verletzt wird. Ist mit solcher Handlung zugleich ein rechtswidriger Eingriff in das Eigenthum der Kirche verbunden, so heißt sie Kirchenraub; dagegen wird sie Kirchenschändung, wenn ihr ein Verbrechen anhängt, dem zufolge es nicht erlaubt ist, den Gottesdienst ohne vorgenommene Aussöhnung der Kirche wieder zu halten. In der katholischen Kirche geschieht dies durch eine wiederholte Weihe. (S. Kirchweihe.) – Kirchenraub (sacrilegium) heißt im weitern Sinne jede Beeinträchtigung oder Verletzung des kirchlichen Gutes durch Betrug oder Diebstahl, im engern Sinne die gewaltsame Erbrechung der Kirche, verbunden [604] mit dem Raube heiliger Gefäße, Kostbarkeiten, Gelder oder eines andern der Kirche zugehörigen Eigenthums. Da man den Kirchenraub im engern Sinne als eine zugleich gotteslästerliche Handlung, als ein Verbrechen gegen die Religion selbst ansieht, so wird er nach den Criminalgesetzen der meisten Länder härter als ein an andern Orten und Gegenständen verübter Raub bestraft.

Schon in den ältesten Zeiten wurde zur Erhebung religiöser Feierlichkeiten von der Musik Anwendung gemacht. Der eigenthümliche Geist der christlichen Kirche mußte sich auch in der Musik ausdrücken und so entstand die christliche Kirchenmusik. In der christlichen Kirche zeichneten sich für die Ausbildung wie des Kirchengesangs, so auch der für den christlichen Gottesdienst bestimmten Musiker mehre Bischöfe aus, namentlich Ambrosius von Mailand und Gregor der Große. Doch wurde es zuweilen von den Concilien ausdrücklich gemisbilligt, durch Instrumentalmusik die Feier des Gottesdienstes zu erhöhen, weil diese dadurch profanirt werde; aber sie fand nachmals wieder Beifall, als die kanonischen Stunden in den Klöstern eingeführt wurden, die noch jetzt, wie bei den Cistercienserinnen und Kanonissinnen vom heil. Grabe, wo die Nonnen die Instrumente selber spielen, mit Instrumentalmusik gehalten werden. Seit dem 15. Jahrh. wurde hauptsächlich die Figuralmusik und der figurirte Gesang (cantus figuratus) entwickelt, indem man zuerst den Grundton oder die Grundmelodie unverändert beibehielt, die begleitenden Stimmen aber in der Melodie ausschmückte und durch Veränderungen erweiterte. Diese Art der Kirchenmusik wurde jedoch bald zu glänzend und weltlich. Ihre gänzliche Umgestaltung zur geistlichen Kunst, die das Herz unmittelbar zum Unendlichen erhebt, unternahm zuerst in der Mitte des 16. Jahrh. der Italiener Palestrina, dessen Missa Marcelli, das Geheimniß der göttlichen Menschwerdung feiernd, die ganze Tonleiter christlicher Gefühle verherrlicht hat, nachdem schon früher in der protestantischen Kirche durch Luther der Kirchengesang verbessert und durch das Spiel der Orgel vervollkommnet worden war. Wenn von jetzt an die Kirchenmusik sowol in der katholischen als in der protestantischen Kirche schnell zu einer hohen Vollendung gedieh und in letzterer der leipziger Cantor Sebastian Bach (s.d.) in strenger, harmonienreicher, himmelstrebender Musik das erhabenste Wort des deutschen Protestantismus seiner Zeit sprach, so ist sie in neuerer Zeit namentlich durch Annäherung an die Opernmusik verunstaltet worden. Denn wie es ihr Zweck ist, durch ahnungsvolle Innigkeit, durch ernste, erhabene und feierliche Harmonie das Herz zur Andacht und Frömmigkeit zu stimmen, so muß auch der gute Kirchenstyl aller überflüssigen Künsteleien, alles glänzenden, die Sinne berauschenden Prunkes entbehren, noch darf er durch überraschende Läufer und Coloraturen die Kunstfertigkeit der Sänger und Spieler zeigen wollen, wie dies dem freiern und ungebundenern Style der weltlichen Musik eigen ist. Feststehende Formen des Textes für die Kirchenmusik sind in der katholischen Kirche die Messe oder Missa (s.d.), die Offertorien, das Te deum, Salve, Requiem, Psalmen u.s.w.; dagegen haben sich bei den Protestanten Dichter und Componisten neue Formen erlaubt und es werden bei ihnen neben jenen lat. gefangenen Stücken deutsche Motetten, Canta ten, Oratorien (s.d.) als Kirchenmusik aufgeführt. – Der Kirchengesang ist eins der wirksamsten Mittel der Erbauung, da nichts tiefer den Menschen rühren kann, als die gemeinschaftlich gesungene fromme Weise eines Liedes in Verbindung mit dem ernsten und feierlichen Klange der Orgel. Das Absingen von Psalmen und Hymnen beim Gottesdienste war als eine jüd. Sitte gleich anfangs von den Christen beibehalten worden und findet sich deshalb früher und allgemeiner bei den morgenländischen als bei den abendländischen Christen. Geregelt erscheint der Kirchengesang zuerst in Antiochien, wo er sich besonders als Wechselgesang (Antiphonien) ausgebildet hatte. Ambrosius (s.d.), der sich zugleich als Verfasser christlicher Gesänge verdient machte, legte ihn dem nach ihm genannten Ambrosianischen Kirchengesange zu Grunde und wurde so der Stifter des Kirchengesanges im Abendlande, wo seit dem 4. Jahrh. noch besondere Vorsänger, Cantores, die den Kirchengesang anordnen und leiten mußten, angestellt wurden. Die Art des Sanges selbst war bald Sologesang, bald Wechselgesang, bald Chorgesang der ganzen Versammlung, die in einen vorgesagten oder vorgelesenen Spruch einfiel, wovon wahrscheinlich erst später das weibliche Geschlecht ausgeschlossen wurde. Eine mehr musikalische Ausstattung erhielt der Kirchengesang durch Papst Gre gor den Großen (s.d.), der sogar eine Singschule errichtete, in welcher Knaben zu Kirchensängern gebildet wurden. Dergleichen Sänger berief später Karl der Große aus Italien in die neue Reichskirche. Viel verlor im Mittelalter der Kirchengesang dadurch, daß er durchaus lateinisch war, mithin durch Ausschließung der Laien von demselben seine Wirkung auf sie verfehlen mußte. Erst durch Luther (s.d.) ist er zum mächtigen Volksgesange geworden, indem die wiedergeborenen Hymnen der alten Kirche mit den eignen Liedern seines Herzens zu einem Strome heiliger Poesie in der deutschen Kirche wurden, der ihre tiefsten Lebensklänge in sich aufnahm. Angemessen der Gesangsbeschaffenheit einer großen Volksmasse ist der Kirchengesäng in der Regel einstimmig und gewinnt durch das Begleitungsspiel der Orgel ruhigen Fortschritt und Sicherheit. Als der vierstimmige Kirchengesang, der in einigen reformirten Gemeinden, besonders der Schweiz, ein väterliches Erbtheil ist, da man auch nicht einmal die Orgel zulassen wollte, durch einen Verein in Stuttgart eingeführt und von der würtemberg. Synode 1823 empfohlen wurde, erhoben sich viele Stimmen, die solchen Gesang für eine Gemeinde zu künstlich und störend nannten.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 601-605.
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